Willkommene Willkommenskultur

In Deutschland sind Flüchtlinge willkommen, so lautete zumindest eine Zeit lang der einstimmige Tenor vieler Medien und auch die Kanzlerin betonte im Sommerinterview, man beachte die Menschenwürde jedes Einzelnen und die zunehmende Gewalt gegen Flüchtlinge sei des Landes nicht würdig. Überall sprießen Hilfsprojekte für Flüchtlinge wie Knospen im Frühling aus dem Boden. Kochen mit Flüchtlingen, kostenlose Kleidung und Deutschkurse für Flüchtlinge, Essen, Duschgel, Rechtsberatung – alles was die ehrenamtlich engagierten BürgerInnen so anzubieten haben.

Überall sind sie, die fleißigen HelferInnen und Deutschland ist stolz auf sie. Das Wort des Jahres 2015 könnte mit großer Sicherheit „Willkommenskultur“ lauten. In großen Teilen der Zivilbevölkerung hat die rassistische Hetze von Neonazis, wie sie in Nauen, Heidenau, Tröglitz und Freital zum Ausdruck kam, keinen Rückhalt. Getragen wird diese „Willkommenskultur“ nicht nur von einer parteilosen Zivilgesellschaft, sondern auch von den im Bund regierenden Parteien CDU und SPD. CDU-Mitglieder, die Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen, Jusos, die Kleidung spenden und ganze Initiativen zur Flüchtlingshilfe gründen.

Während man vielen der fleißigen Bürger_innen die Ernsthaftigkeit ihres Engagements durchaus abnehmen kann, sind die Bemühungen der offiziellen Politik, unter dem Label der „Willkommenskultur“ das deutsche Image aufzubessern ebenso heuchlerisch wie ekelhaft: Die Bundesregierung aus CDU und SPD hat sich innerhalb kürzester Zeit auf gleich zwei Asylrechtsverschärfungen geeinigt. Eine wurde bereits im Juli im Bundestag verabschiedet, die andere im Frühherbst unter dem Titel „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ auf den Weg gebracht. Gesetze mit Signalwirkung an Menschen, die überlegen nach Deutschland zu kommen. Signale der Abschottung und Ausgrenzung, die bereits mit der Aussetzung des Schengen-Abkommens und damit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an der deutschen Grenze nach außen gesendet wurden.

Mit der ersten Verschärfung im Juli wurden zunächst die Gründe für eine Inhaftierung in Abschiebeknästen ausgeweitet. Flüchtlinge, die mit „Schleppern“ nach Deutschland gekommen sind, keinen gültigen Pass aufweisen oder falsche Angaben bei den Behörden gemacht haben, sollen nun sofort weggesperrt werden. Alles Tatbestände, die bei einer Flucht aufgrund der EU-Abschottungspolitik unumgänglich sind. Gegen diese erste Verschärfung des Asylrechts gab es breite Proteste, die sich in Demonstrationen, Besetzungen und Blockaden von Parteihäusern äußerten.

Schneller Abschieben und besser Abschotten

Unter diesen Titel könnte man das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz fassen.

Gegen eine Beschleunigung des Asylverfahrens wäre grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn dadurch Menschen früher Gewissheit erhielten, dort bleiben zu dürfen, wo sie leben wollen. Doch versteht die Bundesregierung unter Beschleunigung des Verfahrens etwas anderes. Gemeint ist die Möglichkeit der schnelleren Abschiebung von Flüchtlingen, denn mit dem Gesetz werden Albanien, das Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Damit wird Flüchtlingen aus dem Westbalkan jeder Fluchtgrund abgesprochen und ihr Bestreben hier leben zu wollen unterbunden.

Auch soll das Ankündigen von Abschiebungen, wie es bisher in einigen Bundesländern üblich war, nun verboten werden. Kommen Flüchtlinge dem Angebot der freiwilligen Ausreise nicht nach, werden sie nach Verstreichen einer Frist unangekündigt abgeschoben. Man will damit vorbeugen, dass sich Menschen aus guten Gründen, wie politischer Verfolgung oder keiner vorhandenen Existenzgrundlage im Herkunftsland, der Abschiebung entziehen können. Hinzu kommt, dass die Aussetzung von Abschiebungen nun von maximal sechs Monate auf drei Monate verringert werden soll. Doch damit nicht genug, denn das Gesetz wartet mit noch weiteren rassistischen Neuerungen auf.

Für Menschen, die nach Dublin III Verordnung einem anderen EU-Staat zugeteilt sind, als auch für „vollziehbar Ausreisepflichtige“1 soll nur noch die bloße physische Existenz gesichert werden. Das bedeutet effektiv eine Kürzung unter das Existenzminimum, dauerhafte Lagerunterbringung und den Ausschluss vom kulturellen Leben. Auf diese Weise soll der Aufenthalt in Deutschland noch unattraktiver werden.

Statt 143 Euro an Bargeld – die Bundesregierung nennt es Fehlanreiz — sollen Flüchtlinge aus Erstaufnahmeeinrichtungen zukünftig nur noch Wertgutscheine bzw. Sachleistungen erhalten, was einer Konsumkontrolle durch den Staat entspricht. Grundsätzlich sollen solche Leistungen nur noch einen Monat im Voraus getätigt werden.

Fasst man die Reaktion auf die Flüchtlingskrise durch die Regierung auf ein Wort zusammen, so lautet es „Abschreckungskultur“: Nicht Flüchtlinge sondern RassistInnen und Neonazis werden in ihrer Auffassung willkommen geheißen und die ihrer Ideologie inhärenten Gedanken der Ungleichwertigkeit von Menschen bestätigt. Denn wie an anderer Stelle (s. Artikel auf S.XX) schon beschrieben, werden durch diese Gesetzgebung nicht nur Flüchtlinge unabhängig von ihrem Herkunftsland den in Deutschland geborenen BürgerInnen untergeordnet, sondern auch noch zusätzliche Abstufungen in nützliche und weniger nützliche Flüchtlinge gemacht.

Gerechtfertigt wird die Verschärfung durch die gestiegenen Flüchtlingszahlen und die angeblich beschränkten Aufnahmekapazitäten Deutschlands. Die Ursachen für die Flucht, insbesondere aus den Westbalkanländern, werden verschwiegen und Deutschland als Exportmacht und Nutznießer der Globalisierung in einer kapitalistischen Welt als abgeschottetes Gebilde betrachtet. Die Vorstellung von einer Welt, in der jeder Mensch unabhängig von Herkunftsland und Nationalität leben kann, wo er will, wird als Wunschgedanke abgetan. Im kapitalistischen Deutschland ist ein Mensch nur soviel Wert, wie er leistet: Flüchtlinge, die eine gute Bleibeperspektive haben, sind laut Vorstellung des Bundesinnenministers solche, die gut und schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Nicht umsonst hat der Chef der Bundesarbeitsbehörde jetzt auch die Präsidentschaft für die Flüchtlingsbehörde übernommen. Die neue Migrationspolitik ist damit die Fortsetzung der alten unter verschärften Bedingungen: Bleiben darf vor allem, wer ins ökonomische Kalkül passt. Mit „Willkommenskultur“ hat das nicht das Geringste zu tun. Um eine solche tatsächlich durchzusetzen, bedürfte es einer breiten antikapitalistischen und auf transnationale Solidarität ausgerichteten Bewegung. Diese Bedingung ist aktuell noch nicht gegeben. Zumindest können wir aber schon jetzt alle verfügbaren Möglichkeiten nutzen, um die Kultur der Abschottung, Ausgrenzung, Ausbeutung und Verelendung zu durchkreuzen.


1Das sind solche Menschen, denen von staatlicher Seite jeglicher Anspruch auf ein Bleiberecht abgesprochen wird.