Pressemitteilung der Basidemokratischen Linken (BL) zum Fall der massenhaften Freiheitsentziehung in der Groner Landstraße

Göttingen, den 04.01.2024.   Die Stadt Göttingen hat im Sommer 2020 über 700 Menschen eine Woche im Hochhauskomplex der Groner Landstraße 9a/b unter menschenverachtenden Bedingungen eingesperrt – teilweise mit schweren gesundheitlichen bis zu tödlichen Folgen. Die Basisdemokratische Linke war damals an Protesten gegen die Maßnahme beteiligt.Am 30.11.2023 hat das Verwaltungsgericht Göttingen(VG) entschieden, dass das Einzäunen und die polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig waren. Als Reaktion auf die Entscheidung des VG spekulierten die Regierenden der Göttinger Stadtpolitik auf eine Verjährung der Ansprüche mit dem 01.01.2024. Es wurde weder auf die außergerichtliche Forderung der Betroffenen eingegangen, noch ein eigener Entschädigungsvorschlag gemacht, sodass nun 223 Personen auf Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 880.850,00 Euro klagen. Damals war von der Verwaltung argumentiert worden, die Stadtbevölkerung müsse mit der Maßnahme geschützt werden. Klar scheint, dass die Bewohner*innen der Groner Landstraße 9-9b nicht als Teil dieser schützenswerten Stadtbevölkerung betrachtet werden. Denn das Leben der Bewohner*innen, und damit auch das Leben von über 200 Kindern, wurde 2020 aufs Spiel gesetzt – immerhin war zu diesem Zeitpunkt noch kaum etwas über die potentiell tödliche Krankheit Covid-19 bekannt. Besonders erschreckend erschien die Brandmarkung und Stigmatisierung der Bewohner*innen des Gebäudekomplexes als infektiöse Bedrohung für die Stadtbevölkerung aufgrund der Tatsache, dass dort viele Rom*nja wohnen, gegenüber denen so rassistische Stereotype bedient werden, die in schlechtester deutscher Tradition stehen. Heute setzt sich die ausschließende Politik fort: Statt die Chance zu nutzen, eine ansatzweise Wiedergutmachung zu leisten, wird davon ausgegangen und darauf gesetzt, dass die Betroffenen ihre Rechte nicht kennen oder sich eine Klage nicht leisten könnten. 

Lena Rademacher, Sprecherin der Basisdemokratischen Linken zeigt sich empört über das Verhalten der amtierenden Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD):    „“Ein Göttingen für Alle!“ das Broistedt im Wahlkampf versprochen hatte bleibt eine leere Phrase. Der Umgang mit den berechtigten Forderungen zeigt für uns eindeutig: Damals wie heute handelt sie entgegen der Interessen der Menschen in der Groner Landstraße. „Wir haben kein Göttingen für alle, sondern ein Göttingen für die, die es sich leisten können. „Es ist ein Skandal, dass Petra Broistedt in Folge der von ihr verantworteten Einsperrungen überhaupt Bürgermeisterin werden konnte“.

Inzwischen haben Bewohner*innen, die damals gegen die Einzäunung protestiert haben und dafür von der Polizei angegangen wurden, hohe Geldstrafen abbezahlt und teils Zeit im Gefängnis abgesessen. Die Polizist*innen, die unter anderem Kindern Pfefferspray in die Augen gesprüht und Knüppel auf die Köpfe geschlagen haben, kommen ohne Urteil davon. Diese rassistische, und klassenbasierte Gewalt von Oben, die sich sowohl physisch als auch psychisch auf die Bewohner*innen auswirkt, ist kein Einzelfall, sondern zeigt sich im Fall der Groner Landstraße lediglich besonders deutlich.

Lena Rademacher erklärt die resultierenden Forderungen der Basisdemokratischen Linken:    „Wir fordern, dass Petra Broistedt und weitere Verantwortliche eine Entschädigung aller damaligen Bewohner*innen veranlassen. Auch derer, die es nicht rechtzeitig geschafft haben eine Klage anzustrengen. Außerdem müssen sich alle Fraktionen im Stadtrat  positionieren: Zum begangenen Rechtsbruch und zum Versuch der Stadtverwaltung, sich ihrer Verantwortung gegenüber den Betroffenen der Einsperrung zu entziehen.

Auch die grundsätzlichen Lebensbedingungen in der Groner Landstraße waren damals kurzfristig politisch zum Thema geworden. Lena Rademacher ärgert sich über den stadtpolitischen Umgang mit dem Wohnhaus in der Groner Landstraße:        „Anstatt weiterhin öffentlich die Lebensbedingungen der Menschen in der Groner Landstraße zu betrauern und dann nichts dagegen zu unternehmen, sollte sich Petra Broistedt auf Landesebene für die Enteignung der zahlreichen Vermieter einsetzen, und ihrem Treiben damit ein Ende setzen. So könnte die Stadt zugriff auf das Haus bekommen und menschenwürdige Lebensbedingungen herstellen. Eine solche Entscheidung ist auf Landesebene möglich. Wozu ist sie in der selben Partei wie Ministerpräsident Stefan Weil?“

Petra Broistedt hatte sich 2020 im Stadtrat explizit dagegen ausgesprochen, dass die Stadt Göttingen Wohnungen in der Groner Landstraße kauft, als andere Ratsmitglieder dies gefordert hatten. Rademacher dazu:“Statt den Wohnraum schon wieder Investoren zu überlassen, hätte die Stadt auch über solche Käufe, wie sie jetzt auch im Hagenweg angedacht sind, die Möglichkeit, grundlegend etwas an den Lebensbedingungen in der Groner Landstraße zu ändern.“