Am Bahnhof hui, im Lager pfui

Der Umgang mit Geflüchteten am Beispiel des Erstaufnahmelagers Friedland

Die deutsche Willkommenskultur ist derzeit vielfältig. Hilfe und Hallo stehen Anschlägen und „Haut ab!“- Rufen gegenüber, das Thema Migration ist omnipräsent. Während so manche Deutsche stolz darauf sind, wie toll sie helfen und die Kanzlerin zur Mutter Theresa glorifiziert wird, erarbeitet die Regierung eine Asylrechtsverschärfung, die die Grundrechte mit Füßen tritt. Wie weit es her ist mit der Menschlichkeit, lässt sich aber vor allem mit einem Blick auf die Zustände in einem Aufnahmelager für Geflüchtete zeigen. Hier, wo kaum Kameras hinkommen, zeigt sich die deutsche Realität. Opfer von Krieg und Gewalt werden hier zu Opfern von Rassismus, Bürokratie und bewusster Fehlplanung.

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Unweit von Göttingen liegt das Erstaufnahmelager Friedland. Es ist darauf ausgelegt etwa 700 bis 800 Personen aufzunehmen. Doch die Realität sieht anders aus. Zur Zeit befinden sich über 3000 Menschen in der Unterkunft für Geflüchtete. Die Dauer des Aufenthalts beträgt offiziell wenige Monate, kann jedoch durch verspätete Registrierung der Ankommenden um mehrere Wochen auch deutlich länger herausgezögert werden. Das Lager in der Ortschaft südlich von Göttingen wird aufgrund seiner Geschichte als Grenzdurchgangslager auch als „Tor zur Freiheit“ bezeichnet – was angesichts der dort herrschenden Umstände, die stellvertretend für den Umgang mit Geflüchteten in der BRD stehen, wie bittere Ironie klingt. Die Situation ist perfide: Einige der syrischen Flüchtlinge haben bereits versucht Geld zu sammeln, um zurückzukehren in ein Land, wo der Krieg tobt – um dort „in Würde zu sterben“.

Aufgrund mangelnder Schlafplätze müssen Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung draußen unter freiem Himmel schlafen – darunter auch Kinder. Es mangelt an allem, nicht nur an Schlafgelegenheiten: Essen, Kleidung, Information und Aufklärung über Rechte und anstehende bürokratische Schritte, es gibt keinen Rückzugsraum oder Privatsphäre. Die hygienischen Zustände sind denkbar schlecht: Bei der Ankunft gibt es keine obligatorische medizinische Untersuchung, weil das Personal dafür fehlt. Dies bedeutet, dass Infektionskrankheiten nicht festgestellt und behandelt werden können, auch Verletzungen (z.B. aus dem Krieg oder fluchtbedingt) wird wenig Beachtung geschenkt. Eine Behandlung gibt es nur in besonders akuten Fällen beim Arzt des Aufnahmelagers. Außerdem können sich durch die Enge und das Zusammensein von vielen Menschen auf engstem Raum, Krankheiten schneller ausbreiten. Die Verwaltung im Zuge der Registrierung wird von den Betroffenen als chaotisch und willkürlich wahrgenommen. Menschen müssen stundenlang warten und von der „Willkommenskultur“ ist nicht mehr viel übrig, wenn Security-Angestellte für ein Mindestmaß an Struktur und Ordnung sorgen sollen, jedoch sichtlich überfordert sind und sich hauptsächlich durch Anbrüllen der Flüchtlinge und schlechtes Englisch auszeichnen. Auch die Gewalt unter Flüchtlingen in Massenunterkünften, über die zunehmend berichtet wird, ist Ausdruck und Resultat einer derartigen Situation.

Was der Staat nicht tut.…

….das tun Menschen in ihrer privaten Zeit. Dinge, die zu einer menschenwürdigen und grundlegenden Versorgung gehören, wie ausreichend Zugang zum Internet oder zu wichtigen Informationen über das Asylverfahren, soziale Räume, Kleiderkammer oder auch Sprachkurse, wurden bis vor kurzem notdürftig vom Beratungs– und Aktionszentrum Friedland (BAZ) aufgefangen – der Staat verlässt sich auf ehrenamtlich Engagierte, die dabei auch noch auf wohlwollende Spenden angewiesen sind. Diese stecken jedoch gerade zu einem Zeitpunkt, wo sich die Lage besonders prekär darstellt, in einer existenziellen Notsituation: Der Mietvertrag für die Räume des BAZ in Friedland wurde nicht verlängert und die Freiwilligen kommen an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Das schon vorher knappe Angebot müsste gerade jetzt besonders aufgestockt werden. Obwohl seit Jahren von Flüchtlingen und Unterstützer_innen gefordert, gibt es auf dem Gelände noch immer keinen kostenlosen W-Lan-Zugang. Mit dem Wegfall des BAZ sind die Bewohner_innen damit faktisch vom Internet abgeschnitten, das ihnen wichtige Möglichkeiten bieten könnte, um soziale Kontakte zu halten und sich in einem neuen Umfeld zu orientieren. Besonders Frauen leiden unter den miserablen Bedingungen im Lager. Sie haben keine Möglichkeit, um sich vor männlich dominierter Ellenbogenmentalität und sexistischem Verhalten zu schützen oder zurückzuziehen. Wenigstens alle zwei Wochen konnte das BAZ mit dem Frauentag (Frauencafé) einen Ort anbieten, der eine kurze Pause von der Enge im Lager und den damit verbundenen Zumutungen bedeuten konnte. Auch dies fällt nun weg.

Die „Flüchtlingskrise“ gibt es nicht

Derartige Mißstände lassen sich vielleicht oberflächlich betrachtet auf den derzeitig deutlich angestiegenen Zulauf von Geflüchteten schieben. Letztendlich sind die Probleme jedoch hausgemacht. Während alle von einer „Flüchtlingskrise“ reden, wird außer Acht gelassen, dass seit Jahren ein eklatanter Mangel an sozialem Wohnraum besteht, der prekarisierten Gruppen wie Harz IV-Empfänger_innen, Arbeitslosen, Alleinerziehenden, älteren Menschen, Studierenden und eben auch Geflüchteten die Möglichkeit bieten würde, außerhalb von Massenunterkünften oder abgeschlossenen Wohnquartieren ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Die eigentliche Krise ist nicht nur ein Ergebnis von organisatorischer Überforderung, sondern vor allem die Folge bewusster politischer Entscheidungen.

Während einerorts derartige Zustände herrschen, werden andernorts Luxussanierungen vorgenommen oder primär Wohnungen im oberen Mietpreissegment gebaut und zu horrenden Preisen an Menschen verkauft oder vermietet, die kein Problem haben sich guten Wohnraum zu verschaffen. Die etablierte Politik hat nicht nur gegen eine solche Entwicklung faktisch nichts unternommen, sondern darüber hinaus dafür gesorgt, dass sich der Bestand an Sozialwohnungen in den letzten Jahren drastisch verringert hat. Wenn man sich darüber hinaus vor Augen führt, in welchem Umfang der Leerstand von Wohnungen geduldet wird, der ausschließlich der Spekulation und Steigerung privater Profite dient, so kommt man nicht umhin, die Überfüllung von Flüchtlingsunterkünften auch als Teil einer Inszenierung zu begreifen, mit der ein nicht zu bewältigender Notstand suggeriert und eine restriktivere Migrationspolitik durchgesetzt werden soll.

Mit der aktuellen Asylrechtsverschärfung wird das Menschenrecht auf Asyl ad absurdum geführt. Die Lage wird sich weiter zuspitzen, wenn die in der Asylrechtsverschärfung beschlossenen Neuregelungen im Alltag der Geflüchteten ankommen und sie nicht mehr drei Monate wie bisher, sondern sechs Monate in den Erstaufnameeinrichtungen bleiben müssen. Anstatt die Unterkünfte zu entlasten beschließt die Regierung, dass nun immer mehr Menschen immer länger derartigen Zuständen ausgesetzt sein sollen. Einige Flüchtlingsgruppen sollen gleich dauerhaft in den Lagern bleiben und ihre Versorgung wird unter das gesetzliche Existenzminimum gedrückt.

Was tun?

Mittlerweile fangen Geflüchtete an sich zu organisieren und zu protestieren. In Friedland hat vor kurzem eine Gruppe von Geflüchteten für ein schnelleres Asyverfahren demonstriert.

Es ist gut, dass Geflüchtete selber Forderungen formulieren und nach außen tragen. Dabei ist es wichtig, dass sie Unterstützung und Solidarität erfahren. „Willkommensinitiativen“ sind eine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Menschen sich wohler fühlen und die grundlegendsten Bedürfnisse aufzufangen. Es muss jedoch auch Wege geben, die darüber hinausgehen, indem sie an den bestehenden Verhältnissen rütteln und nicht nur die Symptome lindern. Dazu ist eine Politisierung der Willkommensbewegung unumgänglich. Wenn wir es nicht schaffen, weitere Verschärfungen der rechtlichen Situation abzuwehren und stattdessen zusammen mit Geflüchteten politische Verbesserungen durchzusetzen, werden wir auf Dauer nicht nur keine große Hilfe für die neu ankommenden Menschen sein, sondern auch selbst an den politisch geschaffenen Zuständen und der dadurch verursachten Überforderung der ehrenamtlichen Helfer_innen zerbrechen.