Virus des Hasses oder Welle der Solidarität?

In der Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik gibt es keine neutrale Position, sie erfordert klare Entscheidungen und aktives Handeln. Es ist ein Konflikt um grundsätzliche gesellschaftliche Fragen. Wir alle müssen eine Wahl treffen: Ob wir weitere Verschärfungen einer gesellschaftlichen Ordnung hinnehmen wollen, die durch Ungleichheit und Ausgrenzung geprägt ist, oder ob wir bereit sind für Solidarität und ein menschenwürdiges Leben für Alle einzutreten – und dafür gewisse Risiken auf uns zu nehmen. Auf welcher Seite stehst du?

Rassistische Angriffe auf Geflüchtete häufen sich und breiten sich wie ein Virus in der Bundesrepublik aus. In vielen Orten wird die Situation zunehmend lebensbedrohlich.

In den letzten Wochen und Monaten gab es tagtäglich Meldungen über neue Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte. In zahlreichen deutschen Städten und Dörfern hat sich ein rassistischer Mob zusammengefunden, der immer aggressiver und unverhohlen gegen Geflüchtete hetzt. Immer öfter bleibt es nicht bei Worten. Aus Ansammlungen von Rassist_innen werden Flüchtlinge und Wohnheime direkt angegriffen, nächtliche Brandanschläge häufen sich. Zumindest in einigen Gegenden weckt die Lage Erinnerungen an die fatale Situation Anfang der 1990er Jahre, die in einer Vielzahl tödlicher Übergriffe gipfelte: Wie damals schaukeln sich die rassistischen Mobilisierungen immer mehr hoch, wenn sie nicht auf entschlossenen Widerstand treffen.

Wenn die Rassist_innen sich ungestört versammeln können, bestärken sie sich gegenseitig. Sie ziehen Stärke aus ihren Handlungsmöglichkeiten und erzeugen ein Klima, in dem Gegenstimmen zum Verstummen gebracht werden. Durch die demonstrative Ausstrahlung ihrer lokalen Macht bringen sie auch zunächst noch zögerliche Mitläufer_innen auf die Straße. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis der Mob zum Angriff übergeht. Inzwischen ist es wieder soweit, dass in der BRD jeden Tag Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gibt.

Keine zufällige Entwicklung

Eine solche Entwicklung ist nicht zwangsläufig. Sie lässt sich auch jetzt noch stoppen und umkehren. Dabei jedoch auf Staat und Polizei zu setzen, von ihnen den Schutz von Geflüchteten zu erwarten, ist naiv. Es widerspricht historischen wie aktuellen Erfahrungen. Für einen Staat, der durch seine Abschottungspolitik wesentliche Verantwortung für das tausendfache Sterben im Mittelmeer trägt, sind tote Flüchtlinge vielleicht ein bedauerlicher Imageschaden, keineswegs aber ein grundsätzliches Problem. Die aktuellen rassistischen Mobilisierungen mögen einem Teil der herrschenden Klasse, der den Schwerpunkt stärker auf die Zuwanderung von – dadurch möglicherweise ferngehaltenen — Fachkräften legt, durchaus nicht in den Kram passen. Sie fügen sich aber hervorragend in das Kalkül einer etablierten Politik ein, die die Abschreckung von Flüchtlingen um fast jeden Preis betreibt und dafür auf soziale Entrechtung, Abschiebungen ins Elend und Sonderlager setzt. Wenn gegen die aktuelle rassistische Bewegung nur zögerlich oder gar nicht vorgegangen wird, die Polizei im Zweifelsfall eher gegen antifaschistische Gegenaktivitäten zum Einsatz kommt, so ist dies kein Zufall, sondern nur konsequent. Dieses Agieren der Staatsgewalt ist das aktuelle Pendant zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, als der rassistische Mob ungestört Molotowcocktails auf migrantische Wohnungen werfen konnte, die zum Schutz angereisten Antifaschist_innen aber von der Polizei zusammengeknüppelt und festgenommen wurden.

Nur entschlossener Widerstand kann sie stoppen

Die rassistische Bewegung kann gestoppt werden, aber dafür ist entschlossenes Handeln notwendig. Nur wenn viele Menschen ihre Ängste überwinden und sich solidarisch den Rassist_innen entgegenstellen, kann dieser Terror überwunden werden. Zunächst muss es darum gehen, die Unterkünfte gemeinsam mit den Betroffenen zu schützen, um dann Strategien zu entwickeln, mit denen sich der rassistische Mob dauerhaft zurückdrängen lässt. Wer es damit ernst meint, wird langfristig auch überlegen müssen, wie eine gesellschaftliche Ordnung überwunden werden kann, die solche rassistischen Mobilisierungen immer wieder hervorbringt.

Diejenigen, die sich als rassistische Bewegung auf der Straße formiert haben, machen mit ihrem Handeln unmissverständlich deutlich, dass sie anderen nach dem Leben trachten. Wer sich ihnen entgegenstellt, befindet sich in einer gesellschaftlichen Notwehrsituation, die auch die Legitimität der einzusetzenden Mittel bestimmt. Die derzeitigen rassistischen Mobilisierungen sind nur so erfolgreich, weil die Rassist_innen bislang weitgehend ohne persönliches Risiko agieren können. Wenn wir sie zurückdrängen wollen, müssen wir dieses Risiko erhöhen. Einen Mob, der sich in seinem rassistischen Wahn mit Vernunft und Argumenten nicht mehr erreichen lässt, kann im Zweifelsfall nur die Furcht vor persönlichen Konsequenzen von der Straße bringen.

Wenn die Polizei anrückt, sind sie schon lange da: In immer mehr Orten stellen sich Menschen Abschiebungen entgegen. Es ist eine Bewegung, die zunehmend an Dynamik gewinnt. Denn die Welle der Solidarität ist höchst mitreißend.

Den Anfang machte Osnabrück: Als Aktivist_innen erfuhren, dass achtzig Flüchtlinge aus ihrer Stadt abgeschoben werden sollten, entschlossen sie sich zu handeln. Zu Beginn noch eher spontan, später in stärkerem Maße koordiniert, versammelten sie sich vor den Unterkünften der Betroffenen, um ihre Abholung zu verhindern. Indem sie die Türen blockierten, gelang es ihnen die Abschiebungen zu vereiteln — nicht einmal, sondern inzwischen schon über vierzig Mal. Damit setzten sie eine Bewegung in Gang, die inzwischen die ganze Bundesrepublik erfasst hat. Überall schließen sich Menschen zusammen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass ihre Freund_innen, Nachbar_innen, Bekannten, Kolleg_innen, Mitschüler_innen oder Kommiliton_innen gewaltsam aus ihren Wohnungen geholt werden und deshalb selbst in Aktion treten. Meldungen über erfolgreiche Abschiebeblockaden erreichen uns nicht nur aus zahlreichen größeren Städten, sondern auch aus eher ländlichen Gebieten und Gemeinden, von denen die wenigsten vorher je gehört haben dürften. So fanden derartige Aktionen in den letzten Monaten in so unterschiedlichen Orten wie Magdeburg, Erfurt, Dortmund, Müllheim, Hameln, Hildesheim, Alfeld, Calbe, Münster, Heidelberg, Regensburg, Amelinghausen, Lüneburg, Fellbach und Gießen statt. Oft entstanden aus diesen Protesten auch dauerhafte Initiativen.

Blockaden in Göttingen

Auch Göttingen sind seit dem Frühjahr letzten Jahres eine Reihe von Abschiebungen durch Blockaden verhindert worden. Anfang 2015 hat sich zudem ein Bündnis gebildet, dass offensiv das Ziel formuliert, Göttingen zur „abschiebefreien Zone“ zu machen. Das Bündnis stellt Abschiebungen als Zuspitzung der alltäglichen Entrechtung von Geflüchteten ins Zentrum des Widerstands. Das bedeutet zugleich, dass die Blockaden in ein breiteres Spektrum von Aktionen eingebettet sind, die sich gegen andere Aspekte des Migrationsregimes richten, wie z.B. die Unterbringung in isolierten Lagern und maroden Wohnungen, die Verweigerung einer angemessenen Gesundheitsversorgung oder die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die sogenannte Residenzpflicht. Die Aktivitäten gegen Abschiebungen werden als Teil eines umfassenderen Kampfes für ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben definiert. Das Bündnis betreibt einen eigenen Blog (http://abschiebungenstoppen.noblogs.org/), auf dem man sich über Blockaden informieren und in einen SMS-Verteiler eintragen kann. Über diesen SMS-Verteiler werden Menschen, die sich an Aktionen beteiligen wollen, über anstehende Abschiebungen in Göttingen und dem Umland informiert. Seitdem das Bündnis öffentlich zur Verhinderung von Abschiebungen mobilisiert, wächst nicht nur der SMS-Verteiler rasant, sondern auch die Zahl der Blockadeteilnehmer_innen. Jeweils zum geplanten Abschiebetermin treffen sich solidarische Menschen vor der Unterkunft der Betroffenen, blockieren Zugänge und Klingelanlagen, stehen im Weg und lassen niemanden durch. In der Regel sind die Blockaden so groß, dass die Polizei lediglich vorbeifährt und der Abschiebeversuch abgebrochen wird, ohne dass es zu einer direkten Konfrontation kommt.

Erfolge und neue Herausforderungen

Bislang sind die Blockaden als Mittel gegen Abschiebungen sehr erfolgreich. Nach jedem gescheiterten Abschiebeversuch müssen die zuständigen Behörden erheblichen logistischen Aufwand betreiben, neue Termine festlegen, Flüge buchen usw. Den Betroffenen hingegen entstehen durch die Aktionen keine Nachteile, da die Behörden während des Abschiebeversuchs keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen und ihnen deshalb auch nicht vorwerfen können, sie hätten sich diesem entzogen. Sie gewinnen durch die Proteste Zeit, um juristische Möglichkeiten auszuschöpfen und Strategien für einen dauerhaften Aufenthalt zu entwickeln. Wenn es um die Abschiebung in ein anderes EU-Land geht, muss zudem in vielen Fällen nur eine relativ kurze Frist überbrückt werden, bis diese aus rechtlichen Gründen nicht mehr vollzogen werden kann. Blockaden sind daher nicht nur symbolisch wichtig, sondern entfalten eine sehr direkte Wirkung.

Aktuell steht der Widerstand gegen Abschiebungen allerdings vor neuen Herausforderungen: Die Bundesregierung hat seit Mitte 2015 mehrere Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die sich auch als Angriff auf die in den letzten Jahren deutlich stärker gewordene antirassistische Bewegung interpretieren lassen. Sie beinhalten nicht nur allgemein massive Verschärfungen des zuvor schon restriktiven deutschen Asylrechts, sondern darüber hinaus Regelungen, die unmittelbar darauf abzielen die Gegenwehr gegen Entrechtung und Abschiebungen zu erschweren. Nachdem bereits die niedersächsische Landesregierung die erst vor einem Jahr eingeführte Ankündigung von Abschiebungen weitgehend zurückgenommen hatte, soll es zukünftig bundesweit gesetzlich verboten sein, den Betroffenen den Abschiebetermin bekannt zu geben (Verweis Artikel zur Asylrechtsverschärfung). Darüber hinaus ermöglichen die neuen Gesetze die fast völlig beliebige Verhängung von Abschiebehaft. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass Geflüchtete bereits längere Zeit vor dem tatsächlichen Abschiebetermin inhaftiert werden und die Abschiebung direkt aus der Haft heraus vollzogen wird.

Ob sich derartige Maßnahmen tatsächlich durchsetzen lassen, wird wesentlich davon abhängen, inwiefern wir politischen Druck entfalten können. Vieles deutet darauf hin, dass Blockaden auch in Zukunft ein wichtiges Mittel bleiben. Sie müssen aber wahrscheinlich noch stärker als bisher durch andere Aktionsformen ergänzt werden. Wie wirkungsvoll diese sein werden, lässt sich nicht von der Frage trennen, ob es der Bewegung gelingt weiter zu wachsen.