Achtung Burschen!

Ein Zimmer in einer Villa im Ostviertel zu einem unglaublich günstigen Preis, dazu großes Wohn– und Billiardzimmer sowie Verpflegung durch eine eigens angestellte Köchin — was vielen als hochattraktives Wohnungsangebot erscheinen mag, entpuppt sich in der Regel als Anzeige einer der zahlreichen Göttinger Studentenverbindungen. Gerade zum Semesteranfang versuchen diese wieder verstärkt Erstsemester anzuwerben — zu ‘keilen’, wie es im Verbindungsjargon heißt. Im Folgenden wollen wir euch anhand einiger Aspekte des Verbindungswesens verdeutlichen, warum ihr euch hüten solltet, auf diese Werbung hereinzufallen.

► Sexismus

In fast allen Verbindungen sind Frauen von der Aufnahme ausgeschlossen. Die Korporationen sind also Organisationen, die Frauen diskriminieren und Geschlechterhierarchien in der Gesellschaft fördern. Da auch die meisten Verbindungen inzwischen gemerkt haben, dass sich ein offenes Bekenntnis zum Sexismus mitunter schwer vermitteln lässt, berufen sie sich zur Legitimation meist auf ihre Tradition. Auf der Website der Dachverbände der Corps liest sich das dann so: ‘Natürlich gab und gibt es einige Tabus in den Corps für das schönere Geschlecht. Corps sind nun einmal traditionell Männerbünde.’

Dass Korporationen traditionell Männerbünde sind, ist zwar kein Argument für die Beibehaltung dieses Zustands, aber doch ein richtiger Hinweis auf die Kontinuität einer Ausgrenzungsstrategie. Populär wurde der Begriff des Männerbundes nämlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als auch Frauen allgemein zum Hochschulstudium zugelassen wurden. Entwicklungen wie das Vordringen von Frauen in den öffentlichen Raum der Universität wurden als Symptom einer drohenden Verweiblichung der Gesellschaft wahrgenommen. Als Reaktion auf diese vermeintliche Gefährdung der männlichen Vorherrschaft wurden ab Beginn des 20. Jahrhunderts Theorien entwickelt, die den bisher selbstverständlich erscheinenden Ausschluss von Frauen auch weiterhin legitimieren sollten – Männerbund-Theorien. Diese Theorien formulierten das Ideal einer auf dem Männerbund aufgebauten Gesellschaft. Grundlage dieser Männerbünde sollte Freundschaft sein. Nur Männer galten als fähig zu dieser Form der Freundschaft. Frauen hingegen seien aufgrund ihrer Natur zu dieser Art der Vergemeinschaftung nicht in der Lage.

Solche Vorstellungen sind leider nicht irgendwann verschwunden, sondern haben sich in den Korporationen bis in die BRD erhalten. Entsprechend machten Verbindungen vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten der Nachkriegszeit, als sie eine erneute Hochphase erlebten, studierenden Frauen das Leben schwer. Gerade die schlagenden Verbände traten als Akteure des Antifeminismus hervor. Die Stabilität von Geschlechterbildern in den Korporationen und ihrem Umfeld ist dabei zum Teil erstaunlich. Der Soziologe Hans Anger veröffentlichte 1960 die Ergebnisse einer Mitte der fünfziger Jahre an vier bundesdeutschen Universitäten durchgeführten repräsentativen Erhebung, in der 138 Hochschullehrer befragt wurden:

‘Auf die Frage, warum es so wenig weibliche Hochschullehrer an der Universität gebe, reagieren die entschiedenen Befürworter der Korporationen auffallend häufig mit Lachen, Schmunzeln oder anderen Anzeichen der Heiterkeit. Die Frage scheint vielfach als ‘naiv’ empfunden zu werden – man findet es selbstverständlich, daß es nur wenig Dozentinnen gibt und vertritt in der Regel die Ansicht, daß Frauen für die Hochschullaufbahn grundsätzlich ungeeignet seien. In Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Befragten wird dabei oft auf einen gewissen Mangel der Frau an intellektuellen oder produktiv-schöpferischen Fähigkeiten hingewiesen; besonders häufig aber begründen die Anhänger der Korporationen ihre negative Einstellung mit dem Argument, der Beruf des Hochschullehrers lasse sich mit der weiblichen Natur oder mit der biologischen Bestimmung des Weibes schlechterdings nicht vereinbaren. Unter den unbedingten Befürwortern der Korporationen gibt es keinen einzigen Befragten, der weiblichen Universitätslehrern positiv gegenübersteht, und nur einen Fall von bedingt positiver Haltung – alle übrigen nehmen, soweit ihre Einstellung mit hinreichender Sicherheit erkennbar ist, eine mehr oder minder negative, sehr oft sogar grundsätzlich ablehnende Haltung ein. Auch weiblichen Studierenden steht diese Gruppe häufiger als der Durchschnitt der Befragten mit großen Bedenken gegenüber; man glaubt, daß es in den meisten Fächern bereits zu viel weibliche Hörer gebe, neigt nicht selten dazu, das Frauenstudium grundsätzlich abzulehnen und bezweifelt überhaupt die Eignung der Frau für höhere geistige Tätigkeiten. Ein ganz anderes Bild bietet die Gruppe der entschiedenen Korporationsgegner.’

Seit sie ihre starke Stellung an den Hochschulen verloren haben, sind Studentenverbindungen in ihrem öffentlichen Auftreten vorsichtiger geworden. Trotz der geschickteren Öffentlichkeitsarbeit ist der Einfluß der Männerbundtheorien unübersehbar. Die eigene Organisation kann sich nur als rein männliche vorgestellt werden, Frauen haben darin keinen Platz: ‘Corpsstudenten sind Männer, eine Integration des weiblichen Geschlechts würde als Fremdkörper wirken, einem Freundschaftsbund hinderlich.’ Männer sind also Männer und Frauen sind eben Frauen. So ‘argumentieren’ kann nur, wer die Vorstellung eines in der Natur wurzelnden Geschlechtergegensatzes internalisiert hat. Davon ausgehend ist dann auch selbstverständlich, dass ‘natürlich’ nur Männer zu ‘wahrer Freundschaft’ fähig sind. Diesen Grundgedanken enspricht eine Gesellschaftskonzeption, in der männliche Vorherrschaft nicht zu bekämpfendes Übel sondern von der menschlichen Natur vorgegebene Norm ist: ‘Unser Burschenbrauchtum ist immer auf eine männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet.’1 Einen wichtigen Bestandteil dieses Brauchtums, die Mensur, wollen wir nun näher unter die Lupe nehmen.

► Habitus ohne Mitleid

Die Korporationen haben den Anspruch, auf die Persönlichkeitsbildung ihrer Mitglieder einzuwirken und sie zu erziehen. Für einen Teil des Verbindungsspektrums, die schlagenden Verbindungen, stellt die Mensur eines der wichtigsten Erziehungsmittel dar. Pflichtschlagende Korporationen verlangen von ihren Mitgliedern eine bestimmte Anzahl von Mensuren zu fechten, bevor sie endgültig aufgenommen werden.

Bei der Mensur stehen sich die zwei Personen, die Paukanten, mit scharfen Degen, sogenannten Schlägern, gegenüber. Der Körper ist größtenteils durch Bandagen geschützt, Teile des Kopfes liegen jedoch frei. Diese freiliegenden Stellen versuchen die Paukanten nun unter Einhaltung bestimmter Regeln zu treffen. Die Fechter dürfen vor den Schlägen des Gegners nicht zurückweichen, sondern müssen Verletzungen ohne äußere Regung in Kauf nehmen.

Hinter diesem seltsam anmutenden Ritual steht ein traditionelles Männlichkeitsideal als Erziehungsziel. In einer verbindungsstudentischen Publikation wird die Mensur zustimmend als ‘geradezu klassisches Initiations– und Mannbarkeitsritual’ bezeichnet. Ein bereits 1906 veröffentlichter, aber unter ‘Waffenstudenten’ bis heute beliebter Korporationsroman beschreibt den Zweck der Mensur mit den Worten: ‘Damit wir lernen, die Zähne zusammenbeißen – damit wir Männer werden’. Auch der Historiker Wolfgang Wippermann, selbst Alter Herr im Kösener Senioren-Convents-Verband (KSCV), äußert sich ähnlich: ‘Duelle dienten nun einmal zur Austragung von Ehrenhändeln unter Männern, während die Mensur den Zweck hatte (und hat!) den Mut von Männern zu erproben. So gesehen ist die Mensur wirklich männlich. Männer und Mensuren gehören zusammen.’

Zentrales Element dieses Männlichkeitskonzepts ist offensichtlich ‘Härte’ — sowohl gegen sich selbst, als auch gegen andere. Norbert Elias hat die durch die Mensuren anerzogene Haltung daher als ‘Habitus ohne Mitleid’ bezeichnet. Die Bereitschaft, dem Gegenüber ernsthafte Verletzungen zuzufügen, ist unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an der Mensur. Wichtiger ist aus Sicht der Verbinder allerdings die Härte gegen sich selbst. Vom Paukanten wird erwartet, dass er die ihm zugefügten Verletzungen ohne äußere Regung hinnimmt. Die Folgen einer solchen Abhärtung beschreibt Theodor W. Adorno in seinem Aufsatz ‘Erziehung nach Auschwitz’:

‘Die Vorstellung, Männlichkeit bestehe in einem Höchstmaß an Ertragenkönnen wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der — wie die Psychologie dartat – mit dem Sadismus nur allzu leicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen mußte.’

Die Unterdrückung der eigenen Person, die totale Selbstbeherrschung, kehrt sich nach außen in der Bereitschaft zur Unterdrückung Anderer, zur gnadenlosen Herrschaft. Der vollständigen Ausmerzung des Mitleids mit sich selbst entspricht die Mitleidslosigkeit gegenüber Anderen.

Die Härte gegen sich selbst ist eng mit einem anderen Element der hier konstruierten Männlichkeit verbunden, der Unterordnung des Einzelnen unter das Kollektiv. Die Mensur dient der Korporation stets auch als Binde– und Vergemeinschaftungsmittel. Sie markiert die entscheidende Hürde vor der Aufnahme in die elitäre Gemeinschaft. Der Paukant soll durch die bewusste Inkaufnahme schwerer Verletzungen seine Bereitschaft demonstrieren, seine eigenen Interessen hinter die der Korporation zurück zu stellen. Nur wenn er bereit ist seine körperliche Unversehrtheit zu riskieren, sich verstümmeln und unter Zufügung medizinisch nicht notwendiger Schmerzen2 verarzten zu lassen, wenn er also sich selbst komplett verleugnet, nur dann wird ihm die Aufnahme in die Gemeinschaft gewährt. Gefordert wird also das Durchstreichen der eigenen Person, das vollständige Aufgehen im Kollektiv. Der Vorsitzende des Altherrenverbandes des Corps Friso-Luneburgia, eine der zwei Verbindungen, aus denen das heutige Göttinger Corps Frisia hervorgegangen ist, formulierte dieses Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in einem internen Rundschreiben vom 25.11.1935 recht eindeutig: ‘Friso-Luneburgia muss leben und wird leben, auch wenn wir darben und sterben müssen.’

► Tradition

Bei Organisationen, die so viel Wert auf Tradition legen wie Studentenverbindungen, liegt es nahe noch einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen. Wir wollen hier bei weitem keine vollständige Geschichte der Verbindungen liefern, sondern lediglich einige Punkte herausgreifen, die von verbindungsstudentischer Seite in der Regel verschwiegen werden. Die Verbindungen die sich so gerne als Elite sehen, waren nämlich eine ganz besondere Avantgarde – eine ‘Avantgarde des Antisemitismus’.

Die Vorreiterrolle nahmen dabei die Vereine deutscher Studenten ein, die sich mit explizit antisemitischer Zielsetzung gründeten. 1881 schlossen sie sich zu einem Dachverband zusammen — mit einer klaren programmatischen Ansage: ‘Judentum, Franzosentum, wohin wir blicken. Es ist die Aufgabe der christlich-germanischen Jugend, das auszurotten, denn uns gehört die Zukunft.’3 Auch in den Burschenschaftlichen Blättern hieß es schon 1895: ‘Erst nach Beseitigung des jüdischen Elementes war eine Reform des burschenschaftlichen Lebens im deutschen Sinne möglich, erst jetzt kann die Burschenschaft wieder volksthümlich werden: Sie unterscheidet jetzt mit Recht Deutsche und Juden und läßt sich durch keine Versicherung, daß der Jude ein echter Deutscher sei oder werden wolle, mehr irre machen (…) auch die Taufe ändert bekanntlich nichts an der jüdischen Gesinnung.’

Angesichts solcher Äußerungen war es nur folgerichtig, dass der Burschentag 1920 beschloss, dass ‘die deutsche Burschenschaft in der Judenfrage auf dem Rassenstandpunkt stehe, das heißt der Überzeugung ist, daß die ererbten Rasseeigenschaften der Juden durch die Taufe nicht berührt werden.’ Des weiteren wurde ohne Gegenstimme beschlossen: ‘Die Deutsche Burschenschaft lehnt die Aufnahme von Juden und Judenstämmlingen grundsätzlich ab. Es bleibt der einzelnen Burschenschaft überlassen, in welcher Weise sie feststellt, inwieweit die Aufzunehmenden frei von jüdischem oder farbigem Blute sind.’ Darüber hinaus verpflichtete der Burschentag die einzelnen Burschenschaften ‘ihre Mitglieder so zu erziehen, daß eine Heirat mit jüdischen oder farbigen Weib ausgeschlossen ist, oder daß bei solcher Heirat der Betreffende ausscheidet’. Basierend auf diesen Beschlüssen wurde durch den Verfassungsausschuss der folgende Abschnitt in die Grundsätze der Deutschen Burschenschaft (DB) aufgenommen: ‘Die Burschenschaft steht auf dem Rassestandpunkt; nur deutsche Studenten arischer Abstammung, die sich zum Deutschtum bekennen, werden in die Burschenschaft aufgenommen.’

Die Corps wollten da nicht zurückstehen. Der KSCV verfügte 1921: ‘Ein Mischling soll als Jude gelten, wenn ein Teil seiner Großeltern getaufter Jude war oder sonst sich herausstellt, daß er jüdischer Abkunft ist.’ Ähnlich verhielt sich der Weinheimer Senioren-Convent (WSC). So steht in der Weinheimer SC-Chronik von 1927: ‘1920 hielt der WSC eine noch klarere Festlegung des deutschen Rassenstandpunktes für erforderlich, um den Unterschied gegen ‘national’ zu betonen. Denn die Nation umfaßt manche Rassen, der WSC will aber deutschrassig sein. Er schließt deshalb seit 1920 Fremdstämmige von der Aufnahme aus, Angehörige germanischer Staaten, wenn sie Förderer germanischer Ideen und Deutschfreunde sind, dagegen nicht, zum Beispiel Deutschösterreicher und dergleichen.’ Äußerungen und Bestimmungen wie die hier zitierten finden sich auch für andere Korporationsverbände, sie waren nicht die Ausnahme sondern die Regel. Oskar F. Scheuer konstatierte 1927: ‘Ein förmlicher Wettlauf der verschiedenen Studentenverbände setzte ein, einer suchte den anderen von Tagung zu Tagung an Beweisen für seinen ‘Rassenreinheit’ zu übertreffen.’

Die Korporationen blieben ihrer Linie treu. Die DB erklärte 1932 offiziell: ‘Die Deutsche Burschenschaft bejaht den Nationalsozialismus als wesentlichen Teil der völkischen Freiheitsbewegung. Den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund mit seiner gegenwärtigen Betätigung und unter seiner gegenwärtigen Führung kann die Deutsche Burschenschaft nicht als Faktor einer gedeihlichen Zusammenarbeit anerkennen […] Es wird klar unterschieden zwischen der Hochschulpolitik, die uns zu einer Stellungnahme gegen den NSDStB nötigt, und der nationalsozialistischen Bewegung.’. Hier wird deutlich, dass organisatorische Konflikte mit NS-Organisationen und völlige inhaltliche Übereinstimmung durchaus gleichzeitig existieren konnten. Nach der Machtübernahme im nächsten Jahr brach die DB jedenfalls vollends in Begeisterung aus: ‘Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt und wofür wir im Geiste der Burschenschafter von 1817 jahraus jahrein an uns und in uns gearbeitet haben, ist Tatsache geworden.’4 KSCV, WSC, Miltenberger Ring (MR) und zwei andere Verbände schlossen sich am 22. September 1933 zur Nationalsozialistischen Gemeinschaft corpsstudentischer Verbände zusammen, die gelobte, ‘fest und unerschütterlich an unseren großen Führer Adolf Hitler und sein Werk zu glauben und ihm als seine treuesten Soldaten zu folgen.’ Das folgende Zitat aus der Deutschen Corpszeitung von 1934 ist so widerlich wie zutreffend in Bezug auf die Vorarbeit, die die Verbindungen geleistet haben: ‘Wir haben in schärfster Form den Grundsatz des arischen Blutsbekenntnisses durchgeführt, wir haben durch die Einführung des Führerprinzips die parlamentarischen Formen unseres Verbandslebens ausgerottet. Wir haben unsere junge Mannschaft in die SA und SS geschickt […], wir brachten einen guten Teil der Voraussetzungen für echten Nationalsozialismus mit. Und wir mußten, wenn wir die Grundideen unserer corpsstudentischen Erziehung in uns fortwirken ließen, ganz besonders aufgeschlossen sein für das so urdeutsche Gedankengut des Nationalsozialismus.’

Da auch uns schon reichlich übel ist, wollen wir euch nicht weiter mit derartigen Zitaten quälen. Sowohl die Dachverbände als auch die einzelnen Verbindungen verweigern bisher in ihren öffentlichen Darstellungen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.

Ein durchaus typisches Beispiel ist die Darstellung auf der gemeinsamen Internetseite von KSCV und WSC. Unter dem Titel ‘Die Corps – seit dem 18. Jahrhundert hohe Ziele’ feiert man dort das ‘seit den Anfängen praktizierte, aus der Aufklärung geborene Toleranzprinzip’ und fährt fort: ‘Für die historische Leistung der Corpsstudenten, Wegbereiter eines modernen Verfassungsstaats gewesen zu sein, haben die Studenten vor über 200 Jahren den Grundstein gelegt. Ein Ideal, das sie im Marsch durch die Institutionen (zusammen mit anderen, ähnlich gesinnten Menschen) Wirklichkeit werden ließen.’ Völlig ungeniert wird behauptet: ‘Toleranz gegenüber Angehörigen anderer Nationen, Religionen und Kulturen gehört seit über zwei Jahrhunderten zu den Grundprinzipien der Corpsstudenten.’ Angesichts der Tatsache, dass die antisemitische und rassistische Geschichte der Verbindungen seit Jahrzehnten bekannt und belegt ist, muss man hier von bewusster Geschichtsfälschung sprechen.

► Scharnierfunktion zwischen Konservatismus und Neofaschismus

Die Korporationen sehen sich mit dem Problem konfrontiert, dass Studentenverbindungen (zu Recht) ein schlechtes Image haben. Die Corps beklagen sich auf ihrer Internetseite: ‘Keine studentische Institution wird in und von der Öffentlichkeit so kritisch betrachtet, wie die studentischen Korporationen.’ Vor allem die DB, in der völkisch-nationalistische Politik hegemonial ist, fällt immer wieder in krasser Weise durch rechtsextreme Äußerungen und Veranstaltungen, sowie durch Kontakte zum organisierten Neofaschismus auf. Besonderes Aufsehen erregte die Münchner Burschenschaft Danubia als sie nach einem brutalen Übergriff von Neo-Nazis am 13.1.2001, der später als versuchter Mord zur Anklage führte, einen der Täter in ihrem Haus versteckte. Zu ihren Veranstaltungen luden in der DB organisierte Burschenschaften in den letzten Jahren unter anderem den Neo-Nazi Horst Mahler, den NPD-Barden Frank Rennicke, den Holocaust-Leugner David Irving oder eben auch die CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach.

In Göttingen gibt es mit den Burschenschaften Hannovera und Holzminda zwei Verbindungen die erst kürzlich – auf Grund negativer Presse und nach außen getragener, interner Auseinandersetzungen zwischen dem extrem-rechten und dem national-konservativen Flügel – aus dem DB ausgetreten sind. Die bisher durch wenig Berührungsängste mit der extremen Rechten aufgefallenen Burschenschaften vollzogen diesen Schritt, um ihren vermeintlichen Elitestatus durch den öffentlichen Druck, dem sich der Dachverband seit 2011 ausgesetzt sieht, nicht zu gefährden. Als inhaltliche Distanzierung vom rassistischen Status quo der DB ist dieser Schritt somit nicht zu interpretieren.

Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, inhumane Erziehungsziele und –methoden, Geschichtsrevisionismus – Studentenverbindungen haben viel mehr zu bieten als nur schöne Häuser und billige Zimmer.

Also, lass dich nicht keilen!


1Burschenschaftliche Blätter (1980). Zitiert nach: Schäfer, Tiefschlaf, S. 232.

2Das ‘Flicken’ der Verletzungen wird ohne Betäubung vollzogen.

3Festrede Diederich Hahns vom 6. August 1881. Zitiert nach: Dietrich Heither, Zwischen bürgerlicher Revolution und Erstem Weltkrieg, S. 75. In: In: Ludwig Elm /Dietrich Heither /Gerhard Schäfer (Hrsg.), Füxe, Burschen, Alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute, Köln 1992, S. 66 — 91.

4Burschenschaftliche Blätter, H. 6 /1933, S. 130. Zitiert nach: Heither /Lemling, Verbindungen, S. 133.