Tödliche Pool-Party in Gerichshain hatte Neonazi-Hintergrund

Firmengelände des Bauunternehmens Schmölling am Tag danach (Screenshot: youtube)

Am Abend des 21. Dezember 2019 fand laut Lokalpresse in Machern, Ortsteil Gerichshain (Landkreis Leipzig) eine “Familienfeier” statt, in dessen Verlauf ein 20-Jähriger und ein 39-Jähriger ums Leben kamen.

Schon am nächsten Tag wurde bekannt, dass es sich bei dem jüngeren der beiden um den Fußballspieler Pascale Gaedke (20) handelt, einen ehemaligen Torwart des 1. FC Lokomotive Leipzig, der zuletzt beim SV Liebertwolkwitz spielte. Nicht erwähnt wurde, dass der 39-Jährige Tote, Stefan “Aui” Auerbach aus Brandis, der organisierten Neonazi-Szene angehörte und dass das Gelände, auf dem die Feier stattfand, in Verbindung mit der rechten Hooliganszene steht.

Unter diesen Umständen ist es notwendig, die Geschehnisse in Gerichshain näher zu beleuchten und die vermeintliche “Familienfeier” als das zu bezeichnen, was sie offenbar war: eine Zusammenkunft der extrem rechten Szene.

So verkündete das europaweit agierende Neonazi-Musiklabel “PC Records” am Tag nach den tödlichen Ereignissen: “Am 22.12.2019 trat unser Freund und Kamerad Aui durch einen tragischen Unfall mit nur 39 Jahren aus dem Leben (…) Deine Familie & Kameraden trauern um Dich! (…) Stefan Auerbach!!HIER!! Auch im Laden können ab sofort Spenden abgegeben werden. Diese gehen direkt an die Familie!” Mit “Laden” ist das Ladengeschäft von “PC Records” im Chemnitzer Fritz-Heckert-Gebiet gemeint. Hinter dem Label steckt der umtriebige, dem verbotenen “Blood & Honour”-Netzwerk angehörende Neonazi Yves Rahmel.

Eine weitere, im selben Stil verfasste Trauerbekundung ruft zu Spenden zur finanziellen Unterstützung der Hinterbliebenen auf. Das dort angegebene PayPal-Konto führt zu Mette Michalak. Sie ist die Lebensgefährtin von Volker Herbst, der der Kameradschaft “Bootboys Riesa” angehört und in der Riesaer Rechtsrock-Band “Selbststeller” das Schlagzeug spielt. Bezüge zur Neonazi-Musikszene finden sich auch mehrfach bei Stefan Auerbach. So zeigte er sich u.a. in Merchandise-Artikeln der Neonazi-Bands “Abtrimo” und “Die Lunikoff Verschwörung”.

Auch die von Rechtspopulisten und Neonazis gebildete Gewerkschaft “Zentrum Automobil”, die in Auerbach einen “Mitstreiter” verlor, kondolierte. Gesicht der Gewerkschaft ist Oliver Hilburger, der als Mitglied der Neonazi-Band “Noie Werte” ebenfalls kräftig im Rechtsrock-Milieu mitmischte. Für “Zentrum Automobil” saß Auerbach im Betriebsrat des Leipziger BMW-Werks.

Der verstorbene Neonazi Stefan Auerbach

Pascale Gaedke und Stefan Auerbach starben in den Morgenstunden des 22. Dezember 2019 in einem Swimmingpool, in dem laut Presseberichten gefrorenes Kohlenstoffdioxid in Form von “Trockeneis” zum Einsatz kam. Das Gas führt bei zu hoher Konzentration zu Atembeschwerden und Bewusstlosigkeit.

“Im Rahmen einer Feierlichkeit auf einem Privatgrundstück nutzten mehrere Personen einen dort befindlichen Swimmingpool. Dabei sind zwei Personen (m 20, m 39) verstorben”, so die Staatsanwaltschaft Leipzig einen Tag nach dem Vorfall. Bilder des Tatorts zeigen hingegen das Firmengelände des Bauunternehmens Schmölling in der Leipziger Straße 2, 04827 Gerichshain.

Auf dem Gelände befindet sich allerdings auch ein Privatgrundstück. Dort ist u.a. der 1978 geborene Neonazi Eric Schmölling gemeldet, der ebenfalls als Straßen- und Tiefbauer tätig ist. Der kandidierte im Jahr 2009 nicht nur für die NPD zur örtlichen Stadtratswahl, sondern war auch unter den rund 50 Neonazi-Hooligans, die am 24. Oktober 2009 Spieler und Fans des Roten Stern Leipzig im Nachbarort Brandis überfielen. Eric Schmölling ist auch der Neonazi-Kameradschaft “Terrorcrew Muldental” zuzuordnen. Bereits im Jahr 1994 soll er an einem Neonazi-Überfall beteiligt gewesen sein.

In einem Videobeitrag zu dem tödlichen Unfall ist zudem ein auf dem Grundstück parkendes Auto zu sehen, dessen Nummernschild den neonazistischen Code “1488” beinhaltet. Dies bekräftigt die Annahme, dass an der Feier noch weitere Neonazis teilnahmen.

PKW mit dem bei Neonazis beliebten Zahlencode “1488” auf dem Gelände des Bauunternehmens Schmölling (Screenshot: youtube)

Mit dieser Veröffentlichung möchten wir einmal mehr auf die Verstrickungen des Fußball-Regionalligisten 1. FC Lokomotive Leipzig mit der organisierten Neonazi-Szene hinweisen und Medienberichten widersprechen, die von einer “normalen Feierlichkeit” sprechen. Auch wenn die Feier tödliche Folgen hatte und die Presse dementsprechend sensibel berichtet, muss eine Einordnung stattfinden. Schließlich geht es in dem Zusammenhang um Aktivitäten der extremen Rechten und ihnen zur Verfügung stehende Immobilien.

Zudem kursieren weitere Spendenaufrufe für Stefan Auerbach, in denen keine Rede von einem “Kameraden” ist, sondern der Leser_innenschaft nur mitgeteilt wird, dass ein Familienvater tragisch ums Leben kam. Ein solcher Spendenaufruf kursiert etwa im Fanumfeld der SG Dynamo Dresden. Diesen Irreführungen möchten wir mit dieser Veröffentlichung entgegnen.

Ergänzung am 7. Januar 2020: Auerbach wohnte in Brandis und saß für “Zentrum Automobil” im Betriebsrat des Leipziger BMW-Werks.


Text zugesandt von: anonym

Neonazis aus Wurzen und ihre Geschäftspartner in Leipzig

Blick auf die Dresdener Straße 40 in Wurzen

“[Der] Gebäudekomplex Dresdener Strasse 40 in Wurzen hat für eine halbe Million den Besitzer gewechselt. Das Grundstück beinhaltet Spielothek, Pension, Konzerthalle, Bar und Diskothek, ca. 16.000 Quadratmeter Freifläche und riesige Lagerhallen. Käufer sind Benjamin Brinsa (Stadtratskandidat Neues Forum Wurzen), Michael Beresan, Aws Sitto, Thorsten Richter.” – so zitierte die taz im August 2019 eine anonyme Nachricht. Während die Zeitung den Kauf nicht eindeutig belegen konnte, sprachen doch alle Indizien dafür. Und nicht wenige LeserInnen fragten sich, wer die neuen Eigentümer eigentlich sind.

Benjamin Brinsa (geboren am 15.8.1989) ist als Neonazi, Hooligan und Kampfsporttrainer bekannt – und wurde im Mai 2019 tatsächlich über die Liste des rechtspopulistischen “Neuen Forums” in den Wurzner Stadtrat gewählt. Brinsa hat gute Kontakte zu den “Hells Angels”, die weltweit durch organisierte Kriminalität auffallen. Mehrfach gab Benjamin Brinsa an, arbeitslos zu sein bzw. Arbeitslosengeld II zu beziehen. Dennoch prahlt er mit Reisen und teuren Autos – und posiert mit kleinen und großen Schusswaffen.

Thorsten Manfred Richter (geboren am 14.1.1977 als Thorsten Krzemin) war einst Leiter der bayrischen “Blood&Honour”-Sektion und bis 2013 Geschäftsführer des Neonazi-Versandhandels “Front Records”. Ihm gehören weitere Häuser in Wurzen, darunter die Dresdener Straße 33 und 39 sowie die Kantstraße 7 und 28. Richter wird nachgesagt, Geld mit organisierter Kriminalität zu verdienen, etwa mit dem Handel illegalisierter Drogen. Denkbar wäre, dass hier Neonazi-Geschäfte mit Drogengeld aufgebaut wurden – oder umgekehrt. Die mutmaßlich von Thorsten Richter betriebene “Bar Napoles” in der Jacobsgasse 18, 04808 Wurzen ist offenbar nach dem Anwesen des Drogenhändlers und Terroristen Pablo Escobar benannt.

Restaurant “Willsons” in Leipzig-Connewitz: Mitinhaber Michael Beresan macht Geschäfte mit Neonazis

Michael Beresan (geboren am 3.3.1993) ist Mitgründer und Gesellschafter der “Willsons KG”. Die Firma betreibt das Barbecue-Restaurant “Willsons” in der Bornaischen Straße 1a, 04277 Leipzig – direkt am Connewitzer Kreuz, mitten im linksalternativ geprägten Stadtteil Connewitz. Ebenso wie den Mitgesellschaftern Jonathan A. und Niclas P. gehört ihm ein Fünftel des im April 2018 gegründeten Unternehmens. Geschäftsführer Willy R. betreibt zudem einen Spätshop im Leipziger Zentrum-West. Im “Willsons” wurde mehrfach auch Thorsten Richter gesehen.

Aws Sitto (geboren am 13.5.1991) betreibt ein Gewerbe als Spielautomatenaufsteller und ist dem Umfeld der “White Lions” zuzuordnen. Diese “Streetgang” wollte im Frühjahr 2019 eine Shisha-Bar in Leipzig-Connewitz eröffnen. Ein Angriff mit Teerfarbe verzögerte dies. Ein Bekennerschreiben behauptet, dass die Gruppierung ihr Geld “hauptsächlich mit organisierter Kriminalität” verdiene, insbesondere “mit der Versklavung von Frauen* durch Zuhälterei und die Unterhaltung von Bordellen”.

Benjamin Brinsa (Foto: flickr), Thorsten Richter (Foto: Gamma 193), Michael Beresan, Aws Sitto

Wie die taz weiter schreibt, will Benjamin Brinsa in der Dresdener Straße 40 möglicherweise ein Fitness- oder Kampfsportstudio eröffnen. Gleichzeitig formieren sich in Wurzen junge, gewaltbereite Neonazis, etwa in der “808 Crew”. Sie verüben rassistische Gewalt und verbreiten Propaganda, ihre Taten werden nicht oder nur schleppend aufgeklärt. Passend dazu trat im “Eventwerk Wurzen” (vormals “Puls”), das sich in dem erworbenen Gebäudekomplex befindet, im August 2019 die neonazistische Möchtegern-Hooligan-Band “Kategorie C” auf. Das Geburtstagskind Benjamin Brinsa machte dabei eine Ansage auf der Bühne.

Für ein Milieu aus Kriminellen und Neonazis, das sich über Geld und Macht definiert, sind Leipzig und Wurzen anscheinend gute Rückzugsräume.

Weitere Lesetipps über Neonazis und ihre Geschäfte in Wurzen und Leipzig, über Benjamin Brinsa, Thorsten Richter und Kampfsport:


Text zugesandt von: anonym

(Abgesagt) AfD-Kongress am Samstag in Leipzig geplant

Symbolbild: Rassismus tötet!

Am Samstag, dem 16. November 2019, möchte die “Desiderius-Erasmus-Stiftung” einen Kongress im “Raum Leipzig” veranstalten. Die Organisation mit dem unauffälligen Namen, der dem Judenhasser Erasmus von Rotterdam gewidmet ist, ist die offizielle parteinahe Stiftung der rechtsradikalen “Alternative für Deutschland”. Ebenso unverfänglich klingt das Motto der Tagung: “30 Jahre friedliche Revolution”.

Auf dem Programm stehen Vorträge der AfD-Bundestagsabgeordneten und Fraktionschefin Alice Weidel, des Publizisten Gunter Weißgerber, der “Pegida”-Anhängerin Angelika Barbe sowie von Michael Klonovsky, dem persönlichen Referenten des AfD-Co-Vorsitzenden Alexander Gauland. Eine anschließende Podiumsdiskussion soll u.a. vom Hamburger AfD-Funktionär Alexander Wolf moderiert werden. Erika Steinbach, die Vorsitzende der Stiftung, soll die Begrüßung übernehmen.

Beispiele für rassistische, sexistische, antisemitische und anderweitig menschenfeindliche Äußerungen und Forderungen von AfD-Funktionären und Anhängern gibt es zuhauf. Sie sind keine Ausnahmen, sondern entsprechen der Linie der Partei. Die Stiftungsvorsitzende Erika Steinbach zeigte vor Kurzem, dass die Hetze der AfD nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern konkrete Folgen hat. Nachdem sie in sozialen Medien eine Hetzkampagne gegen den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke initiiert hatte, der sich für die Aufnahme von Geflüchteten einsetzte, ermordete ein Neonazi den CDU-Politiker.

Den genauen Veranstaltungsort veröffentlicht die AfD-Stiftung nicht, daher tun wir es. Der Kongress soll am Samstag, dem 16. November 2019, von 10 bis 16 Uhr im “Salles de Pologne”, Hainstraße 16/18, 04109 Leipzig stattfinden, Einlass ist ab 9 Uhr. Der Saal fasst bis zu 270 Personen. Ob die Betreibergesellschaft Hotel Michaelis GmbH weiß, an wen sie ihre prunkvolle Räumlichkeit vermietet hat, ist unklar.

Aktualisierung vom 15. November 2019: Die AfD-nahe Stiftung teilt mit, dass der Kongress abgesagt wurde.


Text zugesandt von: anonym

Die rechten Schläger von Mallorca und ihre Netzwerke

Johannes Herre mit Hitlergruß. Foto: Ara Balears

Neuigkeiten im Fall des mutmaßlich rassistisch motivierten Übergriffs Leipziger Neonazis auf Mallorca: Der Betroffene soll sich auf dem Weg der Besserung befinden und nicht querschnittsgelähmt sein. Die Leipziger Volkszeitung bestätigt zudem, dass die Tatverdächtigen Robert Falke und Johannes Herre zu der rund 70-köpfigen Reisegruppe aus rechten Hooligans gehörten, die auf der Mittelmeerinsel den Saisonabschluss des Fußballclubs 1. FC Lokomotive Leipzig feierten. Gleichzeitig versuchen Bekannte der Tatverdächtigen gegenüber der LVZ, die Tat zu entpolitisieren. So habe Falke unter “massivem Alkoholeinfluss” gestanden. Als er wegen unangemessenen Verhaltens – angeblich Folge einer Wette – herausgeworfen wurde, seien bei ihm “die Sicherungen durchgebrannt”. Dass Rassismus bei Neonazis, die sich mit Kampfsport und Bildern rassistischer Terrororganisationen wie dem “Ku Klux Klan” aufputschen, in Taten gegen Schwarze keine Rolle spielen soll, ist schwer vorstellbar. Es ist davon auszugehen, dass die Neonazis Falke und Herre einen weißen Türsteher nicht mit der selben Brutalität angegriffen hätten. Entsprechende kritische Nachfragen stellt die LVZ jedoch nicht.

Die “Ara Balears” veröffentlichte indes ein Foto, das Johannes Herre mit einem Hitlergruß zeigt. Herre soll auf den Türsteher eingetreten haben, als dieser bereits am Boden lag.

Robert Falke (obere Reihe, zweiter von links) beim “Imperium Fight Team”

Für die Lok-Leipzig-Hooligans auf Mallorca dürfte nicht nur der Saisonabschluss ihres Fußballvereins ein Grund zum Feiern gewesen sein, sondern auch das Ergebnis der Kommunalwahl in Wurzen. Dort wurde am 26. Mai 2019 der Hooligan und Neonazi Benjamin Brinsa in den Stadtrat gewählt. Brinsa gilt als Spiritus rector des “Imperium Fight Teams”, bei dem auch Robert Falke trainiert. Im Januar 2018 fiel Brinsa einer breiten Öffentlichkeit auf, als er zusammen mit anderen Neonazis Journalisten und AntifaschistInnen mit einer schwertähnlichen Waffe bedrohte. Ort des Geschehens war die Bahnhofstraße 21 in Wurzen, Lagerraum des Nazi-Versandhandels “Front Records”. Juristische Konsequenzen dieser Bedrohungen sind bislang nicht bekannt.

Neonazis am 20. Januar 2018 in Wurzen: Benjamin Brinsa, unbekannt, Matthias Möbius, Michael Woitag, Toni Bierstedt (mit Teleskopschlagstock), Thomas Persdorf. Foto: Sören Kohlhuber

Polizei: “Keine Ermittlungen in Leipzig”

Gegenüber der LVZ meldete sich auch die Leipzier Polizei zu Wort. Sprecher Andreas Loepki widesprach der Aussage von VICE, dass “szenekundige Beamte” auf Mallorca seien, um den spanischen Behörden bei ihren Ermittlungen zu helfen. Im Gegenteil würden in Leipzig “angesichts des aktuellen Falls zunächst keine Ermittlungen gegen die rechte Ultra-Szene oder den Kampfsportclub aufgenommen”, wird die Staatsanwaltschaft zitiert. Dabei gäbe es gute Ermittlungsansätze in der Stadt, bestand die Reisegruppe doch aus rund 70 potenziellen Zeugen.

Ein Interesse, etwas zu den Ermittlungen gegen diese Strukturen beizutragen, ist in Leipzig offensichtlich nicht vorhanden. Auch auf die Verstrickungen von Leipziger Polizisten mit dem “Imperium Fight Team” gibt es bislang keine Reaktionen. Auf Twitter wird hingegen über einen weiteren Beamten diskutiert. Ronny Golze, Hundertschaftsführer bei der Bereitschaftspolizei, war im Januar 2019 bei einer antifaschistischen Kundgebung vor dem ehemaligen Konzentrationslager und jetzigen “Imperium”-Trainingsraum Kamenzer Straße 12 negativ aufgefallen. Auf seinem damaligen Facebook-Profil bekundete er seine Nähe zu Timo Feucht, der dem “Imperium Fight Team” angehört und sowohl am Neonaziangriff in Connewitz am 11. Januar 2016 als auch an einer bewaffneten Auswärtsfahrt nach Gera am 25. September 2016 teilnahm.

Justiz in Sachsen: Verfassungstreue unterm Hakenkreuz-Tattoo?

Ein weiterer Leipziger Kampfsportler und Neonazi fiel in dieser Woche durch seine Abwesenheit auf. Der angehende Jurist Brian Engelmann sollte am 11. Juni 2019 eine Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Leipzig haben – wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung am Neonazi-Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016. Doch die Verhandlung fiel jedoch aus unbekannten Gründen aus. Erstinstanzlich war Engelmann am 28. November 2018 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt worden.

Vor dem Leipziger Amtsgericht hatte Brian Engelmann versucht, sich als das eigentliche Opfer darzustellen. Er behauptete, in Connewitz gewesen zu sein, um “ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen”. Auf die Nachfrage, warum er sich nicht von der Neonazi-Gruppe entfernt habe, antwortet der langjährige Kampfsportler, der als Türsteher in einem Nachtclub in der Leipziger Südvorstadt arbeitet, er habe “Angst vor den Hünen” gehabt, die sich in der Gruppe befanden. Engelmann schätzte die Größe der Gruppe auf 300-400 Personen. Mit der Berufung möchte Engelmann, der zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung sein Referendariat am Amtsgericht Chemnitz absolvierte, seine Karriere als Jurist retten. Denn eine Haftstrafe ab einem Jahr würde nicht nur die Chancen auf eine Verbeamtung zunichte machen, sondern auch das Ausscheiden aus dem Referendariat bedeuten.

Engelmanns berufliche Zukunft stand schon einmal auf der Kippe. Im Februar 2012 hatte er in einer Discothek in Dresden in eine Auseinandersetzung eingegriffen und dabei dem Angreifer mittels eines Fußtritts gegen den Kopf mehrere Gesichtsknochen gebrochen und einige Zähne zerstört. Das Amtsgericht Dippoldiswalde erkannte darin eine fahrlässige gefährliche Körperverletzung und verurteilte Engelmann zu einer Geldstrafe in Höhe von lediglich 200 Euro.

Wie sich sein Bekenntnis zur “Verfassungstreue”, das er vor Beginn seines Rechtsreferendariats unterschrieben haben dürfte, mit den vier Hakenkreuzen und der “schwarzen Sonne” auf seinem Körper vereinbaren lassen, wird er hingegen jetzt erklären müssen.

Marko Zschörner und Brian Engelmann (mit tätowiertem Hakenkreuz-Muster)

Engelmann trainiert übrigens im selben Sportverein wie Johannes Herre, im “Bushido Sportcenter Leipzig” (ehemals “Bushido Free Fight Team Leipzig”) von Marko Zschörner. Dort ist er nicht der einzige Jurist. Auch Florian Melzer, der ab 2011 an der Universität Leipzig Jura studierte, gern Thor-Steinar-Kleidung trägt und im Jahr 2014 eine AfD-Kundgebung besuchte, stand dort auf der Matte.


Text zugesandt von: anonym

Endstation Mallorca: Leipziger Neonazis nach Angriff verhaftet

Polizeieinsatz am 8. Juni 2019 in Palma de Mallorca

Am 8. Juni 2019 gegen 21:30 Uhr griffen zwei deutsche Neonazis einen schwarzen Türsteher der Discothek “Megapark” in Palma de Mallorca brutal an. Wie die lokale Zeitung “Ultima Hora” berichtet, schlugen und traten die jungen Männer auf den Sicherheitsmann ein, ohne vorher ein Wort gewechselt zu haben. Fünf weitere Türsteher mussten eingreifen, um die Täter zu fixieren. Bei den Verdächtigen stellten sie zwei Mundschutze, wie sie im Kampfsportbereich verwendet werden, sicher, die sie wahrscheinlich während der Tat auch getragen hatten. Auf einem Mobiltelefon entdeckten sie zahlreiche Bilder von Hakenkreuzen und der rassistischen Terrororganisation “Ku Klux Klan”.

Da die Neonazis den senegalesischen Türsteher ohne ersichtlichen Grund angriffen, liegt ein rassistisches Motiv nahe. Der 44-Jährige erlitt laut dem Nachrichtenportal watson.de einen Nasen- und Jochbeinbruch und eine schwere Rückenmarksverletzung, einer anderen Zeitung zufolge auch eine schwere Gehirnerschütterung, und ist wahrscheinlich querschnittsgelähmt. Die Tatverdächtigen sitzen in Untersuchungshaft und werden wahrscheinlich wegen versuchten Totschlags angeklagt werden.

Johannes Herre und Robert Falke

Bei den Tatverdächtigen handelt es sich nach unseren Informationen um Robert Falke (21) und Johannes Herre (20) aus dem Raum Leipzig. Beide gehörten wahrscheinlich zu einer Reisegruppe von knapp 70 rechten Hooligans und Neonazis des Fußballvereins 1. FC Lokomotive Leipzig, die auf Mallorca Urlaub machten.

Robert Falke wuchs im Muldentalkreis auf. In Brandis ging er zur Schule, spielte Fußball im FSV 1921 Brandis und Rugby bei den “Brandiser Dachsen”. Zuletzt wohnte er in Leipzig. Falke betreibt Kampfsport im Leipziger “Imperium Fight Team”, dessen Trainer Benjamin Brinsa und Christopher Henze gewaltbereite Neonazis sind. Zumindest Henze befand sich zum Tatzeitpunkt ebenfalls auf Mallorca. Einige Mitglieder des Teams waren zudem Teil des Neonazi-Mobs, der am 11. Januar 2016 den Leipziger Stadtteil Connewitz angegriffen hatte.

Johannes Herre ging ebenfalls in Brandis zur Schule, spielte beim SV Panitzsch/Borsdorf 1920 e.V. Fußball und wohnt vermutlich auch in Leipzig. Er treibt Sport im “Bushido Sportcenter” Leipzig (ehemals “Bushido Free Fight Team”). Auch dieser Kampfsportclub ist kein unbeschriebenes Blatt. Rund ein Dutzend Neonazis standen dort in den vergangenen Jahren auf der Matte, darunter Benjamin Brinsa und Christopher Henze, die später das “Imperium Fight Team” gründeten. Den Neonazi Brian Engelmann trainiert “Bushido”-Chef Marko Z. bis heute.

Am 12. Mai 2019 besuchten Falke, Herre und etwa 50 weitere junge Neonazis aus dem Umfeld der “Fanszene Lokomotive” und des “Imperium Fight Teams” das Fußballspiel des ATSV Frisch Auf Wurzen e.V. gegen den Roten Stern Leipzig ’99 e.V. Die Nazigruppe bedrohte während des Spiels immer wieder Spieler der Leipziger Mannschaft, unter anderem mit dem Gesang “Ohne Bullen wärt ihr alle tot!” Nach dem Spiel griffen etwa 30 Personen aus dieser Gruppe das Gebäude des Netzwerks für demokratische Kultur e.V. (NDK Wurzen) an. Sie bewarfen das Gebäude mit Flaschen und versuchten die Tür einzutreten.

Die Polizei, dein Freund und Trainer

Wie VICE berichtet, hat die Leipziger Polizei “szenekundige Beamte” nach Mallorca geschickt. Bei einigen Fußballfans weckt der Gedanke an die Polizei Erinnerungen an grundlose massive Polizeigewalt und private Bedrohungen. Andere hingegen erinnern sich vielleicht an den 29. Juli 2018, als das folgende Foto entstand. Es zeigt die sächsischen Polizisten Felix Petter und Florian Scharf in freundschaftlicher Runde mit den Mitgliedern des “Imperium Fight Teams” Sebastian Berger, Marlon Ganzenberg, Marcus Kottke und Max Schlegel sowie dem Neonazi Brian Engelmann. Florian Scharf ist u.a. mit Christopher Henze und Marcus Kottke befreundet und besuchte nach eigenen Angaben am 2. März 2013 die im Verfassungsschutzbericht erwähnte, von Brinsa und Henze organisierte Kampfsportveranstaltung “Sachsen Kämpft II” in Schildau.

1.v.l. Felix Petter, 4.v.l. Florian Scharf, 6.v.l. Sebastian Berger, Brian Engelmann, 9.v.l. Marlon Ganzenberg, Max Schlegel, Marcus Kottke

Auch auf der Matte erhalten die rechten “Imperium”-Kampfsportler Unterstützung durch die Staatsgewalt: In der Disziplin des Ringens werden sie u.a. von dem angehenden Polizisten William Stier trainiert.

Als Trainingsraum nutzt das “Imperium Fight Team” den Keller der Kamenzer Straße 12 in Leipzig. Dort befand sich zwischen Sommer 1944 und April 1945 das größte Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. In den letzten Jahren fanden in dem Gebäude mehrere Nazikonzerte statt, auch ein neonazistischer Motorradclub trifft sich dort.

Sich nicht dem Boxclub stellen?!

Immer wieder fordern die rechten Hooligans und Neonazis des 1. FC Lokomotive Leipzig die Fans des Lokalrivalen BSG Chemie Leipzig auf, sich doch endlich “zu stellen”, also die Rivalität körperlich auszutragen. Dabei zeigen Begegnungen der vergangen Jahre – etwa 2016 in Gera oder 2014 in der Leipziger Innenstadt –, dass es ihnen nicht um einen fairen sportlichen Wettkampf geht, sondern um das “Zerstören” des Gegenübers, wie es sich auch in dem Angriff auf Mallorca zeigt.

Die Neonazi-Szene wappnet sich – mittels Kampfsport, “Wehrsport” oder Bewaffnung – seit Jahrzehnten für einen militanten Kampf. Diese Vorbereitungen mündeten in eine Reihe von rechten Anschlägen und Morden. Kampfsport birgt immer auch das Potenzial, andere Menschen schwer zu verletzen oder zu töten. Es ist daher nicht egal, wenn Neonazis und andere Rechte mehrmals wöchentlich die körperliche Auseinandersetzung mit anderen Menschen trainieren. Derzeit ist in der rechten Szene ein spektrumsübergreifender Kampfsport-Boom zu beobachten, über den etwa die aktuelle Ausgabe von “der rechte rand” berichtet. In gewissen Kampfsportkreisen finden Neonazis, Holigans, Rocker, Menschen aus dem “Sicherheitsgewerbe” und Polizisten beim gemeinsamen Training zusammen. Dabei greift die Szene als ideologisches Moment auf eine “Wehrhaftigkeit des Volkes” zurück und auf die “Männlichkeit”, die angeblich in Gefahr sei und wiederhergestellt werden soll.

Eine Gelegenheit, dagegen zu protestieren, bietet sich am kommenden Samstag, dem 15. Juni 2019, bei der Demonstration des Ladenschluss-Bündnisses in Leipzig. Los geht’s um 14 Uhr am Hauptbahnhof. “Für ein würdiges Gedenken! Neonazi-Treffpunkt schließen!” #le1506


Text zugesandt von: anonym

Geithainer Neonazis: Vom „Freien Netz“ zur „Freien Liste“

Manuel Tripp 2011 mit "Freies Netz"-Shirt. Foto: Pixelarchiv.

Mit der Wählervereinigung “Freie Liste Geithain” möchte der Rechtsanwalt und Neonazi Manuel Tripp im Mai 2019 zu den Kommunalwahlen antreten. Auf der sich als “heimatverbunden” bezeichnenden Liste kandidieren Manuel Tripp, Rainer Rudolph, Andreas Hübner, Robert Schallock, Sebastian Oehme und Luca Hübner.

Manuel Tripp

Der 1989 geborene Manuel Tripp ist seit mindestens 2008 als Neonazi aktiv. Zunächst als Kopf der Nazikameradschaft “Freies Netz Geithain” (siehe etwa GAMMA 187, Seite 3), später in der NPD-Jugendorganisation “Junge Nationaldemokraten” und als Vorsitzender der NPD im Landkreis Leipzig. Über das Onlineforum des “Freien Netzes” war er u.a. mit dem NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben verbunden. In diesem Forum trat die nationalsozialistische Ausrichtung des “Freien Netzes” offen zutage.

So war Manuel Tripp dort an der Planung von Nazikundgebungen am 30. Januar 2009, dem Jahrestag der Machtergreifung der NSDAP, beteiligt. Auch Motto und Zeitraum der Kundgebungen verherrlichten den Nationalsozialismus: “Zwischen 19:33 Uhr und 19:45 Uhr in aller Deutlichkeit: 12 Minuten Freiheit gegen 64 Jahre Zensur und Unfreiheit”. Erst wenige Monate zuvor, am 9. August 2008, hatten Neonazis des “Freien Netzes” dem früheren Wehrmachtsoffizier Hans-Joachim Herrmann zu dessen Geburtstag ihre Aufwartung gemacht. Zu den Spalier stehenden “Kameraden” gehörte auch Manuel Tripp.

In den Jahren 2009 und 2014 wurde Tripp in den Geithainer Stadtrat gewählt – zunächst als parteiloser Kandidat auf der Liste der NPD, dann als NPD-Mitglied. Seine damalige Webadresse “stadtrat-geithain.de” war auf Lars Schönrock angemeldet, einen Kader des “Freien Netzes” und verurteilten Kopf eines Drogenhändlerrings.

Anmeldung von Manuel Tripps Webadresse auf den Drogenhändler Lars Schönrock im Jahr 2011

Im Jahr 2014 kandidierte Tripp für die NPD zu den sächsischen Landtagswahlen und den Kreistagswahlen im Landkreis Leipzig. Vom 8. Dezember 2013 bis mindestens April 2015 war Tripp Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Landkreis Leipzig. Dieser wurde am 20. April 2015 – wichtige Entscheidungen trifft die NPD oft am Geburtstag Adolf Hitlers – mit dem Leipziger Kreisverband zusammengelegt. Anfang 2017 trat Tripp aus der NPD aus.

Ein explizites und oft betontes Ziel von Tripp ist der “Nationale Sozialismus”, der nicht “gewählt oder erbettelt werden”, sondern nur “auf dem Weg der Revolution erkämpft werden” könne. Tripp fordert, den Individualismus der heutigen Gesellschaft durch “eine wurzelhafte, homogene und bodenständige Volksgemeinschaft” zu ersetzen – ein zentrales Konzept des Nationalsozialismus. Allein die Pamphlete, die Tripp bereits als 20-Jähriger auf seiner Webseite veröffentlichte, sind Dutzende Seiten lang – und offenbaren eine tiefe nationalsozialistische Überzeugung.

Dagegen wirkt Tripps Verteidigung des NPD-Parteiprogramms streckenweise fast schon amüsant: “Natürlich nehmen uns Ausländer die Arbeit weg – wem denn sonst?” Den Vorwurf, die NPD sei antisemitisch, kontert Tripp mit antisemitischen Vorurteilen par excellence: Man lasse sich von der “Holocaust-Industrie” nicht erpressen, “Schuldkult” und “jüdische Opfertümelei” müsse sich “kein Deutscher gefallen lassen”. Das Grundgesetz sei ein “Diktat der westlichen Siegermächte”. Tripp fordert einen “volksgewählten Bundespräsidenten mit starken Vollmachten” – quasi einen “Führer” – und die Beschneidung des “schädlichen Parteieneinflusses”.

Im März 2018 eröffnete Manuel Tripp, der an der Universität Leipzig Jura studiert hatte, eine Rechtsanwaltskanzlei in Geithain. Einer seiner ersten Mandanten war die sächsische NPD, deren Facebook-Seite nach rassistischen Postings gesperrt worden war.

Schon in den Jahren zuvor begleitete Tripp mehrfach “Kameraden” zu Gerichtsverhandlungen. So besuchte er am 5. August 2009 zusammen mit Dutzenden anderen Neonazis, darunter Sebastian Oehme, einen Prozess am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, bei dem das Verbot zweier Vereine aus dem Umfeld der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel verhandelt wurde. Am 22. September 2011 begleiteten Tripp und Oehme ihre Freunde und “Kameraden” Rico Graulich und Andy Krumbiegel zu einer Gerichtsverhandlung nach Leipzig. Graulich und Krumbiegel hatten zusammen mit dem Neonazi Albert Reimann in einer Pizzeria in Geithain vier politisch unliebsame Personen brutal verprügelt.

Ein Jahr zuvor hatte Albert Reimann einen 15-jährigen Antifaschisten aus Geithain lebensgefährlich verletzt. Nachdem das Amtsgericht Chemnitz Reimann dafür am 29. Oktober 2010 vor dem Amtsgericht Chemnitz zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilte, nahmen seine “Kameraden” – darunter Manuel Tripp, Sebastian Oehme und Robert Schallock – ihn vor dem Gerichtssaal freudig in Empfang.

Sein eigenes Rechtsverständnis offenbarte Tripp im Jahr 2013. Als er selbst angeklagt war, bezeichnete er “Recht und Gesetz als Hure der politischen Hexenjäger”. Den Einspruch gegen den damaligs ergangenen Strafbefehl zog Tripp später still und heimlich zurück, die Verurteilung zu 75 Tagessätzen wegen einer Sachbeschädigung durch Graffiti in Geithain und eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz – es ging um die Teilnahme an einem Aufzug vermummter Neonazis in Colditz – wurde damit rechtskräftig.

Am 29. Oktober 2010 im Amtsgericht Chemnitz: Johannes Steinfeld (verdeckt), Manuel Tripp, Andy Krumbiegel, Robert Schallock und Sebastian Oehme nehmen Albert Reimann nach der Urteilsverkündung freudig in Empfang. Screenshot: mdr.
“Recht und Gesetz als Hure der politischen Hexenjäger” – Tripps Rechtsverständnis im Jahr 2013. Foto: Screenshot manuel-tripp.de.

Robert Schallock

Im Gegensatz zu vielen anderen Geithainer Neonazis versucht der 1989 geborene Robert Schallock die Öffentlichkeit zu meiden. Er tauchte etwa am Rande einer Verteilaktion am 13. März 2013 auf, als Anhänger der NPD-Jugendorganisation “JN Geithain”, darunter Manuel Tripp, Nick Thomas und Falk Wehnert, vor dem Johann-Mathesius-Gymnasium in Rochlitz Propagandamaterial verteilten. Im Jahr 2012 wurde der blaue VW Passat von Robert Schallock bei einem Nazikonzert gesehen. Sein Name findet sich auch in den gehackten Kundendatenbanken des neonazistischen “Versand der Bewegung” und der bei Neonazis beliebten Kleidungsmarke “Thor Steinar”.

Robert Schallock arbeitet als Informationstechniker bei der Werkzeugfirma HILTI. Er ist der Sohn des in Bad Lausick tätigen Rechtsanwalts, Steuerberaters und Unternehmers Wolfgang Rüdiger Schallock, der zur Geithainer Kommunalwahl 2014 für die “Unabhängige Wählergemeinschaft” (UWG) des jetzigen Bürgermeisters Frank Rudolph antrat.

Während Manuel Tripp sich vor einigen Jahren gegen den Verkauf von kommunalem Wohneigentum aussprach, hat Robert Schallock genau dies getan. Zusammen mit seinem Vater Rüdiger Schallock, dem Geithainer Unternehmer Jens Haferkorn und dem Berliner Arzt Dr. Ralf Warmuth hat er zahlreiche kommunale Eigentumswohnungen an Berliner Immobilienunternehmer verkauft. Dazu stiegen Robert und Rüdiger Schallock sowie Jens Haferkorn als zusätzliche, gleichberechtigte Gesellschafter in Warmuths Firma “Velumount Deutschland GmbH” ein und benannten sie in “Wohnen in Geithain GmbH” um. Im September und Dezember 2017 kaufte diese Firma der Stadt Geithain 111 kommunale Eigentumswohnungen für insgesamt 1.151.000 Euro ab, abgesegnet durch einen Stadtratsbeschluss.

Im September 2018 verkauften die vier neuen Gesellschafter die Firma mit einem Stammkapital von 25.000 Euro für 224.432 Euro an das Berliner Immobilienunternehmen “alma Vermögensverwaltung GmbH”. Die Kredite in Höhe von 1.180.000 Euro, die sie der Firma gewährt hatten, wurden dabei abgelöst. Rein rechnerisch machte das Quartett so knapp 200.000 Euro Gewinn.

Als Treffpunkt Geithainer Neonazis dient derzeit ein Raum in der Leipziger Straße 34. Ob das Gebäude Eigentum von Rüdiger Schallock ist, können wir nur vermuten. Fakt ist, dass die Firma “Polivital GmbH”, deren Gesellschafter und Geschäftsführer in wechselnder Reihenfolge Rüdiger Schallock, Anett Schallock und Dr. Ralf Warmuth waren, dort jahrelang ihren Sitz hatte, bis sie 2015 nach Berlin verlegt wurde.

Auszug aus dem Vertrag über den Verkauf der Firma “Wohnen in Geithain GmbH” an ein Berliner Immobilienunternehmen. Der vollständige Vertrag liegt vor.
Hat etwas gegen Juden: Ein Account im sozialen Netzwerk “meinVZ”, der Robert Schallock zugeordnet wird.

Sebastian Oehme

Auch Sebastian Oehme, Jahrgang 1988, gehörte zum “Freien Netz Geithain”. Seit Jahren nimmt er an neonazistischen Aufmärschen, Vorträgen, Konzerten und Sportveranstaltungen teil. Beim Neonazi-Festival “Fest der Völker” 2008 in Altenburg fungierte er als Ordner. Am 14. Mai 2011 nahm Oehme an einem Naziaufmarsch in Berlin-Kreuzberg unter dem Motto “Wahrheit macht frei” teil – eine Anspielung auf den zynischen Schriftzug “Arbeit macht frei” an den Toren nationalsozialistischer Vernichtungslager. Andere Neonazis griffen währenddessen Gegendemonstranten an.

Im Sommer 2011 reise Oehme zusammen mit weiteren regionalen Neonazis – darunter Robert Böttger, Marco Starke, Tobias Strobelt und Manuel Tripp – nach Italien, um dort Vertreter der faschistischen “Casa Pound”-Bewegung zu treffen. Auch in NPD-Strukturen scheint Oehme eingebunden zu sein. So nahmen Sebastian Oehme und Manuel Tripp am 12. Januar 2013 am sächsischen NPD-Landesparteitag, der aus Platzmangel als reines Delegiertentreffen stattfand, teil. Der Geithainer Pit Kießling durfte dort offenbar den Parkplatzeinweiser spielen.

In den Morgenstunden des 26. August 2015 warf ein bislang unbekannter Mann einen Molotow-Cocktail in ein Haus in Leipzig. Das Gebäude in der Sommerfelder Straße 36 sollte am selben Tag als Unterkunft für Geflüchtete eröffnet werden. Sowohl der Zeitpunkt als auch die Tatsache, dass die Tat nur aufgrund der angekippten Fenster so möglich war, sprechen für die Beteiligung von Anwohnern. Im gegenüberliegenden Gebäude wohnten damals Sebastian Oehme und seine Freundin, die überzeugte Nationalsozialistin Lisa Hanf. Klarheit könnte hier ein Schriftvergleich sammeln – eine Botschaft am Gebäude stammt mutmaßlich vom Brandstifter.

Manuel Tripp, Paul Rzehaczek, Pit Kießling und Sebastian Oehme am 12. Januar 2013 beim Landesparteitag der NPD Sachsen. Foto: Pixelarchiv.
Neonazis beim Europakongress der NPD-Jugendorganisation JN am 22. März 2014 in Kirchheim bei Erfurt: Sebastian Hempfler, Lisa Hanf, Sebastian Oehme, Ronny Schütze. Foto: Pixelarchiv.
Brandanschlag auf geplante Unterkunft für Geflüchtete in Leipzig am 26. August 2015 mit Schriftzug “Wir sagen nein!”

Andreas Hübner und Luca Hübner

Andreas Hübner ist der Bruder des Amokläufers Uwe Hübner. Dieser drang am 8. Juli 2009, einen Tag nach seiner Scheidung, in das Haus des neuen Freundes seiner Ex-Frau in Geithain ein und eröffnete mit einer Pumpgun, einer Kalaschnikow und einer Pistole das Feuer. Nur ihrer schnellen Reaktion war es zu verdanken, dass Uwe Hübner schlussendlich nur sich selbst tötete. Ob die Herkunft der automatischen Schusswaffe jemals geklärt wurde oder der Schützenverein, in dem Uwe Hübner Mitglied war, unter die Lupe genommen wurde, ist nicht bekannt. Die einzige digitale Spur dieser Tat ist ein kurzer Artikel in der “BILD”.

Screenshot des Artikels “Pumpgun-Amok!” auf bild.de, 10. Juli 2009.

Andreas Hübners 1995 geborener Sohn Luca Noah Hübner ist seit seiner Jugend als Neonazi bekannt. Er wirkte an mehreren Nazikundgebungen in Geithain mit und besucht Nazikonzerte, etwa am 28. Juni 2014 in Nienhagen (Sachsen-Anhalt). Seine eigene Band, zusammen mit den Neonazis Marcel Beyer und Steffen Koth, hieß einst “Deportation”.

Am 9. Februar 2019 nahm Luca Hübner am “Ausbruch-Marsch” in Budapest teil – einem Gedenkmarsch für Soldaten der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS, an dem sich jährlich Hunderte Neonazis beteiligen, teils in SS-Uniformen.

Luca Hübner im Jahr 2011 bei meinVZ: “Europa-Juden-Deportation”
Besucher des Nazikonzerts am 28. Juni 2014 in Nienhagen: Luca Hübner (mit T-Shirt “NSHC” – “National Socialist Hardcore”) und Tom Kratz aus Geithain. Foto: Pixelarchiv.
Mittig Luca Hübner beim “Ausbruch-Marsch” 2019. Foto: Pixelarchiv.

Eine Spur ins Rathaus

Während Tripps braunes Bündnis für den Stadtrat kandidiert, sitzt im Geithainer Rathaus eine weitere Person mit einschlägiger Vergangenheit: Stephanie Steinbach ist Sachgebietsleiterin bei der Geithainer Stadtverwaltung. Eingestellt wurde sie offenbar im Sommer 2018, während der Amtszeit des seit 2015 amtierenden Bürgermeisters Frank Rudolph.

Steinbach nahm am 13. August 2011 an der von NPD und “Freiem Netz” organisierten Kundgebung “Tag der Identität” im Geithainer Henning-Frenzel-Stadion teil. Ein Foto zeigt sie an einem Tisch mit dem Thüringer NPD-Politiker und “Hammerskin” Dirk Bertram und den Altenburger Neonazis Nadine Ruppenstein und Enrico Behling. Auf dem Shirt des letztgenannten prangt ein angedeutetes Hakenkreuz. Stephanie Steinbach selbst trägt ein T-Shirt, das seinerzeit im Umfeld des “Freien Netz Geithain” verbreitet wurde.

Am 6. Oktober 2011 beteiligte sich Stephanie Steinbach an einer NPD-Kundgebung vor dem Geithainer Bürgerhaus unter dem Motto “Gegen die unreflektierte Akzeptanz der Demokraten”. Die von Manuel Tripp angemeldete Kundgebung richtete sich gegen eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und verwendete vermeintlich satirische Schilder und Spruchbänder.

Stephanie Steinbach, Dirk Bertram, Manuel Tripp, Nadine Ruppenstein und Enrico Behling am 13. August 2011 in Geithain. Foto: Pixelarchiv.
NPD-Kundgebung in Geithain am 6. Oktober 2011: Tom Dietrich (1.v.l.), Falk Wehnert (oranges T-Shirt), Luca Hübner (verdeckt), Stephanie Steinbach. Foto: Pixelarchiv.

Von rechter Gewalt und rechter Normalität

In den vergangenen zehn Jahren verübten Neonazis aus der 7000 Einwohner zählenden Kleinstadt Geithain zahlreiche Körperverletzungen, bedrohten und beleidigen Menschen und verbreiteten Propaganda. Ihre verbale und körperliche Gewalt trifft fast ausschließlich MigrantInnen und AntifaschistInnen. Das Dokumentationsportal “chronik.LE” listet seit 2006 über achtzig Ereignisse.

Darunter auch ein Sprengstoffanschlag mit einem selbstgebauten Sprengsatz auf die Pizzeria “Bollywood” in der Geithainer Innenstadt am 12. Mai 2012. Zuvor hatten Neonazis den Betreiber mehrfach rassistisch bedroht und sein Geschäft attackiert. Anklage wurde bislang nicht erhoben, eine Spur führt jedoch zum Geithainer Neonazi Pierre R. In der Nähe von dessen Wohnort am Geithainer Rosental war bereits 2010 eine selbstgebaute Blendgranate aus einem Magnesiumgemisch gefunden worden, berichteten damals die Antifa RGB und GAMMA 187 (Seite 3). Pierre R.s Schwester Josephine Rivier gehörte zum Umfeld des “Freien Netz Geithain”. Ihre Mutter soll Eigentümerin der Immobilie Chemnitzer Straße 50 gewesen sein, die damals als Treffpunkt der Geithainer Neonazi-Szene diente. Zwischenzeitlich wollten Manuel Tripp und der NPD-Landtagsabgeordnete Alexander Delle dort auch ein Bürgerbüro eröffnen.

An gewalttätigen Vorbildern hat es den Geithainer Neonazis nicht gefehlt. In der benachbarten Kleinstadt Kohren-Sahlis besaß der Rechtsterrorist Karl-Heinz Hoffmann (“Wehrsportgruppe Hoffmann”) jahrelang ein Rittergut. Auch Neonazis aus der Region packten dort an. Am 11. September 2010 organisierte Manuel Tripp einen Vortrag von Karl-Heinz Hoffmann im “Gasthof Zollwitz” nahe Colditz. Am selben Ort hatte Manuel Tripp am 9. Juli 2010 ein Konzert veranstaltet. Mit dessen Motto “Democrazy? Mosh it down!” brachte Tripp abermals seine Ablehnung der Demokratie zum Ausdruck.

Auch die gescheiterte neonazistische Terrorgruppe “Revolution Chemnitz” und die kriminelle Vereinigung “Sturm 34” hatten Verbindungen nach Geithain. An einem von Manuel Tripp angemeldeten Fackelmarsch am 25. November 2012 nahm etwa das mutmaßliche “Revolution Chemnitz”-Mitglied Maximilian Völkl teil. Aus dem “Sturm 34”-Milieu waren u.a. Mario Dietz und der Gewalttäter Pierre Nickl anwesend.

Der Neonazi Chris Müller aus Kohren-Sahlis zusammen mit Karl-Heinz Hoffmann. Screenshot: welt.de.
Neonazis auf einem Fackelmarsch am 25. November 2012 in Geithain: Maximilian Völkl, Tommy Fröhlich, Pierre Nickl, Andreas Hoffmann, Andreas Hässler. Foto: Pixelarchiv.

Bei ihren Versuchen, eine neonazistische Hegemonie aufzubauen, setzen Geithainer Neonazis auf bewährte Mittel: Musik, Jugendarbeit und gesellschaftliche Verankerung. So hätte es – neben Manuel Tripp – beinahe eine zweite neonazistische Rechtsanwältin in Geithain gegeben: Jennifer Stein aus Kohren-Sahlis gehörte zum Milieu des “Freien Netz Geithain” und studierte ab 2010 ebenfalls Jura an der Universität Leipzig – allerdings offenbar ohne den erwünschten Abschluss. Derzeit arbeitet sie als Rechtsanwaltsfachangestellte in Halle. Unter den Pseudonymen “Elfe” und “Valküre” verfasste sie auf der Webseite des “Freien Netzes Borna-Geithain” zahlreiche zustimmende Kommentare. Am 29. Mai 2010 nahm sie an einer Nazikundgebung in Colditz teil.

Neonazikundgebung am 29. Mai 2010 in Colditz: Andy oder Denny Krumbiegel, im Hintergrund Jessica Kakoschky und Josephine Rivier, mit Sonnenbrille Jennifer Stein. Foto: Recherche Ost.

Erwähnenswerte Nazibands, die der Region Geithain zuzuordnen sind, heißen “Death on Horizion”, “Illoyal” und “Projekt Irminsul”. Die Band “Illoyal”, deren Mitglieder der Naziszene zuzuordnen sind, probte um das Jahr 2010 herum regelmäßig im mittlerweile geschlossenen Jugendclub Roda in der Nachbargemeinde Frohburg.

Naziband “Illoyal” im Jahr 2009: Norman Dittmann, Stefan Kotschick, Danny Florczyk.
Naziband “Projekt Irminsul” aus Geithain im Jahr 2006: Pierre Schmitteck, Heiner Winkler, Jens Kretzschmar, Rico Semrau.

Auch im Jugendclub des Geithainer Ortsteils Syhra gehörten Neonazis zum Inventar. Offenbar deshalb wurde der selbstverwaltete Club, der unter der Obhut des Tischtennisvereins “SV Geithain” stand und sich in einem kommunalen Gebäude befand, Ende 2010 geschlossen. Daraufhin startete das “Freie Netz Geithain” eine Kampagne für den Erhalt des Jugendclubs, Manuel Tripp meldete mehrere Kundgebungen an. Einer der beiden Ansprechpartner des Jugendclubs, Pit Kießling, fiel ab 2011 als Teilnehmer von Naziveranstaltungen auf und Helfer der NPD auf (siehe oben).

Pit Kießling als Ansprechpartner des Jugendclubs Syhra. Screenshot: Webseite des Kreisjugendrings Leipziger Land, 2010.

Der einzige professionell betreute Jugendclub in Geithain, das Kinder- und Jugendhaus “R9”, wurde hingegen von Manuel Tripp als “linksextrem” und “Zeckenclub” diffamiert, das Gebäude und seine BesucherInnen oft von Neonazis angegriffen. Die Schließung des “R9” im Jahr 2016, ein Jahr nach Amtsantritt des neuen Bürgermeisters Frank Rudolph, dürfte daher ganz im Sinne der Geithainer Neonazis gewesen sein.

Diese Zustände möchte die “Freie Liste Geithain” fortführen, wenn sie in ihrem “Positionspapier” behauptet, dass ein städtischer Jugendclub nicht “erforderlich” sei und stattdessen “die bestehenden Angebote von Schulclub, Vereinen und Freizeitangeboten weitergeführt und erweitert werden” und das Vereinsleben gestärkt werden soll. Nicht-rechte Jugendliche denken dabei vermutlich an den Tautenhainer Karnevalsverein e.V., bei dem Geithainer Neonazis im Jahr 2009 mit einem Kapuzengewand des “Ku Klux Klan” auftraten (siehe Foto). Oder an den Tischtennisverein SV Geithain, der Neonazis den “Jugendclub Syhra” bot. Oder den Schützenverein, in dem Uwe Hübner Mitglied war. Oder an den Fußballverein Alemannia Geithain, bei dem man offenbar bereits im Vorraum mit Hitlergrüßen rechnen muss. Oder an Geithainer Kleingartenvereine wie “Frohe Zukunft e.V.”, deren langjähriger Jugendwart Sebastian G. gern mit Nazis zum Fußball fährt (hier am “Borna”-Banner ganz rechts), oder “Erholung e.V.”, in dessen Gartenkneipe “Petersilie” einst mehrere Naziveranstaltungen stattfinden konnten. Oder an das 825-jährige Stadtjubiläum im Jahr 2011, als die Stadt Geithain dem “Freien Netz Geithain” einen Stand auf dem Stadtfest genehmigte und Neonazis an prominenten Stellen des Festumzugs mitwirkten.

Geithainer Neonazis beim Tautenhainer Karnevalsverein e.V. im Jahr 2009: Benjamin Leuschel (links), Thomas Nawroth (rechts) und eine Person in einem Kapuzengewand des “Ku Klux Klan”. Der “KKK” hat in den Vereinigten Staaten zahlreiche rassistisch motivierte Morde verübt.
Hitlergruß vor Kindern im “Alemannentreff” des FSV Alemannia Geithain 1990 e.V. im Jahr 2014

Was in Geithain eingekehrt ist, ist keine Ruhe, sondern eine rechte Hegemonie.


Text zugesandt von: anonym

Neonazi-Veranstaltungen in Kleingärten: eine Bestandsaufnahme

Festsaal des Siedlervereins Fortuna Leipzig. Hier fanden im Jahr 2017 zwei Neonazi-Veranstaltungen statt.

Dass auch Neonazis Kleingärten pachten, ist weder neu noch ungewöhnlich. Schlagzeilen machte zuletzt etwa die Terrorzelle “Oldschool Society”, die sich in einem Kleingarten in Frohburg (Landkreis Leipzig) gegründet und mehrfach getroffen hatte. Nutzen Neonazis (oder auch die AfD) hingegen das Vereinsheim oder die Gartenkneipe, ist die Veranstaltung meist größer. Auch im Raum Leipzig gibt es mehrere Kleingartenanlagen, in denen Neonazis in den vergangenen Jahren ungestört Konzerte, Vorträge und Vernetzungstreffen durchführen konnten – sei es aus Sympathie der Inhaber oder aus Ignoranz.

Kleingärtnerverein “Trommelholz” Leipzig

Bis zum Jahr 2007 nutzte die Leipziger NPD das Vereinsheim des Kleingärtnervereins “Trommelholz” in der Straße Am Viadukt 56. Dazu schrieb die Kampagne “Fence Off” im Mai 2011:

Bis 2007 versammelten sich die Anhänger des Kreisverbandes konspirativ im Vereinslokal der Gartensparte Trommelholz (Stadtteil Möckern). Unter dem Tarnnamen “Freundeskreis Deutschland” kam es zu regelmäßigen Mitgliederversammlungen und Vortragsabenden. Im März 2007 ist das Vereinslokal niedergebrannt und stand der Partei fortan nicht mehr zur Verfügung.

Vereinsgaststätte “Petersilie”, Geithain

Willkommene Mieter waren Neonazis einst in der Geithainer Gartenkneipe “Petersilie” in der Tautenhainer Straße 8. So etwa am 21. August 2009, als die NPD dort eine Wahlkampfveranstaltung durchführte. Ihr Landtagskandidat Gerd Fritzsche forderte dabei die Errichtung einer “Volksgemeinschaft” – ein zentrales Konzept des Nationalsozialismus.

Rund zwei Monate später, am 30. Oktober 2009, veranstaltete der Geithainer NPD-Stadtrat und Neonazi Manuel Tripp in der “Petersilie” einen Vortrag mit dem Waffen-SS-Mitglied Gottfried Pönitz, an dem etwa 100 Personen teilnahmen. Chronik.LE schrieb damals:

Nach Angaben des Fachjournalisten Volkmar Wölk hatte es Versuche gegeben, die Veranstaltung zu verhindern. So hätte der Inhaber der “Petersilie” zwar auf Nachfrage gewußt, wen er sich da ins Gartenlokal holt; aber die braunen Gäste scheinen sein Ordnungsempfinden nicht nachhaltig zu stören. Schon beim letzten Mal sei alles ruhig geblieben, also gebe es keinen Grund, etwas zu unternehmen.

Die damaligen Pächter der Gaststätte “Petersilie”, die zum Kleingartenverein “Erholung e.V.” gehört, waren seit 2002 das Ehepaar Friedrich. Andere Quellen nennen als Inhaberin eine Beate Friedrich. Bevor die Gaststätte im Jahr 2011 oder 2012 geschlossen wurde, fand noch mindestens eine weitere Naziveranstaltung dort statt: Ein Vortrag des Frohburger Neonazis Jan Häntzschel, organisiert vom “Freien Netz Geithain” und begleitet von zwei “Liedermachern”, am 26. November 2010.

Mittlerweile wurde die “Petersilie” von einer Cateringfirma übernommen und umbenannt.

Kleingartensparte Neu-Witznitz, Borna

Rund 150 Neonazis besuchten nach Angaben des Innenministeriums am 3. Februar 2015 einen “Liederabend” mit “Lunikoff”, dem Sänger der als kriminelle Vereinigung verbotenen Berliner Band “Landser”. Als Ort gibt der sächsische Verfassungsschutzbericht 2015 den Bornaer Ortsteil Neuwitznitz an. Erwähnt wird außerdem eine ähnliche Veranstaltung am 20. Dezember 2014 mit zwei neonazistischen Liedermachern im gleichen Ortsteil (18/3983).

Die Veranstaltung mit “Lunikoff” wird auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage 6/14534 als “rechtsextreme Aktivität in sächsischen Kleingärten” aufgeführt. Dies lässt nur den Schluss zu, dass beide Neonazi-Veranstaltungen im Spartenheim der Kleingartensparte Neu-Witznitz e.V. in Borna stattgefunden haben. Das war zu jenem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht verpachtet, der letzte Pächter hatte im Jahr 2009 Insolvenz angemeldet.

In besagter Kleingartenanlage besitzt der stadtbekannte Neonazi Peter Kühnel seit vielen Jahren einen Kleingarten. Am 11. Januar 2016 beteiligte Kühnel sich am Naziüberfall auf Leipzig-Connewitz. Im Jahr 2009 kandidierte er erfolglos für die NPD zur Wahl des Bornaer Stadtrats, im Jahr 2018 sammelte er Unterstützerunterschriften für die Nazipartei “Der III. Weg”. Die Vereinsvorsitzende der Kleingartensparte, Kathrin K., ist möglicherweise seine Mutter.

Gaststätte “Waldesgrün Zwenkau”

Einen Pächter hat die Vereinsgaststätte “Waldesgrün Zwenkau” seit Jahren nicht, Einmietungen sind aber offenbar kein Problem. So konnten Neonazis am 11. September 2015 ein NS-Black-Metal-Konzert im Herzstück der gleichnamigen Kleingartensparte im Eythraer Weg in Zwenkau (Landkreis Leipzig) veranstalten. Auf der von Benjamin Schneider mitorganisierten Veranstaltung traten die NSBM-Bands “Artam”, “Permafrost”, “Poprava” und “Sekhmet” auf. Ein ähnliche Konstellation stand am nächsten Tag im tschechischen Děčín auf der Bühne.

Siedlerverein Fortuna Leipzig

Für gleich zwei Veranstaltungen konnten Neonazis im Jahr 2017 den Festsaal des Kleingartenvereins “Siedlerverein Fortuna Leipzig” nutzen. Am 1. Juli 2017 traten hier Hannes Ostendorf und Stefan Behrens von der Rechtsrockband “Kategorie C” auf, laut Innenministerium vor rund 120 Personen. Am 16. Dezember 2017 veranstalteten Neonazis am gleichen Ort einen “Zeitzeugenvortrag”. Der Saal in der Seelestraße 27a wird öffentlich zur Miete angeboten, Ansprechpartner dafür ist damals wie heute der Leipziger CDU-Stadtrat Falk Dossin.

Diese Immobilie, in dem auch der “Verband Wohneigentum Sachsen e.V.” sitzt, war Gegenstand einer Kleinen Anfrage im sächsischen Landtag (6/13455). Die Antwort des Innenministers fällt sehr knapp aus, den Namen des Objekts verrät er nicht, zwei Lücken werden mit Geheimhaltungsinteressen begründet. Offenbar war der Verfassungsschutz über die Neonazi-Veranstaltungen detailliert im Bilde. Umso mehr drängt sich die Frage auf, wie fünf Monate nach dem Nazikonzert eine weitere rechte Hetzveranstaltung in der Seelestraße stattfinden konnte.

Kleingartenverein Buren e.V., Leipzig

Die Neonazis Alexander Kurth, David Köckert und Jens Wilke trafen sich am 20. Oktober 2018 mit Gleichgesinnten in der “Burenschänke”, die zum Kleingartenverein “Buren e.V.” im Kohlweg in Leipzig gehört. Angeblich nahmen vierzig Personen an dem Vernetzungstreffen teil, darunter Vertreter mehrerer rechter Kleinstparteien.

Jens Wilke, Alexander Kurth, David Köckert, Achim Buonafede und drei weitere Personen im Oktober 2018 im Kleingartenverein Buren e.V. in Leipzig (Foto: twitter)

Dieses Netzwerktreffen wurde durch zwei kleine Anfragen im sächsischen Landtag beleuchtet (6/15465 und 6/16155). Dabei bestätigte das Innenministerium, dass in der “Burenschänke” bereits am 23. Februar 2018 eine Neonazi-Veranstaltung stattfand – ein Treffen des “Stammtisch Weißer Rabe”, einer neonazistischen Initiative, die im Dezember 2015 aus der “Offensive für Deutschland” hervorging.

“Landgasthof Ramsdorf” in Regis-Breitingen

Keine Kleingartenanlage, trotzdem ganz weit draußen: In Regis-Breitingen (Landkreis Leipzig) versammelten sich am 5. Mai 2018 rund 120 Neonazis zu einem Zeitzeugenvortrag des in Bielefeld lebenden Klaus Grotjahn. Grotjahn war als 17-Jähriger der SS-Freiwilligen-Panzergrenadier-Division “Nordland” beigetreten und gibt seinen Geschichtsrevisionismus regelmäßig auf Neonaziveranstaltungen zum Besten. Im Anschluss an den Vortrag trat der Zwickauer Neonazi Maik Krüger als Liedermacher “FreilichFrei” auf.

Der genaue Veranstaltungsort ist nicht bekannt, in der Antwort auf eine Kleine Anfrage (6/13454) wollte das Innenministerium ihn nicht nennen. Dabei gibt es in Regis-Breitingen durchaus Räume, die Neonazis offen stehen. So fanden im “Landgasthof Ramsdorf” in der Hauptstraße 85 in letzter Zeit mehrere Naziveranstaltungen statt.

Kleingärtnerverein “Alt-Schönefeld”, Leipzig

Einen weiteren Zeitzeugenvortrag organisierten Neonazis am 9. Februar 2019 im Gartenlokal des Kleingärtnervereins “Alt-Schönefeld”. Dort erzählte der 1929 im Erzgebirge geborene Siegfried Müller von seiner Haft in Sibirien in den Jahren 1945 bis 1950. Ungefähr 70 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, darunter der Leipziger Neonazi-Versandhändler und ehemalige NPD-Kreischef Enrico Böhm. Zu Siegfried Müllers Publikum gehörten in der Vergangenheit nicht nur Neonazis, sondern auch Schulklassen.

Gartenlokal des Kleingärtnervereins “Alt-Schönefeld” in Leipzig. Hier veranstalteten Nazis im Februar 2019 einen “Zeitzeugenvortrag”.

Text zugesandt von: anonym

“Es passiert nichts Gutes, außer wir tun es!” – Interview mit den Veranstalter*innen des Antifa-Wochenendes

Antifa-Wochenende 22.-23. Februar 2019 in Leipzig

Für Antifa in Leipzig unterhielt sich Klara mit Anna und Arthur von »Rassismus tötet!« – Leipzig über das kommende Wochenende und ihre Veranstaltung “Es passiert nichts Gutes, außer wir tun es! – Für eine antifaschistische Praxis.”

Ihr veranstaltet am kommenden Wochenende die Tage für eine antifaschistische Praxis in Leipzig. Wie kam es dazu?

Anna: Wir wissen um solche Veranstaltungen in anderen Städten wie Chemnitz, Hamburg oder München – zum Teil seit vielen Jahren. Und kamen zu der Einschätzung, dass so etwas auch in Leipzig nicht schlecht wäre.

Arthur: In einer antifaschistischen Bewegung kommt es immer wieder auch zu Generationswechseln. Wir denken, dass es gerade auch in Leipzig einer Weitergabe von Erfahrungen und Konzepten bedarf, wenn eine kontinuierliche antifaschistische Praxis nicht einfach aufhören soll.

Also richtet sich eure Veranstaltung hauptsächlich an junge Menschen?

Anna: Unser Ziel ist es, vor allem jüngere und Menschen anzusprechen, die bisher wenig bis keine Organisierungserfahrung gesammelt haben, und eben nicht jene Gruppen oder Personen, die schon seit vielen Jahren in der antifaschistischen Bewegung aktiv sind. Ob das so klappt, wird sich zeigen.

Arthur: Es wurde auch mal diskutiert, ob es ähnlich wie beim damaligen »Tomorrow Theorie-Café« eine Altersgrenze geben sollte, um Wissenshierarchien zu vermeiden und damit Diskussionen nicht zu sehr von einzelnen Leuten dominiert werden. Letztendlich hat sich die Idee aber nicht durchgesetzt. Dennoch möchten wir an dem Wochenende in erster Linie einen Rahmen schaffen, in dem Leute Fragen klären und sich ausprobieren können. Wir werden einfach abwarten und das mit in die Auswertung nehmen.

Habt ihr euch also schon überlegt, das Wochenende zu wiederholen?

Anna: Erstmal haben wir nur dieses Wochenende vor Augen. Sinnvoll wäre es sicherlich, so etwas regelmäßiger zu machen und wir lernen immerhin auch an diesem Wochenende, was geht und was besser gemacht werden muss. Auch wenn das Wochenende schon ein anderes Format für uns ist, haben wir doch bereits mit dem Gedenkkongress etwas Erfahrung in der Organisation von Veranstaltungen gesammelt. Aber da die Idee relativ spontan entstanden ist, wird sicherlich auch einiges verändert oder verbessert werden können. Aber das müssen wir dann im Nachgang bereden.

Arthur: Im besten Fall ermutigen wir an diesem Wochenende Leute dazu, selbst aktiv zu werden und vielleicht bekommen manche sogar Lust, selbst mal eine Veranstaltung zu organisieren.

Was erwartet die Menschen denn an den zwei Tagen, und wo findet es statt?

Anna: Anlaufpunkt für beide Tage ist das Plaque in der Industriestraße 101. Am Freitag werden wir eine Einführung in die Themen des folgenden Tages machen. Das Hauptprogramm findet dann am Samstag statt, mit Workshops und Vorträgen, einer Ausstellung und vielem mehr. Bei den Workshps wird es dann auch etwas praktischer – mit der Möglichkeit, Rechner zu verschlüsseln oder Smartphones etwas sicherer zu machen. Auch bequeme Klamotten können am Samstag nicht schaden.

Arthur: Themen der Workshops und Vorträge sind unter anderem: “How to Do: Demonstration”, “Was tun, wenn’s brennt? Ruhe bewahren!”, “Wenn wir streiken, steht die Welt still!”, “Selbstbehauptung und Muay Thai”, “Was will Antifa-Recherche?”, “Antifa – Entstehung, Entwicklung, Kritik, Zukunft” und “Sisters in arms: Antifaschistische und feministische Kämpfe auf der Suche nach neuen Formen”.

Wie würdet ihr denn die aktuelle Situation der antifaschistischen Szene in Leipzig beschreiben?

Anna: Nicht so gut – was wir auch in unserem Aufruf für das Wochenende geschrieben haben. Ein paar lokale antifaschistische Gruppen haben sich aufgelöst, und in brenzligen Situationen, wie es sie in den letzten Jahren in Sachsen vermehrt gab, ist die Szene nicht gut aufgestellt. Darauf sind wir auch in unserem Text “Antifa: ‘Gib mir irgendwas, das bleibt.'” eingegangen, doch eine größere Diskussion zu dem Thema ist leider ausgeblieben. Die rechte Szene in Sachsen ist gut organisiert, was etwa an deren Agieren in Ostsachsen zu sehen ist oder am Angriff in Connewitz. Antifaschist*innen in Sachsen finden darauf zu wenige Antworten. Auch diskussionen finden kaum noch statt, und das würden wir gern ändern!

Arthur: Natürlich gibt es auch in Leipzig einiges Neues. Seit einer Weile gibt es die Gruppe “Jugend gegen Rechts” (facebook.com/jugendgegenrechtsLE/), offene Treffen wie das OAT oder das “Café Connect”, und auch das Ladenschlussbündnis ist wieder zurück. Auch gibt es offenbar weiterhin Gruppen ohne Label und Namen, die Neonazis und anderen Rechten das Leben schwer machen. Wir haben aber schon den Eindruck, dass es in den letzten Jahren in Sachsen ein Niederschreiben und Niederreden von dezidiert antifaschistischer Politik und Aktionen gibt. Dazu haben wir eine ganz andere Position.

Was sind weitere Veranstaltungen oder Dinge, die ihr plant?

Anna: Wir werden in Leipzig den Frauenstreik am 8. März supporten, und es soll auch wieder eine Demonstration in Chemnitz zum Frauenknast geben. Hier wird für uns sicherlich auch das Thema NSU eine weitere Rolle einnehmen, jetzt wo Beate Zschäpe zurück in Sachsen ist. Ansonsten wollen wir am 16. März 2019 von Leipzig nach Eisenach fahren und die “Wartburgstadt ins Wanken bringen” und hoffen, dass viele Leute mitkommen. Und dann ist auch schon bald wieder der 1. Mai mit mehreren rechten Aufmärschen, etwa in Plauen oder Erfurt.

Möchtet ihr noch ein paar Worte zum Abschluss loswerden?

Arthur: Wir würden uns freuen, viele Antifaschist*innen bei den nächsten Veranstaltungen zu sehen. Wir wünschen uns, das sich mehr Menschen organisieren und etwas gegen rechte Ideologie und Strukturen in der Gesellschaft unternehmen.

Anna: Antifa in die Offensive!

Das Ende einer Besetzung

Am 15. Januar 2019 wurde das “Black Triangle” im Leipziger Süden geräumt. Seit Juni 2016 war es besetzt. Zu den dortigen Konflikten wurde in diesem Demonstrationsaufruf einiges geschrieben, dies soll hier nicht vertieft werden. Auch eine Reaktion auf den Aufruf, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Vielmehr möchte dieser Text in Erinnerung rufen, in welcher Zeit das “Black Triangle” entstanden ist.

Ende 2015 versuchte eine Initiative ein neues “soziales Zentrum” in Leipzig zu erstreiten – und scheiterte. Die Diskussion darüber wurde durchaus heftig geführt. Ein oft zu hörendes Argument war, dass Besetzungen heute nicht mehr möglich seien bzw. eine linke Szene für eine solche Auseinandersetzung nicht mehr stark genug sei. Auch auf das Bestehen der “Leipziger Linie” wurde verwiesen.

Während also ein Teil der Leipziger Szene sicher war, dass Besetzungen nicht mehr möglich seien, taten andere es einfach – und hielten damit mehr als zwei Jahre durch. Vielleicht wird – neben persönlichen Veranstaltungs- und Partyerinnerungen – langfristig einzig dies vom “Black Triangle” im Gedächtnis bleiben: Besetzungen sind möglich, auch in unserer Zeit. Besetzungen als politische Praxis sind somit kein Relikt der Vergangenheit.

Dieser Punkt allein wäre für eine entsprechende Reaktion auf die Räumung schon ausreichend gewesen. Sorgenfalten bereiten würde eine Wiederkehr der “Hausbesetzerinnenszene” in Leipzig sicherlich einem Repressionapparat, der lokalen Politik, der Stadtverwaltung und der Immobilienbranche. So verwundert es nicht, dass die Polizei sich nach der Räumung auf “Chaos” einstellte und in Bezug auf die Demonstration am Tag danach wie üblich von einer “Deeskalationsstrategie” ihrerseits log.

Tag X + 1

Recht früh wurde zu einer Demonstration in Connewitz für den Tag nach der Räumung aufgerufen. Einen ähnlichen Aufruf gab es in Leipzig schon einmal, zur Räumung des besetzten Hauses in Erfurt. Die Anzahl der damals eingekesselten Personen kommt denen von Januar 2019 auch recht nahe. Wurden bei der Tag-X+1-Demo im Jahr 2009 noch Fehler bei der Wahl des Startpunktes (Stockartstraße) gemacht, so fehlte es in diesem Jahr an fast allem, was sicherlich auch mit den Konflikten um das Squat zu tun hatte. Von einer “Endsolidarisierung der ‘Szene’ in Leipzig”, wie es einige Menschen in Rostock formulieren, kann aber bei mehr als 800 Menschen, die sich am 16. Januar 2019 zur Demo einfanden, keine Rede sein.

Seid ihr noch zu retten…

Früh wurde die Eskalationsstrategie der Polizei für diese Demonstration erkennbar. Wie schon seit Wochen kreisten auch an jenem Abend Polizeihubschrauber mehrere Stunden lang über den Leipziger Süden. Diese angebliche “Deeskalationsstrategie” der Polizei ist auch jährlich zu Silvester zu erleben. Zum vergangenen Jahreswechsel wurde sie gar überboten – mit zwei Hubschraubern, die zur Mittagszeit im Tiefflug über Connewitz kreisten, und einem Stadtteil, der mit mehreren Hundertschaften besetzt wurde.

Für die Demonstration für das geräumte “Black Triangle” wurde sogar ein Lichtmast aufgebaut, um den Park am Wiedebachplatz auszuleuchten. Ebenfalls ließ die Polizei immer wieder eine Kolonne Polizeifahrzeuge um den Platz kreisen – offenbar in der Hoffnung auf Vorfälle, die eine Auflösung der Versammlung begründen könnten. Mehrmals forderte die Polizei, dass sich eine verantwortliche Person bei ihr melden solle, welches eine Weile ignoriert wurde, bis sich nach einer knappen Stunde und ohne jede Absprache ein üblicher Selbstdarsteller bei der Polizei einfand. Offensichtlich gab es kein Interesse an einer Anmeldung der Demonstration, sonst wären die permanenten Anfragen der Polizei via Lautsprecherwagen auch nicht so lange ignoriert worden – dies interessierte den örtlichen Trinker von “Die Partei” aber nicht.

Auffällig war die absolute Planlosigkeit der Masse. Viele waren da, mehr aber auch nicht. So konnte die Polizei die Demonstration von Anfang an nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Nebenstraßen wurden so gesichert, dass mögliche Bewegungen schnell unterbunden werden konnten. Gab es zu Beginn noch Spielraum für einen möglichen schnellen Ausbruch vom Platz, so war dies nach einer Stunde nicht mehr denkbar. Dies zeigte sich, als kurz vor 19 Uhr eine Personengruppe über die Bernhard-Göring-Straße in Richtung Innenstadt zu laufen versuchte. Polizisten riegelten die Straße mit einer Reihe aus Fahrzeugen ab – ein seit Jahren beliebtes Mittel in Leipzig.

Spätestens jetzt hätte klar sein können, dass abseits der Polizeistrategie nichts mehr möglich ist. Beim Losgehen verkündete der selbstberufene Anmelder, er habe sich mit der Polizei über die Route geeinigt. Weshalb so viele hundert Menschen einem vorbereiten Plan der Polizei folgten, blieb einigen unerklärlich. So wurde die Demonstration nach dem Connewitzer Kreuz immer kleiner. Es gab nur zwei Transparente und keine Ketten. Einen Schutz vor BFE-Greiftrupps, die oft wegen möglicher Pyrotechnik oder Vermummung in Demonstrationen eindringen, bestand nicht. Dabei hätte wenigstens dies als Form des Selbstschutzes vor Übergriffen durch die Polizei berücksichtigt werden müssen.

An der Kreuzung Karl-Liebknecht-Straße/Kurt-Eisner-Straße durchquerte ein BFE-Zug dann einfach die Demonstration – und bekam die gewünschte Reaktion: Gegenstände flogen. Hiermit schloss die Polizei ihre letzten Vorbereitungen ab, hatte sie doch nun genügend “Straftatbestände” für ihren bereits geplanten Kessel gesammelt. Der Rest war nur noch Formsache. Der “Anmelder” führte die Demonstration geradewegs in den aufgebauten Kessel vor dem zentralen Polizeirevier der Stadt. Jegliche Form der Solidaritätsbekundung für die gekesselten Menschen wurde durch Platzverweise unterbunden. 182 Menschen wurden erkennungsdienstlich behandelt und dürfen mit Anzeigen rechnen. So hilf- und planlos hat sich die Szene in Leipzig schon lange nicht mehr gezeigt. Dies ist nicht ausschließlich mit internen Konflikten um das Black Triangle zu erklären. Vielmehr mangelte es an Organisierung und an Ideen, was eigentlich passieren soll und wie auf den Repressionsapparat reagiert werden will.

Was nun?

Leipzig hat einen Freiraum verloren, einen noch immer nicht aufgearbeiteten Konflikt behalten, und viele Menschen kaum eine Vorstellung davon, was sie auf einer Solidaritätsdemonstration eigentlich machen möchten außer einfach nur anwesend zu sein. Von einer Auseinandersetzung mit der Strategie der Leipziger Polizei, eine Szene mit Anzeigen aufzureiben und um jeden Preis die Kontrolle zu behalten, ganz zu schweigen. Es gäbe viel zu besprechen, wenn nicht alles so weiter laufen soll.

Eine Sammlung von Artikeln in diesem Jahr zum “Black Triangle”:


Text zugesandt von: anonym

Nach rassistisch motivierter Brandstiftung in Döbeln: Opfer rechter Gewalt anerkennen!

Haus in der Albert-Schweitzer-Straße in Döbeln im Jahr 2018

Am 22. April 2017 starb Ruth K. (ihr voller Name ist uns bekannt) aus dem mittelsächsischen Döbeln an den Folgen einer Rauchgasvergiftung, die sie am 1. März 2017 erlitten hatte. An jenem Tag war in dem Mehrfamilienhaus in der Albert-Schweitzer-Straße, in dem die 85-Jährige wohnte, zum dritten Mal innerhalb eines Jahres Feuer gelegt worden. Einsatzkräfte der Feuerwehr fanden Frau K. bewusstlos im Treppenhaus. Ohne schnelle Hilfe wäre sie sofort gestorben, doch auch im Krankenhaus konnte ihr Leben nicht mehr gerettet werden.

Die folgende Chronologie wurde anhand von Presseberichten und eigenen Recherchen zusammengestellt.

Als mutmaßliche Brandstifterin wurde im Mai 2017 die Hausbewohnerin Gisela Berger festgenommen. Sie soll die Brände am 8. März 2016, 15. Oktober 2016 und 1. März 2017 gelegt haben, um den kurz zuvor eingezogenen Hausbewohner Mehdi G. zu diskreditieren. G. kommt aus dem Iran, wo er sich in der Studentenbewegung für Reformen engagiert hatte. Nachdem er ins Visier des iranischen Geheimdienstes geraten war, flüchtete er im Jahr 1997 nach Deutschland. Hier wurde sein Asylantrag abgelehnt, bis Anfang 2016 musste er in einer als Flüchtlingsunterkunft genutzten ehemaligen Kaserne wohnen.

Gisela Berger im Oktober 2016 in der Sächsischen Zeitung

Gisela Berger äußerte sich nach dem Einzug von G. mehrfach rassistisch. Sie beschwerte sich etwa über die Hausverwaltung, weil diese “Kanakendreck” ins Haus einziehen ließe. Nach dem zweiten Feuer im Oktober 2016 sagte Gisela Berger gegenüber der Polizei aus, den mutmaßlichen Brandstifter gesehen zu haben. Er sei dunkelhäutig und habe sie geschlagen, sie habe ihm ein in gebrochenem Deutsch verfasstes Bekennerschreiben entrissen. Mehrere Anzeigen wegen weiterer angeblicher Überfälle folgten, außerdem Fernsehinterviews.

Ein psychiatrischer Gutachter erkannte bei der Angeklagten Alkoholmissbrauch und eine histrionische Persönlichkeitsstörung, was ihre Schuldfähigkeit jedoch nicht einschränke. Diese durch Dramatisierung, Egozentrik und dauerndes Verlangen nach Aufmerksamkeit gekennzeichnete Persönlichkeitsstörung steht aus unserer Sicht im Einklang mit Gisela Bergers Verhalten nach den Brandstiftungen, kann ihre rassistischen Taten aber weder erklären noch entschuldigen.

Das Landgericht Chemnitz verurteilte Gisela Berger am 22. März 2018 wegen versuchter schwerer Brandstiftung mit Todesfolge sowie schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu neun Jahren Haft. Die Staatsanwaltschaft sprach in ihrem Plädoyer von einer “latent rassistischen Haltung” der Angeklagten. Gegen das Urteil hatte Gisela Berger Revision eingelegt, die vor wenigen Wochen vom Bundesgerichtshof in Leipzig abgelehnt wurde.

Der Fall wirft auch ein schlechtes Licht auf die deutschen Asylbehörden. Dass der Asylantrag eines oppositionellen Iraners abgelehnt wurde, dass Mehdi G. knapp 20 Jahre lang in Flüchtlingsunterkünften wohnen musste und ihm in den besten Jahren seines Lebens sowohl eine Perspektive als auch die Privatsphäre genommen wurden, ist ein Skandal.

Eventuellen Hinterbliebenen von Ruth K. möchten wir unser tief empfundenes Beileid aussprechen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, Ruth K. in ihren Statistiken als Todesopfer rechter Gewalt anzuerkennen. Wie aus der Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag hervorgeht, war dies im Juni 2018 nicht der Fall.

Wir fordern die Anerkennung von Mehdi G. als politisch verfolgter Asylberechtigter nach Artikel 16a des Grundgesetzes.

Wir möchten denjenigen Menschen in der Döbelner Stadtgesellschaft, die diese rassistsch motivierte Brandstiftung mit Todesfolge zur Sprache bringen, Mut zusprechen.

Wir wünschen uns von zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Strukturen einen sensiblen Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen rechter Gewalt und psychisch kranken TäterInnen.


Eine umfassende Analyse des Falls hat ZEIT ONLINE im September 2018 veröffentlicht. Über die Brandstiftungen und den Prozess gegen Gisela Berger haben die Leipziger Volkszeitung (LVZ) und die Sächsische Zeitung berichtet. Wir verlinken eine Auswahl der Artikel:


Text zugesandt von: Antifaschistische Strukturen aus Sachsen