Wurzen: Altbekannte Nazis und neue Verstrickungen

Ex-"Front Records"-Inhaber Henry Behr beim Nazifestival "Rock für Identität" am 29. Juli 2017 in Themar. Foto: Lukas Beyer

Seit über fünfundzwanzig Jahren ist die Stadt Wurzen für ihre Naziszene bekannt. Insbesondere in den Neunziger Jahren terrorisierten Neonazis – teils mit Hilfe der Polizei – MigrantInnen, Punks, AntifaschistInnen und Linke. Die Ereignisse der Jahre 1991 bis 1996 sind in der Broschüre “Wurzen – Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen.” nachzulesen. Eine antifaschistische Demonstration im November 1996 verschaffte den Zuständen zwar Aufmerksamkeit, vermochte den rechten Terror aber zumindest kurzfristig nicht einzudämmen.

Bis heute vergeht in Wurzen kaum ein Monat ohne rechte Hetze und rassistische Übergriffe. In der Stadt sind nicht nur alle rechten Idiotien – rassistische Nachbarn, Nazi-Hooliganismus, Vertriebsstrukturen für neonazistische Musik und Kleidung, die NPD und die Bürgerkriegsfreunde von “Legida” – vertreten, sondern es scheint gar die ungeschriebene Regel zu gelten, dass die unangenehmsten Nazis in der Region stets aus dem Raum Wurzen kommen.

Um den rassistischen und neonazistischen Zuständen, für die Wurzen exemplarisch steht, entgegenzutreten und gleichzeitig diejenigen zu unterstützen, die ihnen in Wurzen und Umgebung ausgesetzt sind, rufen AntifaschistInnen für den 2. September 2017 zu einer Demonstration unter dem Titel “Das Land – rassistisch, Der Frieden – völkisch, Unser Bruch – unversöhnlich” in Wurzen auf. Aus Leipzig, Hamburg und Berlin ist eine gemeinsame Anreise geplant.

Neben rassistischen Angriffen auf Geflüchtete ist die Wurzner Naziszene seit Jahren von einem Firmengeflecht geprägt, das sich rund um den Neonazi-Versandhandel “Front Records” entwickelt hat. Über dessen langjährigen Inhaber Thomas Persdorf, seinen Geschäftspartner Benjamin Brinsa, andere beteiligte Neonazis und ihre Bezüge ins gewalttätige neonazistische Hooliganmilieu sowie zu “Legida” wurden in den letzten Jahren zahlreiche lesenswerte Texte veröffentlicht, die an dieser Stelle ergänzt werden sollen.

“Front Records” und “Gjallarhorn Klangschmiede”: Neuer Inhaber, alte Strukturen

Der einst von Thomas Persdorf gegründete Versandhandel “Front Records” gilt nicht nur als bedeutender Vertrieb für neonazistische Musik und Textilien, sondern produziert auch entsprechende Tonträger. Von 2011 bis Ende 2016 war die mittlerweile insolvente Firma “Falkenhainer Textil UG”, in die auch Thorsten Richter, Thomas Persdorf und Anita Persdorf-Dögnitz verwickelt waren, Inhaberin des Versandhandels. Seit Januar 2017 wird “Front Records” von der neu gegründeten “Muldentaler Textil UG” betrieben. Über deren Geschäftsführer Dierck Wagner, der inzwischen in Hannover wohnt, weiß die Antifaschistische Jugend Ludwigshafen/Mannheim zu berichten:

  • Der Ludwigshafener NPD-Kandidat Dierck Wagner (FCK-Hooligan, mittlerweile wohnhaft in Hannover) hat 2008 die gewaltbereite faschistische Gruppierung „LuNaRa“ (Ludwigshafener Nationalisten und Rassisten) mit ins Leben gerufen, welche seither als Sammelbecken für junge Nazis gilt.

Die Verbindung nach Ludwigshafen ist kein Zufall. Die “Falkenhainer Textil UG” war seit Anfang 2016 auch Inhaberin des neonazistischen Versandhandels “Frontmusik” und des Musiklabels “Gjallarhorn Klangschmiede”. Beide wurden vom Ludwigshafener Neonazi und “Hammerskin” Malte Redeker aufgebaut und jahrelang betrieben. Ihre Webseite nennt nun auch die “Muldentaler Textil UG” als Inhaberin, ist selbst aber noch auf Redeker angemeldet. Mehr Informationen zu Malte Redeker bieten u.a. das Antifaschistische Infobüro Rhein-Main und die Autonome Antifa Freiburg.

Dierck Wagner

Die neue “Muldentaler Textil UG” verfügt über ein Stammkapital von einem Euro. Sie sitzt ebenso wie ihre Vorgängerfirma im Doktorweg 2, 04808 Lossatal, Ortsteil Falkenhain, und nutzt teilweise die gleiche Handynummer. Der Firmenwechsel soll offenbar Strukturen verschleiern, kann aber auch finanzielle Motive haben. Zumindest attestierte der sächsische Verfassungsschutz “Front Records” vor Kurzem eine schwindende Bedeutung und sinkende Marktpräsenz.

Eine Kapitulation ist jedoch noch nicht abzusehen. Für ein Nazikonzert am 28. Oktober 2017 im thüringischen Themar etwa, auf dem u.a. die australische Naziband “Fortress” auftreten soll, ist “Front Records” als Unterstützer angegeben.

Ladenschluss für Onlineshops

Andere Angebote aus Persdorfs Umfeld sind in den vergangenen Jahren verschwunden. Benjamin Brinsas Laden “Streetwar” ist seit Jahren geschlossen. Der vom ehemaligen “Legida”-Kopf Markus Johnke betriebene Shop “edlerstoff.de” ist vom Bildschirm verschwunden, ebenso Anita Persdorf-Dögnitz’ “Patriotenversand”. Die Firma “Eastmedia24” des Neonazis Michael Woitag ist aufgelöst, seine Webseiten abgeschaltet, nur sein ebay-Shop “shirtmafia2011” wird weiterbetrieben – von seinem Geschäftspartner Sven Grunert aus Rötha. Im Angebot hat Grunert u.a. T-Shirts mit nur leicht abgewandelten Reichsadlern aus der Zeit des Dritten Reichs.

Thomas Persdorf wickelt seine Textilverkäufe nicht mehr über seine Webseiten “Problemfans” und “Protexdruck” ab, sondern nur noch über ebay. Im ebay-Shop “Protexdruck” bietet Persdorf alias “shirtmachine2011” Shirts mit Reichskriegsflagge oder dem von der Wehrmacht genutzten Spruch “Gott mit uns” an, außerdem überteuerte schwarz-weiß-rote Badehosen. Sein Sortiment überschneidet sich mit dem Onlineshop “shirtmachine.de” seiner Frau Anita Persdorf-Dögnitz. Als Geschäftsadresse geben beide den “Front Records”-Sitz Doktorweg 2 in Falkenhain an.

In dem Gebäudeteil der Bahnhofstraße 21 in Wurzen, der früher Dirk Schwitzkes Videothek beherbergte, zog im März 2017 der Betrieb “Carwrap Machern” ein. Dessen Betreiber Thomas Cavael mag Pegida und hat bei der Nazimarke “Thor Steinar” bestellt. Das benachbarte Sonnenstudio “Summertime”, das anscheinend von der Firma “PS-Rote Jahne UG” um Persdorf und Schwitzke betrieben wird, existiert noch.

Benjamin Brinsa: Die Einschläge kommen näher

Eine zentrale Person der Neonaziszene zwischen Wurzen und Leipzig ist der gewaltsuchende Neonazi-Hooligan Benjamin Brinsa. Brinsa ist als MMA-Kampfsportler (Spitzname “The Hooligan”) aktiv, trainiert das “Imperium Fight Team” und ist Mitorganisator der gleichnamigen Veranstaltungsreihe “Imperium Fighting Championship”. Er gehört zur rechten Ultragruppe “Scenario Lok” und spielte beim Naziübergriff auf Connewitz am 11. Januar 2016 eine tragende Rolle.

Während die Vermutung, Brinsa verdiene sein Geld auch mit dem Diebstahl von Fahrzeugen, bisher nur auf Bildern einer Überwachungskamera basiert, könnte es für ihn nun an anderer Stelle eng werden. Sein Freund Thomas Kuhbach steht seit einigen Wochen vor Gericht, weil er im November 2015 mit anderen Tätern die Wohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow angegriffen und dabei schwere Verletzungen bei Gemkow, seiner Frau und ihren beiden Kindern riskiert haben soll. Es wird vermutet, dass die vermummten Angreifer sich in der Wohnung geirrt haben und eigentlich den Sitz einer antifaschistischen Modemarke nebenan treffen wollten.

Im Gegensatz zu Kuhbach, der als gewalttätiger Nazi bekannt, will sein Mitangeklagter Roman W. noch nie zuvor in Leipzig gewesen sein. Eine mögliche Erklärung, wie die DNA des Gebrauchtwagenhändlers W. an den Tatort kam, brachte der noch laufende Gerichtsprozess vor wenigen Tagen ans Licht: W. habe ein Auto verkauft und kurz darauf ein Blitzerfoto erhalten, das wahrscheinlich Benjamin Brinsa zeigt. Eine Verwicklung Brinsas in den Angriff auf Gemkow wäre nicht verwunderlich – und es wäre nicht das einzige Mal gewesen, dass Brinsa und Kuhbach gemeinsam AntifaschistInnen zu attackieren versuchen.

Das “Imperium Fight Team” zieht um

Ob am 11. Januar 2016 in Connewitz oder beim versuchten Überfall auf vermeintlich linke Fans der BSG Chemie am 25. September 2016 in Gera: Bei organisierten Naziangriffen im Raum Leipzig Nazis sind Mitglieder des von Benjamin Brinsa trainierten “Imperium Fight Team” meist nicht weit. Die Sportgruppe, bei der überwiegend Neonazis auf der Matte und im Ring stehen, musste ihren alten Trainingsraum in Eilenburg im Februar 2017 aufgeben.

Nun trainiert das “Imperium Fight Team” in der Kamenzer Straße 10 in Leipzig. Lang kann die Suche nach einem neuen Trainingsort nicht gedauert haben: Das Nachbargebäude Kamenzer Straße 12 nutzt der Motorradclub “Rowdys Eastside” seit 2016 für seine Treffen. Der seit 2015 bestehende Motorradclub firmiert auch als “Bruderschaft 18” – ein Kürzel für die Initialen Adolf Hitlers –, die ungefähr zehn Mitglieder sind neonazistische Fußballfans des 1. FC Lokomotive Leipzig. Von den Nazis, die am 11. Januar 2016 am Angriff auf Connewitz beteiligt waren, werden Steve Griefenow, Mario Kuhbach, Thomas Kuhbach, Alexander Lohse, Nik Weber, Benjamin Schölzel und Ivo Mäuslein den “Rowdys Eastside” zugeordnet.

Timo Feucht (“Imperium Fight Team”) mit einem T-Shirt der “Rowdys Eastside”, rechts daneben Benjamin Brinsa. Bild: fight24.tv, Dezember 2015

Eigentümer des Areals Kamenzer Straße 10/12 ist der Leipziger Bauunternehmer und Thor-Steinar-Besteller Ludwig Kiefer. Auch der Nationalsozialist und “Hammerskin”-Sympathisant Willy Nowack – Besucher von Nazikonzerten und Geschäftspartner der Leipziger Absintherie Sixtina – nutzt die Adresse. In der Gebäude mit der Hausnummer 10, in dem heute das “Imperium Fight Team” trainiert, befand sich zur Zeit des Nationalsozialismus das Frauenkonzentrationslager “Hasag-Leipzig”, ein Außenlager des KZ Buchenwald. Der Gedenkstein vor dem Gebäude wird beinahe jährlich von Unbekannten zerstört.

Willy Nowack mit “Wewelsburg”-Shirt am 18. Mai 2013 auf einem Nazikonzert in Finowfurt. Foto: Presseservice Rathenow

Seit rund zehn Jahren finden außerdem gelegentlich klandestin organisierte Nazikonzerte in dem Areal statt. Am 8. November 2008 traten in der Kamenzer Straße 10/12 vor rund 350 Zuschauern die Nazibands “Diary of a Dying Nation”, “Eternal Bleeding”, “Fight Tonight”, “Nordglanz”, “Painful Life” und “Thematik 25” auf. Als dies im Jahr 2009 bekannt wurde, teilte die Polizei mit, dass der Eigentümer ein “Rechtsextremer” sei und dort regelmäßig “Skinhead-Konzerte” stattfinden. Laut chronik.LE wurde die Nutzung des Gebäudes als Veranstaltungsort inzwischen untersagt.

Auch bei Nazikonzerten, die laut Innenministerium am 3. März 2007 und 20. September 2008 mit jeweils rund 200 Besuchern in Leipzig stattfanden, liegt die Kamenzer Straße 10/12 als Veranstaltungsort nahe. Ebenso am 6. Februar 2010, als in Leipzig zwei Nazikonzerte an einem Abend veranstaltet wurden – das andere in der Odermannstraße 8. Exemplarisch für die jüngere Vergangenheit kann ein Nazikonzert mit den Leipziger Bands “Thematik 25” und “Volksnah” am 11. Juli 2015 genannt werden.


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