Geithainer Neonazis: Vom „Freien Netz“ zur „Freien Liste“

Manuel Tripp 2011 mit "Freies Netz"-Shirt. Foto: Pixelarchiv.

Mit der Wählervereinigung “Freie Liste Geithain” möchte der Rechtsanwalt und Neonazi Manuel Tripp im Mai 2019 zu den Kommunalwahlen antreten. Auf der sich als “heimatverbunden” bezeichnenden Liste kandidieren Manuel Tripp, Rainer Rudolph, Andreas Hübner, Robert Schallock, Sebastian Oehme und Luca Hübner.

Manuel Tripp

Der 1989 geborene Manuel Tripp ist seit mindestens 2008 als Neonazi aktiv. Zunächst als Kopf der Nazikameradschaft “Freies Netz Geithain” (siehe etwa GAMMA 187, Seite 3), später in der NPD-Jugendorganisation “Junge Nationaldemokraten” und als Vorsitzender der NPD im Landkreis Leipzig. Über das Onlineforum des “Freien Netzes” war er u.a. mit dem NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben verbunden. In diesem Forum trat die nationalsozialistische Ausrichtung des “Freien Netzes” offen zutage.

So war Manuel Tripp dort an der Planung von Nazikundgebungen am 30. Januar 2009, dem Jahrestag der Machtergreifung der NSDAP, beteiligt. Auch Motto und Zeitraum der Kundgebungen verherrlichten den Nationalsozialismus: “Zwischen 19:33 Uhr und 19:45 Uhr in aller Deutlichkeit: 12 Minuten Freiheit gegen 64 Jahre Zensur und Unfreiheit”. Erst wenige Monate zuvor, am 9. August 2008, hatten Neonazis des “Freien Netzes” dem früheren Wehrmachtsoffizier Hans-Joachim Herrmann zu dessen Geburtstag ihre Aufwartung gemacht. Zu den Spalier stehenden “Kameraden” gehörte auch Manuel Tripp.

In den Jahren 2009 und 2014 wurde Tripp in den Geithainer Stadtrat gewählt – zunächst als parteiloser Kandidat auf der Liste der NPD, dann als NPD-Mitglied. Seine damalige Webadresse “stadtrat-geithain.de” war auf Lars Schönrock angemeldet, einen Kader des “Freien Netzes” und verurteilten Kopf eines Drogenhändlerrings.

Anmeldung von Manuel Tripps Webadresse auf den Drogenhändler Lars Schönrock im Jahr 2011

Im Jahr 2014 kandidierte Tripp für die NPD zu den sächsischen Landtagswahlen und den Kreistagswahlen im Landkreis Leipzig. Vom 8. Dezember 2013 bis mindestens April 2015 war Tripp Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Landkreis Leipzig. Dieser wurde am 20. April 2015 – wichtige Entscheidungen trifft die NPD oft am Geburtstag Adolf Hitlers – mit dem Leipziger Kreisverband zusammengelegt. Anfang 2017 trat Tripp aus der NPD aus.

Ein explizites und oft betontes Ziel von Tripp ist der “Nationale Sozialismus”, der nicht “gewählt oder erbettelt werden”, sondern nur “auf dem Weg der Revolution erkämpft werden” könne. Tripp fordert, den Individualismus der heutigen Gesellschaft durch “eine wurzelhafte, homogene und bodenständige Volksgemeinschaft” zu ersetzen – ein zentrales Konzept des Nationalsozialismus. Allein die Pamphlete, die Tripp bereits als 20-Jähriger auf seiner Webseite veröffentlichte, sind Dutzende Seiten lang – und offenbaren eine tiefe nationalsozialistische Überzeugung.

Dagegen wirkt Tripps Verteidigung des NPD-Parteiprogramms streckenweise fast schon amüsant: “Natürlich nehmen uns Ausländer die Arbeit weg – wem denn sonst?” Den Vorwurf, die NPD sei antisemitisch, kontert Tripp mit antisemitischen Vorurteilen par excellence: Man lasse sich von der “Holocaust-Industrie” nicht erpressen, “Schuldkult” und “jüdische Opfertümelei” müsse sich “kein Deutscher gefallen lassen”. Das Grundgesetz sei ein “Diktat der westlichen Siegermächte”. Tripp fordert einen “volksgewählten Bundespräsidenten mit starken Vollmachten” – quasi einen “Führer” – und die Beschneidung des “schädlichen Parteieneinflusses”.

Im März 2018 eröffnete Manuel Tripp, der an der Universität Leipzig Jura studiert hatte, eine Rechtsanwaltskanzlei in Geithain. Einer seiner ersten Mandanten war die sächsische NPD, deren Facebook-Seite nach rassistischen Postings gesperrt worden war.

Schon in den Jahren zuvor begleitete Tripp mehrfach “Kameraden” zu Gerichtsverhandlungen. So besuchte er am 5. August 2009 zusammen mit Dutzenden anderen Neonazis, darunter Sebastian Oehme, einen Prozess am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, bei dem das Verbot zweier Vereine aus dem Umfeld der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel verhandelt wurde. Am 22. September 2011 begleiteten Tripp und Oehme ihre Freunde und “Kameraden” Rico Graulich und Andy Krumbiegel zu einer Gerichtsverhandlung nach Leipzig. Graulich und Krumbiegel hatten zusammen mit dem Neonazi Albert Reimann in einer Pizzeria in Geithain vier politisch unliebsame Personen brutal verprügelt.

Ein Jahr zuvor hatte Albert Reimann einen 15-jährigen Antifaschisten aus Geithain lebensgefährlich verletzt. Nachdem das Amtsgericht Chemnitz Reimann dafür am 29. Oktober 2010 vor dem Amtsgericht Chemnitz zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilte, nahmen seine “Kameraden” – darunter Manuel Tripp, Sebastian Oehme und Robert Schallock – ihn vor dem Gerichtssaal freudig in Empfang.

Sein eigenes Rechtsverständnis offenbarte Tripp im Jahr 2013. Als er selbst angeklagt war, bezeichnete er “Recht und Gesetz als Hure der politischen Hexenjäger”. Den Einspruch gegen den damaligs ergangenen Strafbefehl zog Tripp später still und heimlich zurück, die Verurteilung zu 75 Tagessätzen wegen einer Sachbeschädigung durch Graffiti in Geithain und eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz – es ging um die Teilnahme an einem Aufzug vermummter Neonazis in Colditz – wurde damit rechtskräftig.

Am 29. Oktober 2010 im Amtsgericht Chemnitz: Johannes Steinfeld (verdeckt), Manuel Tripp, Andy Krumbiegel, Robert Schallock und Sebastian Oehme nehmen Albert Reimann nach der Urteilsverkündung freudig in Empfang. Screenshot: mdr.
“Recht und Gesetz als Hure der politischen Hexenjäger” – Tripps Rechtsverständnis im Jahr 2013. Foto: Screenshot manuel-tripp.de.

Robert Schallock

Im Gegensatz zu vielen anderen Geithainer Neonazis versucht der 1989 geborene Robert Schallock die Öffentlichkeit zu meiden. Er tauchte etwa am Rande einer Verteilaktion am 13. März 2013 auf, als Anhänger der NPD-Jugendorganisation “JN Geithain”, darunter Manuel Tripp, Nick Thomas und Falk Wehnert, vor dem Johann-Mathesius-Gymnasium in Rochlitz Propagandamaterial verteilten. Im Jahr 2012 wurde der blaue VW Passat von Robert Schallock bei einem Nazikonzert gesehen. Sein Name findet sich auch in den gehackten Kundendatenbanken des neonazistischen “Versand der Bewegung” und der bei Neonazis beliebten Kleidungsmarke “Thor Steinar”.

Robert Schallock arbeitet als Informationstechniker bei der Werkzeugfirma HILTI. Er ist der Sohn des in Bad Lausick tätigen Rechtsanwalts, Steuerberaters und Unternehmers Wolfgang Rüdiger Schallock, der zur Geithainer Kommunalwahl 2014 für die “Unabhängige Wählergemeinschaft” (UWG) des jetzigen Bürgermeisters Frank Rudolph antrat.

Während Manuel Tripp sich vor einigen Jahren gegen den Verkauf von kommunalem Wohneigentum aussprach, hat Robert Schallock genau dies getan. Zusammen mit seinem Vater Rüdiger Schallock, dem Geithainer Unternehmer Jens Haferkorn und dem Berliner Arzt Dr. Ralf Warmuth hat er zahlreiche kommunale Eigentumswohnungen an Berliner Immobilienunternehmer verkauft. Dazu stiegen Robert und Rüdiger Schallock sowie Jens Haferkorn als zusätzliche, gleichberechtigte Gesellschafter in Warmuths Firma “Velumount Deutschland GmbH” ein und benannten sie in “Wohnen in Geithain GmbH” um. Im September und Dezember 2017 kaufte diese Firma der Stadt Geithain 111 kommunale Eigentumswohnungen für insgesamt 1.151.000 Euro ab, abgesegnet durch einen Stadtratsbeschluss.

Im September 2018 verkauften die vier neuen Gesellschafter die Firma mit einem Stammkapital von 25.000 Euro für 224.432 Euro an das Berliner Immobilienunternehmen “alma Vermögensverwaltung GmbH”. Die Kredite in Höhe von 1.180.000 Euro, die sie der Firma gewährt hatten, wurden dabei abgelöst. Rein rechnerisch machte das Quartett so knapp 200.000 Euro Gewinn.

Als Treffpunkt Geithainer Neonazis dient derzeit ein Raum in der Leipziger Straße 34. Ob das Gebäude Eigentum von Rüdiger Schallock ist, können wir nur vermuten. Fakt ist, dass die Firma “Polivital GmbH”, deren Gesellschafter und Geschäftsführer in wechselnder Reihenfolge Rüdiger Schallock, Anett Schallock und Dr. Ralf Warmuth waren, dort jahrelang ihren Sitz hatte, bis sie 2015 nach Berlin verlegt wurde.

Auszug aus dem Vertrag über den Verkauf der Firma “Wohnen in Geithain GmbH” an ein Berliner Immobilienunternehmen. Der vollständige Vertrag liegt vor.
Hat etwas gegen Juden: Ein Account im sozialen Netzwerk “meinVZ”, der Robert Schallock zugeordnet wird.

Sebastian Oehme

Auch Sebastian Oehme, Jahrgang 1988, gehörte zum “Freien Netz Geithain”. Seit Jahren nimmt er an neonazistischen Aufmärschen, Vorträgen, Konzerten und Sportveranstaltungen teil. Beim Neonazi-Festival “Fest der Völker” 2008 in Altenburg fungierte er als Ordner. Am 14. Mai 2011 nahm Oehme an einem Naziaufmarsch in Berlin-Kreuzberg unter dem Motto “Wahrheit macht frei” teil – eine Anspielung auf den zynischen Schriftzug “Arbeit macht frei” an den Toren nationalsozialistischer Vernichtungslager. Andere Neonazis griffen währenddessen Gegendemonstranten an.

Im Sommer 2011 reise Oehme zusammen mit weiteren regionalen Neonazis – darunter Robert Böttger, Marco Starke, Tobias Strobelt und Manuel Tripp – nach Italien, um dort Vertreter der faschistischen “Casa Pound”-Bewegung zu treffen. Auch in NPD-Strukturen scheint Oehme eingebunden zu sein. So nahmen Sebastian Oehme und Manuel Tripp am 12. Januar 2013 am sächsischen NPD-Landesparteitag, der aus Platzmangel als reines Delegiertentreffen stattfand, teil. Der Geithainer Pit Kießling durfte dort offenbar den Parkplatzeinweiser spielen.

In den Morgenstunden des 26. August 2015 warf ein bislang unbekannter Mann einen Molotow-Cocktail in ein Haus in Leipzig. Das Gebäude in der Sommerfelder Straße 36 sollte am selben Tag als Unterkunft für Geflüchtete eröffnet werden. Sowohl der Zeitpunkt als auch die Tatsache, dass die Tat nur aufgrund der angekippten Fenster so möglich war, sprechen für die Beteiligung von Anwohnern. Im gegenüberliegenden Gebäude wohnten damals Sebastian Oehme und seine Freundin, die überzeugte Nationalsozialistin Lisa Hanf. Klarheit könnte hier ein Schriftvergleich sammeln – eine Botschaft am Gebäude stammt mutmaßlich vom Brandstifter.

Manuel Tripp, Paul Rzehaczek, Pit Kießling und Sebastian Oehme am 12. Januar 2013 beim Landesparteitag der NPD Sachsen. Foto: Pixelarchiv.
Neonazis beim Europakongress der NPD-Jugendorganisation JN am 22. März 2014 in Kirchheim bei Erfurt: Sebastian Hempfler, Lisa Hanf, Sebastian Oehme, Ronny Schütze. Foto: Pixelarchiv.
Brandanschlag auf geplante Unterkunft für Geflüchtete in Leipzig am 26. August 2015 mit Schriftzug “Wir sagen nein!”

Andreas Hübner und Luca Hübner

Andreas Hübner ist der Bruder des Amokläufers Uwe Hübner. Dieser drang am 8. Juli 2009, einen Tag nach seiner Scheidung, in das Haus des neuen Freundes seiner Ex-Frau in Geithain ein und eröffnete mit einer Pumpgun, einer Kalaschnikow und einer Pistole das Feuer. Nur ihrer schnellen Reaktion war es zu verdanken, dass Uwe Hübner schlussendlich nur sich selbst tötete. Ob die Herkunft der automatischen Schusswaffe jemals geklärt wurde oder der Schützenverein, in dem Uwe Hübner Mitglied war, unter die Lupe genommen wurde, ist nicht bekannt. Die einzige digitale Spur dieser Tat ist ein kurzer Artikel in der “BILD”.

Screenshot des Artikels “Pumpgun-Amok!” auf bild.de, 10. Juli 2009.

Andreas Hübners 1995 geborener Sohn Luca Noah Hübner ist seit seiner Jugend als Neonazi bekannt. Er wirkte an mehreren Nazikundgebungen in Geithain mit und besucht Nazikonzerte, etwa am 28. Juni 2014 in Nienhagen (Sachsen-Anhalt). Seine eigene Band, zusammen mit den Neonazis Marcel Beyer und Steffen Koth, hieß einst “Deportation”.

Am 9. Februar 2019 nahm Luca Hübner am “Ausbruch-Marsch” in Budapest teil – einem Gedenkmarsch für Soldaten der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS, an dem sich jährlich Hunderte Neonazis beteiligen, teils in SS-Uniformen.

Luca Hübner im Jahr 2011 bei meinVZ: “Europa-Juden-Deportation”
Besucher des Nazikonzerts am 28. Juni 2014 in Nienhagen: Luca Hübner (mit T-Shirt “NSHC” – “National Socialist Hardcore”) und Tom Kratz aus Geithain. Foto: Pixelarchiv.
Mittig Luca Hübner beim “Ausbruch-Marsch” 2019. Foto: Pixelarchiv.

Eine Spur ins Rathaus

Während Tripps braunes Bündnis für den Stadtrat kandidiert, sitzt im Geithainer Rathaus eine weitere Person mit einschlägiger Vergangenheit: Stephanie Steinbach ist Sachgebietsleiterin bei der Geithainer Stadtverwaltung. Eingestellt wurde sie offenbar im Sommer 2018, während der Amtszeit des seit 2015 amtierenden Bürgermeisters Frank Rudolph.

Steinbach nahm am 13. August 2011 an der von NPD und “Freiem Netz” organisierten Kundgebung “Tag der Identität” im Geithainer Henning-Frenzel-Stadion teil. Ein Foto zeigt sie an einem Tisch mit dem Thüringer NPD-Politiker und “Hammerskin” Dirk Bertram und den Altenburger Neonazis Nadine Ruppenstein und Enrico Behling. Auf dem Shirt des letztgenannten prangt ein angedeutetes Hakenkreuz. Stephanie Steinbach selbst trägt ein T-Shirt, das seinerzeit im Umfeld des “Freien Netz Geithain” verbreitet wurde.

Am 6. Oktober 2011 beteiligte sich Stephanie Steinbach an einer NPD-Kundgebung vor dem Geithainer Bürgerhaus unter dem Motto “Gegen die unreflektierte Akzeptanz der Demokraten”. Die von Manuel Tripp angemeldete Kundgebung richtete sich gegen eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und verwendete vermeintlich satirische Schilder und Spruchbänder.

Stephanie Steinbach, Dirk Bertram, Manuel Tripp, Nadine Ruppenstein und Enrico Behling am 13. August 2011 in Geithain. Foto: Pixelarchiv.
NPD-Kundgebung in Geithain am 6. Oktober 2011: Tom Dietrich (1.v.l.), Falk Wehnert (oranges T-Shirt), Luca Hübner (verdeckt), Stephanie Steinbach. Foto: Pixelarchiv.

Von rechter Gewalt und rechter Normalität

In den vergangenen zehn Jahren verübten Neonazis aus der 7000 Einwohner zählenden Kleinstadt Geithain zahlreiche Körperverletzungen, bedrohten und beleidigen Menschen und verbreiteten Propaganda. Ihre verbale und körperliche Gewalt trifft fast ausschließlich MigrantInnen und AntifaschistInnen. Das Dokumentationsportal “chronik.LE” listet seit 2006 über achtzig Ereignisse.

Darunter auch ein Sprengstoffanschlag mit einem selbstgebauten Sprengsatz auf die Pizzeria “Bollywood” in der Geithainer Innenstadt am 12. Mai 2012. Zuvor hatten Neonazis den Betreiber mehrfach rassistisch bedroht und sein Geschäft attackiert. Anklage wurde bislang nicht erhoben, eine Spur führt jedoch zum Geithainer Neonazi Pierre R. In der Nähe von dessen Wohnort am Geithainer Rosental war bereits 2010 eine selbstgebaute Blendgranate aus einem Magnesiumgemisch gefunden worden, berichteten damals die Antifa RGB und GAMMA 187 (Seite 3). Pierre R.s Schwester Josephine Rivier gehörte zum Umfeld des “Freien Netz Geithain”. Ihre Mutter soll Eigentümerin der Immobilie Chemnitzer Straße 50 gewesen sein, die damals als Treffpunkt der Geithainer Neonazi-Szene diente. Zwischenzeitlich wollten Manuel Tripp und der NPD-Landtagsabgeordnete Alexander Delle dort auch ein Bürgerbüro eröffnen.

An gewalttätigen Vorbildern hat es den Geithainer Neonazis nicht gefehlt. In der benachbarten Kleinstadt Kohren-Sahlis besaß der Rechtsterrorist Karl-Heinz Hoffmann (“Wehrsportgruppe Hoffmann”) jahrelang ein Rittergut. Auch Neonazis aus der Region packten dort an. Am 11. September 2010 organisierte Manuel Tripp einen Vortrag von Karl-Heinz Hoffmann im “Gasthof Zollwitz” nahe Colditz. Am selben Ort hatte Manuel Tripp am 9. Juli 2010 ein Konzert veranstaltet. Mit dessen Motto “Democrazy? Mosh it down!” brachte Tripp abermals seine Ablehnung der Demokratie zum Ausdruck.

Auch die gescheiterte neonazistische Terrorgruppe “Revolution Chemnitz” und die kriminelle Vereinigung “Sturm 34” hatten Verbindungen nach Geithain. An einem von Manuel Tripp angemeldeten Fackelmarsch am 25. November 2012 nahm etwa das mutmaßliche “Revolution Chemnitz”-Mitglied Maximilian Völkl teil. Aus dem “Sturm 34”-Milieu waren u.a. Mario Dietz und der Gewalttäter Pierre Nickl anwesend.

Der Neonazi Chris Müller aus Kohren-Sahlis zusammen mit Karl-Heinz Hoffmann. Screenshot: welt.de.
Neonazis auf einem Fackelmarsch am 25. November 2012 in Geithain: Maximilian Völkl, Tommy Fröhlich, Pierre Nickl, Andreas Hoffmann, Andreas Hässler. Foto: Pixelarchiv.

Bei ihren Versuchen, eine neonazistische Hegemonie aufzubauen, setzen Geithainer Neonazis auf bewährte Mittel: Musik, Jugendarbeit und gesellschaftliche Verankerung. So hätte es – neben Manuel Tripp – beinahe eine zweite neonazistische Rechtsanwältin in Geithain gegeben: Jennifer Stein aus Kohren-Sahlis gehörte zum Milieu des “Freien Netz Geithain” und studierte ab 2010 ebenfalls Jura an der Universität Leipzig – allerdings offenbar ohne den erwünschten Abschluss. Derzeit arbeitet sie als Rechtsanwaltsfachangestellte in Halle. Unter den Pseudonymen “Elfe” und “Valküre” verfasste sie auf der Webseite des “Freien Netzes Borna-Geithain” zahlreiche zustimmende Kommentare. Am 29. Mai 2010 nahm sie an einer Nazikundgebung in Colditz teil.

Neonazikundgebung am 29. Mai 2010 in Colditz: Andy oder Denny Krumbiegel, im Hintergrund Jessica Kakoschky und Josephine Rivier, mit Sonnenbrille Jennifer Stein. Foto: Recherche Ost.

Erwähnenswerte Nazibands, die der Region Geithain zuzuordnen sind, heißen “Death on Horizion”, “Illoyal” und “Projekt Irminsul”. Die Band “Illoyal”, deren Mitglieder der Naziszene zuzuordnen sind, probte um das Jahr 2010 herum regelmäßig im mittlerweile geschlossenen Jugendclub Roda in der Nachbargemeinde Frohburg.

Naziband “Illoyal” im Jahr 2009: Norman Dittmann, Stefan Kotschick, Danny Florczyk.
Naziband “Projekt Irminsul” aus Geithain im Jahr 2006: Pierre Schmitteck, Heiner Winkler, Jens Kretzschmar, Rico Semrau.

Auch im Jugendclub des Geithainer Ortsteils Syhra gehörten Neonazis zum Inventar. Offenbar deshalb wurde der selbstverwaltete Club, der unter der Obhut des Tischtennisvereins “SV Geithain” stand und sich in einem kommunalen Gebäude befand, Ende 2010 geschlossen. Daraufhin startete das “Freie Netz Geithain” eine Kampagne für den Erhalt des Jugendclubs, Manuel Tripp meldete mehrere Kundgebungen an. Einer der beiden Ansprechpartner des Jugendclubs, Pit Kießling, fiel ab 2011 als Teilnehmer von Naziveranstaltungen auf und Helfer der NPD auf (siehe oben).

Pit Kießling als Ansprechpartner des Jugendclubs Syhra. Screenshot: Webseite des Kreisjugendrings Leipziger Land, 2010.

Der einzige professionell betreute Jugendclub in Geithain, das Kinder- und Jugendhaus “R9”, wurde hingegen von Manuel Tripp als “linksextrem” und “Zeckenclub” diffamiert, das Gebäude und seine BesucherInnen oft von Neonazis angegriffen. Die Schließung des “R9” im Jahr 2016, ein Jahr nach Amtsantritt des neuen Bürgermeisters Frank Rudolph, dürfte daher ganz im Sinne der Geithainer Neonazis gewesen sein.

Diese Zustände möchte die “Freie Liste Geithain” fortführen, wenn sie in ihrem “Positionspapier” behauptet, dass ein städtischer Jugendclub nicht “erforderlich” sei und stattdessen “die bestehenden Angebote von Schulclub, Vereinen und Freizeitangeboten weitergeführt und erweitert werden” und das Vereinsleben gestärkt werden soll. Nicht-rechte Jugendliche denken dabei vermutlich an den Tautenhainer Karnevalsverein e.V., bei dem Geithainer Neonazis im Jahr 2009 mit einem Kapuzengewand des “Ku Klux Klan” auftraten (siehe Foto). Oder an den Tischtennisverein SV Geithain, der Neonazis den “Jugendclub Syhra” bot. Oder den Schützenverein, in dem Uwe Hübner Mitglied war. Oder an den Fußballverein Alemannia Geithain, bei dem man offenbar bereits im Vorraum mit Hitlergrüßen rechnen muss. Oder an Geithainer Kleingartenvereine wie “Frohe Zukunft e.V.”, deren langjähriger Jugendwart Sebastian G. gern mit Nazis zum Fußball fährt (hier am “Borna”-Banner ganz rechts), oder “Erholung e.V.”, in dessen Gartenkneipe “Petersilie” einst mehrere Naziveranstaltungen stattfinden konnten. Oder an das 825-jährige Stadtjubiläum im Jahr 2011, als die Stadt Geithain dem “Freien Netz Geithain” einen Stand auf dem Stadtfest genehmigte und Neonazis an prominenten Stellen des Festumzugs mitwirkten.

Geithainer Neonazis beim Tautenhainer Karnevalsverein e.V. im Jahr 2009: Benjamin Leuschel (links), Thomas Nawroth (rechts) und eine Person in einem Kapuzengewand des “Ku Klux Klan”. Der “KKK” hat in den Vereinigten Staaten zahlreiche rassistisch motivierte Morde verübt.
Hitlergruß vor Kindern im “Alemannentreff” des FSV Alemannia Geithain 1990 e.V. im Jahr 2014

Was in Geithain eingekehrt ist, ist keine Ruhe, sondern eine rechte Hegemonie.


Text zugesandt von: anonym