Bewaffnete Neonazis in der Göttinger Innenstadt: Was ist zu tun?

Gestern haben Neonazis, mit Eisenketten und Messern bewaffnet, Antifaschist*innen in der Innenstadt angegriffen. Im Vorfeld und direkt nach der Attacke bedrohten Jens Wilke, Jan Philipp Jaenecke, Marcus Harsch, Tim Wolk und Pascal Zintarra eine Familie vor ihrem Wohnhaus (zu den genauen Vorkommnissen siehe hier: https://linksunten.indymedia.org/de/node/196584). Dieses offensichtlich geplante Vorgehen zeigt eine neue Stufe der Eskalation im Vorgehen des „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“. Wir haben uns ein paar Gedanken dazu gemacht, warum dies passierte und was für Antifaschist*innen in Göttingen und in der Region zu tun ist. Wir knüpfen dabei an unsere Broschüre zum „Freundeskreis“ aus diesem Sommer an.

1. Der „Freundeskreis“ ist als politische Kraft krachend gescheitert. Bei den Kommunalwahlen errang man nicht ein einziges Mandat, trotz des intensiven Wahlkampfs. Auch intern sieht es schlecht aus: Vor allem Wilke hat es geschafft, im letzten Jahr mehr Leute zu verbrennen als für die Extreme Rechte zu gewinnen. Der Aderlass an Personen, die beim „Freundeskreis“ politisch aktiv waren und diesen inzwischen verließen, ist enorm. Inzwischen besteht er nur noch aus Wilke selbst, altbekannten Neonazis und Einzelpersonen wie Andreas Frees oder Leif Aron Scharnhorst, die sich in der neonazistischen Szene Südniedersachsens offensichtlich wohl fühlen und dort mit ihren antisemitischen Verschwörungstheorien und verbreiteten Gewaltfantasien – genau wie Wilke selbst – die passende politische Heimat gefunden haben.

2. Wilke und Co. haben auch nicht mehr den Anspruch, eine relevante politische Kraft zu werden. Ihnen geht es in ihrem gesamten Agieren nur noch um die körperliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner – Also mit all jenen Antifaschist*innen, denen es zu verdanken ist, dass der Freundeskreis nur noch eine neonazistische Kleinstgruppe unter vielen ist.

Es geht um die Rache für die damit verbundene Kränkung, als Verbreiter einer in schlaflosen Nächten herbeihalluzinierten „Wahrheit“ erfolgreich gestoppt worden zu sein. In dieser Rachsucht ist jedes Mittel recht, auch die Verwendung von potentiell tödlichen Waffen. Wer mit einem Messer bewaffnet eine körperliche Konfrontation sucht, hat immer eine Tötungsabsicht! Die Träger dieser Waffen sind Menschen wie Jaenecke oder Zintarra, die ohnehin nicht mehr viel zu verlieren haben: Jaenecke hat in seinem früheren studentischen Milieu so gut wie jeden Rückhalt, jeden sozialen Kontakt verloren – Neonazis wie Wilke sind die Letzten, die zu ihm stehen. Zintarra hat solch einen privaten Rückhalt schon vor Jahren eingebüßt; die Perspektive, endlich einmal strafen zu können, endlich einmal sich für Erniedrigungen im privaten und politischen Bereich zu rächen, ist wohl das letzte Grundgerüst seines Selbstbildes.

3. Wilke derweil stellt sich als armer Irrer heraus. Und genau das macht ihn gefährlich. Er ist offensichtlich des analytischen, selbstkritischen Denkens unfähig und zieht seinen „Kreuzzug“ gegen antifaschistische „Kinderteller“ kompromisslos durch. Dabei verprellt er nicht nur politische MitstreiterInnen, sondern zeigt auch wenig Empathie für die Lage seiner Familie. Wilke, dessen erstes politisches Credo „Familie – Heimat – Zukunft“ lautete, bis er sich mit den ebenfalls gescheiterten Alexander Kurth und David Köckert von Thügida/Wir lieben Sachsen zusammentat, scheint es egal zu sein, dass seine Ehe kriselt, dass sein Sohn in der Schule wegen seiner Aktivitäten gemobbt wird, dass sein Vater den Kontakt abgebrochen hat, dass es in seinem Job immer schlechter läuft.

Zur Erinnerung: Vor einem Jahr erschien Wilke noch als gestandener Familienvater, selbstständig, mit eigenem Haus. All dies setzt ein Mann Anfang Vierzig aufs Spiel – ganz nach seinem Motto „Sieg oder Spielabbruch“. Wilke scheint zu allem fähig.

4. Antifaschist*innen müssen sich selbst schützen. Auf die Polizei ist kein Verlass. Wer sichtbar bewaffnete Neonazis zum zweiten Mal vor dem Haus eines Kreistagsabgeordneten (!) zwecks Bedrohung vorfahren lässt, hat sich endgültig demaskiert. Die Polizei agiert, ganz gleich ob bewusst oder unbewusst, als politische Akteurin: Sie setzt eindeutig erkennbar verheerende Prioritäten bei der Strafverfolgung, wenn statt eines mit einem Messer bewaffneten Jaeneckes die verletzten Betroffenen ihre Personalien abgeben müssen.

5. Antifaschistischer Selbstschutz heißt nicht, sich auf einen Kampf „Mann gegen Mann“ einzulassen. Diese Ehreinforderung, die von Nazis wie Mario Messerschmidt erhoben wird (also von einem Gewalttäter, der mit einer Pumpgun auf eigene Bekannte schoss), ist Ausdruck eines neonazistischen Männlichkeitsbilds, für das die Bereitschaft zur physischen Verletzung oder gar Vernichtung menschlichen Lebens elementar ist. Auf Messer reagiert man nicht mit eigenen Messern, sondern ergreift Mittel, um sich und seine Genoss*innen in konkreten Auseinandersetzungen zu schützen. Gewalt gegen Personen ist ein leider notwendiges, aber soweit wie möglich das letzte Mittel im antifaschistischen Kampf. Unsere Stärke ist die politische Bekämpfung und die Aufklärung über extrem rechte und menschenfeindliche Strukturen, seien es die neonazistische Szene, seien es eine akademisch geprägte Neue Rechte, seien es religiöse FundamentalistInnen.

Der „Freundeskreis“ möchte mit aller Gewalt den Kampf auf Göttingens Straßen. Wir werden gemeinsam Wege finden, uns nicht auf einen Kampf zu ihren Bedingungen einzulassen. Es gab in Göttingens Vergangenheit zwei Tote infolge von neonazistischer Gewalt. Zwei Tote, die jetzt schon zu viele sind.

Gemeinsam gegen die Feinde der Menschheit! Für eine Gesellschaft der Solidarität, und nicht des Hasses!