Antikapitalismus beim Freundeskreis?

Im folgenden dokumentieren wir unseren Redebeitrag anlässlich der geplanten Kundgebung des Freundeskreises am 12.11.2016. Aufgrund meherer Blockaden und Gegenkundgebung konnte an diesem Tag jedoch verhindert werden, dass die Faschisten ihre rassistische und antisemitische Propaganda in Göttingen verbreiten konnten:

Unter dem Titel „Zinsknechtschaft brechen – Schluss mit Raubtierkapitalismus“ will der Freundeskreis um Jens Wilke heute in Göttingen demonstrieren. Schon der Name dieser Veranstaltung, diese propagierte angebliche Kapitalismuskritik nimmt ganz offen Bezug auf den historischen Nationalsozialismus und bedient antisemitische Ressentiments, die noch älter sind.

Der Begriff der Zinsknechtschaft zielt auf eine von Nazis herbeihalluzinierte Zweiteilung des Kapitalismus in ein „raffendes“ Kapital auf der einen und „schaffendes“ Kapital auf der anderen Seite. Während das schaffende Kapital in der Vorstellung der Nazis ehrlich, im Schweiße des eigenen Angesichts von ArbeiterInnen und Chefs, von Kfz-Mechanikern und Krankenpflegerin gleichermaßen wie von den Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen und Siemens erarbeitet wird, wird das „raffende“ Kapital parasitär vermehrt – von Bankern und Kapitalbesitzern, die ihr Geld an die gebeutelten Schaffer und Schafferinnen gegen Zins verleihen. Für Nazis ist der Zins, der für geliehenes Geld gezahlt werden muss, ein gewissermaßen arbeitsloses Einkommen, eine moralisch ungerechtfertigte Abpressung von Mehrwert.

Die simple Tatsache hingegen,

  • dass jeder von uns, der nicht im Besitz eines eigenen Betriebes, einer Firma oder teuren Geräten zur Herstellung irgendwelcher Produkte ist – die Kfz-Mechaniker, Krankenpflegerin und so weiter unter uns, sprich die überwiegende Mehrheit der Menschen – gezwungenermaßen seine Arbeitskraft an jemanden verkauft, der im Besitz eines eigenen Betriebes, einer Firma oder besagter Geräte ist,

  • dass wir mit den Produkten, die wir für hierbei für unsere Chefs herstellen, und den Dienstleistungen, die wir ausführen, nicht nur unseren Lohn produzieren, sondern auch genügend, damit unser Chef nicht nur alle weiteren Betriebskosten decken, sondern auch selber von unserer Arbeit leben kann,

  • sprich: dass unser Chef nichts anderes tut als den Mehrwert aus unserer Arbeit zu pressen,

– das leugnen die Nazis.

  • Dass dieser abgepresste Mehrwert auf das Gesamtprodukt wächst, je weniger wir für unsere Arbeit bekommen oder je mehr wir in einer bestimmten Zeit produzieren,

  • dass der Preis für das einzelne Produkt dabei jedoch zugeich sinkt

  • und dass dies geschieht aufgrund der notwendigen Konkurrenz zwischen den Unternehmern, die dasselbe Produkt anbieten,

– wird von den Nazis geleugnet.

Ebenso leugnen sie, dass jede Produktion im Kapitalismus eine innere Schranke hat. Wenn die Produktionssteigerungen anfangen mehr Arbeitsplätze zu fressen als neue zu schaffen, können die bisher realisierten Gewinne nicht mehr ausreichend rentabel in zusätzliche Produktion investiert werden. Es folgen verschlechterte Arbeitsbedingungen und Entlassungen, im großen Stil spricht man von Krise. Das überschüssige Geldkapital aber fließt auf die Finanzmärkte, wo man darauf wettet, dass in ungewisser Zukunft wieder gewinnbringend produziert wird.

Geschieht dies nicht, spricht man von einem Platzen der Finanzblase und die Krise weitet sich auch auf andere wirtschaftliche Bereiche aus. Anstatt aber dieser irrationalen Ökonomie, in der man produziert um zu verkaufen, um wieder zu produzieren um wieder zu verkaufen, die Schuld zu geben, glauben Nazis die Wurzel allen Übels in jenen gefunden zu haben, die nichts anderes tun, als was der Kapitalismus von ihnen verlangt: ihr Geld in Dinge zu investieren, die mehr Erfolg versprechen, als eine Produktion, die ihre innere Schranke erreicht hat.

Der sogenannte Antikapitalismus der Nazis ist aber nicht nur verkürzt. Er ist auch antisemitisch. Nazis glauben, dass Banker, dass das gesamte Finanzkapital jüdisch wäre. Das bringen sie zum Ausdruck, wenn sie von Ostküstenkapitalismus sprechen. Dies steht für sie synonym für das New Yorker Finanzwesen, die New Yorker Börse, welches ihrer Meinung nach von einer jüdischen Verschwörung regiert werde, um mit der Macht des Geldes, die Welt zu unterjochen. Das Finanzkapital erhält somit nicht nur eine vermeintlich ethnische Zuordnung, sondern wird auch geographisch außerhalb ihres geliebten Deutschlands angesiedelt.

Dieser Kniff erscheint praktisch für sie, denn so können sie so tun, als würden deutsche Banker nicht nach denselben Prinzipien handeln. So können sie ebenfalls so tun, als würde es keinen Unterschied zwischen ArbeiterInnen und Chefs geben. Und nicht zuletzt können sie so den Finanzmarkler Jens Wilke zu ihrem Anführer küren, der ansonsten durch seine beruflichen Tätigkeiten ganz wunderbar ins Feinbildprofil der Nazis passen würde.

Jens Wilke und seine nicht weniger schäbigen Freunde sind mit ihrer heutigen Kundgebung in der Tradition des NS-Regimes zu verorten. Sie sind miese Antisemiten, die versuchen den Menschen falsche Sündenböcke zu liefern für ein ökonomisches System, dass schon immer auf dem Verkauf der Arbeitskraft und damit auf der Ausbeutung von Menschen beruht hat.

Fallt nicht auf diese Rattenfänger herein! Sorgt mit uns dafür, dass wir sie dorthin jagen, wo sie hingehören – auf den Müllhaufen der Geschichte!

Leute wie Jens Wilke haben nicht verstanden, dass der Kapitalismus eine historisch gewachsene Gesellschaftsform ist, in der Warenproduktion und das daran geknüpfte soziale Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital zentral sind. Nicht diese gesellschaftlichen Verhältnisse seien das Problem am Kapitalismus, sondern lediglich die unsittliche Verwendung des Kapitals durch Feinde der Volksgemeinschaft.

Dass Wilke, der bekanntermaßen in betrügerische Geschäfte verwickelt ist, sich selbst nicht als Teil des Problems ansieht, ist bezeichnend für diese falsche Analyse.

Denn dieser als Kapitalismuskritik getarnte Antisemitismus steht allen, die für ein besseres Leben, gegen Ausbeutung und den Zwang zur Selbstverwertung und für eine emanzipatorische Gesellschaft kämpfen, feindlich gegenüber. Denn Kämpfe zwischen Klassen darf es laut Neonazis nicht geben, da diese der von ihnen ersehnten Volksgemeinschaft schaden würden.

Die Annahme es gäbe gutes und schlechtes Kapital verkennt die Tatsache, dass wirtschaftliche Interessen der westlichen Welt immer einem Expansionsdrang folgen, um neue Absatzmärkte und Steigerung der Produktivkraft zu schaffen. So verarmen große Teile der Weltbevölkerung, teilweise wird ihnen sogar ihre Existenzgrundlage genommen. Dass diese Menschen selbstverständlich ein Recht auf ein besseres Leben haben und dieses in den wohlhabenden Ländern Europas suchen, liegt auf der Hand.

Daher bedarf unsere Solidarität mit Geflüchteten immer auch einer radikalen Kapitalismuskritik, die mit einem solchen vermeintlichen Antikapitalismus von rechts jedoch nichts zu tun hat.