Zauberwort Zivilgesellschaft

Endet der „Aufstand der Anständigen“ mit der Wiederverstaatlichung des Kampfes gegen Rechts? Ein Sammelband diskutiert den Zustand der Zivilgesellschaft.

Der Zivilgesellschaft ist ein neues Buch gewidmet, das ihre linken KritikerInnen vorgelegt haben: 13 Jahre nach Beginn der Bundesprogramme gegen „Rechtsextremismus“ fragt der Sammelband „Der Sommer ist vorbei…“ nach der Entwicklung parastaatlicher Anti-Rechts-Initiativen seit dem „Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000.

Die im Buch wiederholt aufgestellte Diagnose einer „Verstaatlichung der Zivilgesellschaft“ bestätigt sich durch Tagespolitik: Eine gesonderte „Extremismusklausel“ wird es auf Bundesebene zwar nicht mehr geben. Doch der Tenor der Klausel wird künftig Bestandteil von Zuwendungsbescheiden an geförderte Träger sein. Sie müssen sicherstellen, „dass keine Steuergelder an extremistische Organisationen oder Personen gehen“. Im Zweifelsfall hilft der „Verfassungsschutz“, dessen Abschaffung ebenso wenig zu den Forderungen der Zivilgesellschaft gehört, wie sie sich gegen die fortwährenden „Versuche der Begrenzung, Kontrolle und Einhegung“ wehrt.


Infos zum Buch

  • Friedrich Burschel/Uwe Schubert/Gerd Wiegel (Hg.) (2014): Der Sommer ist vorbei… Vom „Aufstand der Anständigen“ zur „Extremismus-Klausel“. Beiträge zu 13 Jahren „Bundesprogramme gegen Rechts“, Münster: edition assemblage. – 152 Seiten, 16 Euro.

 


Zivilgesellschaft, die keine ist

Gerd Wiegel kommt daher in seinem fast programmatischen Beitrag zu dem Schluss, dass die Zivilgesellschaft ihrem Begriff nach schon aufgehört habe, Zivilgesellschaft zu sein, denn den Anspruch nach Selbständigkeit und Selbstorganisation hat sie fahren lassen. Wo sie noch auf Eigeninitiative optiert, ähnele sie umso mehr den „Forderungen des Neoliberalismus, kollektive Sicherungssysteme zugunsten der ‚Eigenverantwortung’ zu schleifen und das Ganze als Gewinn an Freiheit zu verkaufen.“ Umgekehrt sei es der fördermittelabhängigen „Projekte-Szene“ nicht gelungen, ein fortschrittliches Selbstbild durchzusetzen, geschweige denn zu formulieren. Das dazu nötige politische Selbstverständnis fehle nämlich vielen Projekten.

Die AutorInnen des Sammelbandes üben daran eine unterschiedlich weit reichende Kritik, ohne etwa im Falle von Beratungsangeboten für Opfer rechter Gewalt die „Bedeutung und Notwendigkeit dieser zumeist unspektakulären, oft mühsamen und lang andauernden Beratungs- und Unterstützungsarbeit“ (Heike Kleffner) in Abrede zu stellen. Nur ist nicht alles, was nützlich ist, auch politisch richtig, sondern oft durch Rückschritte wie einem „Verlust des diskursiven Einflusses“ erkauft – durchaus selbstverschuldet, weil die „politische Intervention in gesellschaftliche Verhältnisse“ zunehmend durch „strikt professionell begrenzte Sozialarbeit“ abgelöst würde.

Der Anti-Extremismus-Kampf frisst seine Kinder

Solche Diagnosen sind gar nicht neu, verlieren aber vor dem Hintergrund der Diskussionen um die „Extremismus-Klausel“ nichts an Aktualität. Die Herausgeber (Friedrich Burschel, Uwe Schubert, Gerd Wiegel) fragen demnach, ob die Bundesprogramme „dem Extremismus-Begriff erst zu seiner durchschlagenden Wirkmacht verholfen haben oder diese ihn im Diskurs über Nazis nur verfestigt haben“. Und wie immer man es wendet: Der mit vielen guten Absichten ausgestatteten Projekte-Szene ist es schließlich auf die Füße gefallen, sich auf einen Anti-Extremismus-Kampf eingelassen zu haben, der nun seine Kinder frisst – sofern die nicht Kompromisse eingehen, „die sie in der Zeit davor mit guten Gründen abgelehnt“ hätten.

Es ist nun nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dass die Zivilgesellschaft ihren linken Kritikern nicht antwortet. Dennoch wäre es erhellend gewesen, kritischen Reflexionen aus dieser Richtung mehr Platz einzuräumen. Der ist im Buch beschränkt auf ein Interview mit Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR). Wenn sie sagt, dass die zivilgesellschaftliche „Leidenschaft so weit geht, notfalls auch die ‚gebende Hand’ zu beißen“, dann ist das ermutigend. Aber nicht repräsentativ. Die Behauptung, es gebe „mittlerweile in ganz Deutschland so etwas wie eine funktionierende, kontinuierlich arbeitende und mobilisierungsfähige zivilgesellschaftliche Struktur“, dann ist das optimistisch. Aber für viele Landstriche wie auch gewisse Teile der „Struktur“ schlicht unzutreffend.

Zum Verständnis wichtig gewesen wäre freilich der Hinweis, dass die MBR – gerade, was die Ablehnung der „Extremismus-Klausel“ angeht – in einer komfortablen Lage ist: Die Verweigerung der Unterschrift führte nicht zum Ende des Projekts, sondern zum Wechsel in einen klauselfreien Geldtopf. Ein vergleichbares Vorgehen wäre in Sachsen, wo es eine landeseigene Klausel weiterhin geben wird, nicht möglich.

Sozialkritischer Anker fehlt

Das große Manko des Buches ist, dass es für die diskutierten Themen viel zu schmal ausfällt, manches daher zu Ungunsten einer adäquaten Darstellung nur angeschnitten werden kann. Gern hätte man mehr erfahren über längst kassierte, kritische Zivilgesellschafts-Projekte wie AMAL, die aber nur ganz am Rande vorkommen. Katrin Reimers Behauptung, die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl sei unter dem Eindruck der pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen zustande gekommen, stimmt bei näherer Betrachtung nicht, denn die nicht unwesentliche Initiative zum Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens gab es vor Lichtenhagen.

Auch Reimers Annahme, etliche Verbote von Organisationen der extremen Rechten in den 1990er Jahren hätten nicht viel gebracht, ist zu einfach, um wahr zu sein. Schlicht falsch ist die Behauptung, dass für die Verbote lediglich die Gewaltbereitschaft jener Gruppierungen, nicht aber deren Ideologie eine Rolle gespielt habe. Abgesehen davon ist Reimers Beitrag mit großem Gewinn zu lesen: Er verfolgt den Wechsel von einer täter- zu einer opferzentrierten (Jugend-) Arbeit und bemängelt das Fehlen eines „sozialkritischen Ankers“: „Selbst dort, wo, wie etwa angesichts der Mobilisierungsstrategien der NPD, eine Analyse von Prozessen der Ethnisierung der sozialen Frage offensichtlich notwendig erscheint, wird die kritische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus nicht als Anlass der Thematisierung der sozialen Frage genutzt.“ Dieser Aspekt hätte mehr Buchseiten beanspruchen sollen.

Politische Interventionen auf Sparflamme

Denn das scheint tatsächlich der Eckpunkt einer Kontroverse zu sein, die auszutragen offen bleibt. Heike Kleffner etwa weiß von gelungenen Zivilgesellschafts-Interventionen im kommunalen Raum und wählt als Beispiel Schneeberg – obwohl dort die Intervention aus expliziten Antifa-Zusammenhängen kam. Schneeberg dürfte eher ein Beispiel für die Kritik Reimers sein, Politiken der Ethnisierung nicht zu thematisieren. Mehr noch: Nachdem die jüngste rassistische Welle in Sachsen bereits ein Jahr anhält, gibt es aus der „heimischen“ Zivilgesellschaft überhaupt nichts, was mit viel gutem Willen als Situationsanalyse durchgehen könnte.

Hier ist Uwe Schubert recht zu geben: „Politische Interventionen, die den nach wie vor evidenten Zusammenhang zwischen Neonazis, staatlichem Rassismus und den rassistischen Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung thematisieren, sucht mensch vergebens.“ In folge eines Anpassungsprozesses seien die Projekte weitgehend mundtot gemacht worden und würden politische Stellungnahmen höchstens „in eigener Sache“ abgeben. Nur in Sachsen, da passiert nicht einmal mehr das.

Was hat das mit der DDR zu tun?

Norbert Madlochs abschließender Beitrag über „Nazis in Ostdeutschland vor und nach der Wende“ fällt aus der Systematik des Buches und ist leider in sich widersprüchlich, auch hier liegt das Problem in der Kürze: Dass ein verstärktes Aufkommen des „Rechtsextremismus“ in der DDR zeitlich zusammenfällt mit der „gesellschaftlichen Krise“ des Sozialismus stimmt zwar, es wäre aber nötig gewesen, den hier unterstellten Kausalzusammenhang wenigstens im Ansatz zu erklären. Dafür genügt der Hinweis auf „völkisch-nationalistische Denkweisen“, die auch in der DDR-Bevölkerung nie verschwunden waren, ganz und gar nicht: Warum sind diese Denkweisen gerade zu Beginn der 1980er Jahre wieder auf den Plan getreten, und warum waren deren Träger vor allem Jugendliche und Heranwachsende?

Was die Abschätzung der Tragweite damaliger Entwicklungen angeht, ist es übrigens unverständlich, sich nach wie vor auf Zahlen der Staatssicherheit zu stützen, wo doch Harry Waibel vor zwei Jahren mit dem Buch „Rassisten in Deutschland“ eine Materialsammlung vorgelegt hat, die als verlässlichere empirische Grundlage zu bevorzugen wäre.

Grenzen ziehen!

Vor dem Hintergrund des Buch-Titels ist das aber auch nicht entscheidend. Ein entscheidender Dissens dagegen – neben der Frage nach dem Grad an Entpolitisierung der Zivilgesellschaft – ist wieder nur versteckt zu finden: Welche Praxis-Perspektiven ergeben sich, wie kann und soll man künftig mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten? Während Klose eine „funktionale Aufgaben- und Arbeitsteilung“ als gegeben voraussetzt, wirbt Henning Obens für eine besser austarierte Kooperation und Uwe Schubert für einen „entspannten Umgang“. Es ist nur nicht klar, woher angesichts der teils weitgehenden Kritik dieser Pragmatismus kommt.

Wenn Klose auffordert, „Grenzen der Zumutbarkeit zu benennen, jenseits derer man vielleicht auch nicht mehr bereit ist, weiterzuarbeiten“, dann sollte man sie beim Wort nehmen: Sind solche Grenzen nicht längst erreicht – oder sind die Trends zu Entpolitisierung und Verstaatlichung noch steigerungsfähig? Ist angesichts solcher Tendenzen wirklich noch eine Zusammenarbeit anzustreben, ganz gleich, wie gut sie „austariert“ ist?

Das Buch zieht solche Schlüsse nicht, liefert aber wertvolle Anhaltspunkte für die künftige Diskussion. Sie könnte sich um die Frage drehen, ob nicht die Zivilgesellschaft selbst der passende Ort für eine radikale Intervention sein könnte. Und ob in einem Moment, in dem das nicht mehr fruchtet, ein bewusster Bruch die richtige, die politische Antwort wäre.


Text zugesandt von: anonym