Extremismus-Wikipedia floppt

Der sächsische „Verfassungsschutz“ hält nicht viel von Öffentlichkeit. Verständlich, denn das großspurig angekündigte und streng abgeschottete Projekt „KommunalWiki“ ist völlig verwaist.

Mit dem „KommunalWiki“ will das Landesamt für „Verfassungsschutz“ (LfV) Sachsen über „Extremismus“ informieren. Die Intranet-Plattform ist nur einem ausgewählten Benutzerkreis zugänglich, gedacht ist es für „Entscheidungsträger, Führungskräfte und Mitarbeiter von kommunaler und Landesverwaltung“. Wie nun aus diesen Kreisen bekannt wurde, ist das „KommunalWiki gegen Extremismus“ extrem leer.

So sind seit Start der Plattform Ende 2012 zwar Lagebilder für sämtliche sächsische Landkreise und die kreisfreien Städte abrufbar. Aber die sind wenig informativ und stammen sämtlich aus dem Frühjahr 2012, waren also von Anbeginn veraltet und wurden bisher nicht erneuert.

Keine Resonanz, kein Material

Das „KommunalWiki gegen Extremismus“ war im Dezember 2012 mit viel Brimborium gestartet. Dort werde künftig „wie beim bekannten Wikipedia-Portal“ ein „Austausch und die Diskussion unter den Nutzern“ möglich sein, hieß es in einer vielversprechenden Pressemitteilung des LfV. Im Gegensatz zu den mehr als anderthalb Millionen Wikipedia-Seiten bietet der sächsische Bereich des KommunalWiki lediglich zwei: Die eine präsentiert äußerst karge „Informationen zum Extremismus im Freistaat Sachsen“. Die andere benennt „Bündnisse und Netzwerke“. Dort empfiehlt das LfV sich selbst, den Landespräventionsrat sowie das Zivilgesellschafts-Netzwerk „Tolerantes Sachsen“.

Nicht nur das Angebot des KommunalWiki, sondern auch die Resonanz ist mau – „Austausch und Diskussionen“ finden gar nicht statt. „Regelmäßig aktualisierte Informationen“ fehlen ebenso wie „konkrete Strategien und Handlungsvorschläge“. Letzte Aktualisierung: April 2013. Ursprünglich wollte das LfV sukzessive Leitfäden für eine Vielzahl von Themen zugänglich machen.

Bis heute ist aber nur eine einzige neue „Handreichung“ eingepflegt worden. Thema der Ausarbeitung: „verwaltungsbehördliche Prüfung extremistischer Szeneobjekte“. Allerdings stammt der Text gar nicht vom LfV, sondern von der Landesdirektion, und war Anfang 2013 in der Verbandszeitschrift des sächsischen Städte- und Gemeindetages veröffentlicht worden. Die achtseitige Abhandlung empfiehlt Behörden, bei Locations unter „Extremismus“-Verdacht besonders penibel die Einhaltung von Rechtsvorschriften zu prüfen. Banaler ging’s nicht.

Öffentlichkeitsarbeit ohne Öffentlichkeit

Die seit Anfang 2012 vorbereitete Einführung des KommunalWiki in Sachsen, an dem sich auch Brandenburg und Nordrhein-Westfalen beteiligen, ist Bestandteil des „Philosophiewechsels“ des sächsischen LfV und damit eine Reaktion auf das Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“. Derzeit beschäftigt sich noch ein Untersuchungsausschuss im Sächsischen Landtag unter anderem mit der Frage, warum das LfV Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht gefunden hat, obwohl deren anfänglicher Aufenthalt in Chemnitz bekannt war.

So observierte das LfV im Jahr 2000 bei seiner „Operation Terzett“ mehrfach örtliche Neonazis, die das „Trio“ nach heutigem Wissen tatsächlich unterstützt hatten. Im Mai 2000 fertigte der Geheimdienst vor dem Wohnhaus der mutmaßlichen NSU-Helferin Mandy Struck gar ein Foto, das nach damaliger Einschätzung mit hoher Wahrscheinlichkeit Uwe Böhnhardt zeigte. Doch zu einem Zugriff kam es nie, die Suchmaßnahmen endeten abrupt. Bislang gibt es keine schlüssige Erklärung.

Dafür aber kosmetische Maßnahmen bei der verantwortlichen Behörde. Anlässlich des Starts des KommunalWiki hatte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) der Leipziger Volkszeitung gesagt, das Landesamt wolle künftig als „Nachrichten-Dienstleister und Ansprechpartner für Kommunen“ wahrgenommen werden, gemeinsam wolle man „Arbeit für die Heimat und gegen deren Feinde“ leisten. Eine so genannte „Expertenkommission“, die Reformvorschläge für das LfV prüfen sollte, war in ihrem Bericht vom Februar 2013 gar zu dem Schluss gekommen, dass die Einrichtung des KommunalWiki „der richtige Weg“ im Bereich „Prävention und Öffentlichkeitsarbeit“ sei. Trotz dass oder gerade weil daran nichts öffentlich ist?

Unnütz und veraltet

Für die Plattform zuständig ist das beim LfV angesiedelte „Forum starke Demokratie“ (FsD), das bereits seit Mitte 2011 Schulungsveranstaltungen zum „Extremismus“ durchführt. Doch diese Vorträge sind genau so intern wie das KommunalWiki. Zur Begründung wird angegeben, dass „der Informationsaustausch, der Maßnahmen gegen extremistische Erscheinungsformen im Freistaat Sachsen unterstützt, ein interner Vorgang öffentlicher Stellen ist.“ Ebenso plausibel ist die Annahme, dass sich das LfV öffentlicher Kritik entziehen will.

Im Hinblick auf das peinliche Verwaisen des KommunalWiki erscheint das nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar ist, warum in der Vergangenheit zivilgesellschaftliche Institutionen wie das „Kulturbüro“ für FsD-Vorträge ReferentInnen zur Verfügung gestellt und sich damit dem „Verfassungsschutz“ angedient haben. Denn die Fehlleistungen des LfV sind weder neu, noch beendet. Erst vor wenigen Tagen hat die Spitzelbehörde einen „Internetatlas 2013“ vorgestellt, der einen „Überblick über die gegenwärtigen rechtsextremistischen Bestrebungen im Internet“ bieten und „sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Öffentliche Hand bei ihrem Kampf gegen den Rechtsextremismus unterstützen“ soll.

Auch hier hält sich der Gebrauchswert in Grenzen. Die größtenteils NPD-gesteuerten rassistischen „Bürgerinitiativen“, die sich etwa auf Facebook vernetzen, kommen gar nicht vor. Etliche der aufgeführten Websites werden dagegen nicht mehr genutzt oder sind längst offline. Ohnehin ist der „neue“ Internetatlas mit seinen „gegenwärtigen“ Informationen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits ein halbes Jahr alt.

Dienstliche Verdachtsfälle

Noch älter sind die im KommunalWiki angebotenen regionalspezifischen „Lagebilder“. Sie sind alle nur etwa ein halbes Dutzend Seiten lang. Geheiminformationen enthalten sie nicht, sollen aber nur einer „dienstlichen Verwendung“ zukommen. Bei der Lektüre erschließt sich sofort, warum das LfV eine Verbreitung verhindern möchte: Entgegen dem rechtlichen Rahmen werden „Verdachtsfälle“ nicht getrennt aufgeführt, sondern im Zweifel für „extremistisch“ erklärt.

Im “Lagebild Rechts- und Linksextremismus für für die Stadt Leipzig” (Dopplung im Original) heißt es etwa:

  • „Die Leipziger Szene ist überwiegend antideutsch ausgerichtet. Zu den Gruppierungen zählen der ANTIFASCHISTISCHE FRAUENBLOCK LEIPZIG (AFBL), das BÜNDNIS GEGEN ANTISEMITISMUS LEIPZIG (BGAL) , die ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) und die LEIPZIGER ANTIFA (LeA).“

Leipzigs Niveau

Das ist erstaunlich. Denn in den jüngsten Jahresberichten des LfV war das BGAL überhaupt nicht und das AFBL zuletzt 2009 aufgetaucht. Begründungen für diese unerwarteten Verrufserklärungen werden nicht angegeben. Ansonsten ist in der Messestadt alles beim Alten: Mit 300 bis 400 „Rechtsextremisten“ und 200 bis 250 „Linksextremisten“ nehme Leipzig im landesweiten Vergleich eine Spitzenposition ein.

Für bemerkenswert halten die Schlapphüte übrigens, dass die hiesige radikale Linke die Landeshauptstadt locker aussticht, weil die Leipziger Szene „über eine breitere personelle und strukturelle Basis“ und durch eine „kleinteilige Struktur“ vieler Gruppen über ein „höheres Aktionsniveau“ verfüge.

Auch das ist erstaunlich, denn wenn etwas im KommunalWiki deplatziert ist, dann doch wohl das Wort: Niveau.


Text eingesandt von: Rotes Datenschutzkommando