Partner: Staat

Die neue Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) will die Extremismusklausel ihrer Vorgängerin Kristina Schröder (CDU) abschaffen. Das ist allerdings kein Sieg der Zivilgesellschaft, sondern Zeugnis ihrer Niederlage – gerade in Sachsen.

Die Amadeu-Antonio-Stiftung jubiliert schon: Dank dieses “Meilensteins” (!) der Großen Koalition “können zivilgesellschaftliche Initiativen und Staat zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zurückkehren”, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Staatstreue, die mittels Extremismusklausel erzwungen werden sollte, bietet die heutige Zivilgesellschaft künftig zum Nulltarif an.

Auch das Kulturbüro Sachsen lobt, “dass die Forderungen der Zivilgesellschaft nach einer langfristigen Sicherung der Programme gegen Rechts auf der Agenda der neuen Bundesregierung angekommen sind.” Es muss sich um ein Missverständnis handeln. Denn als Indiz verweist das Kulturbüro zwar auf einen Passus im Koalitionsvertrag. Dort ist aber nirgends von Programmen gegen Rechts, sondern immerzu von einem gemeinsamen “Einsatz für Demokratie und gegen Extremismus” die Rede – natürlich im Interesse “unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung”.

Im Geist der Klausel

Dass Initiativen wie das Kulturbüro Sachsen den Tenor der Extremismusklausel selbstbewusst übernehmen, führt vor, warum sie obsolet geworden ist: Sie hat sich restlos durchgesetzt. Denn wer sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt, wie sie nicht einmal im Grundgesetz, sondern im Programm einer Regierung aufgeschrieben steht, muss sich mangelnde Staatstreue nicht mehr nachsagen lassen. Das gilt nicht nur für das Kulturbüro selbst, sondern auch die von ihm betriebenen Mobilen Beratungsteams.

Die MBTs sind neben der Opferberatung der RAA Sachsen eine zentrale Beratungsstruktur gegen die extreme Rechte im Freistaat, von der vor allem die Opfer rechter Gewalt profitieren sollen. Zu den Qualitätsstandards der fraglos wertvollen Beratungsarbeit gehört die unbedingte Parteilichkeit zugunsten der Opfer. Das Statement des Kulturbüros unterstreicht jedoch, dass diese Loyalität künftig geteilt sein wird. Sie gilt nämlich zugleich denen, die seit je die Zahl der Opfer rechter Gewalt systematisch herunterrechnen, die das Problem – Nazis – nach wie vor und trotz NSU nicht beim Namen nennen und keine Kritik am institutionellen Rassismus hören wollen.

Zusammenarbeit mit dem “Verfassungsschutz”

Nun lädt das Kulturbüro zwar im Februar zu einer Tagung zum Thema “Institutioneller Rassismus in Sachsen” ein. Es ist allerdings ein zweifelhafter Spagat, wie auch im Falle einer Kulturbüro-Tagung im vergangenen Jahr zur Kritik des Verfassungsschutzes. Denn gegen die bessere Einsicht hatte das Kulturbüro schon im Jahr 2011 ReferentInnen ausgerechnet zu einer Veranstaltungsreihe des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) geschickt.

Es ging dabei keineswegs um eine Kritik des “Verfassungsschutzes”, sondern den “Umgang mit rechtsextremistischen Mandatsträgern in Kommunalvertretungen”. Ein wichtiges Thema. In einem Tätigkeitsbericht legt das LfV nach, dass es sich faktisch um eine nicht-öffentliche Fortbildung für Polizei- und andere Landesbedienstete gehandelt habe und es um die Verteidigung der “Konzeption der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und Aufgaben des Verfassungsschutzes” gegangen sei. Das Kulturbüro hat bisher keine Stellung zu seinem Pro-Geheimdienst-Engagement genommen.

FdGO heißt: Schweigen

Um schieren Opportunismus gegenüber den Finanziers der Zivilgesellschaft kann es sich bei solchen Episoden nicht handeln, denn der Fortbestand der Beratungslandschaft steht Jahr um Jahr auf der Kippe, trotz allen Anbiederns. So wurde beispielsweise den Teams der RAA Sachsen Mitte 2012 gekündigt – die dringend nötigen Fördermittel standen zwar in Aussicht, allerdings lagen das sächsische Innen- und Sozialministerium über die Modalitäten der Auszahlung im Clinch. Erst nach mehr als zwei Monaten floss die Förderung dann doch.

Öffentlich wurde der Vorgang, der beinahe der Opferberatung der RAA Sachsen den garaus gemacht hätte, nicht thematisiert. Der betroffene Träger und die RAA-Projektleitung gaben nicht einmal eine Pressemitteilung heraus. Unter dem Deckel gehalten wurde seitdem auch, dass längst feststand, dass im neuen Landeshaushalt die vorgesehenen Fördermittel auf genau Null Euro abgesenkt werden – und damit das Ende der Beratung für Opfer rechter Gewalt ein weiteres Mal auf lange Sicht vorprogrammiert war.

RAA-Opferberatung beinahe abgeräumt

Zwar hatte die sächsische Landesregierung beteuert, infolge des NSU die Zivilgesellschafts-Landschaft besser zu unterstützen. Aber vom üblichen Gießkannen-Prinzip profitierte am ehesten die Freiwillige Feuerwehr. Projekte wie die Opferberatung der RAA Sachsen blieben dagegen – zumal die Landesförderung an genau so vage Bundesmittel geknüpft ist – außen vor. Statt auf diesen krassen Widerspruch hinzuweisen, wurde die Situation mehr als ein Jahr lang eisern beschwiegen. Unklar ist, ob es einen Maulkorb gab. Die Projektleitung verhielt sich aber so.

Währenddessen erhielten die RAA-MitarbeiterInnen ein weiteres Mal die Kündigung. Erst Anfang November 2013 und damit viel zu spät wurde die prekäre Lage durch eine Pressekonferenz öffentlich gemacht. Dass vor kurzem dann doch Mittel für das Jahr 2014 frei wurden und die MitarbeiterInnen ihre Jobs – vorläufig – behalten, war sicher nicht dem öffentlichen Druck geschuldet, den aufzubauen offenbar nie der Plan war. Es war schlicht ein Glücksfall.

Abschied vom Politischen

Derart bleibt die Zivilgesellschaft in Sachsen auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen des Staates ausgeliefert. Die materielle Abhängigkeit wirkt hier vielleicht nachhaltiger als eine Disziplinierung durch die Extremismusklausel. Das hausgemachte Problem besteht darin, dass die Zivilgesellschaft in Sachsen beides akzeptiert und damit jeglichen politischen Standpunkt zugunsten der “partnerschaftlichen Zusammenarbeit” aufgegeben hat.

Offene Kritik daran war stets die Ausnahme und beschränkte sich zumeist auf ansonsten folgenlose Solidaritäts-Bekundungen mit der Entscheidung des Akubiz, das vor drei Jahren einen gut dotierten “Demokratiepreis” wegen der Klausel abgelehnt hatte. Das war die mutige Ausnahme. Gegenwehr gegen die landeseigene Sachsen-Klausel ist derzeit aber nicht zu verzeichnen. Und es gilt als unwahrscheinlich, dass die hiesige Zivilgesellschaft irgendwelche Einwände erheben wird, wenn sich die Ressortzuständigkeiten in Bund und Land zugunsten der Innenministerien verschieben wird, hin zu einem Ressort, in dem Manuela Schwesig nichts zu melden hat.

SPD statt Gramsci?

Die zivilgesellschaftliche Freude an Schwesigs Bekenntnis gegen die Klausel dürfte sich schließlich eher daraus speisen, dass die Ministerin jener Regierungspartei angehört, der sich ein erheblicher Teil der sächsischen ZivilgesellschafterInnen verpflichtet sieht. Ein anderer Teil der sächsischen Zivilgesellschaft ist grün. Das hat historische Gründe, denn die Zivilgesellschaft, wie sie heute verstanden wird, war ein rot-grünes Projekt und Ausfluss des “Antifa-Sommers”.

Wie das ausgehen würde, hat das Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR) schon im Jahr 2001 treffend skizziert: “Zivilgesellschaft, das ist gelebte Demokratie, die die herrschende Verwaltung nicht stört, sondern entlastet.” Darüber gibt es heute keine Diskussion mehr und schon gar keine Selbstkritik aus Richtung der Zivilgesellschaft. Sie müsste dafür wieder politisch werden und sich endlich vor Gramscis Spiegel stellen, an den das BgR erinnert hat: Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang.


Text eingesandt von: Florentine

Mit dem Thema Zivilgesellschaft setzte sich das vielleicht meistgehasste Flugblatt 2013 am Beispiel des NDC auseinander: Keinen Cent für’s NDC!