Repression im Zusammenhang mit einer antifaschistischen Gedenkdemonstration

Auszug aus der "Handreichung für Flüchtlingshelferinnen und -helfer" des Bundesamts für Verfassungsschutz, August 2016

Vor einigen Tagen sorgte ein Ausschnitt aus einer Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsschutz, “Wie erkenne ich extremistische und geheimdienstliche Aktivitäten? Eine Handreichung für Flüchtlingshelferinnen und -helfer”, mit einem Abschnitt zu den “Absichten von Linksextremisten” für Empörung. Dabei könnte auch das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz textlicher Ideengeber sein, wie ein Beispiel aus Leipzig zeigt. Hier wird seit mehreren Jahren eine antirassistische und antifaschistische Gedenkdemonstration durch die Behörde kriminalisiert.

Seit 2010 erinnert der “Initiativkreis Antirassismus” und seit 2012 die Gruppe “Rassismus tötet!” Leipzig an den Mord an Kamal K. und alle weitere Opfer rechter Gewalt. Auch an diesem Wochenende wird es eine Gedenkdemonstration in Leipzig geben.

Im Rahmen der Demonstration wird auch auf die Rolle staatlicher Stellen wie der sächsischen Polizei und ihrer Verstrickung in rechte Strukturen im Bereich eines rechten Mordes eingegangen. Das Verhalten der Polizei und der familiäre Bezug von einem der Täter ist bis heute nur unzureichend aufgeklärt.

Während der sächsische Verfassungsschutz den Mord an Kamal K. in Leipzig in seinen Berichten im Jahre 2010 und 2011 nicht einmal erwähnte, wird seit 2013 die Gedenkdemonstration regelmäßig im Bereich “Linksextremismus” thematisiert, ohne dabei die Bezeichnung “Rassismus” in Bezug auf den Mord zu verwenden. Dabei hatte selbst das Gericht in seinem Urteil den Mord als rassistisch motiviert bezeichnet. Besonders ist dies, da die Leipziger Staatsanwaltschaft bis heute diese Position nicht teilt.

So thematisierte das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz in seinen Jahresberichten immer drastischer und umfangreicher die jährliche Demonstration in Leipzig:

2013

  • Vor allem während einer Demonstration einer nicht extremistischen Leipziger Initiative am 26. Oktober unterstrichen beteiligte Linksextremisten mit szenetypischen Parolen wie “Nie nie nie wieder Deutschland”, “Staat-Nation-Kapital! Scheiße!” ihr “Feindbild Staat”. Linksextremistische Teilnehmer nutzten die Veranstaltung, um gegen die Bundesrepublik Deutschland zu agitieren und auf den ihrer Meinung nach in der Gesellschaft verankerten Rassismus aufmerksam zu machen, den es zu beseitigen gelte.

    So hieß es: “Solidarität muss praktisch werden – Feuer und Flamme den Abschiebebehörden” sowie “Nazis morden, der Staat schiebt ab! Das ist das gleiche Rassistenpack”. Darüber hinaus gab es auch Korruptionsvorwürfe gegen den Staat und gewaltbefürwortende Äußerungen. Dass sich niemand davon distanzierte weist darauf hin, dass zumindest ein Teil der Teilnehmer das Feindbild Staat, dem ausschließlich negative Eigenschaften zugeschrieben werden, angenommen hat. Ein Verhalten mit Brisanz, denn die Strukturen des Feindbildes von Extremisten zementieren sich, wenn diese auch in demokratischen Kreisen Unterstützung finden. Ebenso könnten dadurch Teilnehmer außerhalb des linksextremistischen Spektrums Gewalt zumindest tolerieren.

2014

  • Im Zusammenhang mit Demonstrationen mit nicht extremistischen Gruppierungen änderte die autonome Szene Leipzig im Berichtsjahr erstmals ihre Taktik. Anlässlich des 4. Jahrestages des ausländerfeindlich motivierten Mordes an Kamal K. beteiligten sich Linksextremisten am 25. Oktober 2014 an der Demonstration “Erinnern heißt kämpfen! Gegen jeden Rassismus! In Gedenken an Kamal K.”.

    Im Gegensatz zu den Vorjahren bildeten sie innerhalb des Demonstrationszuges einen, auch räumlich getrennten, eigenen “schwarzen Block”. Dass es diesem Teilnehmerkreis nicht vorrangig um das Gedenken ging, sondern um eine Positionierung gegen den demokratischen Rechtsstaat, zeigte sich auch an der Parole “Organisiert den Vaterlandsverrat – Feuer und Flamme jedem Staat”. Damit gelang es, zumindest optisch den Eindruck zu erwecken, einen eigenen kleinen Aufzug durchzuführen. Zwar wollte man sich im Wesentlichen mit dem Ziel der Demonstration identifizieren, aber dennoch auch als eigenständige Gruppe wahrgenommen werden und eigene Inhalte artikulieren.

2015

  • Die Absicht der Linksextremisten, das Thema Asyl mit einer umfassenden Gesellschaftskritik zu verbinden und die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates zu begründen, zeigt sich deutlich in einem Aufruf für eine Demonstration am 24. Oktober 2015 in Leipzig.

    Der Anlass für die Demonstration war der fünfte Jahrestag des ausländerfeindlich motivierten Mordes an Kamal K. in Leipzig. Der gebürtige Iraker war am 24. Oktober 2010 in Leipzig ermordet worden. Seitdem nehmen Linksextremisten dieses Ereignis zum Anlass, um in der Öffentlichkeit gegen den demokratischen Rechtsstaat zu agitieren, wobei den Behörden bei der Aufklärung des Tötungsdeliktes Versagen vorgeworfen wird.

    Im Aufruf zu dieser Demonstration wurde eine umfassende Gesellschaftskritik aus linksextremistischer Perspektive publiziert. Unter der Überschrift “LEIPZIG TÖTET!” wurden alle Tötungsdelikte explizit aufgeführt, die zwischen 1990 und 2015 in Leipzig begangen wurden, und bei denen die Verfasser davon ausgehen, dass die Betroffenen einerseits ausnahmslos Opfer “rechter” Gewalt seien. Andererseits stellten sie aber fest: “Dass jedoch hinter einer rechten Gewalttat bzw. rechts-motivierten Mord nicht per se organisierte Neonazis oder Menschen mit neonazistischen Einstellungen stehen müssen (…).” Die Ursache dafür sehen sie in den gesellschaftlichen Verhältnissen, da – so argumentieren die Autoren – die Morde “lediglich ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände [seien], jener also, die solche Morde erst möglich machen.” Das sehen sie als eine Konstante an, die schließlich unter der Überschrift “SACHSEN TÖTET! DEUTSCHLAND AUCH!” fortgesetzt wird.

    In ihre Argumentation bezogen die Verfasser auch die aktuellen Debatten um die Asylpolitik der Bundesregierung mit ein. Dabei gingen sie deutlich auf Distanz zu jenen bürgerlichen Kräften, die um eine Entschärfung des Konflikts und um Dialog mit asylkritischen Demonstranten bemüht sind. So hieß es: “Fast täglich finden sich alleine in Sachsen tausende Rassist_innen an vielen Orten zusammen, um ihr so genanntes ‚deutsches Abendland‘ völkisch weiß und ‚ausländerfrei‘ zu halten. Verständnis und Unterstützung für ihre Forderungen erhalten sie dabei von Politik, Kultur, Kirche und Medien.” Die Schlussfolgerung die daraus gezogen wurde: “TOLERANZ TÖTET!”.

    Zu jenen, die durch ihre Toleranz ein “Töten” ermöglichen, gehören aus Sicht der Autoren aber auch linke Kräfte. Denn, so hieß es weiter: “Dazu gehört aber auch eine linke oder antirassistische Szene/Bewegung, die all die Widersprüche in dieser Gesellschaft aushält und erträgt.” Dieser wird unterstellt, dass es ihnen nicht um Solidarität mit Flüchtlingen gehe, sondern nur um das Ansehen einer Stadt oder des Landes, da sie “(…) zusammen mit Rassist_innen und Politiker_innen aller Parteien‚ Willkommensfeste‘ feiere, um am Image des ‚freundlichen‘ und ‚weltoffenen Deutschland‘ zu basteln (…).”

    Zusammengefasst besitzt das Thema Asyl für Linksextremisten somit folgende Funktionen:

    • Es ermöglicht Linksextremisten, sowohl gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten (Asylgegner) als auch gegen Personen und Institutionen des politischen Systems vorzugehen, die in die Asylpolitik involviert oder mit der Unterbringung von Asylbewerbern betraut sind.
    • Es ermöglicht Linksextremisten, mit eigenen Positionen zum Thema Asyl den demokratischen Rechtsstaat zu delegitimieren und ihn als “rassistisch” und faschistisch” zu diffamieren.
    • Es ermöglicht Linksextremisten, Koalitionen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren einzugehen. Insofern besitzt es eine Brückenfunktion. Die Bündnisse zwischen diesen beiden Lagern können dazu führen, dass linksextremistische Positionen zu diesem Thema zunehmend gesellschaftliche Akzeptanz finden.


Text zugesandt von: Initiative “Erinnern heißt kämpfen.”