Rückblick: Buchmesse von rechts


Rechte Projekte, Gruppen und Verlage nutzen die Buchmesse seit Jahren als Bühne. Besonders beharrlich sind Besucher_innen aus dem Spektrum der Neuen Rechten, Salonfaschisten und Burschenschaftern.


1992

Premiere

Die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) tauchte erstmals auf der Buchmesse auf.


 

So war die Buchmesse in der DDR: ohne Mangas, aber nazifrei! Foto: Bundesarchiv.


1993

Aua!

Zum diesjährigen Auftritt heißt es in einer JF-Chronik:

  • „Auf der Leipziger Buchmesse kommt es zu einem gewaltsamen Angriff auf eine von der JF veranstaltete Podiumsdiskussion, auf der Vertreter der Jusos, Junge Liberale und Junge Union miteinander diskutieren sollten. Ein Teilnehmer wird von linksradikalen Chaoten krankenhausreif geprügelt.“

Schon kurz vor Beginn der Buchmesse kam es in Leipzig zu einem Treffen der sächsischen Abonnent_innen extrem rechten Zeitschrift Staatsbriefe des Publizisten Hans Dietrich Sander. Es kommt zu Wiederholungen in den Folgejahren, bis 2001 das Erscheinen der Zeitschrift endet.


1994

Gut versorgt

Die Leipziger Volkszeitung nimmt wie folgt Notiz vom Buchmessestand der JF:

  • „Vor allem Pizzadienste, Handwerker und Boten gaben sich am Messestand die Klinke in die Hand. Sogar ein kaltes Buffet für 300 Mark wurde antransportiert. Alle diese guten Gaben wurden aber zurückgewiesen und nicht bezahlt – weil nicht bestellt. Die genervten Mitarbeiter mutmaßten: ‚Wollten hier linke Autonome für etwas Beschäftigung sorgen’?“

Ansonsten nahm an der Präsenz der JF niemand Anstoß. Ihr selbst war zu der Zeit an einer „Normalisierung“ um des Erfolgs willen gelegen, zur Standard-Auslage in vielen ostdeutschen Kiosken zu werden.


In der Zwischenzeit

Erst mehr als zehn Jahre später wird der JF-Auftritt in Leipzig ein (von ihr gewolltes) Politikum. In der Folgezeit wurden auch einige Episoden aus der Geschichte der Neuen Rechten in Leipzig geschrieben.

Nennenswerte Protestaktionen auf der Buchmesse gab es derweil nur ein einziges Mal. Nachdem in den Jahren 2002 und 2003 der größte Messestand nicht von einem Verlag, sondern von der Bundeswehr betrieben wird, gibt es Protestnoten namhafter Autor_innen. Im Jahr 2004 kommt es in den Messehallen zu einer Demonstration mit 200 Teilnehmenden, die zum Bundeswehrstand führt. Dort rangen Feldjäger Dietmar Koschmieder, den Chefredakteur der Tageszeitung „Junge Welt“ (für die Jürgen Elsässer damals noch schrieb), zu Boden, der sodann von der Polizei gefesselt wurde und Hausverbot erhielt. Immerhin: Im Folgejahr erklärte die Bundeswehr, auf die Buchmesseteilnahme zu verzichten.


 

“Leipzig schießt”: Protest gegen die Bundeswehr auf der Buchmesse 2004. Links jW-Chefredakteur Koschmieder, rechts Ulla Jelpke. Foto: Indymedia.


2006

Die JF kündigt an, ihr 20-jähriges Bestehen an ihrem Buchmessestand zu zelebrieren.

Zu der Zeit genoss das Blatt zusätzliche Aufmerksamkeit durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Im „Junge-Freiheit-Urteil“ von 2005 wurde es dem „Verfassungsschutz“ in Nordrhein-Westfalen untersagt, die Zeitung als „rechtsextreme Publikation“ zu bezeichnen. Laut JF ein Sieg für die „Pressefreiheit“, die sie wieder bedroht sah, als sie von der darauf folgenden Leipziger Buchmesse ausgeladen wurde.

Hier befürchtete man nämlich Proteste, denn schon bei der vorangehenden Frankfurter Buchmesse beklagte die JF linke „Störenfriede“.

Die JF sprach von Zensur und konterte mit einem öffentlichen „Appell für die Pressefreiheit“, der als Anzeige gedruckt und binnen kurzer Zeit durch mehr als 1.500 Personen unterzeichnet wurde. Zu den ersten Unterstützern gehörten der aus Talkshows bekannte rechtskonservative Politikwissenschaftler Arnulf Baring, Historiker Joachim Fest und der Ex-Focus-Chefredakteur Helmut Markwort. Der frühere Industrielobbyist, damalige Investmentbanker und heutige AfD-Star Hans-Olaf Henkel hat sich rasch angeschlossen. Mit Unterschriftenliste war die JF schon vorher erfoglreich gegen die Kündigung ihres Kontos und hatte gegen den „Verfassungsschutz“ mit einer fast wortgleichen Erklärung protestiert wie nun in Leipzig.

Die Messe hat der JF schließlich doch einen Stand ermöglicht. Sie teilte ihn sich mit dem damals noch wenig bekannten Verlag Antaios, der damit erstmals auf der Buchmesse auftauchte – ein JF-Jubiläumsband ist kurze Zeit später im Verlagsprogramm aufgetaucht. Antaios ist die publizistische Vorhut und Ausgründung des Institut für Staatspolitik (IfS), das 2000 unter anderem durch den langjährigen JF-Autor Götz Kubitschek geschaffen worden war. Und den doch noch ermöglichten JF-Autritt in Leipzig verbuchte er als seinen Sieg, Die Messeleitung war kurz nach einer Pressekonferenz eingeknickt, bei der Kubitschek und weitere Neurechte es schafften, den JF-Ausschluss zu thematisieren und damit die Veranstaltung zu okkupieren. Proteste während der Buchmesse gab es nicht.


 

JF-Chefredakteur Dieter Stein 2006 auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Indymedia.


2007

Die JF ist wieder dabei, diesmal ohne Diskussion.

Und auch das Institut für Staatspolitik tritt auf. Denn gemeinsam mit dem Antaios-Verlag ist der „Skandal“ vom Vorjahr eingegangen in ein neues Buch: „Was der Verfassungsschutz verschweigt: Bausteine für einen alternativen Verfassungsschutz-Bericht“, geschrieben vom extrem rechten Publizisten Josef Schüßlburner (damals Beamter im Bundesverkehrsministerium) und dem bekannten Antikommunisten Hans-Helmuth Knütter, einst im Bundesinnenministerium tätig und früher ein Gefährte der „Extremismus“-Forscher Eckhard Jesse und Uwe Backes.

These des gemeinsamen Buches ist, dass der „Verfassungsschutz“ von links unterwandert sei und den „Linksextremismus“ nicht gebührend verfolge, während alles „Rechte“ tabuisiert werde. Gemeint ist unter anderem die JF.

Das Vorwort hat übrigens der ehemalige Berliner Innensenator Heinrich Lummer geschrieben, im Innenteil folgen Beiträge von Gisa Pahl (die das nazistische Deutsche Rechtsbüro führt und in der Kanzlei des verstorbenen NPD-Vizes Jürgen Rieger arbeitete), des Ex-NPD-Mitglieds und späteren CSU-Anhängers Bernd Kallina, der früheren DVU-Anwältin und die heutigen Vize-Vorsitzenden von “Pro Köln”, Judith Wolter, des neurechten JF-Autors Claus Wolfschlag sowie des Präsidiumsmitglieds im Studienzentrum Weikersheim, Stefan Winckler.

Das alles bekam aber kaum jemand mit. Die Selbstinszenierung auf dem Opfer-Ticket funktionierte nämlich nicht, weil von der gehörigen Medienaufmerksamkeit im Vorjahr nichts übrig geblieben war. Von der wollten eigentlich auch einige Nazis profizieren. Erst verteilte die NPD ihre Parteizeitung Deutsche Stimme vor dem Haupteingang der Messe und feierte das als „Frühjahrsoffensive“. Dann zog der Stadtverband der Republikaner mit einer Flugblattverteilung nach.


2008

Der Antaios-Verlag belässt es nicht mehr bei einem Stand, sondern drückt zwei einschlägige Veranstaltungen ins Buchmesse-Rahmenprogramm „Leipzig liest“:

Verlagsleiter Götz Kubitschek wollte über „Gewalt gegen Deutsche“ reden. Zudem wurde Bernd Rabehl für einen Vortrag über „Linke Gewalt“ gebeten. Rabehl, einst Exponent der 68er-Bewegung und bekannter SDS-Aktivist, war durch einen politischen Seitenwechsel in die Schlagzeilen geraten, der vor allem in Rabehls JF-Artikeln deutlich wurde – und zusehends auch durch seine Nähe zur NPD.

Der von vielen Antifaschist_innen vor Ort mit Spannung erwartete Rabehl-Vortrag kam aber nicht zustande. Stattdessen trat Kubitschek auf die Bühne, moserte herum über angebliche Gewaltdrohungen von links und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Dem Personal am gemeinsamen Stand von IfS und Antaios blieb so mehr Zeit übrig, um Gratisausgaben der JF zu verteilen. Sie hatte unerwartet auf einen eigenen Stand verzichtet und sich zu den Gründen nicht erklärt.


 

Rabehl kommt nicht. Götz Kubitschek 2008 auf der Leipziger Buchmesse. Foto: Indymedia.


2009

IfS und Antaios halten die Stellung – noch.

Ihre Zeitschrift Sezession – bis heute ein Leitorgan der Neuen Rechten – gerät ins Rampenlicht, als der damalige sachsen-anhaltische Ministerpräsident Wolfgang Böhmer über die Buchmesse tourt und dort mit Kubitschek ins Gespräch kommt.

Am selben Stand war auch das Ares-Sortiment zu bewundern, das zum österreichischen Leopold-Stocker-Verlag gehört und mit NPD-Autoren wie Olaf Rose eindeutig der extremen Rechten zuzuordnen ist. Bekanntheit erlangte der Ares-Verlag erst viel später durch das Erscheinen eines Buches des ehemaligen Thüringer „Verfassungsschutz“-Chefs Helmut Roewer (das er auf der Buchmesse zusammen mit der JF vorstellte, siehe unten).

Wer es auf eine Gratisausgabe der JF abgesehen hatte, wurde am Antaios-Stand aber nicht mehr fündig. Im Hintergrund schwelte nämlich ein politischer Konflikt: Während Götz Kubitschek mit dem IfS und dem Antaios-Programm auf die Profilierung als „Neue Rechte“ setzte, lehnte JF-Herausgeber Dieter Stein diese Selbstbezeichnung zunehmend ab und legt bis heute Wert auf das Etikett „Konservatismus“ und eine Abgrenzung zur extremen Rechten und insbesondere zur NPD.

Bei der Buchmesse 2009 traten weitere dubiose Aussteller in Erscheinung, allerdings mithilfe eines Tricks: Die nazistischen Kleinverlage Hohenrain und Grabert nutzten als Mitglieder im Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Möglichkeit, ihre Bücher – einige stammen von NPD-Funktionären – am Gemeinschaftsstand des Börsenvereins zu promoten. Darauf angesprochen bemerkte der Börsenverein, man könne Mitglieds-Verlage nicht vom eigenen Stand ausschließen und wolle keine „Zensur“ ausüben. Einige der nazistischen Machwerke wurden daraufhin zu begehrten Sammlerstücken für Langfinger.


 

Buchmesse 2009: Götz Kubitschek (l.) im Gespräch mit Wolgang Böhmer. Foto: AIB.


2010

Ein Stand von Antaios und IfS wird erst angekündigt, aber dann nicht errichtet.

Kolportiert wurde, dass Kubitschek und Co. den zugewiesenen Standort schlicht für zu unattraktiv gehalten haben. In der Folgezeit konzentrieren sich die neurechten Publizist_innen, inklusive JF, zunehmend auf die Frankfurter Buchmesse.

Einen kompletten Rückzug aus Leipzig gibt es aber nicht: Während der Buchmesse lädt die Blaue Narzisse um den Chemnitzer Salonfaschisten Felix Menzel zu einem „Stammtisch“ in die Gosenschenke in Leipzig-Gohlis ein. Menzel gilt als politischer Zögling Kubitscheks, er publiziert bei Antaios und schreibt für die Sezession.

Auf der Buchmesse nutzen derweil Nazis den unübersichtlichen Publikumstrubel, um Flugblätter zu verteilen, verfasst durch den Schweizer Holocaust-Leugner Bernhard Schaub. Er versucht seit dieser Zeit, auch in Deutschland das Netzwerk Europäische Aktion (EA) zu etablieren, in dem sich namhafte Holocaustleugner zusammengeschlossen haben.


2011

Menzel ist wieder da.

Er greift Versuche neurechter Inszenierungen aus den Vorjahren auf und kündigt öffentlich an, in Leipzig ein Buch vorzustellen und einen Preis an einen anderen neurechten Autoren zu verleihen. Einen eigenen Stand hatte Menzel nicht, aber unter dem Vorwand, es handle sich um eine ernstzunehmende literarische Auszeichnung („Rilke-Preis“), fand er einen Leipziger Kleinstverlag als Partner – der sich allerdings hinterher deutlich von Menzel distanzierte. Auch die Leipziger Volkszeitung berichtete unerwartet kritisch über Menzels Umtriebe – der sich hinterher beschwerte, „verfolgt“ worden zu sein. Tatsächlich war das Interesse an seinem Buchmesse-Auftritt äußerst verhalten

Im Anschluss traf sich das neurechte Spektrum noch bei der örtlichen Burschenschaft Arminia zu Leipzig in der Georg-Schumann-Straße. Es war nicht das einzige Stelldichein der Burschenschafter: Anlässlich der Buchmesse fand (erneut) in der Gosenschenke ein rechtes Treffen statt, zu dem der Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA) eingeladen hatte. Als Referent trat Gerd Fritzsche aus Borsdorf auf, der seit 2008 für die NPD im Kreistag des Landkreises Leipzig saß und bis 2009 der Leipziger Burschenschaft Germania angehörte. Der CDA wiederum war schon in den Vorjahren mit eigenem Stand auf der Buchmesse präsent, Fritzsche war dabei wiederholt als Standbetreuer aufgefallen.


 

Fühlte sich verfolgt: Felix Menzel bei der Buchmesse 2011.


2012

Korporationsstand

Wie auch in anderen Jahren präsentiert sich der Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA) mit eigenem Stand auf der Buchmesse. Im CDA sind Altherrenverbände zusammengeschlossen. Zu den Mitgliedern gehört auch die Deutsche Gildenschaft (DG), der namhafte Exponenten der Neuen Rechten angehören.


 

CDA-Stand auf der Buchmesse 2012. Foto: anonyme Einsendung.


2013

Die JF ist zurück, mehr oder weniger.

Bei einer Buchmesse-Veranstaltung, moderiert von JF-Redakteur Felix Krautkrämer, präsentierte Helmut Roewer – früher Präsident des Thüringer Landesamtes für „Verfassungsschutz“ – sein wohl vor allem zur eigenen Entlastung hinsichtlich des NSU verfasstes Buch. Erschienen war es im extrem rechten Ares-Verlag, der früher schon gemeinsam mit Antaios auf der Buchmesse aufgetreten war.

Doch die Roewer-Veranstaltung fand nicht die erhoffte Resonanz, etwa 60 Zuhörer_innen kamen. Unter ihnen befanden sich etliche bekannte Nazis, darunter der Österreicher Hans-Jörg Schimanek Jr. Der wohnt heute im Landkreis Leipzig und ist unter anderem gut bekannt mit dem derzeit inhaftierten österreichischen Nazi-Anführer Gottfried Küssel sowie dem Leipziger Szene-Urgestein Riccardo Sturm.

Erstmals in Leipzig vertreten war in diesem Jahr das verschwörungsideologische Compact-Magazin des Nationalisten Jürgen Elsässer. Zu Buchmesse-Veranstaltungen holte er sich unter anderem den euroskeptischen Ökonom Wilhelm Hankel (Anfang 2014 verstorben) heran, der sich gelegentlich in der JF sowie in der National-Zeitung äußerte. Außerdem stellte Elsässer während der Buchmesse in einem Hotel in der City ein vor Fehlern strotzendes Sonderheft zum NSU vor.