Nach rassistisch motivierter Brandstiftung in Döbeln: Opfer rechter Gewalt anerkennen!

Haus in der Albert-Schweitzer-Straße in Döbeln im Jahr 2018

Am 22. April 2017 starb Ruth K. (ihr voller Name ist uns bekannt) aus dem mittelsächsischen Döbeln an den Folgen einer Rauchgasvergiftung, die sie am 1. März 2017 erlitten hatte. An jenem Tag war in dem Mehrfamilienhaus in der Albert-Schweitzer-Straße, in dem die 85-Jährige wohnte, zum dritten Mal innerhalb eines Jahres Feuer gelegt worden. Einsatzkräfte der Feuerwehr fanden Frau K. bewusstlos im Treppenhaus. Ohne schnelle Hilfe wäre sie sofort gestorben, doch auch im Krankenhaus konnte ihr Leben nicht mehr gerettet werden.

Die folgende Chronologie wurde anhand von Presseberichten und eigenen Recherchen zusammengestellt.

Als mutmaßliche Brandstifterin wurde im Mai 2017 die Hausbewohnerin Gisela Berger festgenommen. Sie soll die Brände am 8. März 2016, 15. Oktober 2016 und 1. März 2017 gelegt haben, um den kurz zuvor eingezogenen Hausbewohner Mehdi G. zu diskreditieren. G. kommt aus dem Iran, wo er sich in der Studentenbewegung für Reformen engagiert hatte. Nachdem er ins Visier des iranischen Geheimdienstes geraten war, flüchtete er im Jahr 1997 nach Deutschland. Hier wurde sein Asylantrag abgelehnt, bis Anfang 2016 musste er in einer als Flüchtlingsunterkunft genutzten ehemaligen Kaserne wohnen.

Gisela Berger im Oktober 2016 in der Sächsischen Zeitung

Gisela Berger äußerte sich nach dem Einzug von G. mehrfach rassistisch. Sie beschwerte sich etwa über die Hausverwaltung, weil diese “Kanakendreck” ins Haus einziehen ließe. Nach dem zweiten Feuer im Oktober 2016 sagte Gisela Berger gegenüber der Polizei aus, den mutmaßlichen Brandstifter gesehen zu haben. Er sei dunkelhäutig und habe sie geschlagen, sie habe ihm ein in gebrochenem Deutsch verfasstes Bekennerschreiben entrissen. Mehrere Anzeigen wegen weiterer angeblicher Überfälle folgten, außerdem Fernsehinterviews.

Ein psychiatrischer Gutachter erkannte bei der Angeklagten Alkoholmissbrauch und eine histrionische Persönlichkeitsstörung, was ihre Schuldfähigkeit jedoch nicht einschränke. Diese durch Dramatisierung, Egozentrik und dauerndes Verlangen nach Aufmerksamkeit gekennzeichnete Persönlichkeitsstörung steht aus unserer Sicht im Einklang mit Gisela Bergers Verhalten nach den Brandstiftungen, kann ihre rassistischen Taten aber weder erklären noch entschuldigen.

Das Landgericht Chemnitz verurteilte Gisela Berger am 22. März 2018 wegen versuchter schwerer Brandstiftung mit Todesfolge sowie schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu neun Jahren Haft. Die Staatsanwaltschaft sprach in ihrem Plädoyer von einer “latent rassistischen Haltung” der Angeklagten. Gegen das Urteil hatte Gisela Berger Revision eingelegt, die vor wenigen Wochen vom Bundesgerichtshof in Leipzig abgelehnt wurde.

Der Fall wirft auch ein schlechtes Licht auf die deutschen Asylbehörden. Dass der Asylantrag eines oppositionellen Iraners abgelehnt wurde, dass Mehdi G. knapp 20 Jahre lang in Flüchtlingsunterkünften wohnen musste und ihm in den besten Jahren seines Lebens sowohl eine Perspektive als auch die Privatsphäre genommen wurden, ist ein Skandal.

Eventuellen Hinterbliebenen von Ruth K. möchten wir unser tief empfundenes Beileid aussprechen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, Ruth K. in ihren Statistiken als Todesopfer rechter Gewalt anzuerkennen. Wie aus der Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag hervorgeht, war dies im Juni 2018 nicht der Fall.

Wir fordern die Anerkennung von Mehdi G. als politisch verfolgter Asylberechtigter nach Artikel 16a des Grundgesetzes.

Wir möchten denjenigen Menschen in der Döbelner Stadtgesellschaft, die diese rassistsch motivierte Brandstiftung mit Todesfolge zur Sprache bringen, Mut zusprechen.

Wir wünschen uns von zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Strukturen einen sensiblen Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen rechter Gewalt und psychisch kranken TäterInnen.


Eine umfassende Analyse des Falls hat ZEIT ONLINE im September 2018 veröffentlicht. Über die Brandstiftungen und den Prozess gegen Gisela Berger haben die Leipziger Volkszeitung (LVZ) und die Sächsische Zeitung berichtet. Wir verlinken eine Auswahl der Artikel:


Text zugesandt von: Antifaschistische Strukturen aus Sachsen