Einschätzung der bevorstehenden Naziaufmärsche in Leipzig

Gewaltfantasien im offiziellen Twitter-Account der "Brigade Halle", neben Handgranate, Hakenkreuz und "Combat 18"-Schriftzug. Der Name "B819NSUKHS" steht für "BHS" (Brigade Halle/Saale), "NSU" und "KHS" (Kameradschaft Halle/Saale).

Die Nazis

Momentan muss für Samstag von mehreren Hundert gewaltsuchenden Neonazis ausgegangen werden. Dies zu betonen ist wichtig, da in Teilen der vorgestrigen Informationsveranstaltung relativierende Aussagen getroffen wurden. Bundesweit zeichnet sich ab, dass besonders jene Nazis anreisen werden, die sich für das Konzept vom “Kampf um die Straße” begeistern.

Anzeichen gibt es dafür genug. Zum einen ist mittlerweile Christian Worch Versammlungsleiter eines Aufmarschs. Worch ist ein harter Verfechter des “Frontstadt”-Konzepts und hat jahrelang versucht, die “Straßen” von Leipzig zu erobern. Gut möglich, dass sein Auftreten einige längst vergessene Neonazis noch einmal mobilisiert.

Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass die “Offensive für Deutschland” bei ihrem ersten Aufmarsch fast 350 Neonazis und Hooligans mobilisieren konnte – also genau das Klientel, was sich für einen Aufmarsch durch Connewitz besonders begeistern lässt. Ein für Samstag mobilisierendes Video der “OfD” ist nicht zufällig mit dem Lied “Wenn alle untreu werden” unterlegt, das später zum Treuelied der SS wurde. In Nazi-Kreisen wird empfohlen, dass “Frauen und nicht wehrfähige Männer” zu Hause bleiben oder andere zeitgleiche Veranstaltungen – etwa “Thügida” in Eisenberg oder eine Versammlung der NPD-Bürgerinitiative “Wir sind Borna” – besuchen sollen.

Wie in den vergangenen Monaten werden die Nazis vermutlich über den Leipziger Hauptbahnhof anreisen. Das Auto parkt man als Nazi hier gern im videoüberwachten Parkhaus, um sich dann mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg zu einem Vortreffpunkt oder direkt zum Startpunkt eines Aufmarschs zu begeben. Zudem muss mit Nazigruppen gerechnet werden, die nicht an den Aufmärschen teilnehmen wollen, sondern die Auseinandersetzung mit AntifaschistInnen abseits der eigenen Demonstrationen suchen.

Ihre Technik sollen die Nazis der “Offensive für Deutschland” um Silvio Rösler laut Auflagenbescheid bereits ab 12:30 Uhr aufbauen. Mindestens eine Stunde zuvor wird auch die Polizei schon weiträumig präsent sein.

Die Polizei

Über ihre Personenstärke am Samstag hält sich die Polizei bislang bedeckt. Dies ist ein Unterschied zu vergangenen Nazidemonstrationen, bei denen Auseinandersetzungen zu erwarten waren. In deren Vorfeld war eine PR-Show des Leipziger Polizeipräsidenten bislang ebenso gang und gäbe wie öffentliche Lügen im Nachgang.

Am Tag selber muss mit einer massiven Polizeipräsenz in Connewitz und der Südvorstadt gerechnet werden. Die Polizei setzt gern auf Sperren mit Hamburger Gittern und Einsatzfahrzeugen. Spontane “Ansammlungen” werden, wie in Sachsen üblich, bei Nazis sicherlich geduldet, bei AntifaschistInnen hingegen angegriffen und eingekesselt werden. Darauf sollte man sich einrichten. Dass gerade größere Nazi- und Hooligangruppen in Leipzig Bewegungsfreiheit genießen, wurde bei mehreren Legida-Aufmärschen in diesem Jahr deutlich. Dass die Polizei gelegentlich Hand in Hand mit Neonazis agiert, verwundert u.a. angesichts persönlicher Kontakte wenig.

Die Stadt

Von der Stadt Leipzig ist bislang wenig zu hören, obwohl Oberbürgermeister Burkhard Jung selbst Bewohner von Connewitz ist. Auch er steht seit Monaten im Fokus der Hetze von Legida und OfD. Lediglich die Versammlungsbehörde bleibt ihrer Linie treu. So beklagt sich die “Offensive für Deutschland” über die ihr beschiedene vollkommen andere Route. Für die drei Nazi-Aufmärsche hat die Stadt Leipzig folgende Strecken genehmigt:

“Lasst uns politische Brücken bauen. Kein rechts und links, sondern gemeinsam im Dialog gegen oben! Für ein souveränes Deutschland, die OFD”: Altenburger Straße / zwischen Scharnhorststraße und Kurt-Eisner-Straße (Sammlung & Auftakt) → Kurt-Eisner-Straße → Arthur-Hoffmann-Straße → Schenkendorfstraße → Kreuzungsmitte Bernhard-Göring-Straße / Schenkendorfstraße am Albrecht-Dürer-Platz (Abschluss & Beendigung)

“Die Rechte – für Recht und Ordnung in unserer Heimat – Für Frieden und Völkerfreundschaft”: Alexis-Schumann-Platz (Sammlung & Auftakt) → Karl-Liebknecht-Straße → Schenkendorfstraße → Kreuzungsmitte Bernhard-Göring-Straße / Schenkendorfstraße am Albrecht-Dürer-Platz (Beendigung & Anschluss an die Abschlusskundgebung des Herrn Rösler)

“Gemeinsam über Bundesländergrenzen hinaus – für eine Zukunft unserer Heimat, wir lieben Sachsen”: August-Bebel-Straße 28-34 (Mittelparkstreifen / Sammlung & Auftakt) → Kurt-Eisner-Straße → Karl-Liebknecht-Straße → Schenkendorfstraße → Kreuzungsmitte Bernhard-Göring-Straße / Schenkendorfstraße am Albrecht-Dürer-Platz (Beendigung & Anschluss an die Abschlusskundgebung des Herrn Rösler)

Mit ihrem Versammlungsleiter Christian Worch verfügt “Die Rechte” über einen Akteur, der oft bis zur letzten Instanz klagt und bereits viele Auseinandersetzungen mit der Leipziger Versammlungsbehörde geführt hat – teils sogar erfolgreich. Das bedeutet, dass es erst am Samstag Klarheit über die Routen der Nazis geben wird.

Die Medien

Auch die Leipziger Medienlandschaft hielt sich bisher zurück. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist wie so oft nicht zu erwarten. Jedoch wird man nach dem Wochenende sicher über “neue Qualitäten” in Leipzig berichten und “jegliche Gewalt”, also die von links, thematisieren und verurteilen.

Die Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft hat sich in vorauseilendem Gehorsam gegen Gewalt positioniert. So heißt es bei “Leipzig nimmt Platz”:

  • “Seid in Gruppen unterwegs, seid kreativ und deutlich! Lasst euch nicht auf die Provokationen ein, sondern tretet den Neonazis gewaltfrei und mit Mitteln des zivilen Ungehorsams entgegen!”

Wie militanten Nazis gewaltfrei begegnet werden soll, bleibt dabei ihr Geheimnis. Warum es in Sachsen oft die Zivilgesellschaft ist, die sich gern von militanten AntifaschistInnen distanziert, gleichzeitig aber gerne deren Hilfe beansprucht, wenn sie von Neonazis angegriffen wird, bleibt unverständlich. Mittlerweile sollte man bemerkt haben, dass auf die Polizei oft kein Verlass ist. Wenn dann auch noch Jürgen Kasek einen Aufruf teilt, der seine Partei und ihn kritisiert und sich gerade auch für einen militanten Antifaschismus ausspricht, so ist die Verwirrung um die Aussagen der Zivilgesellschaft komplett.


Text zugesandt von: anonym