Nach Pegida: Neunziger-Neonazi Kevin Dehn zückt Messer in Leipzig

Kevin Dehn (Mitte) und ein weiterer Angreifer (rechts) vor der gemeinsamen Fahrt zum Pegida-Aufmarsch am 19. Oktober 2015. Foto: docu.media.

Neonazi zieht ein Messer, Polizei lässt ihn laufen: Was nach dem Attentat in Köln unmöglich scheint, ist in Leipzig passiert. Auch hier ist der Täter seit Jahrzehnten in der rechten Szene aktiv.

Bei dem Pegida-Anhänger, der am Abend des 19. Oktober 2015 am Leipziger Hauptbahnhof GegendemonstrantInnen mit einem Messer bedrohte, handelt es sich um den Leipziger Neonazi Kevin Dehn. Das ergeben Antifa-Recherchen. Dehn war zuvor mit einem von Legida organisierten Reisebus zum Pegida-“Geburtstag” nach Dresden gefahren. Vor der Abfahrt hatte sich die Reisegruppe, zu der auch der Leipziger NPD-Kreisvorsitzende Enrico Böhm, seine Partnerin Annemarie Kunze sowie der Legida-Ordnerchef Marco Prager gehörten, im Leipziger Hauptbahnhof gesammelt. Nach der Rückfahrt warteten etwa 15 Neonazis aus dieser Gruppe vor dem östlichen Haupteingang.

Kevin Dehn geht mit einem Messer auf AntifaschistInnen los. Foto: Screenshot YouTube.
Kevin Dehn geht mit einem Messer auf AntifaschistInnen los. Foto: Screenshot YouTube.

Als eine Gruppe von GegendemonstrantInnen, die kurz zuvor ebenfalls aus Dresden zurückgekehrt war, den Hauptbahnhof verlassen wollte, betrat Kevin Dehn das Gebäude. Der 44-Jährige zückte ein Messer und ging damit mehrere Personen direkt an, verletzte glüchlicherweise jedoch niemanden. Die übrigen Pegida-Anhänger griffen wenige Sekunden später mit Fahnenstangen an und teilten Tritte aus. Das Geschehen haben AugenzeugInnen übereinstimmend beschrieben, der Vorfall ist auch in einem Video zu sehen. Ansatzweise ist darin die bedenkliche Reaktion der Polizei zu erkennen: Sie jagte die Angegriffenen aus dem Gebäude und setzte Pfefferspray ein. Von den aggressiven Neonazis wurden dagegen nicht einmal Personalien aufgenommen. So konnte auch Kevin Dehn unbehelligt davonziehen. Er hatte am selben Tag bereits am Rande des Pegida-Aufmarsches GegendemonstrantInnen angegriffen.

Legida als Gewalt-Event

Die Busfahrt nach Dresden war vom Legida-Funktionär Ronny Ullmann aus Böhlen organisiert worden. Bei Legida-Aufmärschen war auch Dehn wiederholt aufgefallen – nicht nur als Versammlungsteilnehmer, sondern in einer Gruppe Neonazis mittleren Alters, die sich am Rande der Demonstrationszüge regelmäßig im Umfeld der Großen Fleischergasse 4 sammelt, um dort gezielt AntifaschistInnen anzugreifen.

Gruppe um Kevin Dehn (4.v.l.) und Riccardo Sturm (Mitte) im Umfeld des Legida-Aufmarschs am 20. April 2015. Foto: docu.media.
Gruppe um Kevin Dehn (4.v.l.) und Riccardo Sturm (Mitte) im Umfeld des Legida-Aufmarschs am 20. April 2015. Foto: docu.media.

Riccardo Sturm ist nicht der einzige aus dieser Gruppe, der auf eine langjährige Karriere als gewalttätiger Neonazi zurückblicken kann. Auch Kevin Dehn, der unter gewaltsuchenden Legida-Anhängern offenbar eine Hauptrolle spielt, war bereits in den 1990er Jahren aktiv – in der neonazistischen Straßengang “Reudnitzer Rechte”, die von 1987 bis 1992 existierte und ab der Wendezeit verstärkt in Erscheinung trat. Die Gruppe entwickelte enge Kontakte zur Leipziger FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, 1995 verboten), zur Probstheidaer Hooligan-Szene sowie in das kriminelle Milieu. Erkennungszeichen der Gruppe war ein Keltenkreuz mit dem Kürzel “RR”.

Radikalisierte Gruppentäter

Dehn, der zusammen mit Pierre Richter den Kern der “Reudnitzer Rechte” bildete, beteiligte sich in diesem Zeitraum wiederholt an schweren Gewalttaten. So an einer Straßenschlacht, die sich etwa 70 Nazi-Hooligans im Juni 1991 mit der Polizei auf dem damaligen Sachsenplatz lieferten. Anfang November 1991 gehörte Dehn zu einer Neonazigruppe, der wiederholt die Moritzbastei angriff und gegen zufällig gesichtete MigrantInnen handgreiflich wurde.

Zu den etwa 30 Neonazis, die Ende März 1992 zu einem von StudentInnen bewohnten Haus in der Sternwartenstraße zogen, gehörte neben Dehn auch Riccardo Sturm. Die Täter demolierten Autos und legten im Treppenhaus Feuer. BewohnerInnen konnten sich nur noch auf das Dach flüchten.

Einen von zahlreichen traurigen Höhepunkten neonazistischer Mordlust erlebte die Stadt Leipzig Ende August 1992, als etwa 100 Neonazis, darunter Hooligans aus Leipzig und Rostock, zunächst erfolglos versuchten, eine Asylunterkunft in Grünau anzugreifen. Später in der Nacht brannten etwa 30 Neonazis in Holzhausen Zelte nieder, in denen sich 50 Asylsuchende befanden. Diese konnten sich glücklicherweise rechtzeitig retten, mussten danach jedoch teils durch AnwohnerInnen vor den Neonazis versteckt werden. Nach der Aktion wurden lediglich sechs Personen festgenommen, darunter Dehn. Die anderen Brandstifter konnten flüchten, manche in gestohlenen Autos. Noch in derselben Nacht wurden Brandsätze auf eine Asylunterkunft in Markkleeberg sowie auf das Conne Island geworfen.

Der Vorfall vom Montag weist erhebliche Parallen zum Messerattentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zwei Tage zuvor auf. Kevin Dehn und Frank Steffen sind gleich alt, nutzten die gleiche Waffe, waren bereits in den Neunziger Jahren als Neonazis aktiv und pflegten engen Kontakt zur FAP. Danach wurde es zunächst ruhig um die keinesfalls geläuterten Täter – bis die von Pegida und NPD ins Rollen gebrachte Welle rassistischer Hetze der vergangenen Monate und Jahre sie wieder auf die Straße brachte.


Text zugesandt von: anonym