Taktisch und politisch mehr als zweifelhaft

Leipzig am 15. Januar: Ende einer Spontandemonstration.

Am Donnerstag, den 15. Januar 2015, kam es in Leipzig zu einer Spontandemonstration mit mehreren hundert Teilnehmer*innen. Anlass war die Ermordung von Khaled Idris. Im Laufe der Demonstration wurden durch Steinwürfe mehrere Scheiben, unter anderem beim Amtsgericht, zerstört, sowie herannahende Polizeiautos vertrieben. Die wichtigste Frage dabei ist, ob dabei von einer erfolgreichen politischen Aktion gesprochen werden kann.

Allgemein besitzen Demonstration neben der Bedeutung für die eigene Bewegung eine wesentliche andere: Für ein bestimmtes politisches Anliegen zu werben oder Öffentlichkeit und Bewusstwerdung für Probleme und Standpunkte herzustellen, die vom politischen System sonst ignoriert bleiben. Faktisch erfüllen viele linke Demonstrationen jedoch allein einen Zweck, namentlich der Mobilisierung nach „innen“ durch ein aufregendes Event.

Nach der Spontandemonstration am Donnerstag war es nicht nur für die LVZ schwer, den genauen Anlass zu bestimmen. Dieser ist selbst bereits problematisch. Es war zu diesem Zeitpunkt nicht geklärt, wer Khaled umgebracht hatte. Notwendig wäre eine Kritik an der Nachlässigkeit der Polizei bei den Ermittlungen, die Bedrohungssituation, der sich Khaleds Mitbewohner ausgesetzt sehen oder der allgemeinen rassistischen Mobilisierung in Dresden und Leipzig gewesen. Diese differenzierte Kritik wurde nicht vermittelt, der politische Sinn der Aktion steht daher generell zur Disposition.

Was nicht funktioniert, kann aber zumindest schadlos sein. Das jedoch war die Spontandemonstration am Donnerstag, den 15. Januar nicht, wenn man die historischen Zwecke einer Demonstration als Maßstab anlegt: die Wirkung außerhalb der Blase „Demo“. Es ist klar, dass die Reaktion der Medien nicht komplett beeinflusst werden kann. Man muss das „worüber“ und das „wie“ berichtet wird nicht teilen, nicht verstehen und auch nicht gutheißen. Aber es ist auch ohne jahrelange Erfahrung klar, was am Ende einer Scherbendemo die Zeilen sowohl in den Zeitungen, der sozialen Netzwerke und der Teleprompter der Nachrichtenredaktionen füllen wird.

Der politische Hintergrund einer Demonstration wird außerhalb derselben häufig nur durch die Verwendung des Wortes „linke“ markiert. Was in der äußeren Wahrnehmung hängen bleibt, sind die „Randale“ und Sachbeschädigungen. Dabei ist übrigens unwesentlich, wie viele insgesamt an der Demonstration teilgenommen haben und wie viele an entsprechenden Handlungen beteiligt waren. Dabei ist auch unerheblich, welches anteilige Zeitfenster militante Aktionsformen bei einer Demo einnehmen: Letztendlich sind sie es, die das Gesamterscheinungsbild bestimmen.

Es ist klar, dass es nicht darum gehen kann, sich abstrakt von jeglicher Gewalt zu distanzieren, wie es so manche_r Politiker_in macht. Sie empören sich über eingeschmissene Scheiben häufig in einer Erregung, als ob es um Terror gegen Menschenleben gehen würde. Gleichzeitig blenden sie aus, dass die bestehende Gesellschaft auf Gewalt beruht, einer, von der sie sich nicht distanzieren und über deren Ausübung sie sich nicht im Geringsten empören.

Ein ähnliches Maß an Bestürzung bleibt aus, wenn Menschen eingesperrt und abgeschoben werden, Menschen aus ihren Wohnungen geräumt werden oder aus Angst vor Repression in sozialen Konflikten gar nicht erst wagen Widerstand zu leisten. Das heißt allerdings nicht, dass diese ausgeblendete Gewalt automatisch deutlich wird, wenn im Gegenzug die Polizei angegriffen wird und Scheiben entglast werden. Die bestehende Ordnung lässt sich nicht dadurch verändern, dass die Polizei angegriffen wird, die sie verteidigt. Allerdings ist es notwendig, sich gegen staatliche Gewalt zu verteidigen, wenn sie sich emanzipatorischen Prozessen entgegenstellt.

Militanz darf kein Selbstzweck sein und verweist nicht schon deshalb auf eine emanzipatorische Gesellschaft jenseits der bestehenden Verhältnisse, weil sie sich nicht an deren Gesetze hält und ihre Vertreter angreift. Klar ist also, dass es nicht darum gehen kann, jede Demonstration als Plattform für die Konfrontation mit der Polizei zu nutzen. Zurecht wird die Solidarität zwischen verschiedenen Aktionsformen gefordert und es abgelehnt, sich in gute – „friedliche“ – und böse – „gewalttätige“- Demonstrant*innen spalten zu lassen.

Diese Solidarität darf jedoch nicht einseitig sein, sondern muss auch darin bestehen, dass nicht-militante Aktionen ihren eigenen Charakter bestimmen können. Diejenigen, die militant handeln wollen, sollten die strategischen Überlegungen derjenigen respektieren, die sich für andere Formen entschieden haben und nicht jeder Demo ihr Konzept aufzwingen. Das jedoch passiert immer dann, wenn die Militanz aus einer sonst anders orientierten Demonstration heraus erfolgt. Es gibt zweifelsfrei Situationen, in denen denen Militanz notwendig sein kann, ohne das Ziel der Aktion selbst zu sein. So bei kollektiv getragenen Notwehrmaßnahmen einzelner gegen einen Übergriff der Cops auf die Gesamtheit der Demonstration. Auch hier wurde und wird aber grundsätzlich zu wenig darauf geachtet, von wem die Eskalation ausgeht.

Dabei war die hier diskutierte Demonstration durchaus eine Chance, hat sie doch so viele Menschen mobilisiert, wie zuletzt die Spontandemonstrationen vergangener Jahre nach Naziangriffen auf Genoss_innen in Reudnitz. Es wäre die Chance gewesen, mit einer großen und kräftigen Demo, die nicht nach staatlicher Erlaubnis fragt, durch die Straßen zu ziehen und das eigene Anliegen zu unterstreichen. Stattdessen wurden letztlich alle Teilnehmer*innen gezwungen sich auf ein Katz und Maus-Spiel mit der Polizei einzulassen. Zu befürchten ist, dass viele, die es nicht darauf angelegt hatten und sich massiver Repression ausgesetzt sehen, beim nächsten Mal zu Hause bleiben.

Es wäre an der Zeit, sich abseits von verschwörungsideologischem Denken einfach mal auf das eigene Handeln bezogen die Frage zu stellen: „Cui bono?“ In diesem Fall dürfte die Antwort leider so eindeutig wie unbefriedigend sein. Militante Aktionen, wie auch Demonstrationen müssen sich die Frage stellen, ob und wie sie ihre Anliegen vermitteln können. Schließlich bildet die gelungene Vermittlung eine wesentliche Voraussetzung politischer Wirksamkeit.


Text zugesandt von: anonym.