„Für das Politische“: Von der Distanzierung zum Quartiersmanagement?

Auf leipzig.antifa.de wurde kürzlich ein kontrovers diskutiertes Interview veröffentlicht, in dem ein Mitglied des Antifa-Komitee Leipzig darstellt, wie manche Linke dazu übergehen, an die Stelle der Kritik politischer (und manchmal militanter) Praxis die Distanzierung zu setzen.

Als Beispiel benannt wurde im Interview die Gruppe „Für das Politische“ (FdP), die sich nach dem Angriff auf eine Polizeistation zu Wort meldete. Zwischenzeitlich hat FdP auf das Interview geantwortet: Die Kritik sei nur eine Unterstellung, „um zu delegitimieren“. Zudem erreichte uns nachfolgende Zusendung, die sich mit der Reaktion von FdP auseinandersetzt. Weitere Meinungen sind erwünscht!

 


Distanzierungen, Gewaltfreiheit, Quartiersmanagment…

Worum geht’s?

Am 7. Januar wurde in Connewitz der Polizeiposten angegriffen. Es folgten ein BekennerInnenschreiben, ein medialer Aufschrei, ein Statement von „Für das Politische“ (FdP) und schließlich ein Interview des Antifa Komitee, das auf FdP und weitere politische AkteurInnen Bezug nimmt.

Was ist das Problem an dem Angriff auf den Polizeiposten?

Nach dem Lesen der meisten Texte und Kommentare lassen sich drei Kritiken an der Aktion herausschälen.

1. Die Sprache des BekennerInnenschreibens

Am häufigsten und auch medial wird sich über Form und Inhalt des Schreibens echauffiert, das auf Linksunten veröffentlicht wurde. FdP spricht von einer „barbarischen Rhetorik“. Zugegeben, es ist ziemlich derb und einige fühlten sich beim Lesen an Zitate von Ulrike Meinhof erinnert. In dieser Hinsicht war Kritik gerechtfertigt und auch sinnvoll. Sie findet auch aktuell wieder statt, im Zusammenhang mit einer anderen Aktion in der letzten Woche in Leipzig.

Schon seit längerem wird in Kommentaren auf Linksunten kontrovers über die Sprache von BekennerInnenschreiben diskutiert. Hier gibt es offensichtlich inhaltliche Probleme. Die Auswirkungen werden deutlich, wenn zwei militante Aktion zum Mord an Oury Jalloh in Leipzig verglichen werden. Im Dezember 2012 kam es ebenfalls in Connewitz zu einer Demonstration mit Glasbruch anlässlich eines Urteils im Prozess zum Mord. Doch in dem folgenden BekennerInnenschreiben wurden die Fragen der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“, die seit Jahren vor Gericht für Gerechtigkeit streitet, in den Mittelpunkt gestellt. Die Folge war, dass auch die LVZ diese Fragen und die Kritik an den gelaufenen Prozessen in ihrer Berichterstattung aufgenommen hat. Desweiteren zeigte sich damals, dass eine vorherige Spontandemonstration auf dem Weihnachtsmarkt, die sicherlich der Gruppe FdP in ihrer Form eher zusagt, völlig verschwiegen wurde. Lediglich die „Scherbendemo“ in Connewitz vermochte, den kritischen Fragen der Initiative mediale Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Der Vergleich zeigt, dass militante Aktionen sehr wohl dazu führen können, Inhalte öffentlich zu verhandeln. Und dass es unterschiedliche Aktionsformen in Leipzig gibt und darüber auch eine Diskussion stattfindet.

Bei allen Einwänden an der Aktion im Januar sollte sich nun gefragt werden, ob nach zehn Jahren des Vertuschens die Sprachkritik der Aufreger sein sollte. Wer jahrelang die Geschehnisse zum Mord an Oury Jalloh verfolgt hat, mag vielleicht wirklich jede Sachlichkeit in der Sprache ablegen.

2. Was hat die Aktion mit Oury Jalloh zu tun?

Ein weiterer Einwand lautet, das der Sache der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ nicht geholfen sei, sondern ihr geschadet würde und mit der Gedenkarbeit nichts zu tun habe. Ist es aber nicht absurd zu glauben, dass Sachschäden nach zehn Jahren in Leipzig der gerichtlichen Aufklärung schaden würden? Wer wirklich ernsthaft in den letzten Jahren die Prozesse verfolgt hat, weiß, das es völlig egal ist. Staatliche Stellen tun alles, um den Mord zu vertuschen – und das beschränkt sich schon lange nicht mehr nur auf Institutionen in Dessau.

Die Aktion ist ganz klar durch Datum und Inhalt auf den Jahrestag bezogen. Damit sollte offensichtlich deutlich gemacht werden, dass ein staatlicher Mord sowie physische und juristische Angriffe auf die „Initiative im Gedenken an Oury Jalloh“ auch Konsequenzen haben. Sich also Menschen entschieden haben, solche Angriffe auf das Leben und politische Strukturen auch zurückzugeben. Dabei wurde im Vergleich zu den Angriffen des Staates niemand körperlich verletzt. Dass die Polizisten im Posten es mit der Angst zu tun bekamen, ist sicherlich nicht zu bestreiten. Doch wer selber schon Opfer von Polizeigewalt, Repression und anderen Schikanen geworden ist, kennt dieses Gefühl nur zu gut, das sich schon beim Anblick von StreifenpolizistInnen mit Knarren einstellt.

Der Verweis auf die „Scherbendemo“ 2012 zeigt auch, dass solche Aktionen eine Öffentlichkeit schaffen, die es sonst gar nicht gäbe. Nach den zehn Jahren wirkt es auch nicht so, dass die Aktiven, die für eine gerechte Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh kämpfen, ein Problem damit haben, wenn Polizeireviere oder Fahrzeuge angegriffen werden. Jedenfalls war aus dieser Richtung keine Distanzierung in den letzten Jahren zu lesen. Von anderen hingegen schon. Dies sollte auch FdP zu denken geben.

3. Kritik am Polizeiposten sei auf die Weise unmöglich

FdP bemängelt nun, dass ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Polizeiposten gestört werde. Das kann so nicht zutreffen, denn der Posten wurde ja gerade wegen Sachbeschädigungen und politischen Aktionen eingerichtet, wohl wissend, dass die paar StreifenpolizistInnen sie auch in der Zukunft nicht verhindern werden. Der Posten ist seit Anbeginn ein politisches Signal; aus diesem Grund wird der Posten, wie FdP bekannt sein wird, auch von der Stadt und nicht vom Land bezahlt. Die Bedingungen für die politische Arbeit von FdP haben sich weder verschlechtert, noch verbessert. Denn der Verweis auf Gewalt und Sachbeschädigungen gehörten immer zum Begründungszusammenhang des Postens. Die Aktion hat jedoch etwas geschafft, was allen klar war und jetzt offiziell wurde: dass Connewitz ein „Kontrollbereich“ ist. Über Monate wurde gefragt und gestritten und staatlicherseits immer geleugnet. Jetzt wurde wenigstens zugegeben, dass es hier diesen Bereich gibt.

Ist FdP das neue Quartiersmanagment?

FdP hat in ihrer Reaktion auf das Interview die Kritik des AK überhaupt nicht verstanden. Zum einen war FdP überhaupt nicht genötigt, Position zum Angriff zu beziehen, wie es vielleicht andere AkteurInnen im Stadtteil sind. Was sie aber trotzdem gemacht haben, ist, sich ganz klar von Militanz zu distanzieren. FdP hat sich somit ganz klar entsolidarisiert.

Es ist völlig legitim zu sagen, dass man selber aus diesen und jenen Gründen für sich Gewalt ablehnt. Aber das auch von anderen zu verlangen, und so liest sich das Statement, ist eine Spaltung einer linken Szene in „gute, richtige und sinnvolle Politik“ (FdP schreibt von einem „vernünftigen, kreativen, progressiven und gewaltfreien Protest…, damit Ohnmacht und Wut in wahre politische Gestaltung münden“) und „böse, schlechte und sinnlose Politik“. Was auch immer das sein soll und warum auch immer FdP der Meinung ist, entscheiden zu können, was „wahr“ und „richtig“ ist – Timo vom AK hat das Statement von FdP sehr genau gelesen und verstanden und braucht FdP daher nichts zu unterstellen.

Es stimmt nämlich: Mit einem solidarischen Austausch und Streit um politische Aktionsformen haben die Stellungnahmen von FdP überhaupt nichts zu tun.

An dieser Stelle sei auch erlaubt, FdP zu fragen, ob die „richtige“ Politik ihre Politik ist? Eine unübersichtliche Internetseite, ein paar Pressemitteilungen und Statements, ein Brief, der von allen möglichen Läden unterschrieben wurde, aber sonst im Stadtteil nicht zu finden ist. Ein paar Treffen in der Kneipe und ein Fest, das in Wasser gefallen ist. Ist dies die Politik und der kreative Protest, nach dem sich ausgerichtet werden soll? Der „besser“ ist als Glasbruch an einem staatlichen Repressionsorgan?

Das einzige Handfeste, was aus den Statements von FdP herauszulesen ist, ist, dass Gewalt und Militanz abgelehnt werden. Eine ernsthafte Begründung gibt es nicht. Eine Debatte um Militanz auch nicht, von einer militanten Praxis ganz zu schweigen. Da gibt es lediglich einen Verweis auf einen anderen Blog, aber FdP hat eben gerade diese „Debatte“ nicht führen wollen – warum also der Verweis? Was es gibt, ist eine nicht notwendige Entsolidarisierung und ein Statement, dass die Politik von FdP die „richtige“ sei.

An diesem Punkt nimmt FdP die Rolle eines Quartiersmanagment ein, das sich Frank Gurke für Connewitz immer gewünscht hat, nur unbezahlt. Der Südpol hätte dafür wenigsten noch Geld bekommen und Leute bezahlen können. FdP übernimmt das ehrenamtlich.

Wahrscheinlich wird FdP jetzt aufschreien und sich mit Händen und Füßen gegen diesen Vergleich wehren, aber wenn ihr zur Gewaltlosigkeit aufruft und euch von militanten Aktionen distanziert, erfüllt ihr genau den Wunsch von Polizei, Stadt und Innenministerium.

Ihr ächtet andere politische Aktionsformen, versucht euch in Befriedung und verkauft zudem noch eure politische Überzeugung und Praxis als die „richtige und wahre“ linke Politik. Was ihr eben nicht bietet, ist eine ernsthafte politische Debatte über Aktionsformen, Inhalte und Praxis.

Ein von euch eingebrachtes „Parteiausschlussverfahren“ läuft doch bereits, aber nicht gegen euch, sondern von euch gegen all jene, die für sich andere Aktionsformen und Inhalte gewählt habe. Das ihr das nicht verstehen wollt, liegt daran, dass ihr eure eigenen Statements mit Polemik begonnen habt, euch dann von Timo teils polemisch geantwortet wurde und ihr die getroffenen Aussagen gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen wollt.

Zum Schluss

Zwei Sachen zum Schluss. Ja das BekennerInnenschreiben ist inhaltlich Mist, aber wer sich wirklich mal mit dem Mord an Oury Jalloh beschäftigt hat, sollte dafür vielleicht Verständnis aufbringen können. An dieser Stelle sollte sich bei FdP mal als Plenumspunkt damit beschäftigt werden, was jede/r dort über die zehn Jahre und was in diesem Zusammenhang alles passiert ist weiß. Vielleicht auch, wann ihr selbst mal in Dessau im Januar gewesen seid. Vielleicht wächst dann auch bei euch zumindest das Verständnis für die Wut und Ohnmacht.

Das Andere: Ihr macht euch wirklich mit eurem Namen über andere Gruppennamen lustig. Ernsthaft?


Text zugesandt von: anonym.