Betrifft: „Aufruf zur Gewalt“

Vor einigen Tagen wurde ein „Aufruf zur Gewalt – gegen jene, die diese gewalttätige Welt wollen“ veröffentlicht. Er nennt „50 Ziele“ in Leipzig, die es am 31. Dezember irgendwie treffen soll. Polizei und Lokalmedien sind alarmiert. Sachsens „Verfassungsschutz“ glaubt an eine Umsetzung und weist auf die besondere Gewaltbereitschaft der „Leipziger Szene“ hin. In Wirklichkeit ist das Meinungsbild gespalten.


Nachfolgend veröffentlichen wir eine Zusendung, die sich kritisch gegen den „Aufruf zur Gewalt“ wendet. Weitere Meinungen sind willkommen.


Politik als Abenteuer

Wer die Vorgänge nicht erst seit wenigen Jahren und nicht nur aus der Presse kennt, kann sicher beipflichten: Die Silvester-„Ausschreitungen“ in Connewitz sind lame. Sie sind kaum politisch und dadurch nur für die Gegenseite von politischer Bedeutung, die ihre Statistik über „linke Kriminalität“ fleißig auffüllt, weil die Klangkulisse die Verwendung nicht zugelassener Feuerwerkskörper vermuten lässt. Das ist alles.

Womöglich war das einmal anders. Versuche tatsächlicher politischer Statements hat es mehrfach gegeben, sie sind nicht prinzipiell schlecht. Nur sind sie an Silvester prinzipiell nicht überzeugender als an 364 nüchterneren Tagen des Jahres. Das ist auch das Erste, was sich über den jüngst publizierten „Aufruf zur Gewalt“ sagen lässt: Er spielt mit einem Ritual von völlig überschätzter, höchstens lokaler Symbolkraft und der Bürgerschreckwirkung des Wortes „Gewalt“. Eine geradezu „weltrevolutionäre“ Praxis, die der textliche Rundumschlag suggeriert, auf dieser bornierten Grundlage entfalten zu wollen, kann man naiv nennen. Aber darauf kommt es nicht an.

Es kommt auch nicht auf eine Distanzierung an, denn die Schaffung eines Abstandes setzt zuvor bestehende Nähe voraus. Ganz abgesehen von der Frage, ob der Aufruf „authentisch“ sein könnte, ist er mit Sicherheit authentischer Unsinn: Nichts von dem, was die VerfasserInnen an der Welt im Ganzen kritisieren, lässt sich durch unbestellte Fassadenarbeiten an 50 ausgesuchten Adressen in Leipzig beheben. Das wissen auch die VerfasserInnen, wenn sie in entwaffnender Offenheit einräumen, dass ihr Vorgehen nicht auf Vernunft hin kalkuliert ist. Also nicht einmal das.

Wenn es wirklich so sein sollte, dass durch überlegtes Handeln in dieser Welt nichts zu erreichen sei – welchen Grund sollte es dann für die Annahme geben, dass auch nur irgendeines der mutmaßlichen politischen Ziele der VerfasserInnen ausgerechnet durch unüberlegtes Handeln, durch erklärtermaßen „unvernünftige Gewalt“ umsetzbar wäre? Diese durch nichts gedeckte Annahme ist nicht nur ohne Vernunft, sondern beleidigt sie auch. So eine Überlegung distanziert sich selbst von linker Politik.

Das vielleicht „Interessanteste“ am ganzen Aufruf ist das Bekenntnis zu Taten, die es noch nicht gegeben hat oder niemals geben wird. Vielleicht ist die darin enthaltene Diagnose über das Erlahmen und Nicht-Stattfinden linker Praxis die eigentliche Botschaft der VerfasserInnen. So eine Botschaft verriete uns aber weniger über den Zustand linker Politik, als den Zustand derer, die sie in einen Modus „unvernünftiger Gewalt“ versetzt sehen wollen. Hier stellt sich in der Tat die Frage nach den Interessen der unbekannten VerfasserInnen: Sie werden niemals widerspruchsfrei und glaubhaft behaupten können, vernünftige Interessen zugrunde zu legen.

Die im Aufruf aufgefächerte Analyse mag schwer linksradikal klingen. Aber es sollte nicht übersehen werden, dass diese Analyse wenig mit den beschädigten Interessen der Unterdrückten und Ausgebeuteten argumentiert. Sie ist stattdessen eine Aufzählung von Leid, ausgedrückt durch Aneinanderreihung von Metaphern, genretypische Insurgentenliteratur also, aber damit nicht automatisch ein Ausdruck linker Politik. Die Schlüsse der AutorInnen sprechen jedenfalls für etwas, was nicht Bestand-, sondern Gegenteil linker und auch revolutionärer Politik ist: revolutionäre Ungeduld.

Sie bleibt all denen plausibel, die sich – oft wider besseres Wissen – einer typisch linken Geschichtslosigkeit ergeben. Die Annahme beispielsweise, dass der „Angriff auf den deutschen Schein einer heilen und friedlichen Welt“ irgendwen wachrütteln, irgendetwas bloßstellen und auf unerklärte Weise am „Hamsterrad der ausbeuterischen Beschäftigung“ rühren würde, was anders nicht zu erreichen sei, ist eine besonders ungescheite Variante der so genannten Focustheorie. Ihr Scheitern in der Bundesrepublik ist offenkundig. Und alles, was durch Wiederholung alter Fehler irgendwann eingetreten sein wird, sind Türen um sechs Uhr morgens. So viel Gewalt ist beinahe sicher.

Es geht hier nicht um das Für und Wider von Gewalt, sondern die Verwandlung linker Politik in ein Abenteuer: Der „Aufruf zu (unvernünftiger) Gewalt“ vermeint, etwas Schweres zu schaffen, was einfach zu machen sei – man müsse es nur ganz doll wollen. Den Hinweis, dass damit Bertolt Brecht an Carl Schmitt verraten wird, sollten sich wenigstens die Vernünftigen merken.


Text zugesandt von: Anita.


Andere Meinungen sind willkommen. Hier geht’s zum Mail-Formular…