Perspektiven antirassistischer Arbeit in Leipzig: Auswertung der „Refugees Welcome!“-Demo

"Refugees Welcome"-Demo am 24. Mai 2014 in Leipzig. Foto: visual.change, flickr.

Am 24. Mai beteiligten sich in Leipzig circa 1.500 Menschen an der Demonstration “Refugees Welcome!”, die sich gegen die rassistischen Mobilisierungen der jüngsten Vergangenheit wie in Leipzig-Schönefeld und gegen die bundesdeutsche sowie europäische Asylpolitik richtete. Ziel war es, mit einer gleichermaßen ausdrucksstarken und offenen Demonstration unter Beteiligung von Geflüchteten, antirassistischen Initiativen und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen in der Diskussion um die Aufnahme von Geflüchteten in Leipzig eine Gegenposition zum verankerten Rassismus stark zu machen und die Betroffenen in ihren Forderungen zu stärken.

Als Gruppe Prisma haben wir uns an der Organisation der Demonstration beteiligt. Im Folgenden Text möchten wir die Demonstration nachbesprechen und hierbei erklären, weshalb wir die Aktion positiv bewerten, welche Kritikpunkte wir erkennen und welche Perspektiven antirassistischer Arbeit wir in Leipzig sehen.

Ausgangssituation

Die vergangenen Monate waren von Gegenaktionen zu rassistischen Mobilisierungen geprägt. An vielen Orten zeigte sich eine gefährliche Zusammenarbeit von organisierten Nazis und gewöhnlichen Rassist_innen, deren Grundlage die Ablehnung von Asylsuchendenunterkünften war. Gleichzeitig haben diese Ereignisse zu antirassistischer Sensibilisierung und Politisierung beigetragen – auch wenn sich diese zunächst „nur“ gegen den offenen, politischen artikulierenden Rassismus richtete: Die Bilder von fackeltragenden Nazis haben bei vielen Leuten das (richtige) Gefühl erweckt, „etwas tun zu müssen“. Dies zeigte sich an gut besuchten Infoveranstaltungen zum Thema Rassismus, antirassistischen Vollversammlungen und kurzfristigen Mobilisierungen, beispielsweise nach Schneeberg oder Schönefeld.

Jenseits der Beteiligung an Gegenaktionen wurden diesen Menschen vonseiten der antirassistischen Bewegung jedoch wenig Anknüpfungspunkte geboten, sei es in Richtung einer weiterführenden inhaltlichen Kritik oder in Richtung langfristiger Mitarbeit bzw. Organisierung in antirassistischen Zusammenhängen. Damit wurde eine Chance verpasst, aus dieser Auseinandersetzung gestärkt hervorzugehen. Antira-Arbeit darf kein Job von Expert_innen oder geknüpft an subkulturelle Formen sein, sondern muss Menschen mit verschiedenen gesellschaftlichen Hintergründen durch unterschiedliche Inhalte und Aktionen erreichen und einbinden.

Aus diesen Gründen war es uns wichtig, die Demo zugleich ausdrucksstark als auch offen zu gestalten. Wir haben dies als ein verspätetes Angebot an die Interessierten verstanden, sich weiter einzubringen. Ziel war es zudem, die berechtigte aber spontane und wenig tiefgehende Ablehnung des offensichtlichsten Ausdruckes rassistischer gesellschaftlicher Verhältnisse – der rassistischen Mobilisierungen – um eine weiterführende Kritik an rassistischen Strukturen zu ergänzen. Das heißt, die bundesdeutsche und europäische Asylpolitik zu problematisieren sowie konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Bündnisarbeit

Im Vorfeld der Demonstration haben wir einen breiten Bündnisansatz verfolgt. Hierbei war unser Standpunkt, dass eine Einbeziehung der verschiedenen Akteur_innen unter der inhaltlichen Klammer erfolgt, dass nicht nur der Rassismus von Nazis und Bürgerinitiativen abgelehnt, sondern auch eine deutliche Kritik an der staatlichen Asylpolitik formuliert wird, und Forderungen der (selbstorganisierten) Geflüchteten aufgegriffen werden. Dieses Vorgehen ist nicht ohne Kritik geblieben, weshalb wir im Folgenden unseren Ansatz begründen möchten.

Rassismus zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Wenn „wir“ daher entscheiden, dass wir mit potentiellen Verbündeten, die jedoch keine Linksradikalen sind, nichts zu tun haben wollen, weil es sich bei „denen“ ja eh nur um Rassist_innen handelt, begeben wir uns in eine gesellschaftliche Isolation. Es braucht eine breite antirassistische Bewegung um Veränderungen zu erreichen. Dafür bedarf es neben dem gemeinsamen Kampf gegen das deutsche und europäische Asylsystem, der konkreten, teils karitativen, materiellen, medizinischen und rechtlichen Unterstützung von Geflüchteten, der Abwehr von Nazis und Rassist_innen, der gemeinsame Freizeitgestaltung und das Aufbrechen von Isolation. Wenngleich wir den explizit linken Praxen häufig mehr Wertschätzung entgegenbringen, sollten wir auch an die rassismuskritischen Einstellungen und Praxen anknüpfen, die wir bereits vorfinden. Das heißt auch, zu akzeptieren, dass diese häufig Aufgaben übernehmen, die von den Strukturen der linken Szene nicht geleistet werden können.

Im Konkreten bedeutet dies auch, in einer öffentlichen Diskussion um die Akzeptanz von Geflüchteten (perspektivisch) die Oberhand zu erlangen. Dabei sehen wir uns einer Gemengelage von teils widersprüchlichen rassistischen Ideologien und politischen Formationen gegenüber stehen. Die inhaltliche Klammer „Ablehnung der rassistischen Mobilisierungen und Kritik an der staatlichen Asylpolitik“ halten wir für notwendig und geeignet, um in diesem Diskurs Punkte setzen zu können, anstatt mit unserer Position ungehört am Rande zu verharren.

Dennoch müssen wir uns auch der Gefahr der Vereinnahmung, die eine solche Strategie mit sich bringt, bewusst sein. Insbesondere die Frage nach dem Verhältnis zwischen Bewegung und Parteien bzw. die Teilnahme durch Letztere ist wenig diskutiert worden. Dennoch halten wir die vorherrschende Sorge vor einer Unterstützung durch Linke, Grüne, Jusos oder Piraten aktuell in Leipzig für unbegründet.

Die Sache mit der Kapitalismuskritik

Der am deutlichsten im Vorfeld geäußerte Kritikpunkt betraf die inhaltliche Ausrichtung der Demonstration bzw. des Aufrufs. Unsere Analyse des Rassismus sei zu oberflächlich, da an der Sozialisation der Subjekte ausgerichtet, vielmehr müsse ein Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rassismus dargestellt werden. Wir teilen diese Kritik nur bedingt. Ein Text steht nicht für sich alleine, sondern nur im Kontext der mit ihm einhergehenden Praxis. Wenngleich eine antikapitalistische Perspektive keine Voraussetzung zur Teilnahme an der Demonstration war, ist die Kontextualisierung von Kapitalismus und Rassismus im Rahmen des Redebeitrages vom Krisenbündnis Leipzig (und in Form eines separaten Aufrufs zur Demo) durchaus Teil der Demonstration gewesen.

Die Gratwanderung, die wir gehen wollten war, weder mit Absicht Falsches zu schreiben, um Menschen instrumentell zur Teilnahme an einer Demonstration zu locken, noch sich im Turm der reinen Kritik zu verschanzen und einen Aufruf zu schreiben, der ausschließlich von linksradikalen Gruppen geteilt werden kann. Hierbei ist es uns leider nicht gelungen den Aufruf in Diskussion mit der Breite der Unterstützer_innen zu erstellen, weswegen wir einen gemeinsamen, nicht ausschließenden Konsens mit emanzipatorischer Ausrichtung quasi „raten“ mussten. Wir denken jedoch, dass der erwähnte fehlende Verweis auf den Kapitalismus durchaus – vermittelt in der Thematisierung des Zusammenhangs zwischen Flucht und Migration einerseits, sowie globaler Ungleichheiten, Ausbeutung und Kriege andererseits – passend und angebracht gewesen wäre.

Zusammenarbeit mit Geflüchteten

Eine weitere Kontroverse betrifft die Einordnung der Demonstration in die aktuelle (und gleichzeitig dauerhafte) Debatte um das Verhältnis zwischen weißen Aktivist_innen und den Realitäten, Kämpfen und Forderungen Geflüchteter. Im Vorfeld der Demonstration ist es uns nicht gelungen eine gemeinsame Handlungsbasis herzustellen. Hierbei haben wir allerdings auch auf diejenigen antirassistischen Kreise mit guten Kontakten zu Geflüchteten vertraut. Erst kurzfristig gelang es, die Teilnahme von Geflüchteten aus Leipzig, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu ermöglichen. Das Zustandekommen der Redebeiträge aus Borna und von der Gruppe Saalekreis Refugee Association (SaRA) bewerten wir insofern als erfolgreich, als dass die Geflüchteten mittels der Demonstration eine Sprechposition einnehmen konnten, die sie im gesellschaftlichen Diskurs selten besitzen.

Dennoch verbleibt unaufgelöst der Widerspruch zwischen teilweisem Empowerment durch die Demonstration und der gleichzeitigen Frage, was Geflüchteten die Beteiligung an der Demonstration letztlich politisch oder individuell nutzt.

Wie geht es weiter mit Antirassistischer Arbeit in Leipzig?

Wir haben keinen Masterplan, wollen aber einige Punkte skizzieren, die uns für die zukünftige Antira-Arbeit wichtig erscheinen:

  1. Unterstützungsarbeit: Die konkrete Unterstützungsarbeit von Geflüchteten, wie sie in Leipzig durch viele verschiedenen Initiativen geleistet wird, muss als wichtiger Teil der politischen Antira-Arbeit begriffen werden. Die Parteinahme für Ausgegrenzte und der Wunsch diese zu unterstützen ist in Anbetracht der gesellschaftlichen Verhältnisse ein politischer Akt. Eine solche Empathie stünde auch allseits analysierenden und berechnenden Linken gut zu Gesicht. Zudem entstehen durch diese Unterstützungsarbeit oftmals Kontakte zwischen Geflüchteten und antirassistischen Aktivist_innen. In dieser Situation bröckelt die Isolation und existentielle Nöte können angegangen werden, sodass diese Arbeit die Voraussetzungen der politischen (Selbst-) Organisation von Geflüchteten verbessert.
     
    Dafür muss diese Praxis sich jedoch auch selbst als politisch begreifen. Wer die allernotwendigste gesellschaftliche Teilhabe, die der Staat Geflüchteten verwehrt, selbst herstellt, ohne dem Staat gegenüber eine kritische Haltung einzunehmen, muss sich tatsächlich fragen, inwiefern er_sie zum reibungslosen Ablauf der herrschenden Asylpraxen beiträgt.
     
  2. Ohne Unterstützung der selbstorganisierten Kämpfe und Forderungen der Geflüchteten bleibt Antira-Arbeit unvollständig. Solange es diese in Leipzig und Umland nicht gibt, müssen wir zumindest ein offenes Auge dafür bewahren. Gleichzeitig bietet es sich an, die bundesweiten Kampagnen, beispielsweise Refugee March oder die Forderung nach Asyl durch §23 zu unterstützen.
     
  3. Zugleich ist es nach wie vor unsere Aufgabe in der öffentlichen Diskussion präsent zu bleiben. Um in dieser eine Sprechposition zu erlangen, ist wiederum eine Offenheit gegenüber zivilgesellschaftlichen Gruppen notwendig. Insbesondere die Menge an kulturellen Akteur_innen in dieser Stadt sollten wir nutzen und unsere Bündnisse in diese Richtung weiter ausbauen (beispielsweise GSO).
     
  4. Um Diskussionen zwischen den Antira-Gruppen führen zu können, braucht es einen strategischen Ort, dieser könnte das regelmäßig stattfindende Vernetzungstreffen sein. Hierbei ist es aber noch nicht gelungen jenseits der unterschiedlichen kulturellen und politischen Formen und damit einhergehender (ausschließender) Bedürfnisse (beispielsweise nach Sicherheit oder Offenheit) einen gemeinsamen Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit zu schaffen.
     
  5. Perspektivisch sollten wir die Forderung nach selbstbestimmtem Wohnen für Geflüchtete gemeinsam diskutieren und auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüfen. Ein solches konkretes Ziel gibt unserer Bündnisarbeit einen Rahmen, macht Erfolg und Nichterfolg diskutierbar. Der utopische Gehalt dieser Praxis besteht in der Schaffung einer transnationalen Bewegung, die es vermag, diesen Verhältnissen ein würdevolles Leben für alle abzutrotzen und sie schließlich einmal zu überwinden.
     

Mit diesem Diskussionsbeitrag möchten wir einige Fragestellungen anreißen, die unserer Meinung nach in der alltäglichen Zusammenarbeit zu wenig Berücksichtigung finden.

Wir sind uns im Klaren darüber, dass vieles was wir kritisieren nicht auf alle zutrifft und einige Sachverhalte überspitzt dargestellt werden. Im Sinne einer Debatte finden wir das richtig! Wir freuen uns über Kritik und Diskussionsbeiträge.

Für eine Linke, die dazwischengeht!
Prisma, August 2014


Text zugesandt von: Prisma