Chemie-Fans sind keine kriminelle Vereinigung

Der Grimmaer Revierleiter Frank Gurke hat im Herbst Fans der BSG Chemie Leipzig als "kriminelle Vereinigung" bezeichnet und damit einer schweren Straftat bezichtigt. Das war frei erfunden: Wie das sächsische Innenministerium nun klarstellte, wird gegen die grün-weißen Ultras kein Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129 geführt.

Mehr als 140 Beschuldigte in Dresden…

Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Landtag hervor. Gefragt nach aktuellen Ermittlungsverfahren wegen Bildung krimineller Vereinigungen durch Fangruppierungen sächsischer Fußballvereine wird auf lediglich zwei Fälle verwiesen: “Hooligans Elbflorenz” und “Faust des Ostens”, beide aus dem Umfeld von Dynamo Dresden. Von den medienbekannten Verfahren sind insgesamt mehr als 140 Beschuldigte betroffen – und es sind Überschneidungen zur Neonaziszene aktenkundig geworden, namentlich auch zu den verbotenen “Skinheads Sächsische Schweiz”.

…und 0 Beschuldigte in Leipzig

Gegen Fan- und Ultra-Gruppierungen der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Chemie wird dagegen nicht wegen Verstoßes gegen §129 ermittelt. Anderslautende Gerüchte hielten sich seit Monaten beharrlich.

Anlass war ein sportlich unbedeutendes Spiel der BSG in Zwenkau (0:0) Ende September. Nach Abfiff kam es zu einem Polizeiangriff mit Knüppeleinsatz gegen etliche Chemie-Anhänger (siehe Video), Resultat: mehrere Verletzte. Der entscheidende Satz fiel dann in einer Nachbesprechung der Polizei mit dem betroffenen Verein: Dort sagte Gurke laut Zeugen, eine bestimmte Fangruppierung der BSG Chemnie – er meinte offenbar die “Diablos” – verhalte sich “wie eine kriminelle Vereinigung”. Dieser Vorwurf ist nun aus der Welt.

Hat Gurke Tomaten auf den Augen?

Polizeioberrat Gurke, der in Zwenkau gar nicht vor Ort war, rechtfertigte den groben Einsatz seiner Kollegen im Anschluss gegenüber der Leipziger Volkszeitung (LVZ) damit, dass im zeitlichen Zusammenhang mit dem dortigen Fußballspiel ein örtlicher Penny-Markt “geplündert” worden sein. Als erschwerenden Umstand wertete Gurke, dass Chemie-Fans “zumindest teilweise dem linksautonomen Spektrum zuzuordnen” seien, schließlich unterhalte der Verein im Stadtteil Connewitz eine gemeinsame Geschäftsstelle mit dem “Roten Stern Leipzig” (RSL).

Auch hier lag Gurke falsch: Womöglich hat es in Zwenkau Diebstähle gegeben — eine “Plünderung” war jedoch ebenso wenig zu verzeichnen, wie angebliche “Autonome”. Die BSG unterhält auch weder eine Geschäftsstelle in Connewitz, noch führt sie diese gemeinsam mit dem RSL.

Rigoros im Muldental

Gurke hatte sich in der Vergangenheit wiederholt durch skurriles Verhalten hervorgetan. So erzürnte er sich 2011, als er noch in Leipzig diente, bei einer antifaschistischen Demonstration über die Verwendung des Begriffs “Gurkentruppe”. Dann wurde er Revierleiter in Grimma, hinterließ aber ein Konzept für eine ordnungspolitische Intervention im Stadtteil Connewitz (geleaktes PDF). Ziel war, der angeblich “zunehmenden Gewaltbereitschaft” zu begegnen.

Kernpunkte des Konzepts: “Herausholen der Straftäter aus der Anonymität”, “Präsenz (uniformiert und zivil)”, “konsequente Vorgehensweise” sowie der Einsatz von Videotechnik. Einzig neu war die geplante Einrichtung eines “Kiezmanagements” und der Einsatz eines “Mediators”. Doch weder fand sich ein Mediator, noch Anklang für das Konzept. Es gilt mittlerweile als völlig gescheitert.

Noch kurz vor seinen Provokationen gegen die Chemie-Fans hatte sich Gurke wiederum in der LVZ anlässlichs der Visite eines Innenstaatssektärs gebrüstet, er habe eine dreißigköpfige Einsatzgruppe gebildet, die “rigoros im Vorgehen” sei. Das Innenministerium hat diese Behauptung auf Nachfrage der Linksfraktion zurückgewiesen. Faktisch profitiert Gurke allerdings von dem Umstand, dass sein Revier personell überbelegt ist, weil es einst als eigene Polizeidirektion geplant worden war.

Weiterhin verdeckte Maßnahmen in der Fußball-Szene

Grund zur Entwarnung gibt es am Ende nicht: Das jüngste Statement des Innenministeriums besagt lediglich, dass gegen keine Fangruppierung der BSG Chemie wegen Verstoßes gegen Paragraf 129 ermittelt werde. Das besagt nicht, dass kein Chemie-Fan von derartigen Ermittlungen betroffen sein kann.

In einer früheren Erklärung hatte das Innenministerium den Einsatz verdeckter Ermittlungsmethoden und der Telefonüberwachung in der Fußball-Szene übrigens nicht näher kommentieren wollen, “da ansonsten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise der Polizei” möglich seien. Ganz unbekannt ist diese Arbeitsweise nicht: Allein seit 2011 sind zwölf sächsische Polizeibeamte zu “szenekundien Beamten” ausgebildet worden.


Text eingesandt von: anonym