Kein Bock auf Hinterland?

Zur Diskussion um Antifa in Stadt & Land. Hier Eine Antwort auf den Text von "Sacco".

Ein Text wie „Wo wart ihr in Bautzen“ war schon längst überfällig. Nicht zum ersten Mal glänzte die Antifaszene aus Leipzig mit Abwesenheit in der sächsischen Provinz. Wenn nicht gerade sogenannte Feuerwehreinsätze nach besonders brutalen Übergriffen rufen oder ungestörte Fackelmärsche a la Schneeberg die hiesigen Antifaschist_innen aufschrecken, dann ist die Bereitschaft zu einem Ausflug ins Hinterland schon seit Jahren gering bis nicht vorhanden.

Schon bevor die Mobilisierung zu Demos oder anderen Aktionen bzw. Interventionen in Kleinstädten rund um Leipzig beginnt, winken die Ersten ab. „Das bringt doch nichts“ hört mensch in diesem Zusammenhang immer wieder, oder aber auch: „Dahin fährt doch eh keine_r mit“. Doch worin liegen die Gründe für derlei Aussagen?

In dem oben genannten Text stehen dafür mehrere Gründe zur Diskussion. Zum Einen die individuelle Freizeitgestaltung, des Weiteren die Mobilisierung, die Bequemlichkeit Einzelner sowie fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema Antifa in der Provinz. Ich sehe die Ursache für diese Gründe in einer gewissen Beliebigkeit, die in der Szene (nicht nur in Leipzig) Einzug gehalten hat.


Antifa bzw. Radikale Linke ist schon seit längerem zu einem Lifestyle neben Anderen geworden. Dies geht einher mit zunehmender Entsolidarisierung und Phrasendrescherei. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir keine Bewegung mehr sind.


Solidarität beschränkt sich nicht selten auf den Tausch von Geld gegen Cocktails und gelegentlichen Event-Ausflügen, die dann aber auch hip beworben und mit dem Versprechen von Action ausgestattet sein sollen. In der Stadt sieht es doch meist nicht anders aus. Zwar können an manchen Tagen bis zu tausend Menschen in der Stadt mobilisiert werden, aber auch hier gilt es einige Punkte zu beachten. Zum Einen sollte an solchen Tagen kein Fußballspiel von Chemie oder dem Stern angesetzt sein, dann sollte auch keine Demo in anderen Großstädten wie Hamburg, Berlin oder Frankfurt stattfinden (ich nehme hier bundesweit mobilisierte Demos raus), denn dort ist oftmals mehr Action zu erwarten, und zu guter Letzt sollte in den meisten Fällen das Wetter auch noch mitspielen.


Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Antifaschist_innen aus dem Umland regelmäßig in die Stadt kommen und Aktionen supporten, nur fällt das in der Stadt nicht so auf.


Antifaschistische linksradikale Politik kann nur erfolgreich sein, wenn sie von vielen Schultern getragen wird, wenn viele sich beteiligen und engagieren. Es nützt keine große Szene, wenn die organisatorische Arbeit von einigen Wenigen gestemmt werden muss. Dazu gehört auch das mensch Eigenverantwortlich handelt und selbst ihren_seinen Teil dazu beiträgt. Es kann nicht sein, dass es Menschen gibt, die wegen eines schlechten Aufrufs oder hässlichen Flyern/Plakaten eine Mobilisierung nicht unterstützen bzw. die Aktion nicht supporten.


In einer Bewegung, und dahin müssen wir wieder kommen, sollte es selbstverständlich sein, dass in solchen Fällen es Menschen gibt, die sich solidarisch kritisch äußern und dann selbst Aufrufen und eigene Flyer oder Plakate kreieren.


Dazu gehört aber eben auch das Menschen bereit sind nicht länger nur zu konsumieren, also auf (Soli-) Partys zu gehen, fertig organisierte Demos zu besuchen, Diskussionen zu lauschen aber sich nicht mit einbringen etc.

Viele der oben genannten Punkte bedürfen einer tieferen Analyse und einer kritischen Auseinandersetzung innerhalb der Szene. Das betrifft sowohl die Menschen die viel auf die Beine stellen als auch jene die (bisher) lieber konsumiert haben. Wenn wir nicht bald wieder den Arsch hoch kriegen und uns bewegen, droht uns ein weiterer Verlust von Glaubwürdigkeit und wir versinken mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit, was gerade im Hinblick auf die sozialen Kämpfe in so vielen Teilen der Welt katastrophal wäre.

Zu weiteren Vertiefung meiner Gedanken möchte ich noch auf den Text der Gruppe AuA – Anna und Arthur im Hinterland „Sind wir nicht alle ein bisschen Dorf?“ verweisen. Auch wenn der Text schon älter ist und auch öfter publiziert wurde, verliert er bis jetzt kein bisschen an Aktualität. Leider!


Text zugesandt von: Pacy (AuA)


Dokumentiert:

Sind wir nicht alle ein bisschen Dorf?
Warum uns die Provinz alle etwas angeht!

Wenn dir nicht gerade die letzte Veranstaltung über die Utopie des Kommunismus im Kopf herumschwirren kann, da dir der nächste Fluchtweg viel mehr Druck macht, dann bist du als alternativer, anders denkende und nicht ins menschenverachtende Weltbild der Nazis passender Mensch in der Provinz angekommen.

Herzlich Willkommen!

Du gehst auf die Straße und kennst fast jeden Menschen, du hältst einen Plausch mit dem netten Nachbarn der gerade die komplette Winterkollektion von Thor Steinar an hat, dann wirst du freundlich begrüßt und gefragt wie es dir geht, von der Freundin einer Kollegin deiner Mutti, die so eben mit ihrem „Todesstrafe-für-Kinderschänder-Auto“ an dir vorüber fährt. Im Bäcker packt dir die Frau Schmidt schon die Tüte bevor du den mit Schlandfahnen geschmückten Laden betrittst…

Warum ziehst du dort nicht weg?

Klar könnten wir jetzt allen anraten dies zu machen, aber würden wir unsere Vorstellung einer besseren, freien Welt damit nicht selbst Grenzen auferlegen? Ziehen wir uns damit nicht eine wilde, unbezähmbare Provinz heran? Was kommt als nächstes? Stadtteil in denen ein intervenieren nicht mehr lohnenswert ist? Wie es doch schon in vielen Großstädten der Fall ist, erinnern wir doch nur mal an Großzschocher in Leipzig oder das Häckertgebiet in Chemnitz.

In einer emanzipatorischen Gesellschaft, in einer Gesellschaft in der es selbstverständlich ist das der Mensch als Individuum im Mittelpunkt steht, unabhängig seines Aussehen, sexuellen Orientierung, Religion und Herkunft. In der Gesellschaft die wir anstreben muss sich mensch nicht rechtfertigen warum er gerade hier in der Provinz sein Leben gestaltet.

Ist es nicht so, das Antifa in der Provinz ein 24h Job ist, einmal als AntifaschistIn wahr genommen bist du abgestempelt und Zielscheibe für jeglicher Art von Anfeindung und den Meisten persönlich bekannt. Und trotzdem machst du weiter. Und das ist gut so.

Anstatt eben diesen Menschen wegen kleinen Mängeln in der Theorie die Unterstützung zu versagen, muss unsere Solidarität, vor allem auch die praktische Solidarität, den aktiven Menschen in der Provinz gelten. Die haben es auch ohne die Großstadt schon schwer genug. Wir müssen anerkennen und verstehen, dass die Probleme in der Provinz sich stark von denen in der Stadt unterscheiden. Wenn mensch von Nazis akut bedroht wird, dann ist das Interesse an einer Theorieveranstaltung über global-kapitalistische Ausbeutung nicht wirklich groß, obwohl das Thema auch bei Provinz-Antifas auf dem Schirm ist. Die Beschäftigung mit Theorie geschieht eher im kleinen abgeschotteten Kreis, oftmals auch ein langjähriger Freundeskreis, Texte werden gelesen, aber die Möglichkeit zur Diskussion, zu einer intensiven Auseinandersetzung bleiben beschränkt.

Dies spiegelt sich, so zumindest unsere Erfahrung, auch in Texten und Aufrufen aus der Provinz wieder. Dies wiederum wird, auch das ist unsere Erfahrung, von Gruppen aus den Städten, die ein viel breiteres, ja auch erlebareres politisch-diskursives Spektrum haben, als Begründung hervor gebracht, eben nicht in die Provinz zu fahren und Aktionen vor Ort zu unterstützen. Was wiederum die Separierung der Provinz-Antifas, im Theoriebereich vorantreibt.

Und ehrlich gesagt, wie wollen wir anderen eine bessere Welt praktisch aufzeigen, ohne Menschen die unsere Vorstellungen vom Leben, vor Ort teilen. Anstatt uns immer weiter zurück zu ziehen und in Zentren zu ballen, müssen wir die Provinz wieder beleben. Möglichkeiten dazu gibt es immer. Doch dafür bedarf es nicht nur der Vernetzung der Dörfer unter einander, sondern auch die Vernetzung der Städte mit der Provinz. Beide, Stadt und Dorf, können und müssen von einander und vor allem miteinander lernen und sich weiter entwickeln. Eine emanzipatorische Gesellschaft in der Stadt wirkt sich immer auch positiv auf die umliegenden Gemeinden aus, gleichzeitig sollte aber nicht die negative Wirkung einer un-emanzipatorischen Provinz auf die Städte unterschätzt werden.

Wenn uns das jetzt nicht gelingt, dann verlieren wir den Fuß in der Tür und damit auch ein weiteres Stück Platz für unsere Utopie. Dann wird noch mehr Provinz zur no-go-area für uns und viele andere Menschen.


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