Das Kartell der Hetzer

Hintergründe und Rückblick zu den rassistischen Initiativen
"Gohlis sagt Nein", "IG Schönefeld" und "Leipzig steht auf"

NPD-Aufmarsch gegen eine Flüchtlingsunterkunft am 7. Dezember 2013 in Leipzig-Schönefeld, rechts im Bild Rick Ischner, Fotograf der "Jungen Nationaldemokraten Mittelsachsen".

Vollmundig angekündigt, klammheimlich abgesagt: Am 3. März 2014 fand keine Nazikundgebung in Leipzig-Schönefeld statt. Auch das Gerücht, in umliegenden Kneipen hätten sich verdächtige Personen gesammelt, erwies sich als Ente beziehungsweise als Fehlinterpretation des Schönefelder Status Quo.

Rückblick: Knapp 100 Menschen, darunter der sächsischen NPD-Landesvize Maik Scheffler als Moderator, der Leipziger NPD-Stadtratskandidat Alexander Kurth und der umstrittene Thüringer Naziaktivist Michael Fischer, versammelten sich am 3. Februar 2014 in Leipzig-Schönefeld, um wiederholt gegen eine Interimsunterkunft für Asylbewerber_innen zu hetzen. Etwa 600 GegendemonstrantInnen stellten sich ihnen entgegen – einige von ihnen wurden dabei durch Schläge, Tritte und Pfefferspray der Polizei verletzt. Auch der MDR berichtete über die Kundgebungen.

Die RassistInnen firmieren seit Mitte Januar unter dem Namen “Leipzig steht auf”, angeblich ein Zusammenschluss der “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” und der asylfeindlichen “Interessengemeinschaft Schönefeld”. Die Wahl des Kundgebungsortes in Sichtweite der Flüchtlingsunterkunft – und nicht etwa vor dem Rathaus – zeigte, dass hier nicht Druck auf politische Instanzen ausgeübt, sondern vor allem die BewohnerInnen des Gebäudes direkt bedroht werden sollten. Obwohl der Versammlungsort nördlich der Löbauer Straße weniger als 100 Meter von der AsylbewerberInnenunterkunft entfernt lag, wurde das Anzünden von Fackeln genehmigt.

Hintergründe

Auf den ersten Blick stellt die “Bürgerinitiative” sich als Zusammenschluss “besorgter AnwohnerInnen” dar, die mit plumpen Rassismen eine Bedrohung durch Asylsuchende herbeihalluzinieren. Dabei knüpfen sie an verbreitete Ressentiments innerhalb der Bevölkerung an, um diese gegen die Asylsuchenden aufzuhetzen. Vor allem in sozialen Online-Netzwerken erfreuen sich diese und ähnliche “Initiativen” großer Beliebtheit, die tatsächliche Beteiligung an öffentlichen Protesten ist dabei aber meist gering im Verhältnis zu den teils vierstelligen “Like”-Zahlen.

Das selbe Gesicht auf einem Flyer von “Leipzig steht auf” (Januar 2014) und auf einem älteren Transparent der Neonazi-Kameradschaft “Heimattreues Leipzig”. Collage: Indymedia Linksunten

Ein genauer Blick auf die “Bürgerinitiative Leipzig steht auf” zeigt, dass sich organisierte Neonazis nicht nur daran beteiligen, sondern diese maßgeblich mit organisieren. Das ist mittlerweile selbst zum “Verfassungsschutz” durchgedrungen. So bildete “Leipzig steht auf” auf einem Flyer das selbe aus der BILD-Zeitung geklaute Kindergesicht ab wie zuvor die Kameradschaft “Heimattreues Leipzig” auf einem Transparent.

Webmaster der Webseite leipzig-steht-auf.de ist Ronny Robrecht, NPD-Mitglied aus Delitzsch und von 2006 bis 2007 Administrator von Maik Schefflers damaligem “Front Versand”. Robrecht hostet weitere rechte Webseiten wie das “Deutsche Stimme Warenhaus”, aber auch die Internetpräsenz des Polizeisportvereins Leipzig. Im Januar 2013 nahm er am sächsischen NPD-Landesparteitag in Doberschütz teil, im November 2012 an einer NPD-Kundgebung in Leipzig.

Die Webseiten leipzig-steht-auf.de und polizeisportverein-leipzig.de liegen auf dem selben Server.

Ronny Robrecht auf dem sächsischen NPD-Landesparteitag 2013 (links im Bild, daneben Jens Gatter, Maik Scheffler und Mirko Gelsdorf) und auf einer NPD-Kundgebung in Leipzig am 1. November 2012. Fotos: Screenshot SRF, Indymedia Linksunten

Maik Scheffler und Ronny Robrecht auf der “Leipzig steht auf”-Kundgebung am 3. Februar 2014. Screenshot: MDR

In einem Artikel der BILD-Zeitung zeigten vor einigen Tagen erstmals zwei Unterstützer der “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” ihr Gesicht: der Rentner Hans-Christian Heber und der ehemalige Bundespolizist Stephane Simon. Anlass für den Artikel war ein öffentlich geführter Streit zwischen der “Bürgerinitiative” und ihrer Unterstützerin Katrin Viola Hartung (CDU), welche sich als Ideengeberin der Petition bezeichnet hatte und daraufhin von der Bürgerinitiative “Hochstaplerin” genannt wurde.

Der “Gohlis sagt Nein”-Unterstützer Stephane Simon kündigte in dem BILD-Artikel an, den Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) anzuzeigen, da dieser ihn als Nazi beschimpft habe. Dieser Vorwurf ist jedoch nicht unberechtigt: Stephane Pierre Roger Simon, der auch am 3. Februar auf der Rassisten-Kundgebung kurz das Mikrofon ergriff, * trat unter anderem auf einer NPD-Kundgebung in Gohlis am 2. November 2013 in Erscheinung.

Der mit französischem Akzent sprechende Simon bezeichnet sich außerdem als Freund des Rechtspopulisten Jürgen Elsässer. Als er sich am 27. Februar 2013 vor dem Amtsgericht Leipzig wegen des Vorwurfs der Nötigung verantworten musste, rief die “Reichsbürger”-Webseite “volksbetrugpunktnet.wordpress.com” zur Prozessbegleitung und Unterstützung ihres “Mitstreiters Stephane” auf – mit großer Resonanz: der Gerichtssaal war brechend voll, die zahlreich anwesende Polizei führte gründliche Vorkontrollen durch. Daneben besucht Stephane Simon auch antirassistische Versammlungen wie den Trauerzug für den von Neonazis ermordeten Kamal Kilade und “linke” Veranstaltungen, u.a. einen Vortrag von Inge Höger im Jahr 2010.

Links und Mitte Stephane Simon, rechts Hans-Christian Heber. Screenshots: Leipzig-Fernsehen, bild.de

Screenshot eines Unterstützungsaufrufs für Stephane Simon auf der “Reichsbürger”-Webseite “volksbetrugpunktnet.wordpress.com” im Februar 2013

Ebenfalls zu “Leipzig steht auf” können Anita Engemann aus Leipzig-Schönefeld und Claudia Milker-Wappler aus Leipzig-Reudnitz gezählt werden, die im Impressum der Webseite standen bzw. stehen. Weitere erwähnenswerte Personen und InitiatorInnen von “Gohlis sagt Nein” sind die Leipziger Jurastudentin Katrin Dathe und der Burschenschafter und angehende Jurist Sebastian Schermaul.

Katrin Dathe und Sebastian Schermaul, zwei InitiatorInnen der “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein”

Rückblick

  • Bereits Ende 2012 begannen NPD und anderen Neonazis in Leipzig gegen Moscheen und Asylunterkünfte zu hetzen. Am 1. November 2012 hielt die NPD Kundgebungen vor der salafistischen Al-Rahman-Moschee und vor einer designierten Asylunterkunft in der Pittlerstraße in Leipzig-Wahren ab.
  • Am 16. Oktober 2013 scheiterte der erste Versuch, in Gohlis eine “Bürgerinitiative gegen den Moscheebau” zu gründen. Zuvor war bekannt geworden, dass die islamische Ahmadiyya-Gemeinde den Bau einer Moschee an der Georg-Schumann-Straße Ecke Bleichertstraße plant. Mangels Raum lieferten sich etwa 40 Moscheegegner, darunter circa 20 Neonazis, sowie einige Befürworter der Religionsfreiheit vor dem “Gohlis Center” heftige Wortgefechte. Ein Kamerateam vom Spiegel TV dokumentierte dies. Eine lesenswerte Zusammenfassung der Ereignisse findet sich auch auf dem Weblog von Juliane Nagel.
  • Auch das zweite, in einem Restaurant in Gohlis-Nord geplante Treffen am 17. Oktober 2013 musste auf dem Fußweg stattfinden. Neben den Neonazis Alexander Kurth, Paul Rzehaczek und Enrico Böhm erschien Sebastian Schermaul von der “Burschenschaft Arminia zu Leipzig”, welcher als Organisator des Treffens erkennbar war. In der selben Nacht ging die Facebook-Seite der “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” online.
  • Am Abend des 29. Oktober 2013 veranstalteten Neonazis aus dem Umfeld der “JN Leipzig” und “JN Nordsachsen” ein als “Spontandemonstration” betiteltes Fotoshooting in Gohlis. Dies und zwei Infostände am 30. Oktober 2013 bewarben eine NPD-Kundgebung an der Georg-Schumann-Straße Ecke Lützowstraße am 2. November 2013. Daran beteiligten sich ungefähr 120 Nazis.
  • Etwa 450 Menschen besuchten am 7. November 2013 eine Informationsveranstaltung der Stadt Leipzig zur geplanten Ahmadiyya-Moschee in Gohlis. Neben Sebastian Schermaul und anderen Burschenschaftlern ließen sich auf und vor der Veranstaltung, die in der Michaeliskirche stattfand, wieder 15-20 Nazis blicken, darunter Enrico Böhm, David Dschietzig, Marcus Hölscher, Gerold und Benjamin Pitzinger, Axel Radestock, Stephane Simon, Daniel Speck und natürlich Alexander Kurth und Maik Scheffler.
  • Am 18. November 2013 versammelte die NPD in Schönefeld ungefähr 150 Neonazis und RassistInnen, teils mit Fackeln, zu einer Kundgebung. Eine Woche später kam es auf einer städtischen Informationsveranstaltung zu massiven rassistischen Ausfällen seitens anwesender Neonazis und einer selbsternannten “Elterninitiative”.
  • Am 7. Dezember 2013 veranstaltete die NPD einen Aufmarsch durch Leipzig-Schönefeld, kurz nachdem Asylsuchende die Unterkunft bezogen hatten. Hunderte GegendemonstrantInnen blockierten den Weg zur Unterkunft, die etwa 70 Nazis mussten umdrehen. Der “Anti-Antifa-Fotograf” Ralf Henseling aus Aue hatte zuvor schon eine nicht ganz reibungslose Anreise gehabt.
  • Am 18. Dezember 2013 versammelten sich etwa 50 Nazis unangemeldet mit Fackeln und einem Transparent der Kameradschaft “Heimattreues Leipzig” an der Kreuzung vor der Asylsuchendenunterkunft. Der NPD-Stadtratskandidat Enrico Böhm meldete diese “spontante” Versammlung an, woraufhin die Gruppe eine Runde durch Schönefeld marschierte. Später am Abend griffen Teilnehmer der Versammlung eine Gruppe nicht-rechter Personen im Leipziger Osten an.

 

Enrico Böhm. Foto: NPD

Das Fußvolk

Ein Teilnehmer zahlreicher Rassisten-Versammlungen und NPD-Kundgebungen ist der Zahnarzt Gerold Pitzinger aus Zschepplin (Landkreis Nordsachsen), oftmals in Begleitung seines Sohnes Benjamin Pitzinger. Bereits im Mai 2012 besuchten beide eine Grillfeier mit dem “Landser”-Sänger “Lunikoff” in der Odermannstraße 8. Zur Familie gehört außerdem der Leipziger Rechtsanwalt und Musiker (Künstlername “Painbastard”) Alexander Pitzinger.

Alexander Pitzinger, der gern Kleidung der bei Neonazis beliebten Marke “Label 23” trägt, trat als Sponsor des von Neonazis mitorganisierten Kampfsportturniers “Sachsen Kämpft II” am 02.03.2013 im Volkshaus Schildau auf und unterstützte auch die nur wenig harmlosere vierte “La Familia Fight Night” am 11.05.2013 in der Volksbank-Arena in Halle/Saale. Für den 12.11.2013 kündigte die “Leipziger Burschenschaft Germania”, die im Dachverband “Deutsche Burschenschaft” organisiert ist, einen Vortrag zum Thema “Jura erfolgreich studieren – Strategien zum Studium und Berufsperspektiven” mit ihm an.


Folgende und weitere Fotos des NPD-Aufmarschs am 7. Dezember 2013 in Leipzig-Schönefeld sind bei Indymedia Linksunten zu finden.

links Gerold Pitzinger, rechts Maik Scheffler

mittig mit Schal Benjamin Pitzinger

Kai Mose, Marcus Hölscher und Daniel Speck am Fronttransparent der Kameradschaft “Heimattreues Leipzig”

Marcel Wittig (mit Kamera), Emma Stabel, John-Maurice Stiebing, Tom Lange (oben), Alexander Kerper (unten), Holger Apfel

links Alexander Kurth, rechts Paul Rzehaczek


Transparente Änderung: Stephane Simon ist nicht identisch mit dem Redner bei der NPD-Kundgebung am 3. Februar 2014.


Text zugesandt von: anonym