"Das ist halt so unser Hobby"

Anzeigen von Frauenärtz*innen, die Abtreibungen vornehmen

Yannic Lukas Hendricks aus Kleve hat ein ganz besonderes Hobby. Er sucht im Internet nach Frauenärzt*innen, die Abtreibungen vornehmen. Wenn sie diese Leistung auf ihrer Internetseite erwähnen, zeigt er sie an. Das hat er bisher mit 60 bis 70 Ärzt*innen gemacht. Er meldet sie auch bei den Landesärztekamern. So möchte er erreichen, dass die Ärzt*innen ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Das macht er alles heimlich, damit seine Karriere keinen Schaden nimmt. Der Mathematikstudent möchte an der Uni Duisburg-Essen eine akademische Karriere verfolgen. Unter dem Namen „Markus Krause“ erklärt er, warum er das tut. Er möchte, dass es für Menschen, die ungewollt schwanger sind, sehr schwierig ist, abzutreiben. Er möchte, dass sie sich nicht online informieren können, welche Ärzt*innen ihnen helfen. Er möchte, dass sie in Beratungsstellen überzeugt werden, nicht abzutreiben. Er glaubt damit rettet er Leben. Weil er nicht schwanger werden kann, kann er die Situation besonders gut beurteilen. Glaubt er. Wir erinnern uns an Millionen von ungewollt schwangeren, die keine Hilfe fanden. Viele verloren ihr Leben, als sie versuchten, sich selbst zu helfen. Wir wollen, dass Ärzt*innen öffentlich sagen dürfen, dass sie allen Schwangeren helfen. Wir wollen, dass schwangere sich über alle Möglichkeiten gründlich und zeitnah informieren können. Dazu gehört heute auch, sich online zu informieren.

Wir haben auch ein besonderes Hobby. Wir wehren uns gegen Menschen, die versuchen unsere Rechte einzuschränken. Wir wollen nicht, dass Yannic Lukas Hendricks weiterhin heimlich verhindert, dass Schwangere Information und Hilfe finden. Darum haben wir uns über ihn informiert. Jetzt wissen wir, dass er Aufklärung über geschützten Sex auch nicht mag. Obwohl das manche Abtreibung verhindern könnte. Er selbst wartet mit dem Sex lieber bis zu Ehe und marschiert für das Leben. Online mag er christliche Facebookgruppen und solche, in denen der Holocaust kleingeredet wird und Israelis als Ungeziefer bezeichnet werden. In anderen wird gegen Geflüchtete und den Islam gehetzt. In einer plant man, die Bundesregierung abzusetzen. Dabei mag er doch AfD, CDU und CSU. Und ganz besonders gerne mag er einen Abtreibungsparagrafen aus dem dritten Reich, mit dem er es heute noch schafft Schwangeren und Ärzt*innen das Leben schwer zu machen. Jetzt kann er das wenigstens nicht mehr heimlich tun. Jetzt kann er nicht mehr behaupten, das hätte mit seiner politischen oder religiösen Überzeugung nichts zu tun.

Vollständiger Artikel

Wer kennt’s? Die ganze Woche mit Diskreter Mathematik, geometrischer Analysis oder nichtlinearen Halbgruppen rumgeschlagen und deshalb am Wochenende zum Runterkommen schööön online rumhängen. Bei @onkelzlyrics und @FreiWildBand auf Twitter ein bisschen in Erinnerungen schwelgen und mitwippen, in Facebookgruppen mit anderen Verschwörungsalmans über die „Zionistische BRD Chunta (sic)“[1] sinnieren, oder stunden- bzw. jahrelang gynäkologische Praxen im gesamten Bundesgebiet recherchieren, deren öffentlich abrufbares Leistungsspektrum Schwangerschaftsabbrüche umfassen, um diese online anzuzeigen. Hört sich gar nicht mal so gut an? Yannic Lukas Hendricks, alias „Markus Krause“, aus Kleve gefällt das. Der Mathestudent an der Uni Duisburg-Essen, dem es „sehr gut gefallen“ würde dort als „Fachkraft“ eine akademische Karriere zu verfolgen[2] , hat in den vergangenen Jahren nach Selbstauskunft zwischen 60 und 70 Ärzt_innen angezeigt. Unter ihnen die im November 2017 in Gießen verurteilte Kristina Hänel und die beiden Kasseler Ärztinnen Natascha Nicklaus und Nora Szász, deren Prozess im August in Kassel beginnt. Weil die Mühlen der Justiz langsam mahlen und Hendricks viel Zeit hat, legt er auch schon mal nach: Etwa mit weiteren Strafanzeigen, wenn die Polizei seines „Erachtens“ nach Server sicherstellen möge oder mit Meldungen bei den Landesärzte*kammern, die effektiv auf die Subsistenz der inkriminierten Ärzt_innen abzielen.

Hendricks führt sein Bemühen um den Lebensschutz als Motivation seines Binge-Anzeigens an, das ihn zum Rächer der Ungeborenen werden ließ. Von Kirchen, Parteien und Organisationen distanziert er sich in den Ausführungen zu seinen Beweggründen, die die Journalistin Gaby Mayr im April bei Deutschlandfunk und taz veröffentlichte. Lediglich seinem „Hobby“ gehe er nach, wenn er sich vorm Rechner im Arbeitszimmer in die Not ungewollt Schwangerer einfühlt, recherchiert, und dann Ärzt_innen dazu zu zwingen versucht, hilfesuchenden Schwangeren online Informationen vorzuenthalten. Diese postulierte Unabhängigkeit wird jedoch unterminiert von den Ideologien der Milieus, in denen sich Hendricks online bewegt. Wo christlicher Fundamentalismus, rassistische Ressentiments und Ausrufungszeichen aufeinandertreffen, findet sich auch Hendricks‘ Profil. Zwar postet er auf seinem Twitter-Account[3] nicht und auch bei Instagram[4] sind keine Bilder hochgeladen, doch ein Blick in seine Abonnements ist bereits aufschlussreich. CDU, CSU, Junge Union, RCDS, AfD, Männerrechtsaktivisten und die Polizei finden sich dort. Auf Facebook ist Hendricks‘ Profil[5] Mitglied in einigen öffentlichen Gruppen, die sich evangelikalen und katholischen Themen widmen, Väterrechtsgruppen, Lebensschutzgruppen („Ich bin gegen Abtreibung!!!“) und etlichen rechten, verschwörungstheoretischen Gruppen, die ein Hang zu antisemitischen Inhalten und NWO-Geschwurbel eint. In der Gruppe „Vom Volk fürs Volk“, die sich perspektivisch um die Absetzung der Bundesregierung bemüht, werden Israelis mit „UNGEZIEFER“ (Capslock im Original) verglichen[6] und der Holocaust relativiert. Die Hetze gegen Geflüchtete und Islam ist omnipräsent. Die Gruppe „Die Zukunft liegt in unseren Händen“ informiert zuvorderst „NWO ist Realität ! (sic)“ und in „Preußischer Anzeiger – das Volks.Magazin“ und „Deutsches Kaiserreich – Unveräußerliches Völkerrechtssubjekt“ werden identitäre und neurechte Inhalte geteilt.

Auf rechtskonservative Vordenker der Rechtsauslegung bezieht sich Yannic Hendricks, wenn er den Rechtskommentar von Herbert Tröndle und Thomas Fischer bemüht, etwa beim Verfassen seiner Anzeigen bei der Polizei. Tröndle, Träger des Eisernen Kreuzes, ist wiederholt durch homophobe Ausfälle und rechtskonservative Invektiven aufgefallen. Jedes Sexualverhalten, das von der „normalen“ Heterosexualität abwich, diffamierte er als Ideologie und abnorm – Anfang der 1990er Jahre wehrte er sich in den Debatten um die Harmonisierung des Strafrechts nach der Wiedervereinigung vehement gegen die „Gleichbewertung homo- und heterosexuellen Verhaltens“[7] und berief sich positiv auf den katholisch-konservativen Psychologen Gerard J.M. Van Den Aardweg[8] , Autor von „Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen“ und Selfhelp-Literatur für heilungswillige Homosexuelle. Van Den Aardweg steht der Lebensschutzorganisation HLI nahe und auch in seinen Kommentaren zur juristischen Auseinandersetzung mit Schwangerschaft und ihrer Beendigung lies Tröndle seine grundsätzlich ablehnende Haltung dem Schwangerschaftsabbruch gegenüber erkennen – etwa, als er die Ergebnisoffenheit der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatung monierte, die eigentlich „lebensschützend“ sein solle[9] . Das Leben der Schwangeren wird in dieser Logik, die auch Hendricks affirmiert, dem Primat des Pronatalismus untergeordnet. Aber hoffentlich ist das Baby später nicht schwul. Tröndles Co-Autor Thomas Fischer ist in der Vergangenheit u.a. mit seinen Entgleisungen zur #metoo-Debatte aufgefallen[10] . Tröndle / Fischer und Hendricks eint, dass sie sich dem Thema Schwangerschaft so wunderbar „objektiv“ nähern können, weil es sie nur rudimentär tangiert und sie ideologisch glücklicherweise nicht vorbelastet sind[11] .

Zum Oberthema Verkehr scheint Yannic Hendricks allgemein ein mindestens ambivalentes Verhältnis zu haben. In der Vergangenheit war er „Messpate“[12] in seiner Heimatstadt Kleve, wo er wenige Gehminuten von seiner Haustür entfernt einen Blitzer aufstellen ließ. Auf einer Autobahnbrücke über der A3 zählte er Autos[13] , unterschrieb den „Emma Appell gegen Prostitution“[14] und der BZgA-Kampagne „Liebesleben“, die über Safer Sex aufklärt, drückte er bei Facebook eine schlechte Bewertung rein. Privat wartet er lieber bis zur Ehe.

Angesichts der völkisch affinen Kreise, in denen Hendricks sich online bewegt, verwundert es kaum, dass er letztendlich rassehygienische Gesetze aus dem Nationalsozialismus affirmiert, bzw. diese versucht gegen Schwangere und Ärzt_innen ins Feld zu führen:

„Ich finde, der Gesetzgeber hat hier mit dem §219, als er ihn erlassen hat, ein durchaus sinnvolles, logisches begründbares Verbot erlassen, und ich möchte eben, dass das, eine Straftat, dann natürlich auch in allen ihren Konsequenzen verfolgt wird."[15]

Erlassen wurde der Paragraph im Dritten Reich, dessen Machthabern an einer pronatalistischen deutschen Bevölkerungspolitik gelegen war, das qua Gesetz aber ebenso „lebensunwertes Leben“ und „Volksschädlinge“ vernichtete. Der Schwangerschaftsabbruch bei als „minderwertig“ klassifizierten Frauen blieb straffrei und wurde zwangsweise vollzogen; der Staat griff mit Zwangssterilisationen weiter in die reproduktive Autonomie von Frauen ein. Der entmenschlichende Begriff des „Volksschädlings“ wurde von jener Justiz, auf die sich Hendricks ex post – zumindest soweit es ihm in den Kram passt – positiv bezieht, 1939 zum Fachausdruck erhoben. Also mit den Zivilisationsbrechern für das Leben?! Verwirrung. Nicht zuletzt, weil das Deutsche Reich am 26. Mai 1933, als der §219 erlassen wurde, schon seit fast 15 Jahren seiner Souveränität völlig beraubt und Besatzungsgebiet[16] war. Weiß man ja. Klarer indes ist, mit wem Hendricks sich für das Leben praktisch organisiert. In den vergangenen Jahren nahm er immer wieder an Veranstaltungen von „Jugend für das Leben Deutschland“ (JfDL) teil, der Jugendorganisation der „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA). So nahm er 2016 mit der JfDL am „Marsch für das Leben“ in Berlin teil[17] , Anfang 2017 an der „Akademie Bioethik“, die die JfDL jährlich gemeinsam mit den „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) und der Konrad-Adenauer-Stiftung durchführt und sich an junge „Multiplikatoren für den Lebensschutz“ richtet[18] . Yannic Lukas Hendricks ist so ein selbsterklärter Multiplikator und Lebensschützer. Aus der Sicherheit seines Elternhauses in Kleve zeigt er Ärzt_innen an, die Frauen in Notsituationen helfen. Dabei gibt er offen zu hilfesuchenden Schwangeren, die im Netz um Rat suchen, den Weg zu Ärzt_innen abschneiden zu wollen[19] . Seine Anonymität schützt ihn dabei und er möchte sie gewahrt wissen, vorgeblich aus Angst vor Linken. Dass Hendricks‘ antifeministische Umtriebe im Netz, sein Drangaslieren von Ärzt_innen und sein ideologischer Kampf gegen ungewollt Schwangere nicht an seine Person rückgebunden werden können verschafft ihm aber auch private und berufliche Vorteile. Während „Markus Krause“ die Existenz von Ärzt_innen zu zerstören trachtet, möchte Yannic Lukas Hendricks sich seine nach Belieben aufbauen. Das finden wir scheiße. Wir sind solidarisch mit den angezeigten Ärzt_innen, mit allen Schwangeren; wir erinnern an die Millionen von ungewollt Schwangeren, denen medizinische Hilfe verwehrt blieb und die ihr Leben ließen. Doch uns verbindet auch etwas, Yannic: unser Hobby. Nachdem wir uns die ganze Woche mit antifeministischem Backlash, rechter Mobilmachung und alltäglichem Sexismus rumgeschlagen haben, hängen wir am Wochenende schööön online rum. Und da suchen wir dich und geben dir endlich den Fame, der dir zusteht. Wer kennt’s?

Gruppe Just For Fun

Fußnoten

Anhang

Screenshots zur Dokumentation (bloß für den Fall, das Informationen sonst verloren gehen).

Abb.1 Abb.2 Abb.3 Abb.4 Abb.5 Abb.6 Abb.7 Abb.8 Abb.9 Abb.10 Abb.11