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Gegen die Demokratie. Gegen die Herrschaft. Gegen das Volk.

21. November 2007 | Gruppe Plan_B

Eine Replik auf den Aufruf zur Demonstration gegen den Notstand der Republik

Es ist im Moment mehr als angemessen, gegen die Verschärfungen der Repressionsorgane zu demonstrieren - Bundeswehr im Inneren und in aller Welt, die Zusammenlegung von Polizei und Geheimdiensten und Harz 4 sind Angriffe auf Errungenschaften, die alliierte Soldat_innen und soziale Bewegungen erst ermöglicht haben. So weit besteht also Einigkeit. Die Frage ist, in welchem Rahmen diese Entwicklungen thematisiert werden sollten. Wir halten vier Ausgangspunkte im Aufruf zur Demonstration gegen den Notstand der Republik für problematisch

Ausgangspunkt Demokratie

"Wir verurteilen die Maßnahmen der Regierenden, welche die Demokratie in diesem Land gefährden".
Wir finden hier einen Bezug auf Demokratie, der für uns zu positiv klingt. Demokratie (in ihrer parlamentarischen Spielart) ist ja nicht der Hebel, um die Verhältnisse umzuwerfen, sondern die in den bürgerlichen Revolutionen erkämpfte Aushandlungsplattform, auf der systemimmanente Widersprüche immer wieder aufs Neue ausgehandelt werden und damit die Zustimmung zum System reproduziert wird. Das darf man nicht so verstehen, daß nicht andere Mittel oder eine andere Demokratie ebenso die Funktion haben kann, den Laden zusammen zu halten, aber wir müssen festhalten, die die Gesammtscheiße darauf beruht, sich zu reproduzieren und die Demokratie das Spielfeld ist, auf dem sie das tut. Sie kann die Verhältnisse mit Bestechung stabilisieren oder mit Zwang, mit offener Repression oder mit sozialdemokratischem Klassenkompromiss, wichtig ist, daß sie es tut. Wenn es uns um Emanzipation von (und nicht Emanzipation in) bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen geht, dann sind wir diejenigen, die die Demokratie in diesem Land gefährden.

Liest man den Reader zur Demonstration, erfährt man, daß auch einige der aufrufenden Gruppen die bürgerliche Demokratie nur als Schritt auf dem Weg zum Kommunismus sehen. Der dort präsentierte historische Materialismus sieht eine notwendige Entwicklung, die angetrieben von der Entwicklung der Produktivkräfte zu einer immer fortschrittlicheren Gesellschaft unterstellt. Uns wäre es lieber gewesen, den Blick auf das Mehr an Freiheit, das in solcher Perspekive liegen mag, im Text zu finden.

Ausgangspunkt Herrschaft

"Wir verurteilen die Maßnahmen der Regierenden, welche die Demokratie in diesem Land gefährden".
Der Aufruf macht einen starken Gegensatz zwischen den Regierten und den Regierenden auf. Die Frage ist hier: Wer sind die Regierenden? Der unkritisch positive Demokratiebezug läßt zumindest erahnen, daß es eine realistische Option gibt, die heißt: Regierende auswechseln/ abwählen, dann kann sich was zum Besseren ändern. Und in der Tat finden wir unter dem Aufruf zahlreiche Parteigliederungen, deren erklärtes Ziel es ist, im demokratischen Spiel mitzumachen. Unter diesen Regierenden - könnte man meinen - wäre es möglich, die Zumutungen des Systems zu überwinden und zu einer besseren Welt zu kommen.

Diese Sichtweise übersieht, daß gerade die Integration der Gegenmacht heute die zentrale Stärke des demokratischen Systems ausmacht. Empirisch ist das an dem Weg, den Parteien wie die GRÜNEN oder DIE LINKE, aber auch die Neuen Sozialen Bewegungen wie die Anti-Atom-Bewegung oder der Feminismus genommen haben, klar zu sehen: Die Macht hat die funktionale Elemente dieser Gruppen übernommen und hält die Akteur_innen im Klein-Klein bürgerlicher Aushandlungsprozesse auf Trab. Denn notwendig zum Erreichen von Achtungserfolgen ist immer die Anerkennung des bürgerlichen Rahmens, also das "Ja" zur Macht an sich. Daß die Zielrichtung auch dann, wenn man die Macht übernimmt, daran scheitern kann, die Verhältnisse radikal zu verändern, haben wir in den staatskapitalistischen Systemen des Ostblocks gesehen - die Verhältnisse dort würden wir nicht als Betriebsunfall nicht genügend aufgeklärter Herrschender begreifen, sondern als logische Folge einer Politik, die nicht auf die Abschaffung des Staates (der Herrschaft), sondern auf die moralische oder erkenntnistheoretische Überlegenheit der Herrschenden setzt.

Abseits von solchen eher auf lange Sicht entscheidenden Debatten, übersieht die Rede von "den Herrschenden", die uns Überwachungsmassnahmen aufdrücken, daß leider ein großer Teil der Beherrschten begeistert dabei ist, wenn es um mehr Kontrolle geht. Das deutet der Aufruf in der Aussage an, es sei wohl ein "zu großer Schuh", sich dagegen zu wehren. Daß es in der alten BRD zeitweise eine breite Bürgerrechtsbewegung gegen die Volkszählung gab und heute vorwiegend linksradikale Grüppchen kaum wahrnehmbar gegen die Verschärfungen demonstrieren, ist eben nicht Folge immer stärkerer Repression, sondern vor allem Zeichen dafür, wie schwach die Ablehnung von Überwachung derzeit generell ist - siehe die Bereitwilligkeit, mit der massenweise freiwillig private Daten an Dienste wie Payback, Massengentests oder StudiVZ abgegeben werden. Gegen diese dezentrale und mehr oder minder freiwillig Art und Weise der Überwachung nützt es nichts, die Angst vor dem starken Staat zu schüren, erst recht nicht, wenn auch (wie im Osten weit verbreitet) noch nicht einmal der als Problem gesehen wird. Ohne hier ein Patentrezept anbieten zu können, wäre es aus unserer Sicht nötig gewesen, auf diesen Punkt einzugehen: daß Herrschaft funktioniert, weil alle mitmachen.

Bleiben wir im Gedankengebäude des historischen Materialismus, gibt es allerdings gute Gründe, sich vor allem auf die Herrschenden zu konzentrieren: Hier ist die Revolution objektives Interesse der Massen und nur die Ideologie und die Repression der Herrschenden bringt das Volk dazu, seiner historische Mission der Überwindung der Verhältnisse nicht nachzukommen - was uns zum dritten problematischen Ausgangspunkt des Aufrufes bringt.

Ausgangspunkt Volk

"Wir verurteilen sie (die Massnahmen der Herrschenden), weil durch sie nicht nur der Krieg gegen das eigene, sondern vor allem auch der Krieg gegen andere Völker vorbereitet wird."
Wir sehen hier den Antagonismus zwischen den Herrschenden (böse) und dem Volk (gut), zudem den Rekurs auf die Logik, daß es verschiedene Völker gibt. Zur Zeit der bürgerlichen Revolutionen wurde das Volk entdeckt und konstruiert, um eine gefühlte Gemeinschaft zu schaffen, die gegen die absolutistischen Herrscher ins Feld geführt werden konnte. Die starke Argumentation des völkischen Nationalismus war, daß eine Gruppe von Menschen Anrecht auf einen Herrscher aus ihrer eigenen Gruppe hat. Als Argument gegen das feudale Verschieben von Territorien und Bevölkerungen zum Wohle des Herrschers war diese Strategie erfolgreich, aber schon während der bürgerlichen Revolutionen zeigten sich die Grenzen des neuen Konzepts. Während in Frankreich mit "Alle Menschen werden Brüder" tatsächlich nur freie Männer gemeint waren, entwickelte sich in Deutschland der völkische Diskurs gemeinsam mit den (eigenen) Herrschern vor allem durch Abgrenzung vom Fremden im Inneren und Äußeren.

Gerade hierzulande ist das Volk also von Beginn an eine reaktionäre Kategorie, auf die die Linke oft genug hereingefallen ist. Wir behaupten, der Volksbegriff ist in Deutschland problematisch, weil die Deutung nicht so klar "Arbeitende" oder Sinngemäßes meint1. Wenn etwa in Thüringen über 50 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, Deutschland sei "durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maße überfremdet", dann halten wir es für zumindest möglich, daß den Menschen hier bei Volk die Volksgemeinschaft und nicht "die Unterdrückten hier" einfallen. Die konstruierte und von vielen verinnerlichte Aufspaltung zwischen Völkern gilt es als moderne Legitimationsstrategie von Herrschaft zu entlarven und nicht zu reproduzieren. Ein positiver Bezug auf ein Kollektiv, daß sich schon in seiner Konstitution entschieden hat, nicht von unten gegen die absolutistischen Herrscher, sondern gemeinsam mit ihnen gegen Frankreich zu marschieren, hat mit Emanzipation nichts zu tun.

Zur Differenzierung sei noch angemerkt, daß in Situationen, in denen völkische Kriterien als Legitimation von Unterdrückung genutzt werden, ein positiver Bezug auf völkische Identität zumindest funktional ist, um diese Situation zu skandalisieren.

Die Dialektik zwischen der unter Umständen (als Gegendiskurs zum feudalen Staat) emanzipatorischen und im erreichten Nationalstaat reaktionären Wirkung des Nationalismus klingt an, wenn am Ende des Aufrufs Bürger und Untertanen gegenüber gestellt werden - der Bürger war der Begriff, mit dem die modernen Nationalstaaten ihren Anspruch auf Teilhabe einer bestimmten Gruppe von Menschen am Aushandeln von Herrschaftsprozessen reklamiert haben.

Augangspunkt Bürgergesellschaft

"Wir sind freie Bürger und wollen freie Bürger bleiben und keine Untertanen sein."
Der Status des Bürgers ist bestimmt durch gleiche Rechte und den Anspruch der Teilhabe am bürgerlichen Staat. Dagegen ist der Untertan vor allem Glied des Staates. Wie schon gesagt, haben sich die Deutschen in dieser Dialektik schon von Beginn an vor allem für letzteres entschieden. Von "freie Bürger bleiben" kann also keine Rede sein.

Auf einer anderen Ebene muss man darüber hinaus kritisieren, was es mit dem freien Bürger auf sich hat, denn wenn wir alle diesen Status erlangen, ist mitnichten für alle hinreichend gesorgt. Um hier eine Kritik zu entfalten, muss man die Form der Staatsbürgerschaft2 weitergehend historisch einordnen: Der Bürger ist entstanden als die Form, die der Mensch als Teilkörper des Staates in den bürgerlichen Revolutionen angenommen hat. Die politische Freiheit wurde erkämpft als Herauslösung aus den Formen traditioneller Unterdrückung nach Stand und Geburt. Sie hat aber immer gleichzeitig auch bedeutet, aus gesellschaftlicher Einbindung herausgelöst als freies und gleiches Subjekt in Konkurrenz treten zu müssen, um das eigene Leben erhalten zu können. Letzteres (der Kampf aller gegen Alle auf dem Markt) klappt halt nur, wenn sich formal freie und gleiche gegenüber stehen. Der freie Bürger ist also nicht nur ein Fortschritt gegenüber der vormodernen Unfreiheit, sondern auch Rahmen der modernen Unfreiheit des Kapitalismus. Wie es zwei Schlauköpfe griffig formuliert haben: "Die Wohltat, daß der Markt nicht nach Geburt fragt, hat der Tauschende damit bezahlt, daß es seine von Geburt verliehenen Möglichkeiten von der Produktion der Waren, die man auf dem Markte kaufen kann, modellieren lässt"3 - Selbst die Teilhabe trägt also die Zumutung schon in sich.

Schlimmer dran sind diejenigen, denen nicht einmal die Teilhabe erlaubt wird. Denn damit sich überhaupt bestimmen lässt, wer Teil der Gemeinschaft der Bürger ist, muss es immer ein Außen geben, daß die Grenzen absteckt - um das "Wir" der Freien und Gleichen zu bestimmen, brauchen wir ein "Die" der Unfreien und Ungleichen. Heute wird diese Rolle z.B. von all denen eingenommen, die zwar Menschenrechte haben, sich aber nicht auf Bürgerrechte berufen können, z.B. Flüchtlinge. Das "Wir", daß im Aufruf Bürger bleiben will, kann sich auf diese so nicht beziehen.

Für Liberale ist klar, was passieren muss: Der Einschluss muss so weit ausgedehnt werden, bis alle in die Gewährung von Rechten eingeschlossen sind - "Die" müssen "Wir" werden, bis es kein Außen mehr gibt. Gleichwohl der bürgerliche Staat diese totalitäre Tendenz aufweist, müsste er durch das Aufgeben des Außen seine eigenen Grundlagen - Volk, Staat, Politik und abgestufte Systeme von Herrschaft - aufgeben. Das wird er nicht tun, egal, unter welcher Regierung. Welche Lösung der Aufruf zur Demo hier hergibt, ist uns nicht klar.

Eine radikale Kritik der Verhältnisse muss sich deswegen gegen die Gesammtscheiße richten und es nicht so darstellen, daß es nur auf die richtige Umsetzung derjenigen Formen ankommt, die den Zumutungen zugrunde liegen.

Dies war nicht Ziel des Textes, aber wir hätten uns sowas angedeutet gewünscht, weil es uns zum einen nicht nur um den Erhalt des status quo geht, und wir weiterhin denken, daß mit dem status quo gerade nicht viel zu gewinnen ist. Und letzteres kann auch ein gutes Zeichen sein.



  1. Wobei ein Volksbegriff, der "die Unterdrückten" in Abgrenzung von "den Herrschenden" meint, immer noch das Problem in sich trägt, das Problem moderner Herrschaftsstrukturen zu vereinfachen, siehe den vorherigen Absatz
  2. Das Konzept ist in einem patriarchalen Kontext entstanden und spricht deswegen nicht von Bürgerinnen. Olympe de Gouges hat während der französischen Revolution die Rechte der Bürgerinnen formuliert. Sie wurde geköpft. Von BürgerInnenrechten zu sprechen, würde diese patriarchale Geschichte des Bürgerbegriffs unsichtbar machen.
  3. Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung
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