Heißer Herbst gegen Sozialkahlschlag, Lohndumping und Verzicht!

Her mit dem schönen Leben!

Im Oktober 2004 fand auf dem Marktplatz ein Innenstadtaktionstag im Rahmen der Kampagne "Heißer Herbst gegen Armut und Arbeitszwang" statt. Organisert wurde der Tag von verschiedenen politischen Gruppen aus Göttingen. Das Motto "Arbeit oder Leben!" richtete sich in erster Linie gegen Sozialraub. Die Antifaschistische Linke International >A.L.I.< veranstaltete ein Zielwerfen gegen die herrschenden Verhältnisse: Mit faulen Äpfeln und Wasserbomben konnte man von der richtigen Seite der Barrikade aus gegen VertreterInnen und Institutionen des kapitalistischen, rassistischen und patriarchalischen Systems werfen und somit für die Praxis üben.

Bilder unseres Trainingsprogrammsn gibt es unten. Die Zeitung der Kampagne "Heißer Herbst gegen Armut und Arbeitszwang" findet ihr hier: Kampagnenzeitung [PDF, 341KB]
Weitere Infos zur Kampagne gibt es auf den Seiten vom Sozialen Zentrum Göttingen.



Artikel der >A.L.I.< aus der Kampagnen-Zeitung - Arbeit oder Leben
im Rahmen des "Heißen Herbstes 2004"

...und nun zum Sport: Die Treffsicherheit von Argumenten, Aktionen und Agrarprodukten


Seit dem vergangenen Jahr verzeichnen
die sozialen Proteste erfreuliche Zuwächse
im Breitensport: Die Sparten Marathonwalking
(sog. „Demos") und öffentliches
Umsonstbahnfahren erfuhren vor allem in
Großstädten regelrechte Teilnahmerekorde;
nur beim traditionellen Arbeitsniederlegen
sind bedauerliche neue Tiefstpunkte zu beklagen.
Ob sich das bisher vor allem mit
ostdeutschem Schwerpunkt ausgeübte Eierzielwerfen
zur angesagten Trendsportart entwickelt,
muss die Zukunft dagegen noch zeigen.
Aber wie steht Deutschland eigentlich
im internationalen Kampf gegen den Wettbewerb
da? Hier sind in den verschiedenen
Bereichen neben Erfolgen leider große Defizite
zu verzeichnen. Die Sparten im Überblick:

Demonstrieren

Seit der Berliner Großdemonstration am
1. November 2003 haben zahlreiche Menschen
die Gelegenheit genutzt, bei ausgedehnten
Massenspaziergängen das Gesundheitssystem
zu entlasten: Nicht nur ist Bewegung
an frischer Luft gesund, gleichzeitig
beugt es auch Magengeschwüren vor, Wut
gelegentlich mal öffentlich rauszulassen.
Dagegen reichen die kosmetischen Zugeständnisse
in der Umsetzung von Hartz IV,
zu denen sich die Regierung in diesem Sommer
gezwungen sah, in keiner Weise aus, um
auch Mangelkrankheiten zu verhindern -
hier wären weitere Ausdauer und Kampfbereitschaft
gefordert.
Die schlechtesten Noten sind jedoch im
allgemeinen Teamgeist zu verzeichnen - vor
allem im weltweiten Bezug, aber auch im
eigenen Land.
So lautet eine verbreitete Parole: „Wir
sind das Volk". Dabei sind internationale
Erfolge nur durch eine weltweite Solidarisierung
mit ähnlich gelagerten Protesten
möglich, die dem miesen Spiel der Wirtschaft
namens „Standortkonkurrenz" etwas
entgegensetzt. Stattdessen stellt die „Volks"-
Parole schon mal alle ins Abseits, die nicht
unter hiesigen, sondern unter mexikanischen,
chinesischen oder noch miserableren
Spielregeln den Bedingungen von Siemens,
VW & Co. gerecht werden sollen. Und auch
im eigenen Land leben Millionen Menschen,
die üblicherweise nicht zum vielbeschworenen
„Volk" gezählt werden, dafür
aber aufgrund von Rassismus und ausgrenzenden
Gesetzen einen für die Wirtschaft
hochprofitablen - oftmals inoffiziellen
- Niedrigstlohnsektor bevölkern. Die
deutsche Mehrheitsbevölkerung hilft tüchtig
dabei mit, weiter an der Abwärtsspirale
der Existenzbedingungen zu drehen, indem
sie nicht in der rassistischen Entrechtung,
sondern in deren Opfern die Ursache von
Lohndumping sieht.
Wir wollen aber nicht grundsätzlich vom
Langstreckenwalking abraten. Das sportliche
oder aber unsportliche Abschneiden
hängt schließlich davon ab, mit wem und
welchen Parolen man antritt. Unser Tipp
der Saison: Der Nürnberger Run auf die
Bundesagentur für Arbeit am 6. November
2004: Hier bietet sich die Möglichkeit, auf
der linken Bahn unter dem Banner

„Das Ende der Bescheidenheit - Wir wollen alles!"
anzutreten.

Aneignen

Noch immer eine echte Individualsportart, die aus nahe liegenden Gründen zumeist nicht öffentlich ausgetragen wird. Angesichts der rasanten Verarmung kann sie in die Kategorie „Selbstverteidigung" eingeordnetb werden. „Ladendiebstahl hat Hochkonjunktur" meldete kürzlich der Göttinger Extra-Tip. Das entlastet immerhin die eine oder andere Haushaltskasse und schafft Arbeitsplätze in der Sicherheitsbranche. Inzwischen gibt es zudem den erfreulichen Trend zum öffentlich betriebenen Massensport. Hauptaustragungsort waren im vergangenen Jahr die U- und S-Bahnen der Berliner Verkehrsbetriebe. Diese haben in letzter Zeit durch steigende Fahrpreise, rabiate Kontrollen und die Verteuerung des Sozialtickets ins Unbezahlbare von sich reden gemacht. Deshalb wurden die landesweit ersten Umsonstfestspiele dieses Jahrhunderts ausgerufen: Die Kampagne „Berlin umsonst", später auch das Bündnis „ACT!", luden die NutzerInnen des Nahverkehrs wiederholt zum öffentlichen Schwarzfahren ein; fürsorglich wurde für mögliche erhöhte Teilnahmegebühren eine Gemeinschaftskasse gebildet. Aber auch andere Güter und Dienstleistungen eignen sich als Trainingsobjekete für die Umverteilung: In Kassel fanden Kleidungsstücke ihren kostenlosen Weg von H&M zu PassantInnen der Fußgängerzone, in einigen Städten gab es Versuche, leerstehende Gebäude als Soziale Zentren zu nutzen, ein Ikea-Ausstellungsraum wurde einen Nachmittag lang zum kostenlosen Wn genutzt. Aber auch hier wieder: Punkterückstand in der internationalen Wertung. Zugegeben:Es müsste noch viel Anstrengung aufgewendet werden, um zum Spitzenreiter Argentinien aufzuschließen: Hier schritten im Zuge der Wirtschaftskrise nicht nur ganze Stadtteile zur Aneignung von Supermarktwaren, es wurden sogar komplette Fabriken in die Selbstverwaltung der ArbeiterInnen überführt. Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Aneignen zu den Risikosportarten zählt: Das berüchtigte Team Green, Kameras und Ladendetektive sorgen oft für mehr Nervenkitzel, als den AthletInnen lieb ist. Hier sind manchmal gute Leistungen im Kurz- und Mittelstreckenlauf gefordert. Vor allem aber gilt das olympische Motto: No risc, no fun!

Streiken

Aufgrund der Kampf- klimakatastrophe fiel die Saison in Deutschland fast gänzlich aus, das Formtief der Gewerkschaften erreichte einen neuen Negativrekord. Ein trauriges Bild bot sich bereits auf Bundesliganiveau: Böse Fouls an den eigenen KollegInnen statt organisiertem Mannschaftsspiel. Mit Schaudern erinnern sich die Fans der IG Sportsfreunde Metall an die skandalöseBlutgrätsche des eigenen Kapitäns, die den Vorstoß der ostdeutschen Mitspieler zu Fallbrachte.
Auch für die kommende Saison ist keine Besserung zu erwarten. Die Kampfansage
der AG Auto/Gesamtmetall unter National-Trainer Peter Hartz hat auf der Gegenseite
nicht etwa zur Verstärkung der Abwehr und solidarischem Zusammenspiel geführt; stattdessen tappt man noch immerin jede aufgestellte Standort- und Arbeitsplatzfalle.
Selbstorganisation der SpielerInnen jenseits unsinniger Traineranweisungen
gibt es kaum, einzig Schwarzrot FAU konnte hier einige Punkte erzielen.
Ein Ausweg aus dem desaströsen Abschneiden könnte die Internationalisierung
der Arbeitskampfspiele sein: So wäre eine Verstärkung durch Kräfte aus Portugal oder
Italien ratsam, wo man auf eine lange Tradition in der taktischen Variante „Generalstreik"zurückblickt.
Letztlich wird man jedoch um eine grundsätzliche Änderung der Regeln nicht
herumkommen. Während sich einerseits das organisierte Streiken im Dauertief befindet, steigt die Zahl der am unfreiwilligen NichtarbeitenBeteiligten. Das Regelwerk müsstealso dringend zu Gunsten einer gerechtenBe- und Entlastung der MitspielerInnen umgestelltwerden: Weg von der Arbeitsfixierung, hin zu mehr Freizeit. Halten wir
es mit dem Schlachtruf aus der Südkurve der Glücklichen Arbeitslosen: „Es ist genug Arbeitslosigkeit für alle da!"

Zielwerfen

Eine traditionelle Disziplin, in den letzten
Jahren aber stark vernachlässigt. Erst in den letzten Monaten ist eine Wiederbele-
bung zu verzeichnen: Insbesondere in den östlichen Landstrichen wurden Politiker regelmäßig mit tief fliegenden Unmutsbekundungen konfrontiert. Eine Schwäche der WerferInnen ist deutlich: Kein einziger Volltreffer - hier rächt sich die mangelnde Übung. Internationale Vergleiche wären in dieser Sparte allerdings unfair, da die Wahl des Sportgeräts regional stark variiert: So hat etwa der in Griechenland beliebte Joghurt einfach eine größere Streuweite und damit auch Trefferwahrscheinlichkeit als das in Mitteleuropa übliche Hühnerei.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass die beabsichtigte Aussage auf diese Weise nur
unspezifisch ausgedrückt werden kann. Insbesondere wird die falsche Vermutung begünstigt, einzelne Personen seien für die gesellschaftlichen Zustände verantwortlich.
Diese Gefahr lässt sich vermeiden, wenn nicht Personen, sondern Institutionen als
Zielscheibe dienen. So nutzte ein anonymes Team im Vorfeld der Berliner Großdemonstration am 1. November 2003 die Fassade der International Organisation for Migration (IOM) für Farbbeutel-Zielübungen. Die IOM ist eine privatrechtlich organisierte Institution, die weltweite Wanderungs- und Fluchtbewegungen den wirtschaftlichen Vorgaben gemäß steuert - die politische Zielsetzung des nächtlichen Wurfspektakels dürfte deutlich sein. Warnhinweis: Gemäß staatlichem Regelwerk
(sog. „Strafgesetzbuch") kann die Ausübung dieses anspruchsvollen Sports mit
Sanktionen von Geldbußen bis hin zu Auszeiten belegt werden; ähnlich wie bei anderen
Extremsportarten sind auch hier Verantwortungsgefühl und Risikobewusstsein unabdingbar. Fassen wir zusammen: Der soziale Breitensport hat in letzter Zeit starken Zulauf erfahren. Nun muss es darum gehen, ihn weiter zu verankern und vor allem die
Qualität zu stärken. Verbesserungen in argumentativer Reichweite, Zielsicherheit
und Kampfkraft sind ebenso nötig wie die Arbeit am sträflich vernachlässigten internationalen Zusammenspiel.

Für sportlich Interessierte bot die
Antifaschistische Linke International
>A.L.I.< im Rahmen des Innenstadt-
Aktionstags ein am neuesten Stand
der Dialektik orientiertes Trainingsprogramm:
16. 10. 2004, ab 11.00
Uhr am Markt.

A.L.I. -Antifaschistische Linke International