"Futbolistas. Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz"

Am 20.06.2006 veranstalteten wir mit Dario Azzelini, dem Autoren des Buches "Futbolistas", eine Lesung im Roten Buchladen. Die Lesung organisierten wir sowohl im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft der Männer 2006, als auch im Rahmen unseres Konzertes mit Panteón Rococó am 21.06.2006 aus Mexiko.

Kaum ein Kontinent wird derart mit Fußball identifiziert wie Lateinamerika, der Herkunftsregion der größten Fußballstars aller Zeiten. Etwa Ronaldinho oder Pelé, über den Eduardo Galeano einmal sagte, er »spiele Fußball wie Gott, würde sich Letzterer ernsthaft dieser Angelegenheit widmen«.

Hiesige Vorstellungen schwanken zwischen der Idealisierung Lateinamerikas als Tropenparadies und der Verdammung als Hort der Korruption mit nicht funktionierenden Institutionen – Klischees über den Kontinent und seine BewrInnen, die auch bei den meisten Fußballkommentatoren vorherrschend sind. Die Beiträge dieses Bandes vermitteln eine andere, sozialgeschichtlich orientierte Sichtweise. Denn auch in Lateinamerika wird Fußball zur Herrschaftsstabilisierung eingesetzt, hilft beim Aufbau von nationaler Identitätsstiftung und dient als Ventil für soziale Unzufriedenheit.

Es ist aber auch ein Buch für "verrückte" Fußballfans, das die Legenden und Mythen des lateinamerikanischen Fußballs beschreibt und dekonstruiert. Spieler- und Länderporträts geben einen Überblick über die unterschiedlichen Facetten des Fußballs in Lateinamerika.
Das Buch ist ein anregendes Lesebuch für politisch und sozial interessierte Menschen mit Interesse am Fußball, eine Mischung aus Reportagen, historischen Hintergrundberichten und Interviews sorgt für ein abwechslungsreiches, spannendes und gut lesbares Buch.

Mehr Informationen über das Buch findet ihr hier.

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Der folgende Text entstammt dem Buch „Futbolistas. Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz“, erschienen im März 2006 im Assoziation A - Verlag.

Zapatismus, Fußball und Rebellion

„Die Isolierung kann mit einem Fußball durch­brochen werden, mit ihm können viele virtuelle Tore gegen die Macht und das System geschossen werden.“
Guillermo Almeyra

Dass die südmexikanische Guerilla EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional), als sie sich am 1.Januar 1994 zu einem Aufstand in Chiapas erhob, dies auch für die »Würde« des Fußballs tat, ist wenig wahrscheinlich. Dass ihr der Fußball aber auch am Herzen liegt, ist nichts Neues. In den zapatistischen Gemeinden wird viel Fußball gespielt und 1999 trat, beim damaligen Marsch der Zapatistas nach Mexiko Stadt, eine EZLN-Auswahl gegen eine mexikanische Starauswahl an. Die Zapatistas spielten mit schwarzen Sturmhauben und schwarzen T-Shirts mit einem roten Stern und der Aufschrift EZLN; während des gesamten Spieles waren Sprechchöre zu ihren Gunsten zu hören. Sie schlugen sich tapfer und unterlagen mit 5:3.

Inter und die EZLN

Eigentlich heißt der als Inter Mailand bekannte italienische Fußballklub FC Internazionale Milano, doch daran kann sich kaum noch jemand erinnern. Bei Gründung im Jahr 1908 sollte der Name die Bereitschaft deutlich machen, auch nicht-italienische Spieler aufzunehmen. Nachdem heute ausländische Spieler im Fußball zur kapitalistischen Normalität gehören, sind es die Spieler, die dem offiziellen Namen auch außerhalb des Spielfeldes wieder einen Sinn geben.
Im Mai 2004 begann das legendäre Team die zapatistischen Gemeinden zu unterstützen und schickte zunächst 2.500 Euro. In einem auf offiziellem Vereinsbriefpapier verfasstem Schreiben an den „Rat der guten Regierung von Oventic“, einer zapatistischen Selbstverwaltungsinstanz, erklärt der Kapitän von Inter, der Argentinier Javier Zanetti, er und seine Mannschaftskollegen seien „davon überzeugt, mit euch die gleichen Prinzipien und Ideale zu teilen, die sich im zapatistischen Geist widerspiegeln. Wir glauben an eine bessere Welt, an eine nicht globalisierte Welt, an eine Welt, die durch verschiedene Kulturen bereichert wird. Daher haben wir beschlossen, euch in diesem Kampf um die eigenen Wurzeln und Ideale zu unterstützen.“
Das Geld kam direkt von der Mannschaft. Ein selbstauferlegtes „Strafregister“ sorgt für die Einnahmen, mit denen diverse Projekte unterstützt werden. Wer zu spät kommt oder auf andere Weise die Zuverlässigkeit und Kollektivität in Frage stellt, die gebraucht wird, um unter den besten Fußballmannschaften der Welt zu bestehen, zahlt einen Beitrag in die Soli-Kasse. Gemeinsam mit dem Verein wurde auch noch ein Krankenwagen finanziert.
Die Initiative resultiert aus einem Gespräch im April 2004, als Betreuer Bruno Bartolozzi den Spielern von einem Angriff auf zapatistische Gemeinden in Chiapas erzählte. Sie wollten direkt helfen und versuchen das zu ersetzen, was den Gemeinden an einem Nachmittag durch Repression und Verfolgung verloren gegangen war. „Es wird viel über Menschenrechte geredet, aber da gibt es eine Schräglage, denn Menschenrechte, Demokratie, Information und Gerechtigkeit gehören zusammen“, so Bartolozzi, der den Kontakt zur EZLN einfädelte.
Ende Mai antworteten Moisés, Jonás und Benito, im Namen des Regierungsrates, auf offiziellem Briefpapier der rebellischen Gemeinden: „Wir sind glücklich, dass es auf der ganzen Welt Brüder und Schwestern wie euch gibt, die ein Bewusstsein haben und auch eine Welt mit Gerechtigkeit und Würde aufbauen wollen.“ Und es erging eine Einladung an das Inter-Team, Chiapas zu besuchen. „Ein Tor gegen das Vergessen“ titelte die mexikanische Tageszeitung „La Jornada“.
Viele Fans von Inter sind indes nicht so progressiv. Ende 2005 beschimpften sie bei einem Auswärtsspiel in Messina den aus der Elfenbeinküste stammenden gegnerischen Spieler Marc Zoro mit rassistischen Parolen, bis dieser kurzzeitig das Spielfeld verließ. Der Verein reagierte sofort, alle Spieler und Interbesitzer Massimo Moratti, der sichtlich bemüht ist Inter in ein progressives Licht zu rücken, entschuldigten sich bei Zoro. Seine Reaktion sei, so Moratti, „mutig, angemessen und instinktiv gewesen“. Inter hat unter Moratti in den vergangenen Jahren eine Lateinamerikanisierung vollzogen, aktuell spielen dort Fußballer aus Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien und Uruguay. Ein Team, das immer unter den Besten ist und doch fast nie einen Pokal gewinnt. Diverse Fußballer von Inter machten in den vergangenen Jahren mit linken Positionen von sich reden (so unterstützten einige von ihnen Antikriegskampagnen). Zanetti, der Mannschaftskapitän, ist die politische Seele des Teams. Nur er und Moratti sind seit zehn Jahren dabei. Und mit Bartolozzi verfügte die Mannschaft auch noch über einen engagierten Betreuer. Im Juli 2004 reiste Bartolozzi nach Chiapas zu den Zapatistas. „Es war, als ob man alle Bücher über Ungleichheit und Unterordnung unter das Imperium auf einmal liest und versteht,“ berichtete er sichtlich beeindruckt bei seiner Rückkehr nach Italien.

Der „Pozol de barro“

Bei einem zweiten Besuch in Chiapas, nachdem Inter Sportausrüstung und Medikamente für die zapatistischen Gemeinden gespendet hatte und den Bau von Wasserleitungen unterstützte, bekam Bartolozzi im März 2005 einen Brief der EZLN übergeben, in dem Subcomandante Marcos Inter zu einem Fußballmatch herausforderte. Die einzigen Bedingungen: Kein Verkauf der Übertragungsrechte (sie gehören exklusiv dem „intergalaktischen zapatistischen TV-System, das einzige Fernsehen zum Lesen“)“ und Inter müsse die Bälle mitbringen („unsere haben alle Löcher“).
„Wir fühlen uns geehrt“, so Vereins­besitzer Moratti, der im Mai 2005 der EZLN im Namen von Inter von der Bereitschaft zu einer Begegnung des Vereins mit einer zapatistischen Auswahl auf dem Fußballrasen wissen ließ. Die EZLN solle Zeit und Ort mitteilen, um mit der Organisierung des Spiels zu beginnen.
Marcos antwortete mit einem langen Schreiben im Namen der Zapatistas „an die Frauen und Männer des FC Internazionale“ am 25. Mai 2005. Angesichts der entgegenkommenden Reaktion von Inter, holte er groß aus und schlug gleich ein weltweites Turnier vor. Zunächst ein Spiel im Olympiastadion von Mexiko Stadt, von dem alle Einnahmen an die von Paramilitärs vertriebenen Indígenas in Chiapas gehen und ein weiteres in Guadalajara, um die dort kurz zuvor bei Protesten inhaftierten Globalisierungsgegner zu unterstützen. Dann ein Spiel in Kalifornien, um die Einnahmen der Rechtsbeihilfe illegalisierter MigrantInnen zu widmen, alternativ, falls die USA das Spiel nicht zulassen, könnte es auch auf kubanischem Boden, gegenüber den Militäranlagen von Guantanamo stattfinden. In Italien würden die Zapatistas gerne im berühmten San Siro spielen, so Marcos, (und die Gelegenheit nutzen, um nach Genua zu fahren und Blumen für Carlo Giuliani niederzulegen, der 2001 beim G-8 Gipfel in der Hafenstadt von der Polizei erschossen wurde). Schließlich sollte noch ein Spiel im Baskenland drangehängt werden. Geradezu provokativ gnädig schraubte Marcos die Anzahl der Spiele am Ende dann doch wieder auf zwei herunter: Eines in Mexiko und eines in Italien. Denn so viele Niederlagen am Stück stünden Inter nicht gut zu Gesicht, so der Sub.
Als Schiedsrichter schlug Marcos Diego Maradona vor, der inzwischen ebenso zugesagt hat, wie den ehemaligen Nationalspieler Mexikos und jetzigen Osasuna-Trainer Javier Aguirre und den Ex-Stürmer des argentinischen Weltmeisterteams von 1986 Jorge Valdano als Linienrichter. Aber neben einer prominenten Besetzung der Aufgaben auf dem Platz und der gegnerischen Mannschaft, hatten die Zapatistas auch bekannte Profikicker gebeten das vermummte Team zu verstärken. Zusagen gab es von Adolfo „Bofo” Bautista von den Chivas Guadalajara sowie vom italienischen Kommunisten und Stürmer von Livorno, Cristiano Lucarelli, von Oleguer Presas Renom vom FC Barcelona, der ebenfalls für sein Engagement und die Verbindung zu sozialen Bewegungen bekannt ist, und nicht zuletzt auch von „Marigol“ Maribel Domínguez, das „mexikanische Torwunder“ des Frauenteams des FC Barcelona. Eduardo Galeano und Mario Benedetti wurden eingeladen, das Spiel zu kommentieren.
Als Trophäe sagten die Zapatistas einen „Pozol de barro“ zu, ein traditionelles Maisgetränk. Und um der Vermarktung von Frauen im Fußball etwas entgegenzusetzen, würde die EZLN die mexikanische schwul-lesbische Gemeinschaft bitten doch mit Transvestiten und Transsexuellen für ein Rahmenprogramm mit Pirouetten zu sorgen, das einen Skandal in der Rechten provoziere und die Reihen der Spieler von Inter verwirre. „Denn es gibt nicht nur zwei Geschlechter und es existiert nicht nur eine Welt. Und es ist immer zu empfehlen, dass die aufgrund ihrer Verschiedenheiten Verfolgten Freude und Unterstützung teilen, aufzuhören verschieden zu sein“, so Marcos.
Das erste Spiel sollte ursprünglich Ende 2005 stattfinden, doch die Spannungen in Chiapas im Sommer und die Um­struk­turierung der Kompetenzen von Ge­meindeorganisierung und EZLN machten es zunächst unmöglich. Das Angebot von Inter steht weiterhin. Javier Zanetti hat noch einmal seine Bereitschaft gegen eine EZLN-Auswahl zu spielen bekräftigt. Doch sein politisches und soziales Engagement bleiben nicht darauf beschränkt.

Sichtbarkeit und soziale Verantwortung

Das argentinische Paar Zanetti ist seit langem in der Solidaritätsarbeit aktiv, unterstützt die linke Nothilfeorganisation „Emergency” von Gino Strada und hat vor drei Jahren ein eigenes Projekt gegründet. Paula Zanetti erklärt, sie fühlten sich denen nahe, die „für eine gerechte Sache kämpfen und versuchen, sich nicht von den Mechanismen der ökonomischen Globalisierung zerdrücken zu lassen.” 2003 bekamen die beiden den Preis „l’Altropallone“ – „der andere Fußball“, der in Italien jährlich Personen der Sportwelt verliehen wird, die sich mit ihrem Einsatz für Solidarität, Gleichheit und Basissport verdient gemacht haben.
Javier Zanetti, selbst in einem Armenstadt­teil im Hafengebiet von Buenos Aires aufgewachsen, kehrt immer wieder dorthin zurück. Auch deswegen ist er dort beliebt. „Jeder trägt eine soziale Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft. Aber der Fußball hat Javier eine große Sichtbarkeit verliehen und das überträgt uns eine große zivile und soziale Verantwortung“, erklärt Paula Zanetti der italienischen Zeitschrift „Carta“. Sie wollten etwas tun, „ aber die Projekte, die uns vorgeschlagen wurden, gefielen uns nicht. Sie waren zu assistenzialistisch.“. So entstand die Stiftung für eine integrierte Kindheit Pupi (Pupi ist der Spitzname Javier Zanettis in Argentinien), sie führt Projekte in marginalisierten Vierteln von Buenos Aires durch, die Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen „vor dem Scheitern in Schule und Gesellschaft bewahren soll“.
Dabei konzentriert sie sich auf einen armen Stadtteil von Lanús. Unter den För­derern sind mittlerweile Unternehmen wie Heineken, Coca Cola und Epson, weitere Fuß­ballspieler, Fangruppen und kleinere Betriebe. Einmal jährlich veranstaltet Pupi ein prominentes Fußballspiel in der Bombonera, dem Stadion der Boca Juniors in Buenos Aires. Ende Dezember 2005 spielte auch Maradona eine Halbzeit mit. Doch der Unterschied zwischen Mildtätigkeit und sozialen Engagement liegt im Programm.
„Unsere Arbeit besteht darin, Kindern nicht nur das zu geben, was sie unmittelbar zum Leben brauchen, also Essen, Schule, Spiel und Sport, sondern vor allem eine Hoffnung auf ein gerechtes und würdiges Leben. Daher geht es nicht nur um die Kinder. Wir haben nach und nach die gesamten Familien in Projekte einbezogen“.
Das Ziel ist ausdrücklich nicht eine konjunkturelle Verbesserung für einzelne Kinder, sondern die Probleme des gesamten Lebensumfeldes zu verstehen und die Menschen dabei zu unterstützen sich in Protagonisten ihrer eigenen Entwicklung zu verwandeln. Mit den Familienmitgliedern der Kinder werden mit Mikrokrediten, Beratung und Begleitung kleine Koopera­tiven aufgebaut. Das Herzstück ist eine kleine Windelfabrik, in der zwölf Personen arbeiten, darüber hinaus entstand eine Bäckerei und ein kleiner Textilbetrieb. Auch berufliche Ausbildungen werden organisiert und Pupi hat mit Betroffenen ein selbstverwaltetes Hausbauprogramm entwickelt. Dabei macht sich die Stiftung keine Illusionen: „Wir wissen, dass wir die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Realität unseres Landes nicht ändern können und ebenso wenig ihre Auswirkungen.“ Wichtig sei aber, dass einige Leute gelernt hätten, für ihre Rechte zu kämpfen.

El Estadio del Bae

Das öffentliche Interesse, das die Zanettis und Inter wecken, bekommt eine Fußballinitiative mit den Zapatistas anderer Art nicht. Seit fünf Jahren unterstützen italienische Ultras mit verschiedenen Projekten zapatistische Gemeinden. Die Initiative nennt sich „El estadio del Bae“, denn am Anfang stand tatsächlich die Idee eines Fußballstadions in Chiapas im Mittelpunkt. Aber es kam ganz anders als es gedacht war und doch wieder genauso, denn das Stadion ist das Leben.
Die Idee eines Stadions in Chiapas kam in einer linken Ultra-Gruppe vom SSC Venezia (zu dem Venezia und Mestre 1987 fusionierten) auf, in der auch Francesco Romor, genannt „Bae“ aktiv war. Doch kurz darauf, am 13. Februar 2001, stirbt Bae. Er sprach in der »Kurve« immer am meisten von den Zapatistas, er hatte alle Initiativen im Stadion gegen den Krieg und gegen Rassismus mitgemacht und war an den sozialen Kämpfen in der Stadt beteiligt gewesen. Bae, aus kommunistischer Familie stammend, war Sprecher der italienweiten Ultras-Koordination und Aktivist des Sozialen Zentrums Rivolta in Mestre. Der Fußballfan mit einer langen politischen Geschichte ist eine Legende unter den Ultras des Drittligisten, die mit „Noi Ultras“ (Wir Ultras) Anfang der 1990er einen linken Verein gründeten, der sich antirassistischen und internationalistischen Aktivitäten rund um den Fußball widmet (und Teil des F.A.R.E.-Netzwerkes, Football Against Racism in Europe ist).
Zu Baes Begräbnis kamen auch der Trainer und vier Spieler des Venezia, es waren Fußballschals, Fahnen von Rifondazione Comunista und der EZLN zu sehen. Einen Monat später hätte er mit weiteren Ultras nach Mexiko fliegen und auch die zapatistischen Gebiete besuchen sollten. Doch weil Freundschaft und Solidarität unter Ultras wirklich groß geschrieben werden, beschlossen seine Freunde Bae trotzdem nach Chiapas »zu bringen« und es entstand das Projekt „El estadio del Bae“. Mit Ya basta, einem Netzwerk von Solidaritätsgruppen (die ihren Fokus von Chiapas ausgehend erweitert haben) war schnell ein erster Partner gefunden. Mittlerweile sind 40 linke Fangruppen aus ganz Europa beteiligt.
Die Ursprungsidee war, eine Mehrzweck­einrichtung zu bauen, die sowohl für sportliche Aktivitäten wie auch für politische und kulturelle Versammlungen genutzt werden kann. Nachhaltig und ökologisch mit lokalen Kenntnissen, Techniken und Ressourcen. Die Kosten werden auf zunächst 50.000 Euro geschätzt.

Das Stadion und die Realität

Auf einer ersten Reise wird das Projekt im Sommer 2001 den zapatistischen Gemeinden vorgestellt und mit Guadalupe Tepeyac wird ein Partner gefunden. Aus der zapatistischen Gemeinde wurden kurz zuvor 7.000 dort jahrelang stationierte Soldaten abzogen. Die Bevölkerung begann ins Dorf zurückzukehren. Ein Kollektiv aus DozentInnen und Studierenden des Polytechnischen Instituts in Mexiko Stadt übernahm die Bauzeichnungen während in Italien Geld gesammelt wurde.
Nach erneuter Diskussion mit der Gemeinde wurde der Grundriss noch einmal verändert und es begann die Arbeit mit Ultra-Baubrigaden. Doch nicht am Stadion. Zunächst einmal wurden eine Schreinerei und eine Mechanikwerkstatt errichtet. 2002 wurden die Latrinen ausgebessert und eine Wasserleitung zum Dorf verlegt. Die italienische Seite vom Estadio musste lernen, dass das ursprüngliche Projekt eher ihrer Selbstverwirklichung als den Bedürfnissen der Gemeinden entsprach. So wurde noch ein Speisesaal gebaut, der von den Brigaden und anderen Gästen benutzt wird. Im August 2003 schlugen die Zapatistas den Ultras vor ein Herbolarium aufzubauen, in dem Naturmedizin hergestellt und das Wissen darum gesammelt und weitergegeben wird. Und dazu ein „Konservierungshaus“, in dem verschiedene Techniken des natürlichen Konservierens von Lebensmitteln gelehrt und gelernt werden können. Natürlich akzeptierten die Ultras, denn „das Stadion sollte und konnte für uns kein Maracanã im Urwald sein: Wer hier lebt hat grundlegende Notwendigkeiten und Bedürfnisse für das eigene Überleben“ so Aktivist Mago.
Nach einer organisatorischen Neu­ordnung der zapatistischen Gemeinden 2003 wurde die Zusammenarbeit auf die Bezirksebene nach Realidad verlegt und damit über Guadelupe Tepeyac ausgedehnt. Das Wasserprojekt wurde an das dortige zapatistische Projekt „Wasser für alle“ angekoppelt. Die EZLN-Hochburg La Realidad liegt im Herzen der Selva Lacandona und hat 1.100 EinwrInnen. Eine Straße nach La Realidad gibt es nicht, LKW mühen sich fast im Schritttempo den Weg entlang. Der Transport der Baumaterialien gestaltet sich schwierig.
Die geschätzten Gesamtkosten von „El estadio del Bae“ sind mittlerweile auf 100.000 Euro gestiegen. Über die Hälfte davon wurde schon gesammelt und nach Chiapas gebracht. Viele »Kurven« sammeln mit Aktionen, Partys und Konzerten für das Stadium, neben 40 italienischen Fanclubs auch Fußballfans aus Innsbruck, Wien, Bordeaux, Düsseldorf, St. Pauli und Manchester. Der wichtigste Nebeneffekt ist die Zusammenarbeit von vielen oft gegnerischen Ultras. Die VeneziaMestre Ultras haben bereits 3.000 Schals in Vereinsfarben nach Wahl mit dem Emblem „El estadio del Bae“ verkauft. Und jährlich findet das „Bae-Turnier“ statt: „Befreien wir den Fußball von Business, Rassismus und Repression“. 48 Teams nahmen zuletzt Teil. Sie kamen aus ganz Italien angereist, Ultras und migrantische Teams wie Kurdistan FC, Bangladesh Venice oder Moldavi Marghera, sowie ein Team, das aus Rapid Wien Fans besteht.

Futbol Rebelde

Zwei Fußballfelder wurden irgendwann tatsächlich ausgebessert und das in Guadelupe Tepeyac bekam sogar eine Holztribüne. Im August 2005 fand dort der „Cup des rebellischen Fußballs“ statt. Aus Italien reisten 35 Ultras aus Venedig/Mestre, Bologna, Modena, Bergamo, Ancona und Empoli sowie einige aus dem Ya Basta Netzwerk an. Sportlich gesehen wurde es kein Erfolg für die Ultras, sie verloren gnadenlos gegen die „vielen kleinen Maradonas“. Doch der Erfolg ist das Stadion bzw. alles was aus ihm geworden ist und was es aus vielen Menschen gemacht hat. Über die Besuche sind auch neue Projekte entstanden. Die beiden Ultra-Gruppen Rangers und Sconvolts aus Pisa beschlossen sich des Gesundheitshauses anzunehmen, das heißt der Unterstützung der fünf Mikrokliniken, die dem zapatistischen Krankenhaus San José del Río zugeordnet sind. Als erstes soll ein Ultraschallgerät gekauft werden. Das Projekt haben sie Maurizio gewidmet, einem Pisa-Ultra, der 2003 im Stadion einem Herzinfarkt erlag, weil die Sicherheitskräfte keinen Arzt schickten. Das Stadion ist überall, so hätte es auch Bae gewollt, da sind sich alle sicher.
In den Grußworten des Estadio-Komitees an die zapatistischen Gemeinden zur Eröffnung des Turniers erklärten die Ultras: „Am Anfang haben wir uns euch angenähert mit der Vorstellung, Francesco mit dem Bau eines Fußballplatzes zu gedenken, aber indem wir mit euch allen gesprochen haben, haben wir andere Notwendigkeiten verstanden und diesen haben wir uns verpflichtet (...) die Hilfe, die wir gegeben haben, ist wenig im Vergleich zu dem was wir bekommen haben. Wir haben die Lust zu träumen wiedergefunden. Und mit uns viele andere, sehr viele. Fans, die die romantische Seite des Fußballs wiederentdeckt haben. Jugendliche, die ihre Augen zur Welt geöffnet haben.“

Dario Azzellini