Zum dritten Mal innerhalb eines Jahres:

Spitze des Antifablocks

Politischer Erfolg für antifaschistischen Widerstand in Göttingen und darüber hinaus!

Für Oktober 2006 hatten Neonazis zu drei Aufmärschen durch die Göttinger Innenstadt aufgerufen. Dieser dritte Anlauf innerhalb eines Jahres, in Göttingen einen Fuß auf den Boden zu bekommen, geriet schon im Vorfeld zur politischen Bruchlandung für die FaschistInnen um die Neonazikader Worch und Damman. Sowohl die drei Aufmärsche in Göttingen, wie auch eine Ersatzveranstaltung in Celle wurden auf Grund des starken antifaschistischen Widerstands verboten. Den FaschistInnen wurde lediglich eine zweistündige stationäre Kundgebung auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz zugestanden. Auch diese konnte nur unter dem Schutz von 6.000 PolizistInnen stattfinden.

Antifablock auf dem Marktplatz

An einer Demonstration des Bündnisses gegen Rechts beteiligten sich 5.000 Menschen, darunter 2.000 in einem Antifablock, zu dem die A.L.I. aufgerufen hatte. Trotz des polizeilichen Belagerungszustandes kam es zu direkten Aktionen, die die Anreise der Neonazis behinderten. Zwei Fahrzeuge der Polizei wurden von unbekannten mit Molotowcocktails in Brand gesetzt.

Auch kulturell war das Wochenende ein Highlight für den antifaschistischen Widerstand: Am 27. und 28. Oktober feierten insgesamt 1.000 Menschen beim fire and flames- / Antifa-festival im Jungen Theater. Bilder und Berichte dazu findet ihr hier .

Lautsprecherwagen der A.L.I.

Vielen Dank an alle Genossinnen und Genossen, die uns unterstützt haben!

Auf dieser Seite findet ihr Infos zum Verlauf des 28. Oktobers 2006. Bilder und Berichte vom Festival findet ihr hier . Unsere Mobilisierungsseite vom 28. Oktober findet ihr hier .

 

 


Solidarität | Presse | Mobilisierungsseite | 29.10.2005 | 13.5.2006

Bei Northeim wurde ein Zug gestoppt, so dass die Anreise der Neonazis mit der Bahn behindert wurde. In verschiedene Anreisezüge und in den Bahnhof Göttingen sickerten trotz massiver Poliezpräsenz über 100 AntifaschistInnen ein. Durch Stehenbleiben im Bahnhof und antifaschistische Parolen wurde die Ankunft der FaschistInnen behindert und klar gemacht, dass selbst 6.000 PolizistInnen keine gänzlich "polizeilich national befreite Zone" in Göttingen erzwingen können.

Bündnisdemo auf dem Platz der SynagogeAn der Demonstration des Bündnis gegen Rechts beteiligten sich trotz widriger Wetterbedingungen über 5.000 Menschen. Etwa 2.000 davon im Antifablock, zu dem die A.L.I. aufgerufen hatte. Der Antifablock wurde durch ein dreireihiges Spalier begleitet, die Polizei versuchte wiederholt den Antifablock vom restlichen Demoteil abzutrennen. Das offensive Auftreten des Antifablocks, sowie das solidarische Verhalten der BündnispartnerInnen konnten die Polizei in ihre Schranken verweisen.

Auf der Weender Straße wurde auf dem Antifablock ein 4 x 10 Meter großes Transparent entfaltet. Eine der gängelnden Demonstrationsauflagen zur Größenbeschränkung von Transparenten wurde damit für heute außer Karft gesetzt. O-Ton überforderter bayerische Polizeieinheiten am Rande: "Könnte das Transparent vielleicht dazu dienen, die Identitätsfeststellung zu behindern?"

Transpi ist in erster Reihe angekommen... 4x10-Meter-Transpi auf dem Antifa-Block Riesentranspi wird weiter entfaltet Riesentranspi auf Antifa-Demo 4x10-Meter-Transpi auf Antifa-Block 4x10-Meter-Transpi auf Antifa-Block 4x10-Meter-Transpi auf Antifa-Block

Auf dem Transparent war die folgende Parole zu lesen: "28.10.1999 - es lebe die antifaschistische Brigade Söderberg - 28.10.2006" Damit bezog sich das Transparent offenbar positiv auf das genannte militante Kommando, das vor 7 Jahren einen Brandanschlag auf die Garage von Neonaziführer Thorsten heise in Northeim verübte. Neben dem Auto von Heises Frau wurde auch ein Lager mit Nazi-Musik-CDs ein Raub der Flammen. Heise verzog daraufin ins westthüringische Fretterode. Mit dem heutigen Kundgebungstermin haben sich die FaschistInnen damit einen herzerwärmenden Jahrestag ausgewählt.

Kurz vor Ende der Demonstration drängte der Antifablock gegen die starken Polizeiabsperrungen an der Ecke Weender Straße / Reitstallstraße, um in Richtung der Naziveranstaltung zu gelangen. Mit Tritten und Schlägen wurde ein Durchbruch an dieser Stelle durch die Polizei verhindert.

Riesentranspi auf Antifa-Block Antifablock will die Polizeikette durchbrechen Schläge und Tritte gegen Antifas Antifablock will Polizeikette durchbrechen Antifablock will Polizeikette durchbrechen

Neben verschiedenen Gruppen aus dem Bündnis gegen Rechts wurden auf der Hauptbühne des Bündnisses auch die Redebeiträge eines Vertreters der A.L.I., sowie von Cornelius Yufanyi, Sprecher der Flüchtlingsintiative The Voice, gehalten. Hier wurde insbesondere der staatliche Rassismus thematisiert. Besondere Brisanz hatte der öffentliche Auftritt von Cornelius Yufanyi, da gegen ihn ein Haftbefehl wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht vorliegt. Verschiedene Organisationen aus dem Bündnis gegen Rechts hatten Cornelius ihren Schutz zugesagt, um einen Polizeizugriff zu verhindern. Mehr dazu hier .

Redner der A.L.I. auf der Bündniskundgebung

Die Jüdische Gemeinde und die VVN/BdA organisierten gegen 10.30 Uhr eine Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die ZwangsarbeiterInnen im deutschen Faschismus. Der Gedenkstein hierzu steht auf der Bahnhofswestseite.

Mahnwache am Gedenkstein für ZwangsarbeiterInnen im Faschismus Mahnwache am Gedenkstein für ZwangsarbeiterInnen im Faschismus

Am Samstag Abend fand der zweite Tag des Antifa-/ fire and flames-Festivals im Jungen Theater statt. Bereits am Freitag Abend feierten hier etwa 500 Menschen, um ein kulturelles Signal gegen die Neonazis zu setzen. Erste Fotos und weitere Infos zum Festival findet ihr hier.

An der Neonazikundgebung beteiligten sich etwa 220 FaschistInnen. Beschützt von 6.000 PolizistInnen trauten sie sich nach Göttingen... Bei Regen und teils Barfuß machten die "Herrenmenschen" keinen sehr heldenhaften Eindruck.

Hier findet ihr unserer Presseinformation vom 28.10.2006, 16.30 Uhr.


Solidarität

Alle AntifaschistInnen, die an diesem Wochenende Opfer oder ZeugIn von Polizeigewalt, Ingewahrsamnahmen oder Fetsnahmen wurden, melden sich bitte bei der Roten Hilfe Göttingen. Dazu findet eine Nachbereitungstreffen für und mit Betroffenen, sowie mit RechtsanwältInnen statt:

Dienstag, 7.11.2006 | 18.00 Uhr | Rotes Zentrum | Geismarlandstraße 6 | Göttingen

Rote Hilfe Ortsgruppe Göttingen
c/o Buchladen
Nikolaikirchhof 7
37073 Göttingen
Telefonnummer 0551/ 77 0 8001
Mail: goettingen [at] rote-hilfe.de

Mehr Infos auch bei www.rote-hilfe.de

Für die laufenden Verfahren und Prozesse im Zusammenhang mit den antifaschistischen Aktionen sammeln wir Geld. Angeklagt werden einige, für das was wir gemeinsam erfolgreich geschafft haben. Spendet auf das Sonderkonto:

Rote Hilfe Göttingen
Kontonummer: 13 50 20
Sparkasse Göttingen
BLZ: 260 500 01
Stichwort: Naziaufmärsche


Presseinformation der A.L.I. vom 28.10.2006, 16.30 Uhr

Politischer Erfolg für antifaschistischen Widerstand in Göttingen
5.000 bei Bündnisdemonstration gegen Rechts - Anreise der Neonazis blockiert


Gegen eine Kundgebung von Neonazis am heutigen Samstag in Göttingen haben auf der Demonstration des Bündnisses gegen Rechts über 5.000 Menschen protestiert. An einem Antifablock, zu dem die Antifaschistische Linke International >A.L.I.< aufgerufen hatte, beteiligten sich über 2.000 autonome AntifaschistInnen. Ein Großaufgebot PolizistInnen begleitete den Antifablock die gesamte Demonstration über mit einem engen Spalier und versuchte mehrmals den Antifablock vom Rest der Demonstration zu trennen. Die Demonstration wurde aber dennoch durchgesetzt. Eine Sprecherin der Göttinger Antifagruppe bewertete den heutigen Tag als politischen Erfolg:

„Wie bereits am 13. Mai hat die Polizei durch ihre massive Präsenz und Angriffe auf die Demonstration versucht, den antifaschistischen Widerstand einzuschüchtern. Die kraftvolle Demonstration, die sich gegen ein Überaufgebot an Polizeikräften den Weg durchkämpfen musste, hat das Kräfteverhältnis in der Stadt einmal mehr deutlich gemacht. Würden die Polizei die Neonazis nicht schützen, hätten letztere heute in Göttingen keinen Fuß auf den Boden gesetzt“.

An der Kundgebung der Neonazis vor dem Bahnhof beteiligten sich etwa 150 FaschistInnen, größtenteils aus Hamburg und dem Raum Hannover. Diese wurden bei ihrer Anreise bereits im Bahnhof von über 100 AntifaschistInnen lautstark empfangen. Zeitweise wurde auch die Anreise der Neonazis durch das Stoppen eines Zuges in Northeim behindert. Eine Sprecherin der >A.L.I.< sagte:

„Wir werden auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass die FaschistInnen in Göttingen keine Chance haben. Dazu wird es aber notwendig sein, die Rolle der Polizei nicht aus dem Auge zu verlieren. Denn es sind, wie bereits bei den vergangenen beiden Malen, die Gerichte und die Polizei, welche den Neonazis ihre `national befreite Zone´ ermöglicht haben."

Insgesamt waren 6000 PolizistInnen im Einsatz. Der Ermittlungsausschuss Göttingen teilt mit, dass es bis zur Stunde zu etwa 20 Ingewahrsamnahmen sowie einer Festnahme durch die Polizei gekommen ist. Die Anwälte, sie sich um diese Personen kümmern, berichten von einer massiven Behinderung ihrer Arbeit durch die PolizistInnen in den Gefangensammelstellen.


Presse

Göttinger Tageblatt, 4.11.2006
Demonstrationen in der City: Heute und vor 50 Jahren

Kommentar von Ilse Stein
Rückblick Demonstration Teil 1: Alles noch mal gut gegangen bei der bisher letzten NPD-Demo. Natürlich sind hinterher alle wieder klüger. Die einen, weil sie ja schon immer gesagt haben, man könne gewaltfrei demonstrieren. Die Anwesenheit von 6000 Polizisten habe damit natürlich überhaupt nichts zu tun. Die anderen, weil sie ja schon immer gesagt haben, dass man nur mit starker Polizeigewalt das Schlimmste verhindern könne. Gemault haben hörbar nur die Antifa-Leute, denen dieses Mal der Spaß an „Feuer und Flamme, Teil 2“, den sie so schön angekündigt hatten, offenkundig vermiest worden ist.
Klar ist nur: Es wird weitergehen. Weil Göttingen so schön in der Mitte Deutschlands liegt, weil Meinungen hier seit jeher so schön aufeinanderprallen. Und klar ist auch: Leidtragende sind mal wieder die Göttinger Einzelhändler, die es hin schwer genug haben und an diesem schönen Oktoberwochenende Umsatzeinbußen bis zu 60 Prozent zu beklagen hatten. Wer sich in der Weender Straße aufhielt an diesem Sonnabend sah es: Leere Geschäfte, Friseure, die gelangweilt vor ihren Schaufenstern standen, eine Kioskbesitzern, die ungestört die eigentlich zu verkaufenden Zeitungen lesen konnte.
Also wenn schon Gegendemonstration, warum dann immer mitten durch die City? Die Frage sollte man vor dem nächsten sicheren NPD-Aufmarsch diskutieren. Die Innenstadt-Bewr stellen sie sich hin.

Rückblick Demonstration, Teil 2: Diese Demo liegt schon recht lange zurück. Im Tageblatt vom 6. November 1956 stand unter anderem folgendes zu lesen: „Der Freiheitskampf in Ungarn und sein tragischer Ablauf haben die Menschen in Göttingen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß aufgerüttelt. ...Besonders die Herzen der jungen Deutschen wenden sich spontan den gequälten Ungarn zu, und es drängt sie, ihr Mitgefühlt allen öffentlich kundzutun.... Waren es 10 000, waren es 20 000? Wir wissen es nicht, aber wir glauben, es war die halbe Stadt. Als auf dem Albanikirchhof, wo der Schweigemarsch endete, die Kundgebung geschlossen wurde, hatte der Schluss des Zuges die Weender noch nicht verlassen. Es war die größte Demonstration, die Göttingen je erlebt hat.“ Was zu diesem Zeitpunkt sicher stimmte. Da hatte man die Demonstrationen der 90er Jahre noch nicht gesehen....
Göttingen hat also eine lange Tradition in Sachen Demonstration. Was den Fall von 1956 angeht, so war es nur folgerichtig, dass in dieser Woche im Alten Rathaus erinnert wurde an 50 Jahre Ungarischer Volksaufstand 1956 – und dass darüber diskutiert wurde, ob dieses historische Datum Europa verändert habe.

Eine lange Historie hat auch ein anderes Ereignis, das heute vor dem Alten Rathaus stattfindet: Das vom Tageblatt zugunsten der Aktion „Keiner soll einsam sein“ veranstaltete Erbsensuppen-Essen. Also wieder mal die Töpfe und Tiegel rausgekramt und vollgeschöpft mit nach Hause genommen – oder gleich vor Ort die heiße Suppe verzehren. Wobei man die Gelegenheit nutzen könnte, dem ein oder anderen prominenten Schöpflöffel-Heber mal Grüß Gott oder die Meinung zu sagen. Die Woche darauf übrigens findet das Ganze dann im Kaufpark statt – auch das hat bereits eine, wenn auch kürzere Tradition.

Der Tipp heute: Morgen beginnt die 38. Göttinger Kinder- und Jugendbuchwoche mit einem so interessanten und hochkarätig besetzten Programm, von Lesungen und Filmaufführungen, dass man sich nur mühsam für einen Termin entscheiden kann. Viel Spaß – wobei auch immer.

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Göttinger Tageblatt, 3.11.2006
Extremismus von Links, Rechts und Ausländern
Niedersachsens Verfassungsschutzbericht 2005: In Südniedersachsen tummeln sich viele Gruppen


In dem 250 Seiten umfassenden Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen für 2005 sind auch die Tätigkeiten extremistischer Gruppen in Südniedersachsen dokumentiert.
Hannover/Göttingen (ic). Das neonazistische Personenpotenzial, so heißt es unter anderem, sei auf Bundesebene seit Jahren kontinuierlich angestiegen. Um die in der ersten Hälfte der 90er Jahre verfügten Verbote verschiedener neonazistischer Organisationen zu unterlaufen, hätten rechtsextremistische Anführer, darunter auch der aus Südniedersachsen stammende Thorsten Heise, mit so genannten Kameradschaften eine Organisationsform „ greifbar verbotsfähige formale Struktur“ gefunden. So sei die von Heise gegründete und geführte Kameradschaft Northeim bei Demonstrationen regelmäßig vertreten. Zwar hätten die Treffen seit dem Umzug Heises nach Fretterode in Thüringen an Bedeutung verloren, die Strukturen bestünden aber unverändert fort. An den Veranstaltungen nähmen nach wie vor in Thüringen auch Rechtsextremisten aus dem südniedersächsischen Raum teil. Hingewiesen wird in dem Bericht auch auf eine Kameradschaft „Honour&Pride“, die im südöstlichen Niedersachsen angesiedelt sei und sich auf die rechtsextremistische Musik-und Veranstaltungsszene konzentriere.
NPD und rechte Schulhof-CD
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), 1964 in Hannover gegründet, hat nach Angaben der Verfassungsschützer derzeit bundesweit 6000 Mitglieder, in Niedersachsen leben davon 580. Bei ihren Demonstrationen bediene sich die NPD der neonazistischen Kameradschaften, wie sich auch am 29. Oktober 2005 in Göttingen gezeigt habe.
Für bundesweite Aufmerksamkeit habe auch eine so genannte Schulhof-CD mit dem Titel „Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker!” gesorgt, die die NPD unter anderem in kleiner Anzahl in Dassel und Duderstadt verteilt habe.
Die Zahl der Linksextremisten beziffert der Bericht auf bundesweit rund 30 000, davon 1170 in Niedersachsen, die sich verteilen auf 470 „Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten“ sowie auf 700 „Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten“. Die Zahl der Mitglieder in der PDS wird mit 725 in Niedersachsen angegeben.
Zu den Publikationen der Autonomen zählt der Verfassungsschutz zwei in Göttingen herausgegebene Titel: „EinSatz“ und „göttinger drucksache“, die beide unregelmäßig erschienen. Dokumentiert ist auch der teilweise heftige gewalttätige Einsatz der Autonomen bei Demonstrationen in Göttingen wie der NPD-Demo im vergangenen Oktober, während der die Autonomen zahlreiche Barrikaden in Brand setzten. Nachgewiesen sei auch die Beteiligung an Demonstrationen gegen Castor-Transporte in Göttingen. Der nächste dieser Transporte ist für den 10. November dieses Jahres angekündigt.
Verein Rote Hilfe
Rund 4600 Mitglieder zählt laut Bericht der Verein Rote Hilfe, dessen Bundesgeschäftsstelle in Göttingen angesiedelt ist. Der Verein will im Kampf gegen „staatliche Repression“ helfen, gewährt Rechtshilfe, vermittelt „szeneangehörige Anwälte“. Auch die Redaktion der Vereinszeitschrift sitzt in Göttingen, ebenso das Archiv des Vereins. Während der Demonstrationen am 29. Oktober 2005 habe der Verein so genannte Ermittlungsausschüsse aufgestellt, die „vor, während und nach den Aktionen gegen den Naziaufmarsch nach Festgenommenen, In-Gewahrsam-Genommenen und Verschwundenen forschen“ und sich um Anwälte kümmern.
Unter der Rubrik Ausländerextremismus stellen die Verfassungsschützer Aktivitäten der Hizb Allah unter anderem auch in Südniedersachsen fest. Diese „Partei Gottes“ zählt in Niedersachsen angeblich 140 Anhänger. Auch eine tamilische Extremistengruppe „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) mit landesweit 150 Mitgliedern ist nach den Beobachtungen des Verfassungsschutzes unter anderem in Göttingen aktiv.
Der Verfassungsschutzbericht wird jährlich vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport herausgegeben.

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taz Nord vom 30.10.2006
Rechts-freie Innenstadt

NPD und "Freie Kameraden" in Göttingen: Rund 200 Rechte treffen sich zur Kundgebung, bis zu 4.000 Gegendemonstranten stehen 6.000 Polizisten gegenüber. Deren Leitung zufrieden mit "Deeskalation durch Stärke"

Das demokratische System wollen sie abschaffen. Die verfassungsrechtliche Ordnung beseitigen. Gleichwohl forderten die Redner von NPD und Freien Kameradschaften (FK) am Sonnabend in Göttingen aber ihr "Recht auf freie Meinungsäußerung" und auf "Versammlungsfreiheit" ein.

Da schimpfte der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Adolf Dammann, Deutsche könnten "in Deutschland nicht mehr demonstrieren". Diese Stadt, beklagte Dammann, sei "für Nationalisten ein rechtsfreier Raum" - eine "No-Go-Area". Gegen den "Gutmenschen-Popanz" wollten sie in Göttingen aufmarschieren. Am Mittag durften die 225 Neonazis gemäß einer behördlichen Auflage aber nur auf dem Bahnhofvorplatz stehen - für zwei Stunden. Wegen der zu erwartenden Proteste hatte das Bundesverfassungsgericht einzig diese Kundgebung zugelassen.

Mit drei Aktionen in diesem Monat wollten die Rechten eigentlich die große Rache nehmen: Bis heute wurmt es sie, dass sie am 29. Oktober vergangenen Jahres ihren Marsch durch Göttingen wegen massiver Proteste hatten abbrechen müssen. Mehr als 4.000 Demonstranten hatten sich auf der Straße 250 marschierenden Neonazis entgegengestellt. Die Strategie der Rechten, durch ständige Aktionen den Protest leer laufen zu lassen, misslang an diesem Sonnabend gänzlich.

"Haut ab"-Rufe schallten den Neonazis entgegen, kaum dass sie mit dem Zug am Bahnhof angekommen waren. Gut 100 Demonstranten waren über den hinteren Zugang in das Gebäude gelangt. Um die 4.000 Menschen waren am Vormittag erneut zu der Gegenaktion des "Bündnisses gegen rechts" gekommen. "Gesicht zeigen" das Motto, "Verbot aller Nazi-Organisationen" die Forderung.

Die Neonazis betrieben nur eine leicht veränderte nationalsozialistische Politik, erklärte der DGB-Regionalvorsitzende Lothar Hanisch. Mit Artikel 139 des Grundgesetzes- Fortgeltung der Entnazifizierungsvorschriften -, könnten ihre Kundgebungen unterbunden werden. Verbote allein aber reichten nicht, meinte Hanisch. Ludger Gaillard, evangelischer Pastor, und Cornelius Yufanyi von der Flüchtlingsorganisation "The Voice" ergänzten: Gestärkt werde der "rechte Rand" durch eine allgemeine Politik der "Ausgrenzung". Und ein Vertreter der "Antifaschistischen Linken International" sagte, die Akzeptanz verschiedener Protestformen habe es ermöglicht, dass die "Faschisten in Göttingen keine Chance haben".

Vielleicht deswegen hatte Polizeipräsident Hans Wargel ein massives Polizeiaufgebot angefordert. Die Ausschreitungen, die sich Polizei und Lokalpresse zuvor ausgemalt hatten, blieben indes aus. Insgesamt 6.000 Beamte hätten das Konzept "Deeskalation durch Stärke" umgesetzt, so Wargel später. Beruhigend wirkte ihr Tun nicht: In der Innenstadt durchsuchten Beamte, wen immer sie als "links" ausmachten. 1.562 Identitätsfeststellungen wurden durchgeführt, 33 Ingewahrsamnahmen erfolgten. Drei Polizeireihen schirmten später den "schwarzen Block" ab.

Am Bahnhof forderte derweil FK-Führer Christian Worch, die Polizei müsse den Kameraden die Straße freimachen. Auch FK-Kader Alexander Hohensee forderte "Meinungsfreiheit" ein, um gleich darauf über die "Musterdemokröten" herzuziehen. Kein rechter Redner der nicht ankündigte: "Wir kommen wieder!" Zunächst verzögerte sich allerdings die Abfahrt, weil NPD-Grande Dammann eine Bombe im Zug befürchtete. Am kommenden Wochenende wollen die Neonazis erst einmal in Bremen aufmarschieren.

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HNA, Niedersachsen, 30.10.2006
"Es geht nicht um Inhalte"
GdP: NPD-Kundgebungen, die bewusste Provokation der Behörden sind, verbieten


Hannover. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich dafür ausgesprochen, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um Aufmärsche rechtsradikaler Organisationen zu untersagen, wenn deren Schutz in keinem Verhältnis zum Aufwand stehe. "Der NPD geht es nicht um Inhalte, sondern nur um Aufmerksamkeit", sagte GdP-Landeschef Bernhard Witthaut gestern auf Anfrage dieser Zeitung. "Die macht sich ein Spielchen daraus."

Anlass ist die Kundgebung von rund 200 Rechtsextremisten vor dem Göttinger Bahnhof am vergangenen Samstag. Dabei hatten rund 6000 Polizisten unter anderem den Bahnhofsbereich abgeschirmt und die 4000 Gegendemonstranten begleitet. Der Polizeieinsatz hat rund zwei Millionen Euro gekostet.

Eine für denselben Tag von der NPD in Celle angemeldete Demonstration war mit der Begründung "polizeilicher Notstand" von Stadt und Gerichten verboten worden.

Diese Begründung sei selten, sagte Witthaut. In Celle habe es die NPD strikt abgelehnt, ihre Demonstration auf einen Tag zu verlegen, an dem nicht ein Großteil von Polizeikräften in einer anderen Stadt gebunden sei. Daran sehe man, dass es den Rechtsradikalen eigentlich nicht um Versammlungsfreiheit gehe: "Die machen damit Publicity. Das steht aus meiner Sicht für die im Vordergrund: Die wollen im Gespräch bleiben."

Beweislage entscheidet

Für die Polizei sei es eine der obersten Aufgaben, die im Grundgesetz verankerte Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu garantieren. "Aber wenn eine Partei das bewusst macht, um zu provozieren und Steuergelder zu verschwenden, dann sollte man überlegen, ob die Maßnahme noch der Verhältnismäßigkeit unterliegt", sagte der GdP-Landeschef.

Das Innenministerium in Hannover räumt diesem Vorschlag allerdings keine Chancen ein. "Das ist schon von Juristen überprüft worden", sagte Sprecher Michael Knaps gestern. "Das hält verfassungsrechtlich nicht stand, weil man die Intention nicht nachweisen kann." Die NPD werde kaum zugeben, dass sie eine Veranstaltung anmelde, um Behörden und Polizei zu beschäftigen. "Vor Gericht kommt es aber nicht auf den Eindruck an, sondern auf die Beweislage", sagte Knaps.

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General Anzeiger Bonn, 29.10.2006
Tausende zeigten in Göttingen und Bitterfeld Flagge gegen Rechts

Göttingen/Bitterfeld (dpa) - Tausende Menschen haben am Samstag bei Protestkundgebungen gegen NPD-Aufmärsche in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt Flagge gegen den Rechtsextremismus gezeigt.

An einer Demonstration in Göttingen gegen eine zeitgleiche Kundgebung von 200 Anhängern der NPD und «Freier Kameradschaften» beteiligten sich nach Polizeiangaben rund 4000 Menschen. Es kam zu vereinzelten Rangeleien, insgesamt sei der Umzug aber weitgehend friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher.

Um Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Demonstranten zu verhindern, bot die Polizei rund 6000 Beamte aus zehn Bundesländern auf. Die NPD hatte bereits zum dritten Mal innerhalb eines Jahres zu einer Kundgebung in Göttingen aufgerufen. Ende Oktober 2005 war es dabei zu Randale gekommen. Linke Autonome hatten im Universitätsviertel Barrikaden aufgetürmt und angezündet.

Das «Dessauer Bündnis gegen Rechtsextremismus» protestierte am Samstag friedlich gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt). Laut Polizei folgten rund 200 Menschen dem Aufruf. Andere Bitterfelder zeigten bei einem Familien- und Vereinsfest unter dem Motto «Für eine weltoffene und tolerante Region Bitterfeld- Wolfen» Flagge gegen Rechts. Am Mittag waren rund 160 NPD-Anhänger durch Bitterfeld marschiert.

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Göttinger Tageblatt, 30.10.2006
Friedliche Demonstration gegen NPD-Kundgebung
Bündnis gegen Rechts: 4000 Teilnehmer, darunter 1000 Autonome / Wargel verteidigt Polizeieinsatz


Etwa 4000 Menschen haben am Sonnabend in Göttingen friedlich gegen die NPD-Kundgebung mit 225 Rechtsextremen am Bahnhof protestiert. Polizeipräsident Hans Wargel hat in einer ersten Bilanz den massiven Polizeieinsatz mit 6000 Beamten verteidigt.
Göttingen (bar). Es habe „nicht einen einzigen Verletzten“ gegeben, so Wargel, weder unter den Demonstranten noch bei der Polizei. Diese hatte mit massiver Präsenz die NPD-Kundgebung am Bahnhof und die Gegendemonstration durch die Innenstadt strikt getrennt.
Redner des Bündnisses gegen Rechts wandten sich gegen die „menschenverachtende Ideologie“ der NDP, so der DGB-Regionsvorsitzende Lothar Hanisch und der evangelische Pastor Ludger Gaillard. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Harald Jüttner, forderte ein klares Handeln von Politik und Justiz gegen die NPD.
Unter den 4000 Demonstranten des Bündnisses gegen Rechts befanden sich nach Wargels Angaben etwa 1000 gewaltbereite Teilnehmer aus dem autonomen Spektrum. Diese marschierten mitten im Demonstrationszug mit, der ansonsten von einem breit gefächerten Bündnis getragen wurde.
„Deeskalation durch Stärke“
Der autonome Block sorgte allerdings immer wieder für Verzögerungen im Demonstrationszug. Es kam jedoch nur zu einer ernsthafteren, kurzen Rangelei Folgen. Die Beamten hätten sich sehr professionell und besonnen verhalten, so Wargel. Es sei nur deshalb nicht zu Aktionen aus dem gewaltbereiten Block gekommen, weil die Polizei diese von Anfang an nicht zugelassen habe. Der gesamte Einsatz sei daher eine „Deeskalation durch Stärke“ gewesen, sagte Wargel im Hinblick auf kritische Stimmen. Dies sei ein erfolgreiche Modell auch für den nächsten Einsatz.
Der Polizeipräsident verweist dabei auf Straftaten in der Nacht von Freitag auf Sonnabend. So sei gegen 22 Uhr ein ziviler VW-Transporter der Polizei mit einem Molotow-Cocktail in Brand gesetzt und stark beschädigt worden. An einem weiteren Fahrzeug sei ein Brandsatz angebracht gewesen, dieser habe aber nicht gezündet. Zudem hätten in der Nacht fünf Mülltonnen und -container gebrannt. Der Brand in Gebhards Hotel um 5.45 Uhr am Sonnabend habe sich aber als Schwelbrand in Folge von Schweißarbeiten Zusammenhang zur Demonstration herausgestellt.
Im Zusammenhang mit der Bündnis-Demonstration wurden nach Angaben der Polizei 33 Personen in Gewahrsam genommen, die aber bis zum Abend alle wieder auf freiem Fuß waren. Unter den NPD-Anhänger waren laut Polizei vereinzelte Anzeigen und Platzverweise fällig.
Der Einsatzleiter und Polizeivizepräsident Rainer Langer begründete die Zahl von 6000 Beamten zudem damit, dass eine Präsenz in der Fläche notwendig gewesen sei – auch auf den An- und Abreisewegen der Rechtsextremen, um spontane Zusatzveranstaltungen zu verhindern. Wargel appellierte an das Bündnis gegen Rechts, Autonome künftig nicht als Bündnispartner zuzulassen.
Die Antifaschistische Linke International kritisierte durch Sprecher und Mitteilungen das „Überaufgebot“ an Polizeikräften, den Schutz der NPD-Anhänger durch die Polizei und beklagte „staatlichen Rassismus“.
Das Bündnis gegen Rechts wertete die Demonstration als Erfolg und als Zeichen für eine Stadt der Vielfalt und Offenheit. Das Bündnis fordert zudem eine „nationale Stategie gegen Rechts“.

Stadt im Ausnahmezustand
Chronik des Demonstration-Sonnabends in Göttingen

Einen weiteren Tag lang befand sich Göttingen im Ausnahmezustand. Die Chronik des Tages.
8.30 Uhr: Es kreisen bereits Polizeihubschrauber über der Stadt. Auch eine Stunde später besteht zwischen Neuem Rathaus und Groner Tor kein Zweifel: Die Polizei ist präsent. Überall. Wer vom Groner Tor in Richtung Bahnhof will, wird umgeleitet. Gitter versperren den Weg. Und breitschultrige Männer in grün. Journalisten dürfen durch. Auch der Bahnhofsvorplatz ist komplett vergittert, die Berliner Straße ein Aufstellplatz für unzählige Polizeifahrzeuge. Kennzeichen aus Erfurt und Köln, Polizeiabzeichen aus Thüringen oder Hessen, die Einsatzkräfte kommen aus elf Bundesländern.
10 Uhr: Es gibt nicht nur Kontrollen auf den Zufahrtsstraßen nach Göttingen, auch in der Stadt werden Menschen von der Polizei teils rigoros kontrolliert. Selbst Journalisten mit Presseausweis müssen ihre Rucksäcke öffnen oder sogar eine Leibesvisitation erdulden. Der Platz der Synagoge füllt sich nur langsam mit Demonstranten gegen die NPD-Kundgebung am Bahnhof.
11 Uhr: Es ist immer noch ruhig am Bahnhof. Der Zug aus Richtung Norden, in dem rund 100 Rechtsextreme und einige linke Gegendemonstranten anreisen sollen, hat Verspätung, er wurde bei Northeim aufgehalten. „Technischer Defekt“, heißt es.
11.15 Uhr: Der DGB-Regionsvorsitzende Lothar Hanisch spricht zum Auftakt der Gegendemonstration des Bündnisses gegen Rechts auf dem Platz der Synagoge.
11.28 Uhr: Es wird laut im Bahnhof. Kundgebungs-Organisator Adolf Dammann ist bereits da. Durch die vergitterten Gänge kommen die anderen NPD-Anhänger, skandieren irgendetwas mit „national“. Viele in schwarzen Zimmermannhosen, dunklen Kapuzenshirts. Manche mit langen Haaren oder adrettem Kurzhaarschnitt. Vielen sieht man die Gesinnung nicht mehr an. Die linken Demonstranten aus dem Zug müssen den Bahnhof nach Westen verlassen. In Zehnergruppen dürfen die Rechten nach Osten auf den Vorplatz gehen, in einem Zelt werden sie einzeln von der Polizei überprüft.
11.50 Uhr: Nach weiteren Redebeiträgen und Klezmermusik auf dem Platz der Synagoge setzt sich der Demonstrationszug gegen die NPD-Kundgebung in Bewegung. Das Bündnis gegen Rechts hat eine breite Verankerung in der Bevölkerung. Unter anderem Mitglieder von SPD, Grünen, der Linkspartei, Gewerkschaften und der Stadtverwaltung nehmen an der Demonstration teil, Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche wirken als Konfliktschlichter. Anders als bei der „Warm-up-Demonstration“ am Vorabend, bei der die Autonomen dominierten, sind sie heute nur eine Gruppe, die innerhalb des Bündnisses gegen Rechts mitten im Zug mitmarschiert. Allerdings bleiben sie eine auffällige Gruppe, die von der Polizei besonders abgeschirmt wird und den Demonstrationszug immer mal wieder zum Stillstand bringt. Eine gereizte Stimmung ist nur in diesem Teil des ansonsten friedlichen Demonstrationszuges spürbar. Auf Plakaten sind Sprüche zu lesen wie: „Keinen Sex mit Nazis“, „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, „Gib Nazis keine Chance“ oder „Mehr Bildung für Nazis“.
12.25 Uhr: Regen setzt ein, der allmählich heftiger wird.
12.30 Uhr: Dammann meldet die Versammlung am Bahnhof als „betriebsbereit“. Rund 220 Anhänger sind ihm nach Göttingen gefolgt. Auf ihrem abgesperrten Stück Parkplatz stehen sie im strömenden Regen und hören Parolen über Israel, Ausländer, die polnische Grenze und die anderen üblichen Themen. Dass sie nicht marschieren dürfen, stört die NPD-Anhänger, sie kündigen an, wiederzukommen und dann „dieses Verhalten nicht zu tolerieren“.
13.25: Die einzige ernsthafte, kurze Rangelei bei der Gegendemo: Als es danach aussieht, dass die Autonomen auf der Weender Straße weitermarschieren wollten, statt wie vereinbart in die Reitstallstraße abzubiegen, werden sie von den Beamten zurückgedrängt. Nach kurzer Zeit geht es weiter.
14 Uhr: Im Bahnhof ist Schluss, durch die Reihen der Bundespolizei geht es für die NPD-Anhänger zurück auf Gleis 7. Nach einiger Zeit haben die Einsatzkräfte die meisten Teilnehmer in ihrem Abteil, einige Gegendemonstranten pfeifen und protestieren am anderen Ende des Gleises gegen die „Nazis“. Der Zug, mit „genügend Einsatzkräften“, so ein Polizeisprecher, verlässt um 14.53 Uhr Göttingen. Einige Rechte müssen einen anderen Zug nehmen, nach Rangelein mit den Gegendemonstranten verlassen auch sie die Stadt. Um kurz nach 14 Uhr endet auch die Demonstration gegen die NPD-Kundgebung, die durchnässten Teilnehmer zerstreuen sich relativ schnell.
15 Uhr: Eine kleine Gruppe Autonomer zieht Bilanz in einem Imbiss. Fazit: „Das war langweilig heute.“ Grund: Das strikte Vorgehen der Polizei, die nichts zugelassen habe. Erinnerungen an vergangene Chaostage werden aufgewärmt.
15.15 Uhr: Polizisten sind bereits damit beschäftigt, die Gitter auf dem Bahnhofsvorplatz abzuräumen. Viele Fahrzeuge brechen auf.
Jörn Barke / Britta Bielefeld

Beiträge der Redner
Wir wollen keine alten und keine neuen Nazis, nicht in Göttingen, nicht in Deutschland“ – mit dieser Aussage leitete der DGB-Regionsvorsitzende Lothar Hanisch die Redebeiträge auf der Demonstration gegen die NPD-Kundgebung ein. Er forderte dazu auf, ein aktives und friedliches Zeichen gegen die „menschenverachtende Ideologie“ der NPD zu setzen.

Der evangelische Pastor und Moderator des Runden Tisches der Religionen Abrahams, Ludger Gaillard, hatte seine beiden farbigen Enkelkinder mitgebracht. Er wolle, dass die beiden respektiert und mit gleichen Chancen aufwachsen könnten, so der Pastor. Die Nazis beherrschten in Ostdeutschland inzwischen ganze Landstriche, die NPD sei in zwei Landtagen vertreten.
Cornelius Yufanyi von der Organisation „The Voice“ beklagte gegen Flüchtlinge gerichtete Gesetze und Polizeiaktionen. „Sollen wir uns denn an solche Aufmärsche gewöhnen?“, fragte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Harald Jüttner, im Hinblick auf die wiederholten Aktionen der NPD in Göttingen. Und lieferte die Antwort gleich mit: „Dieser Spuk muss endlich ein Ende haben.“ bar

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Die Welt, Politik, 30.10.2006
4000 Demonstranten marschieren gegen NPD
Rangeleien mit Beamten. Die Polizei setzt Großaufgebot ein. Protestaktion auch in Celle.


Göttingen/Celle - An einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Göttingen haben sich am Sonnabend nach Polizeiangaben rund 4000 Menschen beteiligt. Der Protest richtete sich vor allem gegen eine zeitgleiche Kundgebung der NPD. An der Veranstaltung der Rechten vor dem weiträumig abgesperrten Bahnhof nahmen nach Polizeiangaben 225 Mitglieder der NPD und sogenannter "Freier Kameradschaften" teil. Einen Demonstrationszug der NPD durch Göttingen hatten die Gerichte untersagt.

Bei der Gegendemonstration habe es zwar einige Rangeleien zwischen Demonstranten und Beamten gegeben, insgesamt sei der Umzug aber weitgehend friedlich verlaufen, sagte Göttingens Polizeipräsident Hans Wargel. Die massive Anwesenheit der Polizei habe Straftaten verhindert. Die Organisatoren des Protestmarsches, das "Bündnis gegen Rechts", waren mit dem Verlauf der Demonstration zufrieden. Es sei deutlich gemacht worden, dass "Nazis in Göttingen nichts zu suchen hätten", sagte ein Sprecher.

Vor und während der Demonstrationen nahm die Polizei 33 Personen vor allem aus dem linken Spektrum in Gewahrsam. Die meisten hätten gegen das Vermummungsverbot oder andere Auflagen für die Kundgebung verstoßen, sagte Gesamteinsatzleiter Rainer Langer. 828 Personen seien durchsucht und 51 Gegenstände sichergestellt worden. Bereits am Freitagabend war im Göttinger Industriegebiet ein Polizeitransporter in Flammen aufgegangen. Die Polizei geht von Brandstiftung aus, die Täter hätten einen Molotow-Cocktail entzündet.

Um Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Demonstranten zu verhindern, hatte die Polizei rund 6000 Beamte aus zehn Bundesländern aufgeboten. Auch Wasserwerfer und Räumpanzer waren am Bahnhof und an den Zufahrtstraßen aufgefahren. Über der Stadt kreiste ein Hubschrauber. Durch den Demonstrationszug und durch Absperrmaßnahmen kam es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen.

Auch in Celle hatten die Rechten am Sonnabend demonstrieren wollen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte das Verbot der Stadt jedoch bestätigt. Eine Gegendemonstration unter dem Motto "Bunte Vielfalt statt brauner Einfalt" mit gut 100 Teilnehmern verlief nach Polizeiangaben friedlich. Dagegen habe es bei einer Kundgebung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen kleinere Auseinandersetzungen gegeben, bei denen ein Beamter leicht verletzt wurde. Von den 200 Teilnehmern seien etwa 50 gewaltbereite Aktivisten gewesen, sagte ein Polizeisprecher.

In Göttingen hatte die NPD bereits das dritte Mal innerhalb eines Jahres zu einer Kundgebung aufgerufen. Ende Oktober 2005 war es dabei zu Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und der Polizei gekommen. Linke Autonome hatten im Universitätsviertel zahlreiche Barrikaden aufgetürmt und angezündet.
dpa

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HNA, Niedersachsen, 30.10.2006
"Die Verluste haben zugenommen"
Willi Klie über die Auswirkungen der NPD-Kundgebung und der Gegendemonstration


Göttingen. Wegen der Gegendemonstration zur Neonazi-Kundgebung stand am Samstag das Leben in der Göttinger Innenstadt weitgehend still. Zu den Auswirkungen auf den Einzelhandel äußert sich Willi Klie im Interview.

Wie groß waren die Einbußen für den Innenstadthandel?

Klie: Wir hatten Umsatzeinbußen von 60 bis 70 Prozent. Einzelhandel und Gastronomie haben zusammen zwei Millionen Euro weniger umgesetzt als sonst an einem Samstag.

Was bedeutet das für den Einzelhandel?

Klie: Das haut schon rein. Zwei Millionen Euro, das sind hochgerechnet aufs Jahr vier Arbeitsplätze. Das eine oder andere kann zwar nachgeholt werden - wer am Samstag einen Reißverschluss brauchte, braucht ihn am Montag auch noch, aber die Spontankäufer und die auswärtigen Besucher fehlen.

Sind die Verluste mit denen an den Demonstrations-Samstagen vor einem Jahr und im Mai vergleichbar?

Klie: Die Verluste haben zugenommen. Durch die Vorberichterstattung in den Medien, aber auch durch eigene Erfahrungen von den vorangegangenen Demonstrationen machen jedesmal mehr Menschen einen Bogen um Göttingen.

Was wünschen Sie sich von der Politik, der Polizei oder der Justiz?

Klie: Unsere Wünsche richten sich vor allem an die Justiz, die NPD-Kundgebungen zu verbieten. Wir haben unsere Verluste auch vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg vorgetragen, aber die Meinungsfreiheit geht eben über alles. Der Polizei bin ich dankbar, dass sie durch ihre Stärke Ausschreitungen verhindert hat.

Keine Wünsche an die Veranstalter der Gegendemonstration?

Klie: Vielleicht muss die Demonstration ja nicht unbedingt in der Innenstadt stattfinden. Auch im Jahnstadion hätte sie ihre Aufmerksamkeit. Oder ein anderer Zeitpunkt wäre denkbar. Kirchen und Gewerkschaften müssen sich zumindest fragen lassen, ob gerade zur Hauptgeschäftszeit demonstriert werden muss. Schließlich werden dadurch Arbeitsplätze gefährdet. Wir demonstrieren auch nicht am Sonntag zur Gottesdienstzeit.

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Junge Welt, 30.10.2006
Klares Signal gegen rechts
4000 Menschen protestierten in Göttingen gegen Neofaschismus


Polizei und Veranstalter nannten ausnahmsweise einmal dieselbe Zahl – rund 4000 Menschen haben am Samstag in Göttingen gegen Neonazis protestiert. Zu der Demonstration und einer anschließenden Kundgebung hatte das Göttinger Bündnis gegen rechts aufgerufen. Mehr als 50 Organisationen und Initiativen arbeiten seit Jahren in diesem Zusammenschluß. Der stundenlange Marsch durch die Innenstadt verlief friedlich, nur ein paarmal kam es zu Rangeleien zwischen Autonomen und Polizisten, die den Zug in einem engen Spalier begleiteten.

Die große Beteiligung sei »ein deutliches Zeichen gegen rechts«, sagte der Sprecher des Bündnisses und Göttinger DGB-Regionsvorsitzende Lothar Hanisch. »Wir haben heute ein Signal gegeben für eine Stadt der Vielfalt und der Offenheit – eine Stadt, in der Antisemitismus, Fremdenhaß und Rassismus keinen Platz haben.« Die Antifaschistische Linke International (ALI), die einen »Antifa-Block« im Demozug organisiert hatte, sprach ebenfalls von einem politischen Erfolg. Die Demonstration sei gegen die »Angriffe der Polizei« durchgesetzt worden, so ein ALI-Sprecher am Sonntag.

An einer Kundgebung der NPD vor dem weiträumig abgesperrten Göttinger Bahnhof beteiligten sich zeitgleich etwa 220 Neonazis. Sie waren vor allem aus Hamburg und dem Raum Hannover angereist. Einen Marsch der Rechten durch das Stadtgebiet hatten die Gerichte verboten. Rund hundert Gegendemonstranten, die trotz der massiven Absperrungen in den Bahnhof gelangt waren, empfingen die Rechtsextremisten dort mit lautstarken »Nazis raus!«-Rufen. Bevor sie zu ihrem Kundgebungsplatz gelangten, wurden die NPD-Leute und Mitglieder sogenannter Freier Kameradschaften von Polizisten durchsucht.

In und um Göttingen waren insgesamt 6000 Beamte im Einsatz. Auch Wasserwerfer, Räumpanzer, Hubschrauber und eine Reiterstaffel hatte die Einsatzleitung angefordert. 33 Nazigegner wurden im Verlauf des Tages fest- oder in Gewahrsam genommen. Sie hätten gegen das Vermummungsverbot verstoßen oder andere Auflagen für die Demonstration nicht beachtet, sagte Gesamteinsatzleiter Rainer Langer. Alle Festgehaltenen waren der Polizei zufolge am Samstag abend wieder auf freiem Fuß. Der linke Ermittlungsausschuß berichtete allerdings, Rechtsanwälte seien in den Gefangenensammelstellen von Polizisten in ihrer Arbeit massiv behindert worden.

Die Proteste gegen den NPD-Aufmarsch hatten bereits am Freitag abend mit einer Demonstration von etwa 800 jungen Leuten begonnen. In der Nacht zu Sonnabend ging im Industriegebiet ein Polizei-Transporter in Flammen auf. Göttingens Polizeipräsident sprach von Brandstiftung. Die Täter hätten den VW-Bus mit einem Molotow-Cocktail in Brand gesetzt. Ein Bekennerschreiben aus der linken Szene gab es zu diesem Vorfall allerdings nicht. Im Vorfeld der Göttinger NPD-Kundgebung hatte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gesetzliche Regelungen gefordert, mit denen Aufmärsche rechter Organisationen untersagt werden können, wenn es nur durch einen unvertretbar hohen Aufwand möglich ist, sie zu schützen.

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Stadtradio Göttingen, Sonntag, 29. Oktober 2006
4000 demonstrieren gegen Nazis

Unter dem Motto „Göttingen zeigt Gesicht. Gegen Nazis“ haben am Samstagmittag rund 4.000 Personen in der Innenstadt gegen die Kundgebung der rechtsextremen Szene demonstriert.
Davon gehörten nach Polizeiangaben etwa 1.000 Teilnehmer zur autonomen Szene. Vor dem Göttinger Bahnhof versammelten sich etwa 220 Rechtsextreme zu der genehmigten Kundgebung, die um 14.00 Uhr beendet wurde. Polizeipräsident Hans Wargel wertete den Einsatz als großen Erfolg. Man werde das Konzept „Deeskalation durch Stärke“ auch künftig weiter verfolgen. Für das Bündnis gegen Rechts erklärte der Regionsvorsitzende Lothar Hanisch, die große Beteiligung sei ein deutliches Zeichen gegen Rechts. Die Tatsache, dass der Protestzug friedlich und große Probleme verlaufen sei, widerlege Äußerungen von Polizeipräsident Hans Wargel über Gewalt aus der Gegendemonstration. Nach Polizeiangaben gab es Freitag und Samstag knapp 1.600 Identitätsfeststellungen, 44 Platzverweise und 33 Ingewahrsamnahmen. Die Beamten registrierten 42 Straftaten, davon 33 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Im Einsatz waren ca. 6.000 Polizeibeamte.

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Extra Tip, 29.10.2006
Demonstrationstag in Göttingen
Keine Verletzten


Kleine Ursache, große Wirkung: Weil rund 200 Anhänger der rechtsextremen NPD vor dem Bahnhof eine Kundgebung abhielten, befand sich Göttingen einmal mehr im Ausnahmezustand. 4 000 Gegendemonstranten protestierten (fast) friedlich gegen die Veranstaltung auf dem Bahnhofsvorplatz. 6 000 Polizisten passten auf, dass die Linken und die Rechten nicht direkt aufeinanderprallten. Im Bahnhofsgebäude war es fast soweit, weil Demonstranten aus der linken Szene sich bis dicht an die NPD-Demo herankämpften, während auf einem hinteren Gleis ein zweiter und dritter „Schwung“ NPDler ankam. Es blieb aber bei Drohungen und kleineren Rangeleien.

(star / bb) Die Einsatzkräfte bewältigten ihre schwere und undankbare Aufgabe dank gewaltiger zahlenmäßiger Überlegenheit sehr gut. „Wir hätten nicht weniger sein dürfen“, so Polizeipräsident Hans Wargel, der am Abend sehr erleichtert „keine Verletzten“ und „keinen Schlagstockeinsatz“ vermelden konnte.
Der Preis dieses Friedens war ein Tag im Ausnahmezustand. Wer gestern in die Innenstadt wollte, musste zahlreiche Polizeisperren passieren. Und wer gegen 12 Uhr einen Zug erreichen wollte, der hatte ganz schlechte Karten. Über der Stadt kreisten knatternd zwei Hubschrauber, der ganze Schützenplatz war von Wasserwerfern und polizeilichem Räumgerät zugeparkt. Einfach überall war Polizei.
Dank Petrus lösten sich beide Demonstrationen schnell auf. Der hatte der NPD zu ihrer Göttinger Kundgebung eine ordentlich kalte Dusche vom Himmel geschickt.


Die Chronik des Tages:
9.36 Uhr, Weender Straße: Keine Rückstaus auf den Einfahrtsstraßen, die Kontrollen laufen reibungslos. Kleine Kompressoren versorgen die Beamten in den Einsatzfahrzeugen mit Strom. Der Hubschrauber kreist über Göttingen. Auch eine Fastfood-Kette freut sich über Frühstücksbesuch. Die Beamten führen – ganz nebenbei – auch noch Personenkontrollen durch.
9.55 Uhr, Platz der Synagoge: Die Bühne für die Kundgebung nimmt Gestalt an.
10.11 Uhr, Platz der Synagoge: Die Polizei ist längst deutlich präsent, die ersten Demonstranten treffen ein.
10.22 Uhr, Platz der Synagoge: Zu Fuß und mit einer roten Fahne kommt der SPD-Fraktionsvorsitzende Tom Wedrins, wenige Minuten später folgt Rechtsdezernent Wolfgang Meyer auf dem Fahrrad und ganz in Schwarz.
10.37 Uhr, Platz der Synagoge: Die Nervosität steigt, auch beim DGB-Regionsvorsitzenden Lothar Hanisch. „Wir werden mehr als 3 000“, prognostiziert er. „Dawei Dawei“ unter Leitung von Ingeborg Erler spielt Klezmer.

11.10 Uhr, Platz der Synagoge: Die Demo geht offiziell los. „Wir wollen keine alten und neuen Nazis!“, so Hanisch. „Göttingen kann stolz sein auf sein breites Bündnis. Fremdenhass und Rassismus haben bei uns in Göttingen keinen Platz.“ Ludger Gaillard von der evangelischen Kirche fordert: „Wir müssen aufwachen und politische Lösungen finden.“
11.28 Uhr, Bahnhof: Gespenstische Atmosphäre. Alles wartet auf einen Zug aus Richtung Northeim. 100 Rechte und etwa 60 Autonome befinden sich darin... Irgendjemand hat die Notbremse gezogen, weshalb der Zug Verspätung hat.
11.30 Uhr, Platz der Synagoge: Aus dem Lautsprecher des ALI (Antifaschistische Linke International)-Fahrzeuges tönt: „Wir haben schon zwei Aufmärsche verhindert und der Nazi-Zug ist bei Northeim stehen geblieben. Allen die geholfen haben, herzlichen Glückwunsch!“

11.32 Uhr, Bahnhof: Etliche Vermummte haben es zusammen mit Reisenden in den Bahnhof geschafft und versuchen sich zum Haupteingang durchzukämpfen. Da warten etwa zehn einsame NPDler auf ihre Kollegen aus dem Zug.
11.35 Uhr, Platz der Synagoge: Cornelius Jufrange von der Menschenrechtsorganisation „The Voice“ fordert: „Wir müssen unsere Rechte erkämpfen!“
11.38 Uhr, Bahnhof: Der Zug ist da, die linke Szene darf zuerst raus und leistet passiven Widerstand, will einfach nicht zum Westausgang raus. Auch Reisende sehen nicht ein, dass es nur hinten raus geht. „So ein Affentheater wegen dieser Sch... Nazis“ – entfährt es einer älteren Dame mit blauem Hut!
11.43 Uhr, Bahnhof: Die Bahnhofs-Ansagerin ignoriert unbeirrt die Ausnahmesituation und verkündet „Auf Gleis 7 steht der Metronom nach Hannover abfahrbereit.“ Ein Irrtum, denn in diesem Zug muss die NPD nachsitzen und wartet darauf, dass der Weg zum Hauptausgang für sie frei gemacht wird.

11.45 Uhr, Platz der Synagoge: Die Polizei hat schon vor 20 Minuten den Abmarsch des Demo-Zuges gemeldet – doch erst jetzt geht es los. Es beginnt zu regnen.
11.47 Uhr, Bahnhof: „Hier spricht die Polizei“ und droht „einfache körperliche Gewalt“ an, wenn linke Szene und Reisende nicht freiwillig das Gebäude durch den Westausgang verlassen. Kinder und alte Menschen dürfen den Pulk auch in die andere Richtung verlassen. Ein Plastik-Blumentopf samt Palme fällt einer Rangelei zum Opfer.
11.53 Uhr, Bahnhof: Jetzt wird die NPD durch den Bahnhof geschleust. Im Eilmarsch geht es zum Kontrollpunkt, da reicht die Puste nur für einen Sprech-Chor. Jetzt geht gar nix mehr im Bahnhof: Der Haupteingang wird von den Rechten blockiert, der Westeingang von den Linken.
11.58 Uhr, Bahnhof: Jetzt dürfen Reisende erst einmal zu den Zügen, der eine oder andere ist aber schon Fahrgast abgefahren. Eine Gruppe Antifaschisten hat es zum Haupteingang geschafft, hält Transparente hoch, ruft „Haut ab!“.

12.05 Uhr, Goetheallee: Der Zug steht, der schwarze Block ist eingekreist.
12.06 Uhr, Bahnhof: Plötzlich ein rechter Sprechchor von einem anderen Gleis. Es kommen noch ein paar NPDler an! Als die Rechten die Treppe herunterkommen und merken, dass zu beiden Seiten linke Szene anwesend ist, ist schnell Stille eingekehrt. Für die Polizisten wird es brenzlig. Noch einmal knapp 50 NPDler müssen durchgeschleust werden, es kommt zu Rangeleien, die Gegendemonstranten werden an die Bahnhofswände gedrängt. Es geht gerade noch einmal gut.
12.12 Uhr, Bahnhof: Verstärkung rückt an, die Hundestaffel macht sich bereit, die Gegendemonstranten wollen einfach nicht den Bahnhof räumen. Wer jetzt im Gebäude ist, kommt so schnell nicht mehr raus – und rein kommt erst recht keiner...
12.17 Uhr, Bahnhof: Und noch ein Grüppchen Rechter, die noch schneller als ihre Vorgänger Richtung Hauptausgang hasten. Die Polizei hat größte Mühe, Rechte und Linke zu trennen.

12.20 Uhr, Bahnhof: Mit massivem Polizeieinsatz werden linke Demonstranten (und immer noch ein paar unentwegte Reisende) zum Westausgang hinausgedrängt. Um 12.22 Uhr kann man wieder zu allen Zügen gelangen. Ein Bahnhofs-Mitarbeiter fegt die Blumenerde zusammen.
12.25 Uhr, Papendiek: Der Regen wird heftiger, im Papendiek wird es eng. Es kommt zu Rangeleien zwischen Autonomen und der Polizei.
12.31 Uhr, Bahnhof: Die NPD-Kundgebung beginnt im Regen. Aus den blechernen Lautsprechern erklingen hysterisch schreiende NPD-Funktionäre, die zum Glück keiner verstehen kann...
13.03 Uhr, Weender Straße, Höhe Calvör: Polizeipräsident Hans Wargel erkundigt sich beim 1. Hauptkommissar Otto Moneke nach dem Verlauf. „Etwa 4 000 Teilnehmer“ vermeldet der. Regenschirme finden viele Abnehmer. „Die gibt es auf dem Bahnhofsvorplatz nicht“, scherzt Grünen- MdL Stefan Wenzel. Sein neues Stück hat 2,45 Euro gekostet.
13.22 Uhr, Weender Straße, Ecke Reitstallstraße: Wieder reißt der Zug auseinander, der schwarze Block bekommt die Linkskurve nicht, will geradeaus. Doch an den bayrischen Polizisten ist nicht vorbeizukommen!

13.45 Uhr, Platz der Synagoge / Abschlusskundgebung: „Haben Politiker und Juristen keine Lehren aus der Geschichte gezogen?“, fragt Harald Jüttner (Jüdische Gemeinde), er deutet Richtung Bahnhof. „Es reicht mit denen dort, wir wollen sie nicht mehr sehen!“ Die massive Polizeipräsenz sei nicht notwendig, „wir würden die Faschisten in hohem Bogen aus Göttingen rausschmeißen!“ Organisator Hanisch freute sich über die insgesamt „gut abgelaufene“ Demonstration.
14.03 Uhr, Platz der Synagoge: Die Kundgebung ist beendet und löst sich schnell auf – keiner ist trocken geblieben.
14.08 Uhr, Bahnhof: Auch die Kundgebung der Rechten ist beendet. Doch mit der Abreise müssen sie noch warten, ihr Zug Richtung Hannover / Celle hat 30 Minuten Verspätung. Der Spuk ist beendet, und auch Petrus schließt spontan seine Schleusen.

Die Bilanz des Polizeipräsidenten:
„Weniger hätten wir nicht haben dürfen“
Das Fazit von Polizeipräsident Hans Wargel am Abend des Demonstrationstages fällt positiv aus. „Der Rieseneinsatz hat so geendet, dass wir keinen Verletzten haben, das ist die erfreulicheste Botschaft des Tages“, so Wargel. „Aber weniger Einsatzkräfte hätten wir nicht haben dürfen.“ Die Rechtsextremisten seien zurückbegleitet worden und die Polizei-Präsenz werde auch in den kommenden Tagen noch hoch sein. Der Polizeipräsident berichtete von Straftaten im Vorfeld, unter anderem von einem mit einem Molotow-Cocktail in Brand gesteckten Dienstfahrzeug. Wichtig war, betonte Wargel, schon der resolute Einsatz bei der Warm up-Demo am Freitag. „Wir haben deutlich Zeichen gesetzt.“ 600 Teilnehmer hatte die Warm up-Demo, die Bündnis-Demonstration 4 000, davon stufte die Polizei etwa 1 000 als gewaltbereit ein, die waren gewarnt. „Es kam zu keinem Schlagstockeinsatz“, lobte Göttingens Polizeipräsident die professionelle Einstellung seiner Einsatzkräfte und auch von Sachschäden sei bisher nichts bekannt geworden. Da die NPD weitere Demonstrationen in Göttingen angekündigt hat, weil Adolf Dammann 1976 in Göttingen von Autonomen verprügelt worden war, werde die Polizei ihre Taktik beibehalten. „Das war Deeskalation durch Stärke, ein erfolgreiches Modell auch für einen nächsten Einsatz“, so Wargel. Er wünscht sich, dass die Bündnis-Demonstration Autonome stattfinden sollte. „Antifaschisten sind wir alle“, so Wargel. „Aber Antifaschisten sind friedliche Leute.“