Den Rechten Rollback stoppen!

Demonstration gegen den AfD-Parteitag in Bremen

Am rechten Rand der Gesellschaft etabliert sich gerade ein bedrohlicher Block aus rassistischen, nationalistischen und chauvinistischen Ideologen und Ideologinnen. Als Türöffner für einen reaktionären Diskurs fungiert dabei auch die "Alternative für Deutschland", die zunehmend zum institutionalisierten Sprachrohr für rohe, rechte Phänomene wie etwa "Pegida" gerinnt. Doch es gibt Risse im rechten Block: im offen ausgetragenen Machtkampf innerhalb der AfD zeigt sich auch ein strategischer Richtungsstreit, dessen Zuspitzung auf dem Bundesparteitag am 31. Januar 2015 in Bremen sichtbar wird. Diesen Bruch innerhalb der AfD und des rechten Blocks gilt es von linker und antifaschistischer Seite aus zu vertiefen! Deshalb rufen verschiedene Gruppen zur Demonstration gegen den AfD-Parteitag auf:

+++ Demo gegen Rassismus und Rechtspopulismus +++
+++ 31. Januar 2015 | 13 Uhr | Bremen +++
+++ Gemeinsame Zuganreise aus Göttingen: 8:45 Uhr | Bahnhof Göttingen +++




Anreise aus Göttingen | Proteste gegen die AfD in Göttingen | Veranstaltungstext der A.L.I. zur AfD

Am Samstag, den 31. Januar 2015 findet in der Bremer Messehalle, direkt hinter dem Hauptbahnhof der AfD-Bundesparteitag statt. Auf diesem "Satzungsparteitag" streiten sich der offen national-chauvinistische und der wettbewerbspopulistische Flügel um die Führungsstruktur der Partei. Hinter der formalistisch wirkenden Auseinandersetzung steht ein Richtungsstreit: zwischen der sich seriös gebenden Clique um die radikalkapitalistischen Wirtschaftsprofessoren Bernd Lucke und Heinz-Olaf Henkel, die die immer wieder aufbrechenden rassistischen und nationalistischen Ausfälle durch eine autoritäre Ein-Mann-Führung unter Lucke zügeln wollen und dem offen national-chauvinistischen Kreis um die Ko-Vorsitzenden Konrad Adam, Frauke Petry und dem stellvertretenden Vorsitzenden Peter Gauland, die die AfD nach und nach zur unmittelbar rassistisch und rechtspopulistisch agitierenden Kraft machen wollen.

Nach dem sich die AfD in ihrer Entstehung geradezu manisch versucht hat, von Neonazis und offenem Rassismus zu distanzieren, um eine Partei rechts der CSU etablieren zu können, wird ihr strategischer Kern in den letzten Wochen und Monaten nur all zu deutlich sichtbar: Gauland erklärte die AfD kurzerhand zum natürlichen Sprachrohr der rassistischen Pegida-Bewegung in Dresden und läuft auf deren Aufmärschen mit. Die sächsische Parteivorsitzende Petry läd sogar deren Organisationsgruppe zu sich ein, um Gemeinsamkeiten zwischen ihrer Partei und den rassistischen Wutbürgern zu finden. Die sind letztlich auch nicht schwer zu finden, denn beide beziehen sich schon lange fast wortgleich auf ein restriktives Zuwanderungsmodell aus Kanada und kokettieren nach xenophoben "schwarze Schafe"-Kampagnen mit der Schweizerischen "Direkten Demokratie". Der brandenburgische AfD-Chef Gauland nutzt dann auch gleich die Pegida-Öffentlichkeit, um in unverhohlener Manier in einem Fernsehinterview deutschen und nicht-deutschen Staatsangehörigen die gleichen Bürgerlichen Rechte abzusprechen. Der Diskurs der AfD verschiebt sich so zunehmend in eine menschenfeindliche, rassistische und chauvinistische Richtung. Auch Lucke hält diese Verschiebung vor dem Bremer Parteitag nicht auf. Denn er weiß, dass er für seine Satzungsänderung und seinen absoluten Führungsanspruch in der Partei die Sympathisanten und Sympathisantinnen mit der Pegida-Bewegung nicht verprellen darf, um seine Integrationsfunktion zwischen den rechten Spektren seiner Partei nicht zu verlieren. Und so bedient auch er in der Öffentlichkeit eine Legitimierung der gesellschaftlichen, rechten Blockbildung bei Pegida.

Bei diesen Montagabend-Aufmärschen kommt alles zusammen, was eine extrem rechte und rechtspopulistische Fraktion dieser Gesellschaft zu bieten hat. Keine Spur mehr von Abgrenzung: AfD-Parteimitglieder laufen problemlos neben Neonazis, PI-News-Anhängern, rechtspopulistischen pro-Aktivisten und Neurechten der "Identitären Bewegung" und der "German Defense League". Nach den diskursiven Verschiebungen durch AfD-Euro-National-Chauvinismus und Sarrazin-Rassismus gelingt es Pegida, eine Blockbildung am rechten Rand der Gesellschaft tatsächlich auf der Straße zu mobilisieren und Brüche zwischen Neonazis, Neuer Rechter und Nationalkonservativen, zu denen sie durch gesellschaftlichen Druck gezwungen waren, mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit weg zu wischen. Aber das Bündnis ist fragil: alles, worauf sie ihr Image aufbauen, erscheint als Farce, wenn die angeblichen Verteidiger des Abendlandes auf ihren Montagsdemonstrationen sowohl entschiedene Distanzierungen von den Kirchen, als auch sogar von den einstigen Protagonisten von 1989 erfahren. Um so wichtiger ist daher die AfD als Schutzschild im politischen Diskurs.

Dabei tummelt sich die AfD schon längst bei Phänomenen und Bewegungen eines rechten Rollbacks und sucht hier ihr Fundament für eine reaktionäre Diskursverschiebung. AfD-Anhänger laufen auf antifeministischen Abtreibungsgegner-Aufmärschen mit, auf denen das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren eigenen Körper in Frage gestellt wird. Sie sind fester Bestandteil von homofeindlichen Mobilisierungen gegen neue Bildungspläne mit der Zielrichtung der Anerkennung verschiedener sexueller Identitäten, denen ein patriarchales und heteronormatives Zwangsbild einer bürgerlichen Kleinfamilie entgegengestellt wird. Besonders die Europaabgeordnete Beatrix von Storch hält schon lange die Verknüpfung der AfD zu diesem antifeministischen, erzkonservativ-rechten Spektrum aufrecht.

Bemerkenswert bei der momentanen Entwicklung verschiedener Strömungen eines rechten Rollbacks und deren Blockbildung bei Pegida und AfD ist allerdings, dass sie es immer mehr schaffen, sich einer politischen Empörung und Stigmatisierung zu entziehen. Längst bekannte Ressentiments einer rohen Bürgerlichkeit, die bislang in der Latenz von unausgesprochenen Haltungen unter dem Druck einer gesellschaftlichen Hegemonie der Anti-Nazi-Räson geblieben sind, artikulieren sich immer offener und beanspruchen einen Platz im politischen Diskurs. Die AfD spielt dabei eine Integrationsfunktion, die einerseits organisierter und institutionalisierter Teil eines solchen Rollbacks ist, andererseits mti einer bürgerlichen Seriosität versucht rechten Tendenzen eine gewisse Legitimität zu verleihen.

Es ist daher um so wichtiger für eine linke und antifaschistische Bewegung, den Bruch innerhalb der AfD zu forcieren, wenn die Risse im rechten Block vorangetrieben werden sollen. Dort, wo die AfD ihre Schwäche öffentlich als Bruch auf ihrem Parteitag darstellt, dort werden wir mit einer Demonstration gegen sie ansetzen: auf dass der rechte Block bricht!



Anreise aus Göttingen

Die Demonstration beginnt in Bremen um 13 Uhr. Um rechtzeitig in Bremen anzukommen, fahren wir gemeinsam von Göttingen mit dem Zug nach Bremen. Treffpunkt ist um

8:45 Uhr | Hauptbahnhof Göttingen

Wir fahren mit dem Metronom um 9:07 Uhr von Gleis 6 über Hannover. Bis Bremen gelten Niedersachsentickets und das Semesterticket der Uni Göttingen.

 

 


 

Proteste gegen die AfD in Göttingen

Auch in Göttingen hat sich 2013 ein Kreisverband der AfD gegründet. Als A.L.I. haben wir damals veröffentlicht, dass in dessen Vorstand auch der lokal bekannte Neonazi Lennard Rudolph sowie der rechte Verbindungsstudent Lars Steinke einen Platz fanden. Für die neu entstandene AfD, die damals schon fast manisch versuchte, sich von Neonazis abzugrenzen, ein handfester Skandal. Sowohl Rudoph als auch Steinke wurden damals aber von der AfD geschützt: sogar die wirre These, ein von Rudolph selbst veröffentlichtes Foto, auf dem er mit einem Hitlergrus zu sehen ist, währe eine Fotomontage, war die Göttinger AfD gewillt zu glauben und zu verteidigen.

Bereits zur Bundestagswahl 2013, als die AfD erstmals antrat, gab es in Göttingen eine antifaschistische Kampagne, die sich gegen den Wahlkampf und das öffentliche Auftreten der AfD in Göttingen richtete. Unter anderem wurde ein Treffen der AfD in einem Lokal in Göttingen-Geismar auf antifaschistischen Druck hin abgesagt, Wahlkampfstände in der Innenstadt erfolgreich gestört und Plakate und andere Rechte Propaganda der AfD aus dem Stadtbild entfernt. Einen Überblick über die Kampagne von 2013 findet ihr hier.

Damals richtete die A.L.I. zusammen mit der Grünen Jugend Göttingen eine Infoveranstaltung zur AfD mit dem Soziologen Andreas Kemper aus. In einem eigenen Beitrag auf der Veranstaltung versuchten wir die Entstehung der AfD mit den ideologischen Verwerfungen des neoliberalen Kapitalismus in der Krise des Kapitalismus seit 2008 und ihren Vorläufern zu kontextualisieren. Unseren Beitrag zu den Rassistischen Krisenerzählungen findet ihr unten. Einen Bericht über die Veranstaltung findet ihr hier.

2014 gab es eine Neuauflage der Kampagne zu den Europawahlen. Die A.L.I. richtete in dessen Rahemen eine Veranstaltung mit dem Göttinger Politikwissenschaftler David Bebnowski zur Ideologie der AfD aus, in der sie dessen These des "Wettbewerbspopulismus" mit ihm diskutierte und über antifaschistische Strategien gegen die AfD beriet. Zur Kampagne von 2014 mit der Veranstaltung kommt ihr hier.

Seit der zweiten Kampagne 2014 ist der Göttinger Kreisverband der AfD komplett inaktiv und praktisch von der Bildfläche verschwunden. Rudolph und Steinke wurden heimlich, still und leise aus dem Vorstand und der Partei entfernt. Zu den Uni-Wahlen 2015 kandidiert allerdings erstmals eine Hochschulgruppe der sogenannten "Jungen Alternative". Auf Listenplatz 1: Lars Steinke. Auf den Verlauf des Uni-Wahlkampfes kann man wohl gespannt sein.

 


 

"Rassistische Krisenerzählung"

Veranstaltungsbeitrag der A.L.I. auf der Infoveranstaltung zur AfD

Der folgende Vortrag wurde auf der Veranstaltung der Antifaschistischen Linken International und der Grünen Jugend Göttingen am 16. September 2013 von der A.L.I. vorgestellt. Wir dokumentieren an dieser Stelle die Ergänzung zu Andreas Kempers Buchvorstellung im Wortlaut:

 

Vielen Dank an Andreas, für deinen Vortrag! Wir freuen uns, dass du gerade zu diesem Zeitpunkt nach Göttingen gekommen bist und hier dein Buch vorstellst. Für uns ist es dringend notwendig, dass sich jemand fundiert und detailliert mit den elitären Hintergrundstrukturen der neuen, sogenannten „Alternative für Deutschland“ auseinandersetzt. Denn es ist für antifaschistische Aktivistinnen schon die Grundlage ihres Handelns, dass sie beim Auftauchen einer neuen, rechtspopulistischen Bewegung wissen, mit wem sie es da zu tun haben. Dazu bedarf es einer Analyse der Akteure aber vor allem auch der politischen Ausrichtung und Strategie, in die sich ein neu aufgetauchter Player auf der rechten Seite einordnen lässt. Mit deinem Buch machst du es vielen Aktivistinnen, die sich mit der AfD auseinander setzen wollen leichter, die Hintergründe zu verstehen und sich zu ihr politisch und vor allem antifaschistisch zu verhalten.

Trotzdem gehen Theorie und Praxis in diesem Feld Hand in Hand: in Göttingen haben die antifaschistischen Aktionen gegen die AfD längst begonnen. Seit hier bekannt wurde, dass sich auch in Göttingen ein Kreisverband der AfD gründen und versuchen würde, politisch aktiv zu werden, gab es Widerstand gegen diese Partei! Die Hintergründe, die du für die bundesweite Bewegung herausarbeitest, waren auf lokaler Ebene schnell klar. Unter den Protagonistinnen und Protagonisten, die vor Ort in der AfD mitmischen wollten waren so einige alte bekannte. Lars Steinke war da z.B. mit dabei. Ein Burschenschafter aus der extrem rechten Burschenschaft Hannovera. Die ist schon lange in Göttingen dafür bekannt, ein Sammelbecken für Studenten mit völkischer Ideologie zu sein. Bis vor kurzem war die Hannovera noch Mitglied im Dachverband der Deutschen Burschenschaft, die mit Debatten darum, wer eigentlich „deutsch“ genug sei, um in der „Deutschen“ Burschenschaft Mitglied sein zu können sich keinen Fingerdeut mehr von völkisch-rassistischen Ideologien abgehoben hat. Der Austritt der Hannovera aus der DB ist auch ein rein taktischer – sie vertritt als Burschenschaft selbst genau die gleiche Ideologie. Oder da war ein Lennard Rudolph plötzlich im Vorstand des Kreisverbandes der neuen AfD. Rudolph kennt man in Göttingen, besonders wenn man sich gegen Atomkraft engagiert. Bei den regelmäßigen Anti-Atom-Mahnwachen tauchte Rudolph immer wieder mit einem Freund zusammen auf und bedrohte und beschimpfte die Demonstrantinnen. Schon früher war das Weltbild des Lennard Rudolph klar: er hasst Linke. Auf sie konzentrierte sich seine ganze Wut und an allem Übel dieser Welt mussten diese Linken Schuld sein. Darunter fielen für ihn eben auch die Anti-Atom-Aktivistinnen, die er sich für seine Drohungen und Beschimpfungen ausgesucht hat. Aber dabei blieb es nicht: Rudolph suchte Kontakt zu den „Jungen Nationaldemokraten“ der NPD Jugendorganisation, erzählte stolz herum, dass er mit dem NPD-Unterbezirksvorsitzenden und bekannten Neonazis Marko Borrmann in Friedland rassistische Flyer verteilt hätte und ließ sich auf einem Foto mit Hitlergruß ablichten, das er hinterher auf seine Facebook-Seite stellte. Als das alles öffentlich bekannt wurde, hatte Rudolph dafür die interessantesten Erklärungen parat: das Foto sei eine Fälschung, sein Facebookprofil wäre angeblich gehackt worden. Viel spannender aber war, dass nicht nur dieser Neonazi solche abenteuerlichen Verschwörungstheorien verbreitete, sondern eine Partei, die sich in ihrer Gründung fast schon manisch versucht hatte von Neonazis zu distanzieren, diese wilden Geschichten übernahm, sie verbreitet und sich schützend vor die beiden Neonazis in ihrem Vorstand stellte. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder weil die AfD vielleicht doch dazu neigt, nicht nur kein Problem mit Neonazis bei sich zu haben, sondern auch die verschwörungstheoretischen Geschichten selber gerne glaubt und erzählt, nach denen die Welt voll von bösen Linken ist, die angeblich ein Meinungsmonopol errichtet hätten und so ehrliche und solide Deutsch wie die bei der AfD ständig unterdrücken.


Ehrlich gesagt hat uns diese plumpe Reaktion der AfD selbst auch ein wenig überrascht. Denn als wir uns mit der AfD zu beschäftigen begonnen haben, war unsere Analyse noch, dass hier eine rechtspopulistische Partei entsteht, bei der es in der öffentlichen und politischen Auseinandersetzung eher schwer werden würde, sie als faschistische Partei darzustellen, auf die man den Nazistempel drücken kann und die dadurch schnell marginal bleiben würde. Durch ihr plumpes Verhalten in Göttingen hat die AfD gezeigt, wie nah sie eben doch an den klassischen Neonazis ist. Ob das eine Kinderkrankheit einer entstehenden rechtspopulistischen Partei ist oder ob in Göttingen eine Entwicklung der AfD vorweg genommen wurde, bleibt abzuwarten. Immerhin kokettierte die faschistische NPD bereits damit, dass die AfD eine Türöffner-Funktion für ihre Positionen spielen würde und auch intern nehmen Protagonisten der AfD mittlerweile eine „Unterwanderung“ durch Rechtsextremisten wahr – in wie fern auch immer dabei tatsächlich von einer Unterwanderung gesprochen werden kann, oder die AfD eben genau den richtigen Spielplatz für Neonazis und ihre Strategien darstellt, bleibt dahin gestellt.


Umso wichtiger finden wir es, in der politischen Auseinandersetzung an einen Punkt zu kommen, an dem die AfD in ihren ideologischen Entstehungsbedingungen analysiert wird. Hier würden wir Andreas Kemper gerne ergänzen. Denn das Auftauchen der AfD im politischen Spektakel fällt in einen Kontext, in dem die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse unter dem Eindruck krisenhafter Verwerfungen von weiten Teilen des Bewusstseins der Mehrheitsgesellschaft zunehmend reaktionär und das heißt hier konkret: rassistisch und nationalistisch gedeutet und gelesen werden. Die Krise des Kapitalismus hat im Windschatten ihrer materiellen Zusammenbrüche auch auf der ideologischen Ebene Narrative - also Erzählungen - produziert, die die Erklärung dieser Krise entlang von stereotypen Abgrenzungen entwirft. Der Zusammenbruch der Stabilität in den südeuropäischen Staaten wird so nicht auf eine dem Kapitalismus immanente Dysfunktionalität zurück geführt, sondern muss angeblich etwas mit der Eigenart der „Südländer“ an und für sich zu tun haben. Die Griechen waren eben alle korrupt, die Spanier alle zu faul und haben zu viel Siesta gemacht. So kann ja keine solide Wirtschaft aufgebaut werden. Denn dazu ist Leistung und Fleiß notwendig, weiß der gut disziplinierte Deutsche, der sich selbst gerne was auf „seine“ wirtschaftlichen Erfolge einbildet: Exportweltmeister, Wirtschaftslokomotive. Im Selbstbewusstsein der deutschen Identität alles Ergebnis harter, ehrlicher Arbeit. Der Idealtyp des Reihnischen Kapitalismus. Dabei waren diese Weltbilder nie verschwunden, sie waren nur eine Zeitlang unter den zweckdienlichen Diskursen des Kapitalismus vergraben. Die Verwerfungen des Kapitalismus produzieren also nicht die reaktionären Weltbilder, sondern bieten nur einen Rahmen, in dem sie wieder artikuliert werden können. Nationalismus, Kapitalismus und die Internalisierung stereotyper Welt- und Selbstbilder sind dabei eng verschränkt und halten sich ideologisch je nach Situation gegenseitig funktional aufrecht.

Noch vor zehn Jahren funktionierte der Diskurs umgekehrt. Da ging es nicht darum, sich selbst als stark und überlegen gegenüber den europäischen Standortkonkurrenz-Staaten zu konstruieren. Da wurde die Geschichte von der Rückständigkeit der Strukturen in Deutschland erzählt. An der hohen Arbeitslosigkeit wäre der träge Sozialstaat schuld, der die Entwicklung in einer sich zunehmend globalisierenden Weltwirtschaft bremsen würde. Da galt die Geschichte von der Abwanderung von Arbeitsplätzen, weil überall sonst viel billiger produziert werden könnte. „Senkung der Lohnnebenkosten“ hieß damals das neoliberale Mantra, mit dem unter der rot-grünen Agenda 20 10 der Kahlschlag im Sozialstaat begründet wurde. Natürlich zum Wohle der Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland. Die Nation begründete hier nicht einen Grund für Überheblichkeit und ein konstruiertes Kollektiv, auf das sich ihre Mitglieder zur Stärkung ihres Selbstwertes zurück ziehen konnten, sondern vermittelte ein Defizit an Leistungsfähigkeit und konnte als Zwangskollektiv soziale Zumutungen vermitteln. Auch damals liefen parallel Ausgrenzungsdebatten ab, die sozial-ökonomische Zumutungen rassistisch kanalisierten. Nicht nur die osteuropäischen oder asiatischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die als Idealtyp der abgewanderten Arbeitsplätze mit verächtlichen Stereotypen als „Billigarbeiter“ zum Feindbild erklärt wurden, sondern auch Migrantinnen und Migranten wurden zur Bedrohung stilisiert, für die die verknappten Ressourcen in den Sozialsystemen nun einfach nicht mehr reichen würden. Auch damals schon war dieser Diskurs gekoppelt an eine biopolitische Debatte über Demographie und Sozialsysteme. Mit der schrumpfenden Bevölkerung wurde und wird die Instabilität der Sozialsysteme begründet und angeblicher Reformbedarf angemeldet – am Besten nicht mehr per Umlagesystem, sondern ganz im Sinne des Neoliberalismus privatisiert und kapitalgedeckt. Aber da ist dann kein Platz mehr für „andere“. Der Populismus, der die sozialen Zumutungen erträglich macht, operiert mit mangelbegründeter Abgrenzung: Deutschland wäre ja nicht das Weltsozialamt, daher kann man ja nun wirklich keine angeblichen „Wirtschaftsflüchtlinge“ aufnehmen, das könne man sich in dieser Situation nun wirklich nicht leisten. Auf die Idee, sich nicht nur gegen die eigenen sozialen Zumutungen zu wehren, sondern, statt sich abzugrenzen, sich auch solidarisch gegen die Ausbeutungen des globalisierten Kapitalismus und die Verarmung der Menschen in der Peripherie zu engagieren, auf diese Idee ist das disziplinierte Bewusstsein dann doch nicht gekommen. Die wirtschaftliche Lage wird naturalisiert, wie ihr begegnet wird, wird im Sinne einer „Ther is no alternative“-Politik exekutiert. Dazu muss aber nicht nur das Zwangskollektiv Nation nach innen wirken, sondern die Abgrenzung, die es zugleich produziert, [VoKü] muss die Beziehung zu den konstruierten Anderen noch mit einem ihnen zugeschobenen Essentialismus aufladen, um die Abgrenzung erträglich zu machen. Die Ausgegrenzten müssen irgendwie selbst schuld sein an ihrem Dilemma. Hier gesellt sich die rassistische Ideologie zur nationalistischen Fremdabgrenzung. Damals zunehmend in einer kulturalisierten Begründung. Nicht mehr Rasse und Biologie waren die Chiffren, mit denen der Essentialismus der Eigenarten der Ausgegrenzten hergeleitet wurde, sondern eine anscheinend unveränderliche Kultur. Insbesondere der Islam wurde zum Rahmen der neuen kulturrassistischen Fremdkonstruktion. Bis heute wird dieser antimuslimische Rassismus durch Neonazis und Rechtspopulisten versucht auszuschlachten. Der rechte Rand der Konservativen stellt ihm eine angebliche „Deutsche Leitkultur“ entgegen, Rechtspopulisten von „pro Deutschland“ oder der Hetzseite „politicaly incorrect“ malen das Bild einer angeblichen „Islamisierung“ Europas und Neonazis und Neue Rechte schwadronieren über „kulturelle Überfremdung“ und beschwören – wiederum hoch biopolitisch aufgeladen – den drohenden „Volkstod“.

Das alles war unter Bedingungen eines Diskurses über einen sich zunehmend globalisierenden Kapitalismus, aber noch nicht unter einer Allgegenwart der Krise. Auf merkwürdige Weise ist diese Krise im Bewusstsein ständig präsent und kommt als bedrohlicher, fataler Zusammenbruch daher. Er wird aber in der deutschen Gesellschaft nicht in dem Ausmaß spürbar, wie er sich als fatales Ereignis vermittelt. Massenarbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit oder das blanke Zurückgeworfen Sein von Menschen auf Nothilfe – das alles sind wahrnehmbare Auswirkungen der Krise, die aber doch die allermeisten Menschen in Deutschland eben nicht betreffen. So geht die Krise mit vergleichsweise erträglichen Zumutungen abstrakt an der Gesellschaft vorbei. Nicht, dass Kurzarbeit, steigende Mieten und zunehmend prekäre Beschäftigung harmlos und zu vernachlässigen wären. Aber durch die Präsenz der fatalen Krisenauswirkungen in Südeuropa bleibt die Einschätzung der eigenen sozialen Zumutungen doch relativierbar und wird auch so wahrgenommen. Wenn wir jetzt davon sprechen, dass es im Windschatten der ökonomischen Verwerfungen wieder neue, rassistische Krisenerzählungen gibt, dann ist deswegen die These, aus der sozialen Prekarisierung folgt einfach eine rassistische oder rechtspopulistische Kanalisierung auch zu einfach. Die neuen rassistischen Narrative sind eng verknüpft mit einem nationalistischen Bild der Stärke der eigenen Wirtschaftsnation. Dieses Bild wird von der Regierung beschworen: Deutschland stehe in der Krise gut da wiederholt sie gerne. Der Standortnationalismus wird dabei verknüpft mit einer europäischen Anrufung: „Was gut für Europa ist, ist auch gut für Deutschland“ heißt das neue Mantra von Angela Merkel. Das nationale Standortinteresse und das europäische Absatzmarktinteresse wird hier in eins gesetzt. Das ist Nationalismus zum Wohlfühlen: endlich darf der deutsch Biedermeier nicht mehr nur in „schwarz-rot-geil“ mit Poldi und Co. mitfiebern, sondern darf sich auch wieder als Teil einer starken, soliden und leistungsfähigen Wirtschaftsgemeinschaft fühlen. Im Gegensatz zu den korrupten Griechen und den faulen Spaniern. Denen tut man jetzt die Gefälligkeit und rettet sie mit der eigenen Stärke aus ihrer angeblich selbst verschuldeten Misere. Sozialchauvinismus lässt sich auf dieser Ebene eins zu eins in einen Nationalchauvinismus übersetzen.

Aber auch so einfach ist die Situation tatsächlich noch nicht. Denn einen Wohlstandschauvinismus gegenüber verarmenden Bevölkerungen können wir auch nicht einfach eins zu eins behaupten. Das Bild des kleinbürgerlichen und ewig narzisstischen Deutschen reicht uns als Erklärung nicht aus. Denn ein großer Teil des Aufbegehrens in den Anti-Krisen Protesten in den südeuropäischen Staaten durch Generalstreiks, Massenproteste und Riots richtet sich tatsächlich gegen den Kahlschlag der Sozialsysteme, wie er in Deutschland eben schon vor fast zehn Jahren exekutiert wurde. Gewekschaften dort wehren sich etwas gegen die Erhöhung des Rentenalters, wie es in Deutschland längst beschlossen wurde. Die sozialen Zumutungen hier zu Lande sind also durchaus real. Nur liegen ihre Ursachen eben nicht in einer neoliberalen Reaktion auf die Krise, so wie sie jetzt als Programm der Austeritäts- und Privatisierungspolitik im Süden Europas vollzogen wird, sondern im letzten neoliberalen Schub, der den sozialen Kahlschlag hier schon vorweggenommen hat. So ist aber eben der neue Schub an rassistischen Krisenerzählungen eben auch nicht in einen einfachen Zusammenhang von Prekarisierung und sozialem Ressentiment zu bringen. Das deckt sich allerdings ziemlich gut mit soziologischen Forschungen. Einhellig kommt man dort zur Erkenntnis, dass nicht der objektive, materielle Verlust an Lebensstandards zur Zunahme von vorurteilshaften Einstellungen führt, sondern die subjektiv wahrgenommene Bedrohung des sozialen Statusverlustes. Es sind Abstiegsängste, nicht der konkrete sozial-ökonomisch Abstieg selbst, der Menschen für die rassistischen Krisenerzählungen empfänglich macht. Diese diffusen Bedrohungen des eigenen Lebensstandards kann die Krise durchaus auch hierzulande vermitteln. Die Zunahme eines Einstellungsmusters, dass Heitmeyer und Co. in den „Deutschen Zuständen“ als Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit beschreiben, ist kontinuierlich in der deutschen Gesellschaft zu beobachten. Ca. 9% haben demnach ein geschlossen rechtsextremes Weltbild – und könnten damit nach ihrem reinen Einstellungspotential auch gut die faschistische NPD wählen. Ca. 11% haben ein geschlossen rechtspopulistisches Weltbild. Welche Einstellungsfaktoren jeweils zu einem solchen hinzugerechnet werden variiert von Studie zu Studie. In den „Deutschen Zuständen“ wird von einer Kombination von autoritärer Aggression, Xenophobie, sekundärem Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ausgegangen. An anderer Stelle wird Rechtspopulismus als Schema zwischen Sozial-, Kriminal- und Nationalpopulismus gesehen. Einig sind sich die allermeisten Forschungen aber darüber, dass den höchsten Erklärungsgrad für das Auftreten menschenfeindlicher Einstellungen der Autoritarismus hat. Wer eine hohe Zustimmung zu einem starken, punativen und autoritärem Staat hat, der hat am häufigsten auch Einstellungen wie z.B. Rassismus, Sozialchauvinismus und Sexismus mit in seinem Repertoire. Übrigens keine so neue Erkenntnis: bereits das Frankfurter Institut für Sozialforschung machte machte in seinen Forschungen im Exil den autoritären Charakter zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen über die Faschismus-Skala.

Allerdings sind wir damit an einem interessanten Punkt in Bezug auf unsere aktuellen rassistischen Krisenerzählungen angekommen. Diese kommen nämlich zunehmend technokratisch, mit einem Anschein der Alternativlosigkeit und bevormundend daher. Deutschland müsse jetzt den Griechen eben mal beibringen, wie man seriös mit Staatshaushalten umgeht. Auch bei der AfD ist eine solche Selbstpräsentation zu beobachten, wenn Bernd Lucke etwa erklärt, man wolle die Griechen ja nur zu ihrem eigenen Besten aus dem Euro raus werfen. Das vermittelt sie ganz harmlos als seriöse Wirtschaftspolitik, die ja nur vernünftig wäre. Dann könne endlich wieder eine nationale Währung abgewertet werden und so ganz selbstverständlich der Staatsschuldenkrise begegnet werden. Dass diese Sicht keineswegs objektiv ist, sondern selbst unter Wirtschaftswissenschaftlern längst kein Konsens mehr darüber besteht, wie der globalisierte Kapitalismus eigentlich funktioniert, das wird nicht dazu gesagt. Auch nicht, dass Währungsabwertung für die Bevölkerung heimlich, still und leise die gleichen sozialen Zumutungen bedeutet, wie die Austeritätspolitik, weil ihr Geld dann nichts mehr wert ist. Die AfD schlägt damit in die gleiche Kerbe von sich zuspitzenden autoritären Ressentiments, wie sie im Windschatten der Krise insgesamt entstehen. Nur Greift sie ihr Prinzip auf und spitzt es weiter zu bzw. radikalisiert es auf einen technokratischen Nationalismus. Hinter den seriös daher kommenden Positionen steht letztlich immer die Grundhaltung, Hauptsache es geht dem Wohlstandsstandort Deutschland gut. Rechtspopulistische Parteien, so nimmt die Politikwissenschaft an, sind immer dann erfolgreich, wenn sie ein Thema besetzen, dass von vielen als wichtig erachtet wird, dieses Thema in der Politik nicht kontrovers diskutiert wird und wenn sie sich selbst als kompetent in diesem Thema präsentieren können. Das weiß auch die AfD. Deswegen setzt sie auf das Thema Euro-Krise. Denn die Krise ist allgegenwärtig, die Lösungsvorschläge z.B. im Parlament werden aber von allen, Regierung und Opposition, mit durch gestimmt – womit rot-grün übrigens in den nächsten Schub der neoliberalen Austeritätspolitik hinein läuft – und als selbst dargestellte Partei von Volkswirtschaftsprofessoren kann die AfD eine angebliche Kompetenz in dem Thema vermitteln. Die Bedingungen für das Entstehen einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland sind damit da. Überall sonst in Europa sind solche Bewegungen längst etabliert: die Lega Nord in Italien, der Flaams Belang in Belgien usw. In anderen europäischen Staaten führen die Auswirkungen der Krise in nach viel rasanterer Weise zur Etablierung faschistischer Parteien, so z.B. in Ungarn mit der Jobbik-Partei oder in Griechenland mit der Chrysi Avgi. In Deutschland wurde das rechtspopulistische Potential bislang durch eine Streuung der Wähler mit dem [veganer Mettigel] entsprechenden Einstellungspotential und vor allem durch eine hohe Wahlenthaltung aufgesogen. Die AfD taugt, wenn sie einen gewissen Erfolg bei der Bundestagswahl schafft und danach ihr Themenrepertoire erweitert durchaus dazu, diese Position einzunehmen. Ob sie das tatsächlich realisieren kann, bleibt abzuwarten. Denn in Deutschland haben es Rechtspopulisten nicht nur mit einem sozialen Tabu gegenüber faschistischen Parteien zu tun. Sondern, wie man in Göttingen gut beobachten konnte, eben auch immer damit, dass sie real Neonazis anziehen. Fatal wäre das, wenn die AfD weiterhin nicht konsequent in der Politik gesellschaftlich isoliert wird und sich in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich als anscheinend normale Partei neben anderen etablieren könnte. Denn dann ist der Raum dafür offen, dass sich einerseits Neonazis und neue Rechte in einer gesellschaftlich geschützten Position tummeln könnten. Andererseits würde diese politische Position weiter dazu beitragen, dass der sich selbst als tabubrecherisch inszenierende rassistische Diskurs etwa eines Tilo Sarrazin ein etabliertes Sprachrohr erhält und so die rassistischen Erzählungen weiter nach rechts verschiebt und Ressentiments wieder salon- und anschlussfähig werden könnten.

Was wir hier heute ergänzen wollten ist keineswegs eine abgeschlossene Analyse der rassistischen, nationalistischen und autoritären Auswirkungen der Krise des Kapitalismus. Es ist ein erster Versuch, die Tendenzen, die wir in der momentanen gesellschaftlichen Situation in diesem Kontext beobachten fassbar zu machen. Auch unsere Bewertung der AfD ist keinesfalls endgültig. Mag sein, dass Lucke und Co. nach der Bundestagswahl bald wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, wie es vielen rechtspopulistischen Sammelbewegungen vor ihnen auch schon ergangen ist. Die AfD ist für uns auch eher der Ausdruck einer allgemeinen Verschärfung der reaktionären Stimmung, wie sie sich in dieser Gesellschaft im Kontext der Krise weiter zuspitzt. Wir sind bundesweit in der Diskussion mit der radikalen Linken und der antifaschistischen Bewegung, wie diese Entwicklung analysiert und bewertet werden kann. Trotzdem warten wir natürlich nicht ein feststehendes Ergebnis solcher Diskussionen ab, sondern werden aktiv, wenn die rechtspopulistische Sammelbewegung anfängt, sich in der AfD zur Partei zu formieren. Wenn als andere Auswirkung dieser rassistischen Zuspitzungen geflüchtete Menschen in Berlin-Hellersdorf oder in anderen Sammelunterkünften von einem Konglomerat aus faschistischer NPD und aufgestacheltem Bürgermob bedroht werden. Oder wenn die alten Neonazis sich durch diese Stimmung ermuntert fühlen, wieder Menschen direkt zu verfolgen und zu bedrohen. Wir können nicht abwarten, bis wir für gesellschaftliche Dynamiken die theoretisch richtigen Analyseangebote entwickelt haben, wenn ihre Auswirkungen schon unmittelbar sichtbar sind. Unsertwegen kann die AfD daher auch gerne schon unter dem antifaschistischen Widerstand zusammen brechen, bevor wir beobachten können, wie sie sich denn tatsächlich weiter entwickelt.

Vielen Dank für eure Geduld und Aufmerksamkeit! Für's erste reicht uns damit die Ergänzung zu Andreas Kemper!