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111 Namen | 1 Keller | Keine Erinnerung

Antifaschistische Geschichte sichtbar machen!

Plakat: Antifaschistische Geschichte sichtbar machen!Mehrere hundert Göttinger AntifaschistInnen haben zwischen den 1920er und 40er Jahren gegen die Nazis Widerstand geleistet. Viele von ihnen wurden nach der Machtübertragung an die Nazis im alten Polizeigefängnis inhaftiert - eingesperrt, gedemütigt, zum Teil von hier in die Konzentrationslager verschleppt. 111 Namen sind bekannt, in der öffentlichen Erinnerung und im Stadtbild wird ihnen kein Platz eingeräumt.

Mit einer Licht-, Ton- und Silhouetteninstallation am ehemaligen Stadthaus, das ebenfalls Sitz der Polizeiwache war, begeben wir uns auf Spurensuche: Wer waren diese Menschen? Wie ist ihre Geschichte mit den Räumen der heutigen Stadtbibliothek verbunden? Warum bleibt ihr Wirken bis heute unsichtbar? Wie kann ein authentischer Ort der Erinnerung gestaltet werden?


Veranstaltungsbericht | Medienberichte | Gustav Kuhn | Auseinandersetzungen zu Erinnerungskultur | Biographien |



Die Aktionen fanden im Rahmen des Bündnisses 9. November - 27. Januar statt. Dabei kooperieren wir mit dem DGB-Südniedersachsen-Harz und dem Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur.

Wir danken den zahlreichen Menschen, die uns bei der Verwirklichung der Kunstaktion geholfen haben, für ihre Unterstützung. Insbesondere www.konecho.com


Kunstaktion am 15. November 2013

Rund 60 Menschen schauten sich am 15.11.2013 die erste Kunstaktion an der ehemaligen Polizeiwache in der Gotmarstr. 8 in Göttingen an. Für die Aktion wurden 6 menschengroße Holzsilhouetten auf dem Gehwegen in der Gotmarstraße aufgestellt. Sie standen beispielhaft für die mindestens 111 AntifaschistInnen, die während des deutschen Faschismus in der damaligen Polizeiwache inhaftiert wurden: Gustav Kuhn, Adolf Reinecke, Elisabeth Vogel, Louise Meyer, Heinrich Düker und Theodor Bernhardt. Gleichzeitig wurden ihre Geschichten künstlerisch in biographischen Texten aufgearbeitet und mit einer musikalischen Untermalung eingespielt. Bei der Ausarbeitung der Texte rekurrierten wir auf Fakten, die wir in Archiven und durch persönliche Gespräche recherchiert haben und betteten diese in fiktive Erzählungen ein. Ein weiteres Element der Aktion war eine Lichtinstallation, die die 111 Namen der inhaftierten AntifaschistInnen abbildete und die im heutigen Bibliotheksgebäude durch bewegte Schatten von Menschen die Geschichte zum Leben erweckte.

Silhouetten vor der heutigen Bibliothek, 15.11.2013 Silhouetten, vor der heutigen Stadtbibliotek, 15.11.2013 BesucherInnen der Kunstaktion, 15.11.2013 Silhouetten, vor der heutigen Stadtbibliotek, 15.11.2013 Silhouetten, vor der heutigen Stadtbibliotek, 15.11.2013 Silhouetten, vor der heutigen Stadtbibliotek, 15.11.2013 Lichtinstallation an der heutigen Bibliothek, 15.11.2013 Table gegenüber der Kunstaktion, 15.11.2013

 


 

Künstlerische Auseinandersetzung mit antifaschistischen Biographien

Während der Lichtinstallation wurden sechs Biographien, die wir in einer künstlerischen Art und Weise aufgearbeitet haben, mit musikalischer Untermalung abgespielt. Künstlerisch meint, dass wir die Darstellung der Biographien zwar auf historischen Fakten gründeten, sie aber in einer Ich-Perspektive verfasst haben. Wir ließen so die AntifaschistInnen selbst "sprechen", auch mit Emotionen und Haltungen, die wir uns jedoch für sie vorgestellt haben.

 

Lieschen Vogel

"Von mir bleibt ein schönes dynamisches Foto. Mein Freund Hanko hat es geschossen. Es zeigt, wie ich mit meinen GenossInnen in der Region Göttingen bei einer Landagitation aktiv war. Wir waren jung, aktionistisch und wollten die Welt verbessern. Ich war  emanzipiert, trug kurze Haare und eine Krawatte. Wie man die bindet, hat mir meine Mutter beigebracht.
Ich war Verfechterin der Antifaschistischen Aktion. Die Jacke mit meinem Aufnäher trug ich bei jeder Gelegenheit, ich war sehr stolz darauf. Den Nazis war ich von Anfang an ein Dorn im Auge. Nach dreimaliger Hausdurchsuchung wurde ich verhaftet. 14 Tage sitze ich in diesem Knast hier. Wir waren nur drei Frauen in der sogenannten Schutzhaftwelle, alles KPDlerinnen wie ich. Als eine der ganz wenigen aus Göttingen wurde ich im August 1933 ins KZ Moringen geschleppt. Das war eine schlimme Zeit. Gefürchtet war der Dunkelarrest, das hieß, Decke, Essen nur jeden dritten Tag, sonst nur Wasser. Hitler wollte noch mehr Anhänger gewinnen und veranlasste zu Weihnachten 1933 eine Amnestie für uns erste Gefangenen. Wir sollten ihn dafür wählen, darauf konnte er lange warten! Ich ging nach der Entlassung zurück nach Göttingen zu meiner Mutter und meinen Stiefvater. Nach dem KZ traute ich mich fast nichts mehr. Ich war als Antifaschistin sehr bekannt in Göttingen, denn ich war immer überall dabei gewesen, hatte Flugblätter verteilt, wo es nur ging. Ich traf mich von jetzt an nur noch mit Genossen auf dem Land, um heimlich Rundfunksendungen abzuhören. Die Nazis haben es geschafft, dass ich aufhörte, antifaschistisch aktiv zu sein.
Bevor ich in Göttingen lebte, bin ich in Berlin aufgewachsen. 1942 ging ich zurück. Im Westen wollte ich nicht bleiben und ging in die sozialistische DDR. Damals, als ich noch jung war, wollte ich die Welt verbessern. Als ich in die DDR ging, war ich bereits desillusioniert. Trotzdem nahm ich in der SED meine politische Tätigkeit wieder auf. 1968 stelle ich in der DDR einen Antrag auf Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes. Er wird abgelehnt mit den Worten, ich sei nach der Zeit im KZ nicht mehr politisch aktiv gewesen. Habe ich das richtige getan? Mein Name ist Elisabeth Anna Vogel. Alle nannten mich Lieschen. Ich bin stolz auf mein Foto."

 

Heinrich Düker

"Fast alle kennen mich. Zumindest meinen Namen. Heinrich Düker. Eine Straße auf dem Uni-Gelände ist nach mir benannt. Aber wer weiß schon, wer ich bin oder was ich getan habe? Viele kennen auch unsere Organisation. Den ISK. Internationaler Sozialistischer Kampfbund. Unsere Ortsgruppe ließ sich nicht einschüchtern. Bis 1936 waren wir aktiv. Wir hatten Angst, aber unser Wille, gegen die Nazis zu kämpfen, war stärker! Ich rechnete ständig damit, gefasst zu werden, ich musste auf der Hut sein. Zum ersten Mai 1934 stellten wir in meinem Büro in der Psychologie  Flugblätter her. Meine Kolleginnen und Kollegen durften nichts mitbekommen! Am besten gefiel mir unser Koffer, ein tolles Gerät! Wir hatten mit viel Schweiß ausgetüftelt, wir wir einen Koffer als Stempel umbauen könnten. Wenn wir damit  auf  die  Straße  gingen  und  den Koffer  absetzten,  blieb  dann  auf  der Strecke  das  Farbbild  „Nieder  mit  Hitler“ stehen. Das war gefährlich, aber effektiv. Wie kleine Kinder freuten wir uns am nächsten Tag, als wir den Stempel auf der Straße gesehen haben! Dabei haben sie uns nicht gekriegt. Aber später dann, 1936, haben sie unsere gesamte Ortsgruppe hochgehen lassen, 14 Genossinnen und Genossen. Sie steckten mich ins Gefängnis, am Ende sperrten sie mich im KZ Sachsenhausen ein. Bis Kriegsende. Ich wollte immer noch etwas bewirken. 1946 wurde ich für die SPD zum ersten Oberbürgermeister der Stadt Göttingen gewählt. Mein Straßenname und mein Amt als Oberbürgermeister sagt sicher vielen etwas. Die Geschichte der einfachen Menschen lebt aber von den Details, nicht von großen Zahlen. Mir geht es wie Louise Meyer, eigentlich weiß ich nicht genau, ob ich im Göttinger Polizeigefängnis einsaß. Aber ich gehöre zu den 111 Namen."

 

Theodor Bernhardt

"Ich saß in diesem Knast hier. Nur einen Tag lang. Das war im April 1933. Im Juni 33 saß ich noch mal für drei Tage. Andere saßen länger. Was mich besonders stutzig macht, ist dass auch Heinz Klapproth hier in sogenannter Schutzhaft saß. Er saß fünf Tage lang. Etwa einen Monat vor mir. Mir wird schlecht, wenn ich nur an den Namen Heinz Klapproth denke. Er war kein Antifaschist, so wie wir. Er war bei den Eidgenossen und dann bei der SA. Ich weiß nicht, warum er in Schutzhaft war. Hatten die persönlich untereinander Auseinandersetzungen? Wollte sich jemand wegen irgendwas an ihm rächen? Ich weiß es nicht, ist mir eigentlich auch egal. Heinz Klapproth. Meine Begegnung mit ihm gehört zu meinen schrecklichsten Erinnerungen. Es war am 5./6. Mai 1933. Er riss mich und fünf weitere SPD-Genossen mit seinen Kumpanen aus dem Schlaf und schleppten uns in unser Haus, das Volksheim. Unser geliebtes Volksheim. Was ist bloß daraus geworden? Im Keller spannten sie uns über einen Stuhl, rissen uns die Kleider runter, zogen uns Stoff über den Kopf – und fingen an, uns auf brutalste Weise zu foltern. In unserem Haus! Diese Schmach war fast genauso schlimm wie die körperlichen Schmerzen. Sie prügelten uns mit Ochsenziemern, Heinz Klapproth und die anderen. Sie prügelten immer und immer wieder auf mein Gesäß ein, auf den Kopf und den Nacken. Sie richteten mich so zu, dass ich vier Wochen lang in Lebensgefahr schwebte. Ich wollte nicht sterben! Nicht durch die Hand der Nazis! Ich kämpfte und kämpfte, um ihnen diesen Gefallen bloß nicht zu tun. Vier Wochen war ich ans Bett gefesselt. Ich schaffte es und kann deshalb diese Geschichte erzählen. Ich bin Theodor Bernhardt, Reichsbanner- und SPD-Vorsitzender. Hier im Polizeigefängnis saß ich nur einen Tag. Im Keller des Volksheims wurde ich eine Nacht lang gefoltert. Die Narben davon dauern bis heute an."

 

Louise Meyer

"Die Gotmarstraße ist mir sehr vertraut. Ich wohnte zwischenzeitlich drei Häuser weiter in der Hausnummer 4, zusammen mit meinem Mann Karl. Ich heiße Louise. Louise Meyer. Für unsere gesamte Straße befand sich hier im Keller der Polizeiwache der Luftschutzbunker. Wir wollten uns dort nie verstecken, schließlich war die Polizei unser Feind! Wir wollten uns lieber selbst treu bleiben. Ein einziges Mal allerdings haben wir uns dort reingetraut. Da hatten wir den richtigen Riecher gehabt. Das war im November 1944, die Unibibliothek in der Paulinerkirche wurde bombardiert. Die war ja direkt hinter unserem Haus. Ein Bombensplitter traf unsere Wohnung und blieb in meiner kostbaren Nähmaschine stecken! Ich nähte damit alles mögliche, ob es nun unsere Kleider, die Geldtasche für die Rote Hilfe oder die Fahne für die Partei waren. Ich liebte meine Nähmaschine. Und wir brauchten sie! Von nun an musste ich alles mit der Hand flicken. Dafür waren wir selbst unversehrt geblieben. Aber das eine Mal im Luftschutzbunker war es trotzdem schlimm. Es hat gestunken. In echt nach Schweiß und symbolisch nach den Nazis und ihren Helfern. Ich habe mich ganz klein gemacht. Ich war so froh, als Karl und ich wieder draußen waren.
Bevor ich hier in diese Straße gezogen bin, saß ich in Wolfenbüttel ein, davor im Gerichtsgefängnis Göttingen. Später wird man sagen, dass alle, die verhaftet wurden, zuerst in dieses Polizeigefängnis hier gesteckt wurden. Ob ich anfangs auch hier eingesperrt war, ist unklar. Unsere Geschichte wird verschüttet. Als Kommunistinnen werden wir verschmäht, wurden wir immer verschmäht. Wir sollen aus der Geschichte ausradiert werden. Man wird später sagen, wir haben in Göttingen keine Rolle gespielt. Das kommt davon. Mit so einer Haltung gehen unsere Geschichten verloren. Wo war ich überall eingesperrt? Wie lange? Wer wird das alles später ausgraben?
Ich erfreue mich besonders an meinen Enkelinnen. Sie tragen meine Ideen bis weit in die Zukunft fort. Und sie erhalten die Erinnerungen an unsere kommunistische Familie aufrecht."

 

Adolf Reinecke

"Mein Name ist Adolf Reinecke. Ich war als Kommunist ziemlich bekannt in Göttingen. Ich brannte für die Sache, wollte nichts unversucht lassen, gegen die Nazis zu kämpfen. Ich hasste sie. Erst versuchte ich es auf der offizielle Art. Im März 1933 wurde ich für die KPD in den Göttinger Stadtrat gewählt. Mein Amt konnte ich leider nicht mehr wahrnehmen. Am 4. März 1933 wurde ich als einer der ersten von den Nazi-Schergen in Schutzhaft genommen und in dieses Polizeigefängnis hier geschleppt. Später wird bekannt sein, dass bis Ende Oktober 1933 92 Schutzhäftlinge hier gewesen sein werden. 89 Männer und 3 Frauen. Die drei Frauen waren alle in der KPD. Wir waren stolz auf unsere Genossinnen.
Ich wurde weiter ins Konzentrationslager Lichtenburg verschleppt, kam wieder frei und wurde 1937 erneut angeklagt. Ich soll versucht haben, das NS-Regime mit Waffengewalt zu verdrängen, wie die Nazis es nannten. Ja, genau, der offizielle Weg ging ja nicht und wir wollten wirklich gegen die Nazis kämpfen! Mit meinen Genossen Gustav Kuhn und Gustav Weiss habe ich im Frühjahr 1933 Waffen hier in Göttingen versteckt. Wir haben dafür eine Holzkiste gebaut. Das Geld dafür hat Gustav Kuhn beigesteuert, die hatte er noch von seiner Tätigkeit als Rote-Hilfe-Kassierer übrig. Wofür so ein Kassierer alles gut sein kann! Wir fanden, dass wir das Rote-Hilfe-Geld würdig investiert hatten. Versteckt haben wir die Waffenkiste in einem Waldstück auf dem Kleinen Hagen. Ich glaube, später ist das dort, wo die Naturfreunde ihr Haus haben werden. Wir wollten bereit sein, wenn es an der Zeit sein würde, es ernsthaft mit den Nazis aufzunehmen. Den Zeitpunkt haben wir verpasst.
Ich komme ins KZ Sachsenhausen und triste dort mein Leben bis zur Befreiung durch die Sowjets. An meine Frau Frida schreibe ich 1942 aus dem Konzentrationslager: „... nichts ist gestattet, das einzige, was man hier darf und was gestattet ist, ist sterben.“ Tausende sterben um mich herum. Aber ich schaffe es, zu überleben."

 

Gustav Kuhn

"Die gesamte Zeit des Faschismus war ich eingesperrt. Von 1933 bis 1945. Denn ich war aktiver Kommunist in Göttingen, habe vieles auf die Beine gestellt. Mein Name ist Gustav Kuhn.
Ich war schon immer ein Draufgänger. Erst kämpfte ich in Berlin in der Novemberrevolution, in Göttingen war ich später Leiter des Kampfbunds gegen den Faschismus. Hier fange ich an, antifaschistische Demonstrationen und Veranstaltungen zu organisieren. Wie im Mai 1931, als wir einen Propaganda-Umzug vom Hirtenbrunnen, über die Innenstadt, zum Ebertal und zurück veranstalteten. Unsere KPD-Schalmeienkapelle hat uns begleitet, die haben immer einen ordentlichen Krach gemacht! Ich liebte dieses Spektakel.
1932 wurde das erste Mal meine damalige Bleibe in der Angerstraße durchsucht. Es ging los. Die Nazis wollten uns fertig machen. Ich war der erste Mensch in Göttingen, der in die sogenannte Schutzhaft genommen wurde. Das war am 1. März 1933. Ich kam in dieses Haus hinter mir und wusste noch nicht, dass das für mich der Anfang der 12-jährigen Haftzeit wird. Nach vier Wochen in diesem Kerker reichte es den Parteigenossen und mir. Wir traten in einen Hungerstreik. Polizeiwachtmeister Basenauer verwehrte uns unser regelmäßiges warmes Bad. Wir kündigten Beschwerde an und Polizeioberwachtmeister Dette sagte in seinem dreckigen Tonfall: „Wenn ihr ins Konzentrationslager kommt, werden wir euch schon mürbe kriegen, hier geht es euch zu gut, ihr fresst euch hier zu dick!“ Was für ein Hohn. Wir fühlten uns so niederträchtig davon behandelt, dass wir deshalb in den Hungerstreik traten. Ich schrieb einen Brief an die Polizeidirektion. Ich liebte es, zu schreiben. Allerdings nicht so was. Ich glaube, die Polizeidirektion saß im ersten Stock dieses Gebäudes hier, hinter dem 4. und 5. Fenster von links.
Es folgte eine lange Odyssee durch Knäste und Lager. Zuletzt war ich im KZ Dachau. Die Nazis haben versucht, mich zu brechen. Das haben sie fast geschafft. Die Gestapo hat es hingekriegt, dass meine Frau mich verrät. Während ich noch im KZ war, hat sie außerdem einen anderen geheiratet.  Soll ich ihr das übel nehmen? Ich weiß es nicht. Als ausgemergelter Mann komme ich nach der Befreiung nach Göttingen zurück. Meine Entschädigungszahlungen für die Haft werden in den 1950er Jahren mit der neuen Kommunistenverfolgung eingestellt. Ich zog mich zurück.
Mein antifaschistischer Widerstand wurde in Göttingen noch nie gewürdigt. Letztes Jahr wurde eine Gedenktafel für mich vom Kulturausschuss der Stadt abgelehnt. Eine alternativ vorgeschlagene Gedenktafel für uns alle hier im Gebäude inhaftierten Antifaschisten gibt es bis heute nicht."

 


Berichterstattung

Am 6. Dezember 2013 erschien im Göttinger Tageblatt ein ausführlicher Bericht, das GT hat zudem eigene historische Fotos zum alten Stadthaus online gestellt.

 

GT, 6.12.2013
Antifa-Kunstaktion an der Stadtbibliothek in Göttingen

Lieschen Vogel, Louise Meyer, Ernst Fischer, Walter Proskauer, Gustav Kuhn. Fünf Namen von mindestens 111 Göttinger Antifaschisten, die ab 1933 von den Nationalsozialisten in sogenannte Schutzhaft genommen wurden und im Polizeigefängnis in der Gotmarstraße 8 inhaftiert waren.

Heute ist dort die Stadtbibliothek untergebracht. Mit einer Kunstaktion an der Bibliothek will die Antifaschistische Linke International (A. L. I.) in Zusammenarbeit mit dem DGB Südniedersachsen und dem Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur heute mit Ton-, Licht und Silhouetteninstallationen daran erinnern. Sechs Biografien sind dazu exemplarisch aufgearbeitet worden.
Doch es geht der A. L. I. und dem Verein nicht nur um eine einmalige Gedenkaktion, sondern um eine dauerhafte Erinnerung. Bereits Anfang 2012 hat die A. L. I. begonnen, den antifaschistischen Widerstand in Göttingen zu erforschen. „Es gab darüber keine Bücher oder Arbeiten.
Allenfalls taucht er als Randaspekt auf“, sagt Frauke Hillstein von der A. L. I.. Durch Recherchen in Archiven und Akten sowie Gesprächen mit Zeitzeugen kamen die 111 Personen zusammen, die nachweislich wegen ihres Widerstandes gegen die Nationalsozialisten im Göttinger Polizeigefängnis gelandet sind.

Gedenktafel für den Antifaschisten Gustav Kuhn

„Die zentrale Erkenntnis für uns: Die Kommunisten waren sehr stark am Widerstand beteiligt und haben eine große Rolle gespielt“, sagt Hillstein. So finden sich bislang unter den 111 Namen fast ausschließlich KPD-Mitglieder und nur sechs SPD-Mitglieder.
Im Mai 2012 hatte dann die Ratsfraktion der Linken im Kulturausschuss den Antrag gestellt, eine Gedenktafel für den Antifaschisten Gustav Kuhn an seinem Wohnhaus in der Petrosilienstraße anzubringen. Kuhn war Mitglied der KPD und leitete den Kampfbund gegen den Faschismus, war Mitglied der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) sowie Kassierer der Roten Hilfe.
Am 1. März 1933 wurde er verhaftet und in Schutzhaft genommen. Er verbrachte die Zeit bis 1945 in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern.
Zwar sah die Kulturverwaltung den Antrag kritisch, weil er nicht zu den Göttinger Gedenktafeln passe, die eng mit der Universitätsgeschichte Göttingens verbunden sei. Doch Kulturdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck regte stattdessen an, eine „eigene Form“ des Gedenkens der antifaschistischen Widerstandsbewegung in Göttingen zu finden.

Geschichte des Göttinger Widerstandes im Nationalsozialismus

„Das ist natürlich in unserem Sinn“, sagt Hillstein. Der Antrag habe somit einiges ins Rollen gebracht. Inzwischen gibt es eine Arbeitsgruppe, die erarbeiten soll, wem und wie der Antifaschisten gedacht werden soll. Beteiligt sind unter anderem Ernst Böhme, Leiter des städtischen Museums und Archivs, Vertreter von Antifa und Geschichtswerkstatt sowie der Historiker Peter Aufgebauer. Gleichzeitig hat die Stadt den Historiker Rainer Driewer beauftragt, die Geschichte des Göttinger Widerstandes im Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Ein Ergebnis soll 2015 vorliegen.
Für Böhme steht fest: Die heutige Stadtbibliothek ist mit ihrer Geschichte als Stadthaus und Sitz der städtischen Polizei der beste Ort für das Gedenken. Auch für Hillstein ist es wichtig, dass der Antifaschisten in der Öffentlichkeit an einem „authentischen Ort“ gedacht wird. Sie hält etwa ein Tafel, auf der alle Inhaftierten genannt werden, für sinnvoll, um den Opfern einen Namen zu geben.
Auch müsse die Rolle der KPD deutlich werden. Denkbar wäre zusätzlich die Einrichtung eines Gedenkraumes in der Bibliothek, dort, wo sich früher die Zellen befunden haben. Der Haken daran: „Keiner weiß heute mehr wie das Gebäude damals aufgeteilt war“, sagt Hillstein. Sie hofft nun auf weitere Hinweise.

 

 



 

GT, 14.11.2013

„111 Namen, ein Keller, keine Erinnerung“
Widerstand gegen Nazis in Göttingen


An die mehreren hundert Antifaschisten, die in den 20er- bis 40er-Jahren in Göttingen Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet haben, wollen die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) in Zusammenarbeit mit dem Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur und dem DGB Südniedersachsen erinnern. Unter dem Titel „111 Namen, ein Keller, keine Erinnerung“ veranstaltet sie dazu am Freitag, 15. November, eine Kunstaktion an der Stadtbibliothek, Gotmarstraße 8. Beginn ist um 19 Uhr. Geplant ist eine Licht-, Ton- und Silhouetteninstallation am Haus. „Die Veranstaltung ist Teil der Reihe „9. November – 27. Januar“. Sie soll am 6. und 13. Dezember jeweils ab 18 Uhr wiederholt werden.


Erinnerungskultur zum regionalen antifaschistischen Widerstand

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Eine Gedenktafel für Gustav Kuhn

Gustav Kuhn wird im Buch "100 Jahre Göttingen und sein Museum: Texte und Materialien zur Ausstellung im Städtischen Museum und im Alten Rathaus" im Artikel "Die politische Lage ist hier als verhältnismäßig ruhig zu betrachten" von Rainer Rohrbach auf Seite 168 besonders hervorgehoben.

Auf Initiative des Vereins zur Förderung antifaschistischer Kultur e.V. wurde über Gustav Kuhn am 24. Mai 2012 im Kulturausschuss der Stadt Göttingen diskutiert. Die Ratsfraktion Göttinger Linke brachte hier am 9.5.2012 den Antrag Anbringung einer Gedenktafel für Gustav Kuhn ein. Darin wurde die Stadt gebeten, eine Gedenktafel für Gustav Kuhn an seinem letzten ehemaligen Wohnhaus Petrosilienstraße 8 anzubringen. Zur Begründung hieß es: "Hätte es mehr mutige und weitsichtige Menschen wie Gustav Kuhn gegeben, hätte unermessliches Leid und Schaden abgewendet werden können. Diesen Teil der Geschichte halten wir für so bedeutsam, dass wir ihn auch in der offiziellen Geschichtsschreibung und Gedenkkultur der Stadt verankert sehen wollen." Überraschend und im Gegensatz zur Argumentation in den Jahren zuvor lehnte die Göttinger Stadtverwaltung den Antrag nicht grundsätzlich ab, sondern unterbreitete einen eigenen weitgehenden Vorschlag. In einer Tischvorlage, die dem Kulturausschuss am 24.5.2012 vorgelegt wurde, erkannte der Fachbereich Kultur an, dass "die Göttinger Bürger - Kommunisten, Sozialdemokraten (ISK) und Menschen anderer politischer oder religiöser Prägung - die Widerstand geleistet haben (...), bisher noch in keiner angemessenen Weise in Göttingen gewürdigt" werden. Die Stadtverwaltung machte zudem den Vorschlag für eine andere Form des Gedenkens an diese Vertreter eines regionalen Göttinger Widerstands gegen die Nationalsozialisten. Zu denken wäre etwa an eine Erinnerungstafel am Gebäude der Stadtbibliothek. Dort im damaligen Stadthaus, befand sich das städtische Polizeigefängnis, in dem die meisten Opfer des Nationalsozialismus zunächst inhaftiert wurden. Der Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur zeigte sich erfreut, dass nun endlich Bewegung in die Diskussion um die angemessene Form der Würdigung des antifaschistischen Widerstands in Göttingen komme. Bisher gibt es in Göttingen lediglich zwei individuelle Gedenktafeln für Antifaschisten, die 1986 und 2004 gegen Widerstände in der Stadtverwaltung verwirklicht werden konnten.

Über ein Jahr später ist allerdings noch keine Gedenktafel an der Stadtbibliothek in Sicht. Stattdessen brachten AntifaschistInnen eigens gerfertigte Gedenktafeln in Form von Kacheln an den damaligen Göttinger Wohnorten Gustav Kuhns an. Die Debatte ist damit erneut eröffnet.

Mitte März 2014 hängen immer noch einige dieser selbst gefertigten Gedenktafeln für Gustav Kuhn. Am 14. März  2014 hat jemand unter die Tafel, die in der Langen-Geismar-Str. 5 hängt, einen Text zu Gustav Kuhn gehängt, der positiv auf ihn Bezug nimmt. Vermutlich waren es BewrInnen dieses Wohnhauses, die mit der Aktion und mit Gustav Kuhn sympathisieren und sich selbst mit der Geschichte des Kommunisten und Antifaschisten auseinandersetzen.

Kachel für Gustav Kuhn, Petrosilienstr. 5, November 2013 Kachel für Gustav Kuhn, Maschmühlenweg 141, November 2013 Kachel für Gustav Kuhn, Maschmühlenweg, November 2013 Extra Beschreibung zu Kuhn, Lange-Geismar-Str. 5

Aus unserem Faltblatt zu Gustav Kuhn könnt ihr hier die Biographie von Gustav Kuhn nachlesen.

Ratsantrag von Patrick Humke | www.goest.de | Göttinger Tageblatt

 


 

Kacheln für Ernst Fischer

Auch in Bezug auf den Antifaschisten Ernst Fischer gibt es bereits eine längere Auseinandersetzung um die Gedenkpolitik und die Gestaltung des öffentlichen Raums zu seiner Person. Er lebte zuletzt in der Neustadt 17. Auf einer Gedenktafel ist zu lesen: „Ernst Fischer, geboren am 8.6.1915 in Göttingen. Hingerichtet am 3.2.1940 in Berlin-Plötzensee“. Wer war Ernst Fischer und warum musste er in der Hinrichtungsstätte der Nazis sterben? Im Januar 2013 lieferte eine erste Fliese die Antwort: Ernst Fischer wurde von den Nazis hingerichtet, da er Kommunist und Antifaschist war. Diese Fliese wurde im Sommer 2013 erst mit Klebeband überklebt, dann ganz abgerissen. Kachelnde AntifaschistInnen lassen nicht locker: Im Oktober 2013 wurde nachgelegt.


Fliese für Ernst Fischer, Januar 2013 Neue Fliese für Ernst Fischer, Oktober 2013


 

Gustav Kuhn

Hier könnt ihr unser Faltblatt zu Gustav Kuhn als pdf runterladen.


Faltblatt zu Gustav Kuhn, November 2013Gustav Albert Kuhn wird am 13.2.1892 in Königsberg geboren. 1906 verlässt er als 14-jähriger Jugendlicher die Schule und arbeitet danach in einem Schlachtereibetrieb.  1914 wird Gustav Kuhn als Matrose zum Ersten Weltkrieg einberufen. Doch schon im selben Kriegsjahr wird der 22-jährige verwundet. Gustav Kuhn meutert und verweigert den Kriegsdienst. Wegen Gehorsamsverweigerung wird er bestraft. Gustav Kuhn wird bis zum Kriegsende zunächst in der Festung Köln und anschließend in einer Strafkompanie im Schleswig Holsteinischen Moor bei Gallstedt in einer Strafkompanie gefangen gehalten. Nach dem Kriegsende und seiner Befreiung geht Gustav Kuhn nach Berlin und arbeitet in der Schlachterei seines Schwagers in Treptow.
In Berlin schließt er sich dem Spartakusbund an und macht dort Revolutionskämpfe mit. 1919 wird Kuhn verhaftet und erneut bestraft.

Im April 1922 zieht Gustav Kuhn nach Göttingen und wechselt hier in den folgenden zehn Jahren häufig seinen Wohnsitz. Bis 1933 arbeitet er bei der Terrazzofirma Scandolo als Arbeiter. Am 7.6.1930 heiratet Gustav Kuhn Luise Wild (geb. 2.10.1905 in Göttingen).  Seit 1929 ist Kuhn Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und hier von 1932 bis 1933 Hauptkassierer. Zudem ist er Mitglied der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO), Organisationsleiter des Kampfbundes gegen den Faschismus (KgF) sowie Kassierer der Roten Hilfe. Alle seine Ämter bzw. Mitgliedschaften führt er bis zu seiner ersten Verhaftung 1933 aus.
Ab Januar 1931 finden innerhalb der bereits zuvor bestehenden Antifaschistischen Arbeiterabwehr (Antifa) Richtungskämpfe statt, woraufhin Kuhn eine Göttinger Ortsgruppe des Kampfbundes gegen den Faschismus (KgF) gründet. Anfangs hat der KgF eine Mitgliederstärke von 131 Personen, darunter 9 Frauen.

Grundriss vom Kellergeschoss des Stadthauses, wahrsch. waren hier die Gefängniszellen, 1934Am 28.5.193 veranstaltet der KgF einen Propagandumzug durch Göttingen. In der Anmeldung vom 22.5.1931 bei der Polizeidirektion Göttingen bittet Kuhn um die Erlaubnis zur Mitführung eines Transparents Arbeiter aller Parteien, werdet Mitglied des Kampfbundes gegen den Faschismus und kündigt an: Kappelle spielt! Während des Umzuges, der vom Hirtenbrunnen durch die Innenstadt bis zum Ebertal und wieder zurück führt, wird auch für eine Veranstaltung am 29.5.1931 geworben. Unter dem Titel Anfang und Ende des Faschismus versammeln sich laut Polizeibericht 170 BesucherInnen in den Göttinger Festsälen am Ritterplan. Der Braunschweiger KPD-Landtagsabgeordnete Paul Gmeiner erklärt dort: Wenn wir vom Anfang des Faschismus reden, so können wir sagen, daß dieser bereits Jahre lang besteht. Wir müssen weit zurückgreifen, da der verkappte Faschismus in der Kaiserzeit vorhanden war. Wir können aber nicht genau festlegen, wann der Faschismus aufhört. Wir können uns nur die Entwicklung vor Augen führen und danach feststellen, daß der Faschismus bald am Ende angekommen ist. Auch der Göttinger Buchändler Hans Leicher und der Göttinger Fritz Schaper (KPD) beteiligen sich an der Diskussion. Fünf Monate später, am 24.10.1931 organisiert der KgF eine weitere Veranstaltung mit dem Thema Faschismus in den Göttinger Festsälen. Erneut tritt Paul Gmeiner aus Braunschweig auf, Gustav Kuhn spricht dieses Mal als zweiter Redner. Er fordert im Laufe der Veranstaltung die Göttinger Arbeiterschaft mehrmals dazu auf, sich dem Kampfbund gegen den Faschismus anzuschließen, um auch in Göttingen eine schlagkräftige Einheitsfront bilden zu können. Laut Polizeiangaben besuchten 280 TeilnehmerInnen, überwiegend KommunistInnen und SozialdemokratInnen, die Veranstaltung.

Im April 1932 wird Gustav Kuhn vom Regierungspräsidenten in Hildesheim schriftlich mitgeteilt, dass eine für den 9.4.1932 im Volkshaus (Wiesenstraße) angemeldete Veranstaltung verboten sei. Zur Begründung werden Verstöße gegen die Notverordnung angeführt - der KgF habe vor dem Universum in der Wiesenstraße trotz Verbot im März 1932 mehrfach Flugblätter verteilt.  Am 20.4.1932 meldet Gustav Kuhn für den KgF eine Propagandaaktion zur Preußenwahl an. Eine selber hergestellte Litfaßäule soll an den Tagen Freitag, Samstag und Sonntag auf einem Wagen in den Straßen der Stadt Göttingen herum (...)fahren. Auf den angebrachten Plakaten soll u.a. zu lesen sein: Kämpft für Arbeit, Boden, Brot, Freiheit gegen Hunger, Krieg, Faschismus für Sowjetunion, für Sozialismus. Wählt Kommunisten Liste 4.
Die exponierte Rolle Gustav Kuhns rückt ihn bereits in der späten Weimarer Republik in den Fokus von polizeilichen Repressionen. Als am 12.8.1932 Hausdruchsuchungen in Büro und Buchhandlung des internationalen Bundes der Opfer des Kriegs und der Arbeit, Johannisstraße 24 sowie in den Privatwohnungen von 7 Kommunisten stattfinden, wird auch die Wohnung von Kuhn in der Angerstr. 11 durchsucht.

Postkarte aus einem Lager von Hans Leicher an Gustav Kuhn, 1933Nach der Machtübertragung an die Nazis gehört Gustav Kuhn in Göttingen zu den ersten Antifaschisten, die von Verhaftungen betroffen sind. Vom 1.3. bis 7.4.1933 wird Kuhn in Schutzhaft genommen. Hier tritt er gemeinsam mit dem KPD-Abgeordneten Adolf Reinecke und drei weiteren Gefangenen am 28.3.1933 in den Hungerstreik. In einem Beschwerde-Brief an die Polizei-Direktion begründet Kuhn, dass es zwei Tage zuvor zu einem Konflikt mit dem Polizei-Oberwachtmeister Dette gekommen sei. Dieser hatte drohend und provokant geäußert: Wenn ihr ins Konzentrationslager kommt, da werden wir euch schon mürbe kriegen. Hier geht es euch zu gut, ihr fresst euch hier zu dick.
An Gustav Kuhn wird 1933 von seinem Genossen Heinz Lechte eine Postkarte aus dem Lager Westerhof bei Osterode am Harz verschickt. In einem geheimen Code will Lechte seinem Genossen offenbar eine Nachricht zukommen lassen: OTR NTRFO. ROT FRONT!
Am 19.8. wird Kuhn erneut von der Polizei festgenommen und am 23.8.1933 in das Konzentrationslager Moringen und anschließend in das KZ Oranienburg überstellt. Zusammen mit seinen Genossinnen Else Heinemann und Elisabeth Vogel zählt Gustav Kuhn zu den ersten Häftlingen im KZ Moringen. Am 19.12.1933 wird er zunächst wieder entlassen. In den folgenden Monaten wird Kuhn zur Arbeit im Straßenbau bei der Hannöversichen Firma Plinke an der Autobahn gezwungen. 

Postkarte aus einem Lager von Hans Leicher an Gustav Kuhn, 1933Von März bis Juli 1935 wird er in Hannover eingesperrt. Nach dieser Haft arbeitet Kuhn bei der Baufirma Hildebrandt in Göttingen.  Am 26.11.1936 wird Gustav Kuhn erneut verhaftet und am 3.8.1937 zusammen 6 weiteren Göttinger KommunistInnen des Hochverrats und verbotener kommunistischen Betätigung angeklagt. Dabei wird Kuhn u.a. vorgeworfen, gemeinsam mit Gustav Weiss (KPD) und Adolf Reinecke (KPD) im April oder Mai 1933 Waffen und Munition in Göttingen versteckt zu haben. Zur Lagerung der Waffen sollen die Genossen eine Holzkiste gebaut haben, die Bretter sollen von 5 RM bezahlt worden sein, die Gustav Kuhn von seiner Rote-Hilfe-Kassierertätigkeit übrig gehabt haben soll. In der Gestapo-Haft in Kassel (Wehlheiden) wird Kuhn auch von seiner Frau Luise belastet. Nach der Verurteilung am 14.9.1937 verbringt Gustav Kuhn seine Haftstrafe bis zum 14.4.1939 im Zuchthaus in Kassel.  Im Anschluss nimmt ihn die Gestapo Hildesheim in Schutzhaft und verschleppt ihn im Mai 1939 in das Konzentrationslager Dachau (bei München). Auf Druck der Gestapo wird seine Ehe am 2.3.1943 zwangsgeschieden. Am 15.5.1943 heiratet sie den Transportarbeiter Otto Jakob. 
Am 2.5.1945 wird Gustav Kuhn von der US-Army aus dem Konzentrationslager Dachau befreit. Als kranker und schwer gezeichneter Mann kehrt er 1945 nach Göttingen zurück.

Ab dem 12.6.1945 ist Kuhn erneut in Göttingen im Maschmühlenweg 46 gemeldet. Am 15.8.1945 zieht er zu O. Jakob in die Deisterstr. 8. Seit dem 17.5.1946 wohnt er in der Petrosilienstraße 8. Kuhn arbeitet zwei Jahre in der Mensa. Auf Grund seiner 12-jährigen Inhaftierung, Schändung und Folterung ist er ab 1948 nicht mehr in der Lage zu arbeiten und muss bis zu seinem Tod um Wiedergutmachung und Entschädigung ringen. Unter der Nummer 34 wird er beim Sonderhilfsausschuss in Göttingen als anerkannter politisch Verfolgter geführt. Nachdem ihm die Entschädigungsgelder für sein tägliches Überleben erst bewilligt wurden, werden ihm diese ab Anfang der 1950er Jahre im Zuge der neu einsetzenden Kommunistenverfolgung wieder aberkannt.

Innerhalb der Göttinger KPD ist Gustav Kuhn weiterhin präsent, nimmt a­ber eine eher zu­rückgezogene und beratende Rol­le ein, so die Zeitzeugin Karin Rohrig. Ihr Mann Karl-Heinz Rohrig bringt ihm regelmäßig die KPD-Zeitung in seine Wohnung in die Petroslilienstraße. Am 3.10.1954 stirbt Gustav Kuhn im Alter von 62 Jahren in Göttingen.


Zur Geschichte der Göttinger ArbeiterInnenbewegung

Biographien von Göttinger Antifaschistinnen und Antifaschisten

Im Sommer 2012 haben wir uns anlässlich des 80. Jahrestages der Ausrufung der Antifaschistischen Aktion auch mit der Regionalgeschichte der historischen ArbeiterInnenbewegung auseinadergesetzt. Mittels Literatur- und Archivrecherchen und durch ZeitzeugInnengespräche kontnen wir u.a. die folgenden Biographien Göttinger AntifaschistInnen und KommunistInnen nachvollziehen.

Gustav Kuhn nach seiner Befreiung aus dem KZ Dachau
Gustav Kuhn | Er war der Leiter der Göttinger "Antifa" und saß dafür fast 12 Jahre in den Gefängnissen und Konzentrationslagern der Nazis. Der Kommunist und Antifaschist Gustav Kuhn wirkte seit 1922 in Göttingen und starb hier 1954.







Elisabeth Vogel Anfang der 1930er JahreElisabeth Vogel | Sie waren jung, voller Tatendrang und wollten die Welt verändern. Ein Foto aus den 1930er Jahren zeigt Elisabeth "Lieschen" Vogel mit ihren GenossInnen bei einer Landagitation im Umland Göttingens. An den Armen tragen sie das Abzeichen der Antifa Aktion. Lieschen Vogel gehörte im August 1933 zu den ersten Gefangenen im Konzentrationslager Moringen.



Louise Meyer
Louise und Karl Meyer |
Louise und Karl Meyer waren aktive Mitglieder des kommunistischen Widerstands in Göttingen. Auch nach der Machtübertragung an die Nazis waren sie politisch aktiv und wurden 1935 verhaftet und eingesperrt.







Enthüllung der Gedenktafel für Proskauer im Hainholzweg 68, Göttingen 2004Walter Proskauer | Walter Proskauer war ein sozialdemokratischer Rote Hilfe-Rechtsanwalt und früher Kämpfer gegen den Antisemitismus. Als jüdischer Bürger der Stadt wurde er mit seiner Familie im April 1934 aus Göttingen vertrieben. Walter Proskauer wurde 1943 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet.




Ernst FischerErnst Fischer | Kaum etwas erinnert beim Gang durch die Straßen daran, dass es sich in diesem Quartier um ein altes ArbeiterInnenviertel handelt. Häuserreihen aus Beton, rechteckig und blass. Eine riesige Baulücke klafft zwischen der Marienkirche und einem hässlichen Parkhaus. Nicht Weltkriegsbomben, sondern die sozialdemokratische Stadterneuerung der 1970er Jahre haben den Straßen Neustadt und Petrosilienstraße ihren historisch gewachsenen Charakter genommen. Eine Spur der Geschichte zwischen Groner Tor Straße und Goetheallee findet sich am Wohnhaus Neustadt 17. Auf einer Gedenktafel ist zu lesen: „Ernst Fischer, geboren am 8.6.1915 in Göttingen. Hingerichtet am 3.2.1940 in Berlin-Plötzensee“. Wer war Ernst Fischer und warum musste er in der Hinrichtungsstätte der Nazis sterben? Aktuelles dazu findet Ihr hier

Mehrere hundert Göttinger Antifaschist_innen haben zwischen den 1920er
und 40er Jahren gegen die Nazis Widerstand geleistet. Viele von ihnen
wurden nach der Machtübertragung an die Nazis im alten Polizeigefängnis
inhaftiert - eingesperrt, gedemütigt, zum Teil von hier in die
Konzentrationslager verschleppt. 102 Namen sind bekannt, in der
öffentlichen Erinnerung und im Stadtbild wird ihnen kein Platz eingeräumt.

Mit einer Licht-, Ton- und Silhouetteninstallation am ehemaligen
Stadthaus begeben wir uns auf Spurensuche: Wer waren diese Menschen? Wie
ist ihre Geschichte mit den Räumen der heutigen Stadtbibliothek
verbunden? Warum bleibt ihr Wirken bis heute unsichtbar? Wie kann ein
authentischer Ort der Erinnerung gestaltet werden?
Bottom Line