Wer war Thomas Sankara?

Mit der Antifa O-Phase 2017 unterwegs

Für Lesefaule und zur Ergänzung empfehlen wir die Dokumentationen Auf den Spuren von Thomas Sankara und Thomas Sankara: Geteiltes Erbe von Kollektiv Baraka und AfricAvenir.

Vor 30 Jahren, am 15. Oktober 1987, wurden der linke Präsident Burkina Fasos, Thomas Sankara, und zwölf seiner Berater ermordet. Wer war dieser „Che Guevara Afrikas“? Und was machte diesen Mann aus einem der ärmsten Länder der Welt so gefährlich, dass man ihn bereits nach vier kurzen Jahren im Amt erschießen ließ?

Alle nachfolgenden Zitate stammen von Thomas Sankara.

Thomas Isidore Noel Sankara wurde am 21. Dezember 1949 in der französischen Kolonie Haute-Volta (Obervolta) in Westafrika geboren. Seine katholische Familie schickte ihn zunächst auf ein Priesterseminar, er entschied sich allerdings später für eine Militärlaufbahn. Während seines Studiums an der Nationalen Militärschule begegnete er erstmals marxistischer und panafrikanischer Theorie. Nach einer Offiziersausbildung in Madagaskar und der Teilnahme am ersten Grenzkrieg zwischen Obervolta und Mali, einen Krieg den er später „nutzlos und ungerecht“ nennen sollte, wurde er als Fallschirmjäger Capitaine (Hauptmann) der Luftwaffe. Sankara wurde in der Stadt Pô am Nationalen Zentrum zur Ausbildung von Spezialkräften stationiert. Dort lernte er den Hauptmann Blaise Compaoré kennen und gründete einen geheimen Zusammenschluss kommunistischer Offiziere (Regroupement des officiers communistes – ROC).


Obervolta war 1960 formell unabhängig geworden, Frankreich übte aber weiterhin starken Einfluss aus. Die Franzosen hinterließen einen instabilen jungen Staat, dessen herrschende Klasse mit der ehemaligen Kolonialmacht verbandelt blieb. Zwischen 1960 und 1983 kam es zu fünf Putschen gegen die Regierung. Nach einem dieser Putsche im November 1980 wurde Sankara das Amt des Informationsministers angetragen. Er übernahm dieses im September 1981, trat jedoch bereits im April `82 wegen Differenzen mit dem Kurs der Regierung zurück. In seiner Rücktrittserklärung warnte Sankara: „Wehe denen, die das Volk knebeln!“ Daraufhin wurde er inhaftiert und verlor seinen Dienstgrad.


Nach einem weiteren Staatsstreich im November `82 wurde Sankara rehabilitiert und im Januar 1983 Premierminister. In dieser Funktion unternahm er erste Schritte zur Bekämpfung der Korruption und in der Außenpolitik. Er wurde jedoch bereits im Mai des „Landesverrats“ beschuldigt und unter Hausarrest gestellt, nachdem Jean-Christophe Mitterand, der Sohn des französischen Präsidenten und dessen Berater für Afrika-Fragen, das Land besuchte.
Die Absetzung Sankaras führte zu Protesten. Im August 1983 kam es zur Erhebung von Soldaten unter der Führung von Blaise Compaoré. Zusammen mit der aufständischen Bevölkerung gelang die Machtübernahme in der Hauptstadt Ouagadugou. Sankara wurde befreit und am 4. August Vorsitzender des Nationalen Revolutionsrates (CNR) und 5. Präsident von Obervolta.


„Ich überbringe euch bruderschaftliche Grüße aus einem Land, dessen sieben Millionen Kinder, Frauen und Männer sich weigern weiterhin an Ignoranz, Hunger und Durst zu sterben.“


Am ersten Jahrestag der August-Revolution (auch „Révolution démocratique et populaire“) wurde das Land in ‚Burkina Faso‘ umbenannt. Der Name ist eine Zusammensetzung aus zwei regionalen Sprachen: More „Burkina“ – „ehrlich“, „aufrecht“ oder „unkorrumpierbare Männer“ und Jula „faso“ – „Heimatland“ (wörtlich „Vater’s Haus“). Burkina Faso: „Das Land der aufrechten/integren/unbestechlichen Menschen“.

Ein Land im Aufbruch


„Wir müssen wagen, die Zukunft zu erfinden“


Die Revolutionäre begannen in einem der ärmsten Länder der Welt ein ehrgeiziges Projekt des gesellschaftlichen Aufbruchs in allen Bereichen. Dazu zählte die gezielte Förderung des sozialen, kulturellen, medizinischen und ökologischen Fortschritts, sowie der planwirtschaftliche Aufbau des Landes. Hier seien nur einige Eckpunkte zu zentralen Fragen genannt:


„Es gibt keine wirkliche soziale Revolution ohne die Befreiung der Frauen.“


Genitalverstümmelung, Zwangsehen und Polygamie wurden verboten. Frauen wurden auf Regierungsposten berufen. Auch die Streitkräfte betrieben eine aktive Rekrutierung von Frauen. Sankara wurde später u.a. durch eine ausschließlich aus Frauen gebildete Motorradstaffel geschützt.


„Die Revolution und die Befreiung der Frauen gehen Hand in Hand. Wir sprechen von der Emanzipation der Frauen nicht als wohltätigem Akt […]. Sie ist eine grundlegende Notwendigkeit für den Triumph der Revolution. Frauen tragen die andere Hälfte des Himmels.“


Boden und Bodenschätze wurden vergesellschaftet. Durch die Umverteilung von Land an Kleinbauern und effektivere Bewässerungs- und Düngemethoden, konnte die Produktion von Weizen pro Hektar mehr als verdoppelt werden. Das Land wurde so zum ersten Mal unabhängig von Lebensmittelhilfen.


„Ich werde gefragt: Wo ist der Imperialismus? Schaut nur auf eure Teller: Ihr seht importiertes Korn, Reis oder Hirse. Das ist Imperialismus. […] Wer euch ernährt, kontrolliert euch.“


Der Aufbau der Infrastruktur erfolgte mit massenhafter Beteiligung der Bevölkerung. Ein Beispiel ist die sogenannte „Schlacht der Schienen“, bei der eine Eisenbahnlinie aus eigener Kraft, teilweise mit einfachsten Werkzeugen oder bloßen Händen gebaut wurde. Nach einem Aufruf Sankaras wurden durch freiwillige Arbeit der Einwohner Schulen in mehr als 350 Dörfern errichtet. Die Regierung organisierte mit dem „L’Alpha Commando“ zudem eine breite Alphabetisierungskampagne. Die Alphabetisierungsrate konnte in vier Jahren von 13% auf 73% gesteigert werden.


Auch auf ökologischem Gebiet gab es Anstrengungen. So wurden in einer Aufforstungskampagne mehr als 10 Millionen Bäume gepflanzt, um die Ausbreitung der Wüste in der Sahelzone zu verhindern.


Die Selbstorganisierung der Bevölkerung sollte durch Schaffung von lokalen Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) gefördert werden. Es wurde auch eine revolutionäre Jugendorganisation gegründet, die „Pioniere der Revolution“.


Im Bereich Gesundheit stellte die revolutionäre Regierung einen Weltrekord auf. In nur einer Woche wurden 2,5 Millionen Menschen unter anderem gegen Meningitis, Gelbfieber und Masern geimpft.


Im Kampf gegen Korruption sollte es eine neue Bescheidenheit der Regierung geben. Beispielsweise wurden die für die Regierung vorgesehenen PKW der Marke Mercedes durch den Renault 5, das billigste Modell auf dem Markt, ersetzt. Zu internationalen Treffen mussten Delegationen die billigsten Flugtickets kaufen. Statt im Hotelzimmer wurde auf dem Boden von Botschaftsgebäuden geschlafen. Sankara weigerte sich auch Klimaanlagen in Regierungsgebäuden zu nutzen – das Volk habe schließlich auch keine.


„Schulden sind eine schlau betriebene Rückeroberung Afrikas.“


Burkina Faso entwickelte eine unabhängige, selbstbewusste und antiimperialistische Außenpolitik. Dabei thematisierte Sankara unter anderem die Verschuldung ehemaliger afrikanischer Kolonien bei den Kolonialstaaten - eine Kampfansage an europäische Regierungen und die neoliberalen Institutionen Internationaler Währungsfonds (IMF) und Weltbank.


Aus den Erfolgen…


Die revolutionäre Entwicklung in Burkina Faso widerlegt zum wiederholten Mal die rassistische Erzählung eines nicht zur Selbstverbesserung fähigen Afrikas. Im Gegenteil: Die Beschäftigung mit den Jahren 1983-1987 in Burkina Faso zeigt welche Möglichkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung bestehen, wenn ein Weg der Befreiung von neokolonialen Fesseln eingeschlagen wird. Die Effektivität planwirtschaftlicher Ansätze im Aufbau eines durch Kolonialismus in seiner Entwicklung gehemmten Landes wird ebenso deutlich. Die politische und wirtschaftliche Autonomie, die Voraussetzung für diese Ansätze war, konnte nur revolutionär errungen werden. Die alte Elite, die mit den ehemaligen Kolonialherren einen neokolonialen Pakt eingegangen war musste entmachtet werden.


Der revolutionäre Aufbau in Burkina Faso bleibt nicht nur für Afrika eine Inspiration. Er ist der Beweis, dass ein Bruch mit dem Kapitalismus auch unter den widrigsten Ausgangsbedingungen eine massive Verbesserung der materiellen, aber auch der immateriellen Lebensbedingungen der Bevölkerung herstellen kann. Denn die Revolution gab den Burkinabe’s auch ihre Würde und Selbstachtung zurück. Die Erfolge, die in nur vier Jahren erzielt wurden, zeigen, dass es eine wirkliche Alternative zur neoliberalen „Entwicklungshilfe“ von imperialistischen Staaten, IMF, Weltbank gibt.


Auch Sankara selbst kann uns mit seiner persönlichen Integrität auch heute noch Vorbild sein. Er, der in der Position war, sich und seine Familie maßlos bereichern zu können, verzichtete auf viele Privilegien. Bei einer Korruptionsüberprüfung kam heraus, dass die wertvollsten Dinge in seinem Besitz ein gebrauchter Renault 5, mehrere Fahrräder, drei Gitarren und eine defekte Kühltruhe waren. Sein Monatslohn als Präsident betrug 450$. Auf die Frage, warum er als Präsident nicht wolle, dass sein Porträt in öffentlichen Gebäuden aufgehängt wird, antwortete er unter Hinweis auf die Einwohnerzahl des Landes:


„Es gibt sieben Millionen Sankaras.“


…und dem Scheitern der Revolution in Burkina Faso lernen.


Die Revolution in Burkina Faso ist 1987 gescheitert. Ein Faktor dabei war die feindliche Haltung der imperialistischen Staaten und ihrer neoliberalen Organisationen, insbesondere die Haltung Frankreichs. Dass revolutionäre Bewegungen von konterrevolutionären Kräften innerhalb und außerhalb der eigenen Gesellschaft bekämpft werden ist jedoch keine Ausnahme, sondern die Regel. Um Schlüsse aus dem Scheitern der Revolution zu ziehen, müssen wir deshalb vor allem ihre internen Unzulänglichkeiten in den Blick nehmen.


„Ein Soldat ohne politisches oder ideologisches Training ist ein potentieller Krimineller.“


Eine entscheidende Konstellation waren die fehlende Demokratisierung und die Rolle des Militärs. Burkina Faso wurde von 1983-87 vom CNR, dem Nationalen Revolutionsrat regiert. In diesem waren verschiedene linke Gruppen und Parteien vertreten, die jedoch zumeist keine Massenbasis hatten. Zu den vertretenen Gruppen zählten auch Militärs. Es gab keine Wahlen. Der Versuch über die teilweise an Kuba orientierten Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR) eine Organisierung und Aktivierung auch der ländlichen Bevölkerung zu erreichen hatte widersprüchliche Ergebnisse. Einerseits führten die CDRs zu einem Schub der Selbstorganisation und der Initiative zum Aufbau von kollektiver Infrastruktur in den Dörfern. Andererseits gaben sie im Zusammenspiel mit den eingerichteten Volkstribunalen auch die Möglichkeit zur persönlichen Machtausübung. Sankara gestand selbstkritisch ein, dass so auch die Möglichkeit geschaffen wurde, eigene Rechnungen zu begleichen. Zur Korrektur an diesen Strukturen, zu ihrer Weiterentwickelung und besseren Verankerung waren vier Jahre sicher zu kurz. Nach dem Mord an Sankara leisteten vereinzelt CDRs Widerstand gegen das Militär. Sie waren jedoch weder von der Ausbildung, noch von ihrer Ausrüstung her in der Lage die Revolution zu verteidigen. Das Militär war ein entscheidender Faktor des Erfolgs der Revolution gewesen und behielt eine besondere Stellung bei. Sankara selbst bemerkte einmal, dass der beste Weg eine Machtübernahme des Militärs zu verhindern sei, dem Volk die Macht zu geben. Dieser Erkenntnis folgten aber keine grundlegenden strukturellen Maßnahmen. Zwar wurde das Militär durch Einbindung in die Agrarproduktion und die verschiedenen Kampagnen des CNR enger an die einfache Bevölkerung gebunden, es gab jedoch keine wirksame Kontrolle der militärischen Hierarchie.


So konnten einige wenige, die das Militär kontrollierten die Revolution an einem einzigen Tag beenden. Am 15. Oktober stürmten Soldaten unter dem Befehl von Blaise Compaoré ein Treffen von Sankara mit zwölf Beratern. Sankara, der den Angreifern, im Glauben sie wollten nur ihn töten entgegenging, wurde sofort erschossen. Danach mähten sie die restlichen Anwesenden mit automatischem Feuer nieder. Nur eine Person überlebte den Angriff, weil sie für tot gehalten wurde. Compaoré, der nicht nur die rechte Hand des Präsidenten, sondern auch ein enger Freund der Familie Sankara gewesen war übernahm die Macht. Gegenüber der Bevölkerung wurde der Mord als Rettung der Revolution verkauft. Innerhalb kürzester Zeit verschwand ein Großteil der Errungenschaften der letzten vier Jahre.


Es ist richtig die moralische und politische Integrität Sankaras zu würdigen. Das Schicksal einer revolutionären Bewegung oder eines sozialistischen Staates, darf aber weder an Ethik und Unbestechlichkeit, noch am Leben von Einzelpersonen hängen.

Erinnern heißt kämpfen


„Ich möchte, dass man sich an mich erinnert als jemanden dessen Leben von Nutzen für die Menschheit war.“


Camarade Capitaine Thomas Sankara wurde nur 38 Jahre alt. Sein revolutionärer Ehrgeiz, seine Unbestechlichkeit und seine Loyalität gegenüber den Unterdrückten machten ihn für den neokolonialen status quo zu einer Gefahr. Mit dem vom französischen Imperialismus gestützten Blaise Compaoré war das alte Verhältnis zwischen europäischen Herren und privilegierter einheimischer Elite wiederhergestellt. Bis 2014 blieb Compaoré Frankreichs engster „Partner“ in Westafrika. Als er jedoch versuchte seine bereits 27 Jahre dauernde Amtszeit erneut zu verlängern kam es zum Aufstand der Bevölkerung. Es waren vor allem die Jungen, die auf den Straßen Ouagadougous die Sicherheitskräfte zurückdrängten. Einige der älteren unter ihnen hatten ihre ersten politischen Erfahrungen noch bei den „Pionieren der Revolution“ gemacht. In direktem Bezug auf 1983 nannten einige die Geschehnisse deshalb auch „Revolution 2.0“. Frankreich evakuierte Compaoré, der schließlich vom Militär für abgesetzt erklärt wurde.


„Während Revolutionäre als Individuen ermordet werden können, kann man Ideen nicht töten.“


Der Weg, der durch die Revolution von 1983 aufgezeigt wurde ist aktueller denn je. Die neoliberale „Entwicklungshilfe“ hat in den letzten Jahrzehnten die neokoloniale Abhängigkeit der betroffenen Länder nur verlängert. Immer offener greifen die ehemaligen Kolonialmächte auch wieder zum Mittel der direkten militärischen Einmischung. In Europa redet man angesichts der Auswirkungen von Jahrhunderten kolonialer Unterdrückung gerne davon „Fluchtursachen bekämpfen“ zu wollen – und meint damit weitere Marionettenregierungen, weitere Kriegseinsätze, weitere Almosen. Die Erfahrung Burkina Fasos mahnt, dass solche Angebote imperialer Staaten Gift für die wirkliche Verbesserung der Verhältnisse und des Bewusstseins der Bevölkerung sind. Sie zeigen auch, dass der Aufbau einer besseren Gesellschaft aus eigener Kraft und ohne (neoliberale) Zielvorgaben aus den imperialen Zentren möglich ist. Umso wichtiger ist es, dass wir als Linke in einem dieser Zentren, begreifen, dass es unsere Verantwortung ist, sich konsequent gegen neokoloniale und imperialistische Politik zu stellen und sie nach Möglichkeit zu verhindern.


Thomas Sankara wurde vor 30 Jahren ermordet. Die Mörder beendeten das Leben eines Revolutionärs. Die Erinnerung an sein Wirken und seine Ideen konnten sie nicht auslöschen.