headergrafik 1headergrafik 2headergrafik 3
 

Vor 25 Jahren: Neonaziterror, Polizeigewalt und eine ermordete Antifaschistin

Vor 25 Jahren wurde die Antifaschistin Conny in Göttingen nach einer Auseinandersetzung mit Neonazis von der Polizei in den fließenden Straßenverkehr gejagt. Dabei wurde sie von einem Auto erfasst, durch die Luft geschleudert und war sofort tot. Das war ein politischer Mord!

Unser Ankündigungsfaltblatt | Streifzug am 12.12.2014 | Hintergründe

Streifzug durch die Geschichte des autonomen Antifaschismus

Am 12. Dezember 2014 fandt in Göttingen ein antifaschistischer Stadtrundgang statt, der die Ereignisse am 17. November 1989 nachvollzogen hat.  Mobilisiert wurde dazu im Vorfeld unter anderem mit Kunstplakaten, die im öffentlichen Raum Göttingens angebracht wurden. Ein 3x3 Meter großes Plakat in der Goßlerstraße (in der Nähe des Uni-Campuses) wurde zwei Mal hintereinander sofort wieder abgerissen.

Kunstplakate zum Tod von Conny, Göttingen Dez 2014 Kunstplakate zum Tod von Conny, Göttingen Dez 2014 Kunstplakate zum Tod von Conny, Göttingen Dez 2014
Kunstplakate zum Tod von Conny, Göttingen Dez 2014 Kunstplakate zum Tod von Conny, Göttingen Dez 2014

Ein Zeitzeuge hat anhand von Bildern und Berichten die gesellschaftlichen Umstände des Mordes an Conny, wie auch das konkrete Geschehen, dargestellt. Dafür wurde den Streifzug über ein mobiler Bilder-Show-Wagen mitgeführt. Dort, wo es zulässig erschien, haben wir Verbindungen zur heutigen Situation hergestellt wie z.B. dem BFE-Einsatz bei der verhinderten Abschiedbung im Neuen Weg in Göttingen im April diesen Jahres.

Streifzug am Albaniplatz Streifzug am Albaniplatz Streifzug Streifzug mit Kunstplakat Bildershow am ehemaligen Knast Streifzug durch die Stadt

An der Todesstelle wurden nur Blumen abgelegt und Kerzen angezündet. Auf den Kerzen steht "Wut, Trauer, Widerstand." Wenige Meter neben dem Mahnmal für Conny wurde auch eine Bilderreihe zu den Situationen vor 25 Jahren auf den Gehweg gesprüht. Weitere Fotos gibt es auf der Internetseite der Tageszeitung HNA.

Kerzen am Mahnmal für Conny Kerzen am Mahnmal für Conny Auf den Kerzen steht: Wut, Trauer, Widerstand Auf den Kerzen steht: Wut, Trauer, Widerstand Rote Nelken am Mahnmal Rote Nelken am Mahnmal Bei der Todesstelle wird gesprueht Bei der Todesstelle wird gesprueht Die Grundierung wird abgeflammt Die Grundierung wird abgeflammt Bilder zur Situation vor 25 Jahren Gesprühte Bilder am Mahnmal Bild zum Tod von Conny

Die Veranstaltung wurde von uns organisiert im Rahmen der Reihe Für mehr Bewegung kämpfen! Solidarisch, grenzüberschreitend, internationalistisch. Anlass sind eine Reihe von Gerichtsverfahren gegen AntirassistInnen in Göttingen. Ihnen ist es im April 2014 gelungen, eine Abschiebung erfolgreich zu verhindern. Der Preis für diesen Widerstand gegen die rassistische Staatsgewalt ist jedoch hoch. Eine Hundestaffel und die Beweissicherungs- und Festnahmeinheit BFE verletzten zahlreiche Menschen schwer. Auch die darauf folgenden Strafanzeigen und Prozesse dürfen als Retourkutsche von Polizei und Justiz verstanden werden: „Widerstand kommt Euch teuer zu stehen!“. Damit diese perfide Mischung aus staatlichem Rassismus, Polizeigewalt und Rachejustiz nicht aufgeht, rufen wir zu kritischer Prozessbegleitung und zur Solidarität auf.


Hintergrund dieser Eskalation waren regelmäßig stattfindene Übergriffe von  Neofaschisten gegen Linke, alternative Jugendliche und MigrantInnen in der Göttinger Innenstadt. Hiergegen organisierten autonome Antifas antifaschistische Selbsthilfe. Wurden Neofaschisten aus Göttingen und dem Umland in der Stadt gesichtet, wurden diese unmittelbar von antifaschistischen Kräften militant vertrieben. Zu solch einer Auseinandersetzung kam es auch am 17. November 1989, an der die Antifaschistin Conny involviert war. Wie häufig zuvor auch geleitete die Polizei die Faschisten sicher aus der Innenstadt und eröffnete im Anschluss eine Verfolgungsjagd gegen die AntifaschistInnen. Eine besondere Rolle nahm dabei das Zivile Streifenkommando (ZSK) ein; eine politische Polizeieinheit in zivil, die sich seit Jahren einen Kleinkrieg mit der autonomen Szene der Universitätsstadt lieferte. Dass sie Conny dabei auf der Weender Landstraße in Höhe des Indunazentrums in den fahrenden Verkehr trieben war kein Zufall, sondern sie folgten damit aktiv ihrer Gesinnung. Dies zeigt der entsprechende Spruch im Polizeifunk am 17.11.1989 um ca. 21.10 Uhr: "Ich würde sagen, wenn wir genug Leute sind, sollten wir sie ruhig mal plattmachen".

In einem Flugblatt, 10 Jahre nach den Ereignissen erklärte die Autonome Antifa (M) die Verwendung des Begriffs "politischer Mord":

"Politischer Mord bedeutet, daß ein Mensch im politischen Zusammenhang (Kampf) ums Leben gebracht wurde. Dabei ist es egal, ob dies gezielt geschieht, z.B. durch Erschiessen oder ob er/sie im Zuge einer Aktion oder durch die Umstände ums Leben kam, die auf den Tod von Menschen zielen oder als Faktor einkalkuliert werden. Entscheidend ist, ob sich der Mensch in einen politischen Zusammenhang stellt oder die objektiven Umstände diesen Zusammenhang herstellen."

Verschiedene alte Fernsehbeiträge, die sich mit den Umständen und Hintergründen des Todes von Conny Wessmann befassen, findet Ihr auf unserem youtube-channel. Auf der Internetseite der HNA finden sich historische Fotos. Aktuelle Medienberichte findet Ihr hier.

Die Wochen und Monate nach dem Tod von Conny Wessmann waren in Göttingen von Mahnwachen, Soliaktionen und Demonstrationen geprägt. Beispielsweise fand am 25.11.1989 eine bundesweite Demonstration in Göttingen mit 18.000 Menschen statt. Nachdem die Demo schweigend an der Todesstelle vorbeigezogen war, begab sie sich zurück in die Göttinger FußgängerInnenzone. Aus Trauer um die getötete Genossin ebenso wie aus Wut gegen Polizeistaat und faschistischen Terror wurde daraufhin die gesamte Innenstadt entglast. Vor dem JuzI in der Bürgerstraße kam es im Anschluss an die Demo zu heftigen Kämpfen mit der Polizei, bei der diese mit Steinen, Zwillen und Mollotow-Cocktails zurück geschlagen wurde. In den ersten fünf Jahren fanden jährlich Mahnwachen oder Demos zum Todestag der Antifaschistin statt. Danach folgten größere Aktionen 1997 und 1999, also 10 Jahre nach dem Mord an Conny. Vor 5 Jahren zum 20. Todestag von Conny bereiteten verschiedene Initiativen und Einzelpersonen Veranstaltungen, eine Ausstellung, ein Solikonzert und weitere Aktivitäten vor. Am 14.11.2009 fand unter dem Motto "Kein Vergeben, kein Vergessen!" eine kämpferische Demo in Göttingen statt.

BFE greift an Connys Todesstelle die Gedenkdemo an. Göttingen, 19.11.2009 BFE greift an Connys Todesstelle die Gedenkdemo an. Göttingen, 19.11.2009

Ausgerechnet in Nähe der Todesstelle der Antifaschistin stürmten mehrfach Beweis- und Festnahmeeinheiten brüllend und prügeln in die Demo und nahmen hier mindestens 3 Menschen fest. Schließlich stellten sich Polizeiketten direkt vor den Gedenkstein und die Skulptur, an denen zuvor bereits Kerzen entzündet und Blumen niedergelegt worden waren. Berichte dazu findet Ihr hier | Hier könnt Ihr ein Video ansehen. Seit diesem absolut respektlosen und brutalen Einsatz prügelt sich die BFE durch die Stadt und pflegt das Image einer gut bezahlten Hooligan-Truppe (Abschiebung verhindert | Schünemanns Schergen).


Hamburg, November 2009: Restaurierung des 20 Jahre alten Wandgemäldes

Der politische Mord an Conny in Göttingen fand auch bundesweit seinen Widerhall. In zahlreichen Städten fanden 1989 Soliaktionen statt. In Hambug wurde beispielsweise an dem autonomen Zentrum "Rote Flora" ein Wandgemälde angebracht, das zur Demonstration am 25.11.1989 aufgerufen hat. Es war zwei Jahrzehnte zu sehen, allerdings befand es sich in einem schlechten Zustand. 2009 haben HandwerkerInnen und KünstlerInnen aus Göttingen, Hamburg und Bremen das 20 Jahre alte Wandgemälde wieder hergestellt. Details dieser Restaurierungsaktion waren Teil der Ausstellung "Antifaschistische Geschichte sichtrbar machen" am 17. November 2009 in der Alten Mensa in Göttingen. Mehr Infos dazu findet ihr hier.

 

Mahnwache an der Todesstelle von Conny Wessmann. Göttinge, 17.11.2009Auch die Skulptur an Connys Todesstelle in Göttingen war zuletzt mit Lackschmierereien verunstaltet. Bereits im Oktober diesen Jahres haben AktivistInnen das Mahnmal gereinigt und anlässlich der Antifa O-Phase Kerzen abgestellt und Blumen nieder gelegt.

 

 

 

 


Vor 25 Jahren:

Neonaziterror, Polizeigewalt und eine ermordete Antifaschistin

Ihr könnt diesen Flyer hier als pdf-Datei herunter laden.

Vor 25 Jahren wurde die Antifaschistin Conny in Göttingen nach einer Auseiandersetzung mit Neonazis von der Polizei in den fließenden Straßenverkehr gejagt. Dabei wurde sie von einem Auto erfasst, durch die Luft geschleudert und war sofort tot. FreundInnen und GenossInnen der getöten jungen Frau sagen: Das war ein politischer Mord!

Hintergrund dieser Eskalation waren regelmäßige Übergriffe von Neonazis gegen Linke, alternative Jugendliche und MigrantInnen in der Göttinger Innenstadt. Hiergegen organisierten autonome Antifas antifaschistische Selbsthilfe. Wurden Naziskinheads und andere Neofaschisten aus Göttingen oder dem Umland in der Stadt gesichtet, wurden diese militant vertrieben. Die Polizei schaute den Angriffen der Neonazis in der Regel tatenlos zu. Erst wenn die Schläger in Bedrängnis gerieten, griff die Polizei ein und geleitete die Faschisten sicher aus der Stadt. In der Öffentlichkeit wurden diese zugespitzten politischen Auseinandersetzungen als Konflikte rivalisierender Jugendcliquen verharmlost.

Zu solch einer Auseinandersetzung war es auch am Abend des 17. November 1989 gekommen. Conny gehörte zu einer Gruppe AntifaschistInnen, die ebenfalls alarmiert wurde, selber aber nicht in den Konflikt mit den Neonazis involviert war. Dennoch eröffnete die Polizei die Verfolgungsjagd auf ihre Gruppe. Eine besondere Rolle nahm dabei das Zivile Streifenkommando (ZSK) ein; eine politische Polizeieinheit in zivil, deren erklärtes Ziel es bereits seit Jahren war, gegen die lebendige radikale Linke in der Universitätsstadt vorzugehen. Dass sie Conny dabei auf der Weender Landstraße in Höhe des Idunazentrums in den fließenden Verkehr trieben, war kein „Unglück“ oder Zufall. Die Beamten folgten ihrem erklärten Feindbild und ihrer brutalisierten Einsatzpraxis. Gegen 21.10 Uhr erging am 17.11.1989 über Polizeifunk die Ansage: „Ich würde sagen, wenn wir genug Leute sind, sollten wir sie ruhig plattmachen!“. Wenige Minuten später war Conny tot.

Die Wochen und Monate nach dem Tod von Conny waren in Göttingen von Mahnwachen, Demonstrationen und Auseinandersetzungen geprägt. Beispielsweise fand am 25.11.1989 eine bundesweite Demo in Göttingen statt. Nachdem die Demo schweigend an der Todesstelle vorbeigezogen war, wurden in der Innenstadt aus Wut über Polizei- und Neonaziterror Fensterscheiben eingeschlagen, vor dem JuzI wurde eine heranstürmende Polizeieinheit mit Steinen, Zwillen und Brandsätzen zurück geschlagen. Der Tod der Antifaschistin offenbarte das Ausmaß der Polizeigewalt und der Bedrohung durch Neonazis. In der Neujahrsnacht 1990/91 ermordeten die Naziskinheads Sven Scharf und Oliver Simon in Rosdorf den 21-jährigen Alexander Selchow.

In den folgenden Jahren gelang es die Neonazis buchstäblich aus der Stadt zu prügeln. Die Polizei sah sich mit einer sensibilisierten und kritischen Öffentlichkeit konfrontiert. Diese Ereignisse prägen das gesellschaftliche Klima Göttingens bis heute. Zahlreiche Selbstverständlichkeiten in der gemütlichen Universitätsstadt stehen aber in den letzten Jahren vermehrt in Frage: So ist deutlich, dass die Neonazis nicht einfach weg sind, sondern sich vielfach in das ländliche und keinstädtische Umland zurückgezogen haben. Von hier aus organisieren sie verstärkt ihre Aktivitäten. Am 28.2.2015 planen Neonazis beispielsweise in Güntersen (bei Adelebsen) einen faschistischen Aufmarsch.

Und auch die Polizei ist fortdauernd bemüht verlorenes Terrain wettzumachen. Anders als bei ihrer Vorgängereinheit, dem mit dem im Spudok-Skandal gescheiterten Aufklärungs- und Festnahmekommando (AufKdo), gelang es nach 1989 nicht, die öffentliche Forderung nach Auflösung des ZSK durchzusetzen. 1996 wurde eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei in Göttingen stationiert, die dazu beitrug, die kämpferische Demonstrationskultur in der Stadt zu zerschlagen. 2012 wurde die BePo um die Beweissicherungs-und Festnahmeeinheit BFE erweitert. Diese gibt sich seither alle Mühe ihren Ruf als selbstherrliche Schlägertruppe zu pflegen. Einen Vorgeschmack auf das Agieren der BFEen bekam Göttingen bereits 2009. Als zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny etwa 1.500 Menschen demonstrierten, griff eine BFE ausgerechnet an der Todesstelle an und prügelte sich durch den Demonstrationszug. Ein Bereitschaftspolizei-Spalier postierte sich derart, dass es nicht möglich war Blumen oder Kerzen am Gedenkstein oder an der Skulptur für die getötete Antifaschistin abzulegen.

Mit unserem Streifzug durch die Geschichte des autonomen Antifaschismus vollziehen wir den Weg jener Gruppe Antifas nach, die am 17.11.1989 alarmiert wurde, um Widerstand gegen Neonazis zu leisten und sich eigentlich am Universitäts-Campus auflösen wollte. Ein Zeitzeuge wird anhand von Bildern und Berichten die gesellschaftlichen Umstände des Mordes an Conny, wie auch das konkrete Geschehen nachvollziehbar machen. Zugleich wollen wir dort wo es zulässig erscheint Verbindungen zur heutigen Situation herstellen: Wie haben sich Polizeitaktiken und politische Polizeieinheiten weiter entwickelt, um gegen fundamentale Opposition vorzugehen? Vor welchen Aufgaben steht antifaschistischer Widerstand 25 Jahre später

Freitag, 12.12.2014 | 18 Uhr | ab Stadthalle / Albaniplatz

Streifzug durch die Geschichte des autonomen Antifaschismus

Vor 25 Jahren: Neonaziterror, Polizeigewalt und eine ermordete Antifaschistin

 


Medienberichte

HNA, Bilder und Videos, 14.12.2014

Stadtrundgang zur Erinnerung an Conny Wessmann: www.hna.de

---

Göttinger Tageblatt, 17.11.2014

Auf Flucht vor Polizei von Auto erfasst
Vor 25 Jahren stirbt Conny W.


Die achtziger Jahre in Göttingen: eine wilde Zeit in der altehrwürdigen Universitätsstadt. „Haß, Haß, Haß“ titelt der Spiegel und meint damit die immer wieder aufflackernde Gewalt. In der mit Studenten vollgestopften Stadt herrscht Wohnungsnot.

Göttingen. Häuser werden besetzt, bei sogenannten Scherbendemos in der Innenstadt gehen Scheiben zu Bruch. Es gibt gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen Skinheads und linksradikalen Autonomen.

Ein Ereignis sorgt dafür, dass die Lage noch einmal eskaliert: Am 17. November 1989 stirbt die 24-jährige Studentin Kornelia Wessmann. Sie wird von einem Auto erfasst, als sie mit einer Gruppe Autonomer vor der Polizei über die Weender Landstraße flüchtet. Wessmann wird durch Luft geschleudert, erleidet schwere Kopfverletzungen und stirbt noch am Unfallort auf der eiskalten Fahrbahn.

Die Polizei hatte zuvor die Gruppe eingekreist, um die Personalien der Beteiligten festzustellen. Für die Autonomen, die der Polizei zutiefst misstrauen und den Kampf gegen die Neonazis lieber selbst in die Hand nimmt, ist die Sache klar: „Conny von den Bullen ermordet“ wird zum Schlachtruf, der bald immer wieder an Wände gesprüht wird. „Conny W.“ wird zu einer Ikone des Widerstands. Wessmann war bei ihrem Tod weder vermummt noch trug sie einen Schlagstock bei sich.

Noch am Abend gibt es eine Mahnwache am Unglücksort. Einen Tag später beteiligen sich  an einer spontanen Demo 2000 Menschen, darunter 200 Vermummte. Im Anschluss werden in der Innenstadt zahlreiche Scheiben zertrümmert. Am Sonntagabend lodert am Unglücksort eine mehrere Meter hohes Feuer. Auch in Hamburg, Bielefeld und Westberlin gibt es Krawalle. Die Wut der linken Szene auf den Staat entlädt sich.

Und heute?

Am 23. November wird Wessmann im Emsland bestattet. Dort ist sie in einer alteingesessenen Familie in einem winzigen Dorf aufgewachsen. An Wessmanns Grab treffen in einer merkwürdigen Atmosphäre Linke aus Göttingen und das katholische Emsland zusammen.

Zwei Tage später erlebt Göttingen eine gewaltige Demonstration – mitten in der einheitstrunkenen Stimmung nach dem Mauerfall. 16 000 Menschen demonstrieren fast fünf Stunden lang, darunter 2500 Autonome. Das Polizeigebäude am Steinsgraben wird mit Wasserwerfern gesichert. Nach der Demo kommt es vor dem Juzi zu einer Straßenschlacht. Die Autonomen werfen Steine, Flaschen und Molotowcocktails, die Polizei setzt Schlagstöcke ein.

Zur Demo ein Jahr nach Connys Tod wird in Göttingen mit rund 3000 Polizisten ein riesiges Aufgebot zusammengezogen. Doch der Protest-Zug mit 6000 Menschen, darunter 3000 Autonome, bleibt friedlich. In den neunziger Jahren beruhigt sich die Lage in Göttingen. Die rechtsextreme Szene schmilzt nach der Ausweisung ihres Kopfes Karl Polacek, die linksradikale Szene bricht nach Connys Tod auseinander. Die Zahl der Teilnehmer an den Conny-Gedenk-Demos wird kleiner, 1999 kommen nur noch 360 Teilnehmer. Zum 20. Jahrestag vor fünf Jahren können noch einmal 1400 Demonstranten mobilisiert werden.

Und heute? Bislang liegen der Polizei keine Informationen über eine geplante Demonstration vor. Doch das von Freunden aufgestellte Mahnmal für Conny an der Weender Landstraße steht noch immer.

---

HNA, 18.11.2014

Bretterverschläge vor Geschäften
Conny starb auf der Weender: Straßenschlachten waren die Folge


Göttingen. Am 17. November 1989 führt ein tragisches Ereignis zur Eskalation.

Als die 24 Jahre alte Kornelia Wessmann, Antifa-Mitglied, auf der Flucht vor Polizisten am Iduna-Zentrum über die Weender Landstraße läuft, wird sie von einem Auto erfasst und stirbt auf der Stelle.

Conny W. wird fortan für die Autonomen und Protestierenden in der Uni-Stadt zur Heldin. Für sie ist klar: Die Verantwortung trägt die Polizei. Die Polizisten wollen die Personalien aufnehmen, als die nicht vermummte und unbewaffnete Wessmann vor den Polizisten wegläuft, auf die Fahrbahn der vierspurigen Weender Landstraße, die zu diesem Zeitpunkt nicht für den Verkehr gesperrt ist. „Conny, von den Bullen getötet“ steht auf Transparenten, manche benutzen auch das Wort Mord. Das ist juristisch nicht korrekt, mobilisiert aber die Massen. Zunächst spontan 2000, die ein Feuer auf der Straße anzünden. Eine Woche später kommen Zehntausende zur Demo zusammen. Thomas Saylor aus Braunschweig war damals als Polizist dabei. Er spricht von 25 000 Teilnehmern: „Es war nicht nur die größte Demo der Stadtgeschichte, sondern auch bis heute einer der größten Aufmärsche des Schwarzen Blocks in der deutschen Nachkriegszeit.“ Etwa 2500 vermummte Autonome sind angereist, „darunter Krawallprofis aus dem Bundesgebiet und den Szenehochburgen Hamburg, Berlin, und Frankfurt“, wie Saylor schildert. Die Stimmung, geschürt auch von Krawallmachern aus dem ganzen Bundesgebiet ist gereizt, ja hasserfüllt – und das während der positiven Grundstimmung in den Tagen nach der Grenzöffnung.

Die Geschäftsleute wappnen sich: Zur Grundausstattung gehört ein passender Bretterverschlag zum Schutz der Schaufenster. Dennoch gehen Scheiben zu Bruch. Schlimmer noch: Die Demo endet im Chaos: Vor dem JuZi kommt es zur Straßenschlacht. „Durch einen polizeiinternen taktischen Fehler“, wie Saylor sagt. Tagelang gehört ein massives Polizeiaufgebot zum Alltag in Göttingen. Menschen sind besorgt, fürchten weitere Gewalt. Conny Wessmann hilft das alles nicht mehr: Die Studentin ist tot. Und sie wird zur Symbolfigur für die Linken und autonomen Gruppen in ihrem Kampf gegen Autorität und Staat. Es gibt viele Demonstrationen, noch Jahre später, die Teilnehmer werden immer weniger. Vor fünf Jahren, 20 Jahre nach dem Unglück, demonstrierten 1500 Menschen, es gibt Rangeleien. Dort, wo alles passierte, an der Bushaltestelle am Iduna-Zentrum, steht heute ein Gedenkstein mit der Inschrift: „Conny stirbt durch einen Polizeieinsatz bei einer Demonstration.“ Bei den Untersuchungen aber wurde weder ein Verschulden von Polizisten noch des Autofahrers festgestellt. Mitglieder der autonomen Szene bestritten die Ergebnisse. Auch, weil die beteiligten Antifas ihre Anonymität nicht preisgeben wollten. Deshalb wurden nur Zeugenaussagen von Polizisten berücksichtigt. Am Montagabend, 25 Jahre danach, zeigen nur wenige Menschen friedlich ihre Anteilnahme: Sie zünden Kerzen an – zur Erinnerung an Conny

Bottom Line