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Die kurdische Frauenbewegung

Selbstverwaltung und gelebte Utopien!

Aktiv erkämpfen Frauen international ihre Rechte gegen patriarchale Unterdrückung. Um dessen Ausdruck zu verleihen, waren wir am 8. März 2013 per Agitprop-Theater in der Göttinger Innenstadt präsent, in dem sich das Gänseliesel gegen den ihr wiederfahrenen Sexismus zur Wehr setzt.

Wichtig ist für uns aber auch, dass der Kampf gegen das Patriarchat nur international erfolgreich geführt werden kann. Daher ist der Blick über den eigenen Tellerrand notwendig.

Die kurdische Frauenbewegung ist für uns ein positiver Bezugspunkt im antipatriarchalen Kampf, da sie elementarer Teil der kurdischen Freiheitsbewegung ist: Einerseits werden somit patriarchale Zwänge innerhalb der kurdischen Bewegung nicht als Nebenwidersprüche abgestempelt und andererseits verharrt die Frauenbewegung so nicht in reformistischen Zielvorstellungen, sondern behält die gesamtgesellschaftliche Befreiung im Blick.

Sowohl in der Guerilla als auch in der zivilen Arbeit spielt die Frauenbewegung eine zentrale Rolle. Insbesondere der Aufbau einer demokratischen Autonomieregion wird erheblich durch die Schaffung selbstorganisierter Betriebe und vielfältiger Bildungsangebote seitens der Frauenbewegung geprägt.


In einem ausführlichen Text setzt sich die A.L.I. mit der Kurdischen Frauenbewegung auseinader und schilderd die Entstehung und Geschichte der Kurdischen Frauengurilla. Den Text findet ihr hier

Bereits im Dezember 2004 haben wir eine Lesung mit der Internationalistin Anja Flach veranstaltet. Mehr Informationen zu unserer Veranstaltung Frauen zwischen Tradition und Befreiung in Kurdistan könnt ihr in unserem Archiv nachlesen.








Die kurdische Frauenbewegung – Selbstverwaltung und gelebte Utopien

In einem ausführlichen Text setzt sich die A.L.I. mit der Kurdischen Frauenbewegung auseinader und schilderd die Entstehung und Geschichte der Kurdischen Frauengurilla. Das Flugblatt findet ihr hier als PDF (245 kb)

In der ganzen Welt engagieren sich Frauen gegen patriarchale Gewalt und Unterdrückung.
Für uns als Antifa-Gruppe steht fest, dass Rechte nicht erbettelt, sondern erkämpft werden – das gilt sowohl hier vor Ort als auch weltweit. Solidarität zwischen den Bewegungen ist ein wichtiges Teilstück zur Überwindung des herrschenden, rassistischen, kapitalistischen, patriarchalen Systems.
In Deutschland spielt Militanz vor allem eine symbolische Rolle: Sie hilft Frauen sich aus ihrer passiven Rolle zu befreien und verdeutlicht, dass Frauen sich nicht in ein Schema drängen lassen.
In anderen Regionen der Erde schützt Militanz oder gar der bewaffnete Kampf Frauen sehr viel direkter vor Gewalt: Durch die eigene Wehrhaftigkeit werden gewalttätige Männer entweder im Voraus abgeschreckt oder in konkreten Situationen abgewehrt.

„Die Befreiung der Frau muss grundlegendes Element jedes Befreiungskampfes sein“

Die kurdische Frauenbewegung ist für uns, auch aufgrund ihrer fortschrittlichen Ansätze zur Überwindung des Patriachats, ein positiver Bezugspunkt.

In der PKK ist die Befreiung der Frau aus der traditionellen patriarchalen Gesellschaft schon seit ihrer Gründung ein zentraler Programmpunkt. Die Überwindung des Patriarchats nimmt in der kurdischen Bewegung nicht nur eine Nebenrolle ein, sondern ist als elementarer Schwerpunkt  zur Errichtung einer befreiten Gesellschaft in der Bewegung verankert.
Somit wird Frauenbefreiung nicht als individuelles „Problem“ abgestempelt, sondern auch Männer werden zur Teilnahme an Schulungen gezwungen, in denen sie ihr eigenes Rollenverhalten reflektieren.

Frauen in der kurdischen Guerilla

In der Anfangszeit war die PKK von marxistischen StudentInnen geprägt. Frauen und Männer waren gleichberechtigt und  übten ähnliche Funktionen aus. Mit Einsetzen des Massenzustroms zur Guerilla veränderte sich auch die soziale Zusammensetzung – der Großteil bestand nun aus feudal sozialisierter Landbevölkerung. Dies führte dazu, dass sich das Frauenbild veränderte.

Die Frauen wurden mit den Begründungen, dass das Leben in den Bergen zu hart für sie sei und es eine Schande sei wenn Frauen im Kampf sterben, aus den Kampfhandlungen zurück gedrängt. Ihnen wurden lediglich Logistik-Aufgaben zugeteilt oder sie wurden in der Überzeugungsarbeit eingesetzt. Dies führte dazu, dass die Frauen selbst an ihren Qualifikationen zweifelten und ebenso auch die Führungsqualitäten ihrer weiblichen Kommandantinnen in Frage stellten. In der Konsequenz versuchten Frauen dem  männlichen „Ideal“ genüge zu tun. Sie versuchten sich durch besonders schwere körperliche Arbeit zu beweisen und in Kampfhandlungen möglichst vorne mit dabei zu sein. Außerdem wurde sich auch optisch angepasst, indem viele Frauen ihre Haare kurz schoren.
Da manche Frauen sich so auch bei Männern Respekt verschaffen konnten, viele jedoch nach wie vor in erster Linie als „Frau“ wahrgenommen wurden, entstand eine Hierarchie und Entsolidarisierung zwischen den weiblichen Kämpferinnen, was eine universelle Frauenbefreiung behinderte.

Im Zuge dieser Entwicklung wurde erkannt, dass innerhalb von gemischtgeschlechtlichen Einheiten eine Auflösung der Rollenbilder nicht möglich sei.
1995 begann der Aufbau einer unabhängigen  Frauenarmee in der kurdischen Guerilla, die durch Eigeninitiative der Frauen entstand. Durch die Unterstützung des Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan wurde der Weg auch gegen innerparteiliche Widerstände geebnet.
Die Frauenarmee sollte ein „befreites Gebiet“ darstellen, in dem Frauen sich unabhängig von Männern entwickeln können und ihr Territorium selbstverwalten und schützen. Indem sie nun alle Aufgaben der Guerilla  sowie die Organisation politischer Schulungen selbst übernahmen, erlangten die Frauen mehr Selbstbewusstsein und Vertrauen in ihre Fähigkeiten, des Weiteren entwickelten sie unbeeinflusst von männlichen Sichtweisen eigene Positionen. In gemeinsamen Schulungszentren wurden sämtliche Küchen- und Reinigungsarbeiten fortan von Männern erledigt.
Die eigene bewaffnete Organisationsstruktur schafft außerdem die Gewissheit, dass die Fortschritte, die die Frauenbewegung erkämpft hat nicht einfach wieder von männlicher Seite aus abgeschafft werden können.
Noch vor Schaffung eigener Organisationsstrukturen wurde das Ziel einer „revolutionären genossenschaftlichen Beziehung“ proklamiert – in der Praxis bedeutet sie die Ablehnung romantischer und sexueller Beziehungen innerhalb der Guerillaeinheiten. Das hat in der Praxis erhebliche Vorteile, denn einerseits zeigt sich in klassischen Zweierbeziehungen die traditionelle Rollenverteilung besonders deutlich, andererseits führten Paarbildungen oft zu einer Wahrnehmung der Frauen allein über ihre Partner, dementsprechend ist ihr sozialer Status über den des Partners definiert, was die Frauen in die selbe Abhängigkeit bringt wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft existiert.
Neben diesen idealistisch orientierten Zielen wurde mit dem „Beziehungsverbot“ jedoch auch rein pragmatische Ziele verfolgt – kaum eine Familie hätte es toleriert, wenn ihre Tochter sich der Guerilla anschließt und sie dort sexuellen Kontakt mit Fremden haben könnte. Somit war die Ablehnung sexueller Beziehungen innerhalb der  Guerilla auch ein Element, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen.
Nichtsdestotrotz beschreiben es die meisten Guerilleras als angenehm, dass romantische Beziehungen im Umgang untereinander von vorne herein  ausgeschlossen werden können und sich so das Verhältnis zwischen allen Mitgliedern der Guerilla tatsächlich in Richtung einer „revolutionären genossenschaftlichen Beziehung“ entwickelt.

„Wir Frauen sind die Ehre von niemanden nunsere Ehre ist unsere Freiheit“

Die kurdische Frauenbewegung beschränkt sich keinesfalls nur auf die Guerilla, sondern hat auch eine breite Basis insbesondere in der Stadtbevölkerung.
Eine der  Kampagnen richtete sich gegen die sogenannten „Ehrenmorde“. Unter dem Motto „Wir wollen niemandes Ehre sein“ verbrannten Aktivistinnen beispielsweise rote Bänder, die bei Hochzeiten traditionell der Frau umgebunden werden und ihre sexuelle Unberührtheit symbolisieren sollen. Eine Aktivistin beschreibt die Zielsetzung der Aktion so:

„Um der gesamten Gesellschaft mitzuteilen, dass wir für unser Recht auf Leben und für unsere Freiheit niemandes Ehre sein wollen, haben wir beschlossen unsere Ehrbarkeit zu verbrennen.“

Durch diese Kampagne gelang es einen Sinneswandel anzustoßen – wurde der Begriff namûs (Ehre) bislang in Bezug auf die sexuelle Enthaltsamkeit der Frauen gebraucht, setze sich nun eine andere Verwendung durch: Mit dem Begriff der Ehre wird nun die politische Selbstbestimmung und Freiheit von Frauen und Männern assoziiert.
Somit gelang es nicht nur die Gewalt an Frauen zu thematisieren und 2005 eine Strafrechtsreform durchzusetzen, sondern es wurde auch ein Schritt in Richtung sexueller Selbstbestimmung der Frauen getan, da ihre (unterdrückte) Sexualität nicht mehr als familiäres Gut betrachtet wird.

Die Frauenbewegung im Demokratischen Konförderalismus
Seit 2005 proklamiert die kurdische Freiheitsbewegung das Konzept des Demokratischen Konförderalismus, das einen Prozess des Aufbaus von Selbstverwaltungsstrukturen in den kurdischen Gebieten vorsieht. Ziel ist nicht die Schaffung eines Nationalstaates, sondern die Schaffung einer selbstorganisierten Rätedemokratie.

Mit dem Sieg der prokurdischen und unterdessen verbotenen Partei für eine Demokratische Gesellschaft (DTP) im Jahr 2009 wurden die Weichen für die Schaffung von selbstverwalteten Frauenkooperativen in den kurdischen Gebieten gelegt. Diese eröffnen Frauen die Möglichkeit sich sozial, ökonomisch, kulturell und politisch weiterzubilden. Sie bieten ihnen  außerdem eine von Männern unabhängige Erwerbstätigkeit und gewähren Freiräume außerhalb von Wohnung und Familie.
Die Frauenkooperativen betreiben  Handwerksstätten, Bäckereien und Restaurants, die kollektiv organisiert sind und in denen alle Beteiligten einen Einheitslohn bekommen. Des Weiteren organisieren Frauen Bildungskurse in ihren Stadtvierteln. Das Angebot umfasst Alphabetisierungs- und Computerkurse, medizinische und juristische Beratung bis hin zu Selbstfindungskursen, in denen Frauen ihre eigene Stellung in der Gesellschaft erkennen und kritisch hinterfragen können. Außerdem gibt es auch Kurse für Erziehung und Haushaltsführung -  dies kann ambivalent betrachtet werden: Einerseits könnte  so der Eindruck erweckt werden dies seien Frauenaufgaben, die klassische Rollenverteilung würde damit verfestigt. Andererseits setzen diese Kurse in der Lebensrealität der Frauen an und bieten die Chance, innerhalb der Familie zu beginnen Rollenmodelle zu dekonstruieren, indem geschlechtsspezifische Erziehung erkannt und vermieden wird. Außerdem ist so die Möglichkeit gegeben, eine Ansprechstelle für Frauen zu bieten und diese in ihrem Alltag zu politisieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der lokalen Selbstverwaltung ist die Ächtung von häuslicher Gewalt. So gelang es beispielsweise der Frauenbewegung durchzusetzen, dass gewalttätige Ehemänner aus dem kommunalen Dienst entlassen werden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das Gehalt des Mannes direkt an seine Ehefrau ausgehändigt wird, womit übergangsweise die finanzielle Abhängigkeit der Frau vermindert wird.
Die kurdische Frauenbewegung vertagt den Angriff auf das Patriarchat also nicht bis nach der Revolution, sondern beginnt bereits jetzt Frauen gleichen Zugang zu Bildung und finanzieller Unabhängigkeit zu schaffen. Damit eröffnet sie Perspektiven, wie ein gleichberechtigtes Leben der Geschlechter nach Überwindung von Patriarchat und Kapitalismus aussehen könnte.
Trotzdem belassen es die kurdischen Frauen nicht bei reiner Alltagshilfe, sondern verlieren das Ziel der Auflösung der Geschlechterdifferenzen nicht aus den Augen.
Daher halten wir die kurdische Frauenbewegung für eine Vorreiterin im internationalen Kampf gegen das Patriachat, bei der es sich lohnt einen genaueren Blick auf sie zu werfen.

Antifaschistische Linke International, im März 2013


Veranstaltung: Selbstverwaltung und Demokratischer Konförderalismus

TeilnehmerInnen verschiedener Delegationen im türkischen Teil Kurdistans berichten von ihren Erfahrungen, beleuchten die Hintergründe des Aufbaus der Demokratischen Autonomie und der Kurdischen Frauenbewegung in verschiedenen Teilen Kurdistans. Außerdem stellen sie die Kampagne "TATORT Kurdistan" und ihre Arbeit vor.

 

Broschüre: "Demokratische Autonomie in Nordkurdistan"

Als eigenen Beitrag zur friedlichen Lösung der kurdischen Frage hat die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei ein alternatives Gesellschaftsmodell entwickelt: die Demokratische Autonomie. Unter schwierigsten Bedingungen gelingt es der Bewegung in Nordkurdistan seit 2005, Strukturen für den Aufbau einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft zu schaffen. Ihren Kern bildet ein Rätesystem, in dem sich die Bevölkerung in den Dörfern, Straßenzügen, Stadtvierteln und Stadträten basisdemokratisch organisiert.

Diese Strukturen ermöglichen zwar noch keine autonome Lebensform jenseits der bestehenden staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, aber sie stellen bereits heute eine relevante zivilgesellschaftliche Gegenmacht dar. Der radikal-demokratische Aufbruch der Kurd_innen bietet so auch eine Inspiration für die Neugestaltung von Gesellschaften im Mittleren Osten
und darüber hinaus.
Die in dieser Broschüre dokumentierten Interviews bieten einen ersten Einblick in die konkrete Umsetzung einer linken Utopie.

„Diese herausragende Broschüre von TATORT Kurdistan wird unentbehrlich sein für alle weiteren Arbeiten zum Demokratischen Konföderalismus, eine aufstrebende Utopie in den kurdischen Gebieten Anatoliens.“
(Janet Biehl, Feministin und Autorin einer Biografie über Murray Bookchin)

Die Broschüre findet ihr "links Unten" im Roten Buchladen oder unter demokratischeautonomie.blogsport.eu


Buchvorstellung: Widerstand und gelebte Utopien

Frauenguerilla, Frauenbefreiung und Demokratischer Konföderalismus in Kurdistan

Freitag, 15.März | 19:30 Uhr | Roter Buchladen (Nikolaikirchhof 7, 37073 Göttingen)

Widerstand und gelebte Utopien“ basiert auf zahlreichen Interviews, die im Jahre 2010 mit Guerillakämpferinnen und anderweitig aktiven Frauen der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung geführt wurden. Sie spiegeln die Utopien, Hoffnungen und Bedenken in einer Zeit wider, in der die kurdische Bewegung zwischen dem Aufbau einer alternativen Gesellschaft und dem Widerstand gegen die Vernichtungsversuche des türkischen Staates und seiner Verbündeten stand. Auf verschiedenen Reisen führten Frauen aus Westeuropa diese Interviews im Flüchtlingscamp Mexmûr, in Städten Südkurdistans, in den Bergen im Gebiet Kandil und der Medya-Verteidigungsgebiete. Einführend beschreibt das Buch die Geschichte und Frauenbefreiungsideologie der kurdischen Frauenbewegung sowie das neue Paradigma des Demokratischen Konföderalismus für den Aufbau einer demokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaft. In diesem Kontext werden die verschiedenen Organisierungsformen und Kämpfe der Frauenbefreiungsbewegung und die praktische Umsetzung des Demokratischen Konföderalismus vorgestellt. In den Interviews wird deutlich, dass die Stärkung des internationalistischen Frauenbefreiungskampfes und eine autonome Frauenorganisierung nach wie vor notwendig und eine Voraussetzung für den Aufbau einer freien Gesellschaft sind. In diesem Sinne gibt das Buch all denjenigen Frauen und Frauenorganisationen neue Anregungen, die auf der Suche nach einem Leben in Freiheit sind.

Das Buch findet ihr im Roten Buchladen, Nikolaistraße 7 oder unter civaka-azad.org

Bottom Line