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Rassismus bekämpfen - Verfassungsschutz auflösen!

Für einen konsequenten Antifaschismus!

Zwei Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden der rassistischen Morde durch die rechte Mördergruppe „NSU“, wird die Verstrickung und Unterstützung durch die Polizei und den Verfassungsschutz immer deutlicher. Dabei geht es nicht „nur“ um das Schreddern fast aller Akten die zur Aufklärung der Verbrechen beigetragen hätten, sondern auch um die strukturelle Unterstützung des „NSU“, in Form von Waffen, Papieren und Geld. Die Zusammenarbeit von Staat und Nazis hat in der BRD eine erschreckende Kontinuität. Angefangen bei den Altnazis, die in der neu gegründeten Bundesrepublik den Aufbau von Polizei- und Geheimdiensten in die Hand nahmen, bis hin zu den progromartigen Ausschreitungen und Mordanschlägen der frühen 90er, die politisch zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl genutzt wurden.


Die Staatsorgane, die die Opfer jahrelang kriminalisiert und diskriminiert haben, sollen nun eine Aufklärung herbeiführen. Und auch die Untersuchungsasschüsse setzten sich mehrheitlich aus eben den politischen Vertretern zusammen, die seit Jahrzehnten eine rassistische Asyl- und Abschiebepolitik praktizieren und paradoxerweise als Reaktion auf den „NSU“ auch noch einen Ausbau der Geheimdienste fordern. Diesen Behörden steht eine rassistische Gesellschaft gegenüber, die keine ernsthaften Konsequenzen aus den Morden und der menschenverachtenden Politik zu zieht. Wenn dann migrantische Communities auf die Straße gehen, um sich gegen die Diskriminierung die ihnen widerfährt zu wehren und diese Anzuprangern, erfahren sie kaum bis gar keine Unterstützung. Auch explizit antifaschistisch denkende Menschen müssen diese Kritik annehmen und die Schockstarre überwinden, in die auch wir nach dem Bekanntwerden der „NSU“-Morde gefallen sind. Entschlossenes und kontinuierliches Engagement ist wichtiger denn je. Trotz und gerade wegen dieser berechtigten Kritik und Selbstkritik muss endlich zurückgeschlagen werden!


Berichte zum Verlauf der verschiedenen Veranstaltungen könnt Ihr hier nachlesen.


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Publikation "Raus aus der Schockstarre"


Aufruf zur Demonstration am 29.11.2013 in Göttingen

Rassismus bekämpfen - Verfassungsschutz auflösen!

Für einen konsequenten Antifaschismus!


Zwei Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden der rassistischen Taten durch die rechte Mördergruppe „NSU“ ist der Großteil der Empörung verpufft. Konsequenzen wird es voraussichtlich nicht geben. Im Gegenteil: Nachdem die Opfer der Mordanschläge jahrelang selbst kriminalisiert wurden, während der Verfassungsschutz die Täter deckte und aktiv durch die Organisierung von Waffen, Geld und Papieren unterstützte, will der Staat nun seine Ermittlungsbehörden mit mehr Macht ausstatten. Genau die waren im Fall des „NSU“ jedoch mehr Mittäter als Aufklärer. Auch die Gesellschaft weigert sich umzudenken: weiterhin werden rechte Parteien gewählt, von CDU bis NPD, sich im Alltagsrassismus geübt, Menschen aufgrund von rassistischen Stereotypen eingeteilt und bei Gewalt durch Nazis weggesehen.

Gerade die Zusammenarbeit von staatlichen Behörden und Nazis hätte eigentlich nicht überraschen dürfen. Denn mit Blick auf die Geschichte der BRD besitzt die Zusammenarbeit von Staat und Nazis erschreckende Kontinuität. Angefangen bei den Altnazis, die in der neugegründeten Bundesrepublik den Aufbau von Polizei und Geheimdiensten in die Hand nahmen, über die staatlich ausgerüsteten Wehrsportgruppen, bis hin zu den pogromartigen Ausschreitungen und Mordanschlägen der frühen 90er, die politisch zur faktischen Abschaffung des Rechtes auf Asyl genutzt wurden.

Obwohl diese und noch viele weitere Ereignisse geradezu in das Bewusstsein der antifaschistische Bewegung eingebrannt sind, wurde im Fall „NSU“ auf weiten Strecken versagt. Es ist von antifaschistischer Seite weder gelungen, die NSU-Morde zu erkennen noch sie als das zu offenbaren was sie waren. Mehr noch: weder die Ermordung von MigrantInnen, noch die darauf folgenden grundfalschen Ermittlungsrichtungen, die Sprachregelungen von „Dönermorden“ und „Soko Bosporus“ wurden in ihrem ganzen rassistischen Ausmaß wahrgenommen. Auch dann nicht, als etwa in Kassel die migrantischen Communities auf die Straße gegangen sind.

Gerade jetzt gilt es aus der Schockstarre zu erwachen! Es stimmt: Antifapolitik muss einen Bezug zu der Lebensrealität von MigrantInnen haben. Aber das allein hilft nicht. Die grausamen Taten der Nazis schüren Angst, indem sie das Leben von Menschen bedrohen und der Staat eher eine weitere Bedrohung für potenzielle Opfer darstellt, als diesen Menschen Schutz zu bieten. Der deutsche Staat mit seiner strukturell und häufig auch individuell rassistischen Polizei und seinem Inlandsgeheimdienst, der rechte TäterInnen bezahlt und behütet kann nicht entschieden gegen Nazis vorgehen, da der Staat hierfür gegen die eigenen Repressionsorgane vorgehen müsste. Daher hat dieser Staat auch kein Interesse daran, den Opfern und Gegnern von rassistischer Gewalt und Naziaktivitäten einen konsequenten Schutz zu gewähren.   

Es liegt an uns!

Entschlossenes und kontinuierliches antifaschistisches Engagement ist deshalb wichtiger denn je. Trotz und gerade wegen der berechtigten Kritik und Selbstkritik müssen wir endlich zurückschlagen!

Das heißt, dass wir uns allen Nazis entgegenstellen müssen, bevor sie wieder Menschen umbringen können. Denn sonst tut es niemand: der Staat lässt sie gewähren oder befeuert sogar noch das mörderische Treiben.

Eine starke antifaschistische Bewegung ist dabei keine Selbstverständlichkeit, sondern wird vor Ort von Menschen beeinflusst und aufgebaut. Auch Ruf und Realität der Stadt Göttingen haben sich nicht von selbst ergeben, sondern wurden von entschlossenen AntifaschistInnen erkämpft. Sie müssen auch heute immer wieder aufs Neue verteidigt und Naziaktivitäten im Keim erstickt werden. Es gilt hier und überall den politischen Druck zu erhöhen, konsequent gegen rechte Gewalt vorzugehen, den Nährboden der rassistischen politischen Verhältnisse in der Mitte der Gesellschaft anzugreifen und sich konsequent faschistischen Aktivitäten entgegen zu stellen!

Das alles beginnt zuerst einmal damit rechte Gewalt als solche zu erkennen und endet bestimmt nicht damit den Behörden das Feld zu überlassen! Das bedeutet: Ein grundlegendes antagonistisches Verhältnis zum Staat und seinen Diensten, die den rassistischen Mördern den roten Teppich ausrollen, während sie Gegner und Opfer der Nazis mit Repression überziehen.
Wer verharmlost, vertuscht, sich als geistiger Brandstifter betätigt, wer von Extremismus faselt, dabei rechts wegsieht und auf der linken Seite zuschlägt, ermittelt und verurteilt, wer die Opfer kriminalisiert, die Täter als Spitzel bezahlt, wer über den Verfassungsschutz die rechten Kameradschaften stützt und aufbaut, der wird auch in Zukunft keine Hilfe sein. Der steht auf der anderen Seite.

Lasst uns gemeinsam den ersten Schritt machen! Signalisieren wir Staat und Nazis, dass es Konsequenzen geben wird! So oder so.

Die antifaschistische Selbsthilfe organisieren!



Kurzaufruf zur antifaschistischen Demonstration am 29.11.2013 in Göttingen

Rassismus bekämpfen - Verfassungschutz auflösen!

Für einen konsequenten Antifaschismus!

Zwei Jahre nach dem öffentlichen Bekanntwerden der rassistischen Morde durch die rechte Mördergruppe „NSU“, wird die Verstrickung und Unterstützung durch die Polizei und den Verfassungsschutz immer deutlicher. Dabei geht es nicht „nur“ um das Schreddern fast aller Akten die zur Aufklärung der Verbrechen beigetragen hätten, sondern auch um die strukturelle Unterstützung des „NSU“, in Form von Waffen, Papieren und Geld. Die Zusammenarbeit von Staat und Nazis hat in der BRD eine erschreckende Kontinuität. Angefangen bei den Altnazis, die in der neu gegründeten Bundesrepublik den Aufbau von Polizei- und Geheimdiensten in die Hand nahmen, bis hin zu den progromartigen Ausschreitungen und Mordanschlägen der frühen 90er, die politisch zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl genutzt wurden.

Die Staatsorgane, die die Opfer jahrelang kriminalisiert und diskriminiert haben, sollen nun eine Aufklärung herbeiführen. Und auch die Untersuchungsasschüsse setzten sich mehrheitlich aus eben den politischen Vertretern zusammen, die seit Jahrzehnten eine rassistische Asyl- und Abschiebepolitik praktizieren und paradoxerweise als Reaktion auf den „NSU“ auch noch einen Ausbau der Geheimdienste fordern. Diesen Behörden steht eine rassistische Gesellschaft gegenüber, die keine ernsthaften Konsequenzen aus den Morden und der menschenverachtenden Politik zu zieht. Wenn dann migrantische Communities auf die Straße gehen, um sich gegen die Diskriminierung die ihnen widerfährt zu wehren und diese Anzuprangern, erfahren sie kaum bis gar keine Unterstützung. Auch explizit antifaschistisch denkende Menschen müssen diese Kritik annehmen und die Schockstarre überwinden, in die auch wir nach dem Bekanntwerden der „NSU“-Morde gefallen sind. Entschlossenes und kontinuierliches Engagement ist wichtiger denn je. Trotz und gerade wegen dieser berechtigten Kritik und Selbstkritik muss endlich zurückgeschlagen werden!

Verfassungsschutz auflösen!

Nazis und Rassisten entschlossen entgegentreten!

Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!


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çağrı Türkçe

Irkçılıkla mücadele. Anayasal koruma giderin.

İki yılkatil sağ grup "NSU" katılımı ve polis ve anayasal koruma desteği ileırkçı cinayetlerin ilan edilmesinden sonra giderek daha açık hale gelmektedir. Bu kayıtlarısuçları kullanılabilir araştırmak gerekir hangi, yıkıldı. Ve NSU yapısal silah, belge ve para şeklinde destek oldu. Devletin işbirliği ve Almanya'da şaşırtıcı bir süreklilik Naziler vardır. Böylece Naziler Almanya'nınyeni kurulan Federal Cumhuriyeti almış ve elinde polis istihbarat kurulması, 1990'larda ayaklanmalar ve suikastlar gibi sığınma hakkınınfiilen ortadan kaldırılması için siyasi kullanılmıştır.
Yetkililer suç ve yıllardır sadece kurbanların karşı ayrımcılık var. ŞimdiAydınlanma getirecek. Eğitimkomiteleri çoğunlukla her zaman ırkçı iltica ve sınır dışı pratik var olan, siyasi temsilcileri oturmak. Paradoksal NSU yanıt olarak, artıkgizligüçlerin bir genişleme gerektirir. Yetkililer Sadece ırkçı ve şirkettir. Göçmen toplulukları sokaklara almak ve ırkçılığa karşı göstermek, bunlar desteklenmez. Aynı zamanda anti - faşist insanlar eleştiri kabul etmek gerekir. Onlar biz de NSU cinayetlerin haber sonra düşmüş olduğufelç üstesinden gelmek zorunda. Firma ve kararlılığımızı her zamankinden daha önemlidir!
Çünkü bu meşru eleştiri ve özeleştiri nihayet geri dayak gerekir!

Anayasayı Koruma çözmek!
Naziler ve ırkçılar kararlılıkla karşı!
Her düzeyde, elbette!


Aufruf: Schluss mit dem Morden: Rassismus entgegentreten – immer und überall!

Nazis morden! Im November vor zwei Jahren ist der Öffentlichkeit mit dem Bekanntwerden der Mordserie des sogenannten „NSU“ die rassistische Realität in diesem Land wieder auf brutale Art und Weise vor Augen geführt worden. Was es für Migrant*innen, People of Color und Geflüchtete bedeutet, die Betroffenen von Rassismus zu sein, wurde an dieser Stelle wieder ins Bewusstsein einer sich schon längst in anderen Zeiten wähnenden Gesellschaft geholt: Die von Rassismus Betroffenen sind in diesem Land mit ihrem Leben bedroht! Menschen, die nichts dafür können, werden durch ein gesellschaftliches Vorurteil erst zu den Betroffenen gemacht, werden stigmatisiert, ausgegrenzt und diskriminiert. Bis Manche sich wegen dieser Vorurteile einfach das Recht heraus nehmen, diese Menschen in ihrer Existenz und ihrer körperlichen Unversehrtheit zu bedrohen. Dabei ist uns klar, der fruchtbare Boden, aus dem dieses mörderische Treiben erwächst, sind die rassistischen Zustände.

Diese Zustände, die den sogenannten „NSU“ gesellschaftlich ermöglicht und befördert haben, sind bittere Realität. Mit ihnen anhand ihrer fatalen Konsequenz wieder konfrontiert zu sein, war und ist ein Schock, der Unverständnis und Ungläubigkeit hervorgerufen hat. Besonders auch, weil klar geworden ist, dass der Rechtsstaat, der die Opfer hätte schützen sollen, das in keiner Weise geleistet hat – und wie immer deutlicher wird: er kann die Betroffenen von Rassismus auch gar nicht schützen. Der Verfassungsschutz bezahlt in den Strukturen der Mörder*innen V-Leute und finanziert damit deren Szene mit. Die Polizei begegnet Migrant*innen hauptsächlich als die Instanz, die sie im racial profiling gängelt und Abschiebungen umsetzt. Auch beim sogenannten „NSU“ waren ihre Ermittlungen viel zu lange durch Klischees geleitet, die die Betroffenen auch noch selbst verdächtigt haben. Die rassistischen Zustände, die die Morde ermöglicht haben, ziehen sich auch durch die staatlichen Institutionen.

Zwei Jahre später wäre es aber besonders fatal, das Problem auf die drei bekannt gewordenen Mörder*innen zu beschränken. Mehr als 180 Menschen sind seit 1990 Todesopfer von rechter Gewalt geworden, die Hetze vor Asylunterkünften in Hellersdorf und an anderen Orten erinnert fatal an die Pogrome Anfang der 90er Jahre in Rostock-Lichtenhagen und auch organisierter rechter Terror hat nicht allein mit dem Oktoberfestanschlag in München bereits eine lange Geschichte – ganz zu schweigen von hunderten Menschen, die in Folge einer eiskalten Abschottungspolitik auf der Flucht im Mittelmeer vor Lampedusa ertrinken. Von Rassismus betroffene Menschen stehen dem tagtäglich gegenüber und sind in ihrem Alltag ständig bedroht. Der „NSU“ ist überall!

Auch in Göttingen ist es an der Zeit, diese alltägliche Bedrohung und Betroffenheit durch rechte und rassistische Gewalt sichtbar werden zu lassen. Auch hier standen linke und migrantische Institutionen auf der Liste des „NSU“, 50km von hier wurde in Kassel Halit Yozgat ermordet. Auch hier wurden bei Hausdurchsuchungen 2009 Waffen bei verschiedensten Neo-Nazis gefunden, nachdem der Neo-Nazi Mario Messerschmidt ein Jahr zuvor mit einer Pumpgun in der Table-Dance Bar „Moonlight“ um sich geschossen hatte. Gerade jedoch die alltägliche Bedrohung, die jenseits von großen Skandalen ständig auftritt, ist besonders belastend für die Opfer und Betroffenen. So z.B. als 2008 der Afro-Shop im Ritterplan in Folge einer rechten Brandstiftung ausbrannte oder als ein migrantischer Fahrer von PUK-Minicar 2012 von einem Mann aus der rechtsoffenen Drogenszene in der Ruhstrathöhe arbeitsunfähig geprügelt wurde.

Wir können und wollen nicht länger dabei zusehen, wie unsere Mitbürger*innen, Nachbar*innen, Kolleg*innen und Freund*innen tagtäglich durch diese rassistischen Zustände bedroht werden. Deswegen unterstützen wir die Demonstration „Rassismus bekämpfen – Verfassungsschutz auflösen“. Wir rufen alle Menschen in Göttingen auf, sich an der Demonstration am 29. November 2013 um 19 Uhr auf dem Wilhelmsplatz mit ihren Mitteln zu beteiligen.

Schluss mit dem Morden! Rassismus entgegentreten – immer und überall!

Unterstützer*innen (Stand: 28.11.2013)

Weitere Informationen findet ihr auf der Seite der Grünen Jugend Göttingen.

Anarcho-Syndikalistische Jugend (ASJ) Göttingen
Anti-Atom-Initiative Göttingen
Anti-Atom-Plenum Göttingen
Anatolisches Kulturzentrum Göttingen e.V.
Antifaschistische Linke International A.L.I.
Antifaschistischer Jugend Treff – AJT
Antirassistisches Aktionsplenum (arap) Göttingen
Arbeitskreis Asyl Göttingen
Basisgruppe Germanistik Göttingen
Basisgruppe Geschichte Göttingen
Basisgruppe Medizin Göttingen
Basisgruppe Orientalistik Göttingen
Bündnis 90/Die GRÜNEN, Kreistagsfraktion Göttingen
Bündnis 90/Die GRÜNEN, Kreisverband Göttingen
Bündnis 90/Die GRÜNEN, Stadtverband Göttingen
BUNDjugend Göttingen
Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Göttingen
Die LINKE, Kreistagsfraktion Göttingen
Die LINKE, Kreisverband Göttingen
Die Linke.SDS Göttingen
Dirk Stegemann, Berlin
„Extrem Daneben“ – Bündnis
Fachschaftsrat Philosophie, Uni Göttingen
[FemKo] – Queer_feministische Kooperation
GöLinke Ratsfraktion
Groner BürgerInneninitiative Antifaschismus (Grobian)
Grüne Hilfe e.V.
GRÜNE JUGEND Göttingen
GRÜNE JUGEND Northeim
Grüne Hochschulgruppe Göttingen
Juso-Bezirksverband Göttingen
Juso-Hochschulgruppe Göttingen
Juso-Stadtverband Göttingen
Kampagne “Zusammen handeln! Gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung!”, Berlin
Kuhle Wampe, Motorradclub Göttingen
Kurdistan Solidaritätskomitee Göttingen – Bündnis
Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus DIE LINKE.Niedersachsen
Linksjugend [´solid] Göttingen
Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen
Offene Linke – Alles für Alle (OLAfA)
Piratenpartei, Kreisverband Göttingen
Politkollektiv [p´k] Göttingen
RasenSportGuerilla
Rassismus tötet! Göttingen – Bündnis
Rhythms of Resistance, Samba-Band aus Witzenhausen
Roma Center Göttingen
Rote Hilfe Ortsgruppe Göttingen
Schöner Leben Göttingen
Schüler*innenbündnis Göttingen (SBG)
Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Göttingen
Soli-Bierkollektiv Göttingen
Ver.di-Jugend Göttingen
Ver.di Ortsverein Göttingen
WählerInnengemeinschaft Göttinger Linke
YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan, Bundesverband
YXK, Ortsgruppe Göttingen

Publikation "Raus aus der Schockstarre"

Rassismus bekämpfen, Verfassungsschutz auflösen

Am 04. November 2011 wurde öffentlich was wir – also die bundesdeutsche Antifa-Bewegung – eigentlich hätten schon früher ahnen müssen: über zehn Jahre lang leistete Deutschland durch seine Behörden einer neonazistischen Mördergruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ („NSU“) Beistand bei der Ermordung von hauptsächlich türkischen und einem griechischen Menschen: Habil Kılıç und Theodorus Boulgarides in München, Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar in Nürnberg, Yunus Turgut in Rostock, Halit Yozgat in Kassel, Mehmet Kubaşık in Dortmund, Süleyman Taşköprü in Hamburg und Michele Kiesewetter in Heilbronn. Dies ist nur ein Ausschnitt, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass diese neun Opfer lediglich die Opfer einer einzelnen Mordserie sind – und auch aus dieser Serie nur diejenigen, von denen wir sicher wissen. Insgesamt wurden mindestens 180 Menschen seit 1990 in der BRD von Neonazis ermordet und auch was der sogenannte „NSU“ noch verbrochen hat, lässt sich angesichts vielsagenden Schweigens nicht mit Gewissheit sagen.
Die bekannten MörderInnen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt stammen aus Jena und lernten sich in den 90er Jahren in einem Jugendclubhaus kennen. Die Drei waren seit dieser Zeit in der extrem rechten Szene um den „Thüringer Heimatschutz“ („THS“) herum aktiv, radikalisierten sich Ende der 90er, bis sie am 26. Januar 1998 in den Untergrund abtauchten und über zehn Jahre lang ungestört mordend und bombenlegend durch die BRD zogen. So weit die anerkannte und immer wieder erzählte Geschichte.
Heute, zwei Jahre nach der Aufdeckung des sogenannten „NSU“, schläft die gesellschaftliche Auseinandersetzung langsam aber sicher wieder ein – , dass sich an den politischen oder gesellschaftlichen Bedingungen, die diese brutale Mordserie ermöglicht haben, irgend etwas geändert hätte: der vom Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuss wurde nahezu ergebnislos beendet, der Prozess gegen eine kleine Anzahl von ProtagonistInnen verliert sich in Details statt die strukturellen Hintergründe aufzudecken. Nicht zuletzt erregt der Prozess an sich immer weniger öffentliches Interesse.
Im Land der Täter des deutschen Faschismus, dessen Nachfolgestaat und Gesellschaft so gerne nichts mehr mit den Verbrechen der deutschen Geschichte zu tun haben würden, können immer noch Neonazis ungestört Menschen ermorden, dass ein ernsthaftes Verfolgungs- oder Vereitelungsinteresse besteht. Das rührt tief an das Selbstbewusstsein einer sich als geläutert inszenierenden Nation. Genau dieser Hintergrund ist es, den die bürgerliche deutsche Gesellschaft und Öffentlichkeit, nicht nur beim sogenannten „NSU“, nicht sehen lassen will, welche Brutalität und Gefahr von rassistischer Ideologie und Nazigewalt tagtäglich ausgeht.
Aber auch eine Antifa, die kontinuierlich eben diese Ideologie und die Neonazi-Strukturen angeprangert hat, ist mit der Dimension der „NSU“-Morde anscheinend überfordert. Während die Antifa also erstarrt, üben sich bürgerliche Gesellschaft und Staat in der Inszenierung ihrer Betroffenheit, um das Thema so bald wie möglich wieder zu den Akten legen zu können; oder zumindest im behördlichen Klein-Klein zu verwischen, dass nicht weiter die grundsätzliche Frage der Ursachen und Verhältnisse im besonderen historischen Kontext Deutschlands gestellt wird. „Glauben Sie, es hilft mir, wenn Sie betroffen sind?“ fragte Aysen Taşköprü, die Schwester des in Hamburg ermordeten Süleyman, Bundespräsident Joachim Gauck in einem Brief. Der Umgang der Gesellschaft und des Staates hilft nicht den Opfern, löst nicht das Problem und hilft nicht mal bei einer wirklichen Aufklärung. Er dient einzig dazu, im Land der faschistischen Kontinuitäten weiter möglichst schnell wieder die Augen verschließen zu können. Staat und Gesellschaft sind mit diesen Kontinuitäten bedeutender Teil des Problems.
Die Aufgabe muss es jetzt sein, aus dem Wust an Details über Neonazis und den Verstrickungen staatlicher Behörden, sowie aus einer selbstkritischen Betrachtung der eigenen Schockstarre, eine politische Perspektive und Bewertung vorzunehmen. Zweierlei steht dabei für uns im Fokus: der Alltagsrassismus, der die gesellschaftliche Grundlage dafür bereit stellt, dass es immer wieder zu Morden kommt; und ein Staat, durch dessen Apparat hindurch sich diese Ideologie zieht und in dessen Institutionen aktiv solche Mordtaten befördert werden. Gerade in den Seilschaften des Verfassungsschutzes – aber auch in Innenministerien, Polizei und Justiz – haben sich im Rahmen der Neonazi-Mordserie des „NSU“ zuhauf Fälle von fahrlässigem Gewährenlassens bis hin zu aktiver Unterstützung für die Mörder gezeigt.
Immer noch vertraut die Gesellschaft anscheinend ausgerechnet den staatlichen Behörden in ihrer vorgeblichen Aufklärungsarbeit. Teile der Presse haben in anstrengender Kleinstarbeit viele Fakten zum „NSU“ zusammengetragen und die wohl bisher besten Zusammenfassungen geliefert. Zunehmend unterliegt die Berichterstattung allerdings wieder den regulären journalistischen Begebenheiten. Über den Prozess wird noch berichtet, häufig genug aber nur als Human Interest Story. Die Hintergründe und Widersprüche im staatlichen Umgang mit dem „NSU“ werden fast nur noch von den üblichen Verdächtigen tiefergehend thematisiert. Spätestens jetzt, da der gesellschaftliche Diskurs im Sand zu verlaufen droht, ist es unsere Aufgabe einzugreifen und dem Thema wieder die Relevanz zu verschaffen die es verdient und benötigt.
Unser Ziel ist dabei nicht, eine weitere Chronik von Neonazis, „NSU“ und fehlender Aufklärung zu erstellen. Das haben Andere bereits gut und ausführlich getan. Vielmehr wollen wir das Thema aus antifaschistischer Perspektive neu beleben. Die Frage eröffnen, an welchen Punkten und wieso die Antifa beim Thema „NSU“ versagt hat und andeuten, welche Schlussfolgerungen an unsere Positionierung wir aus dieser konkreten Reflexion für die Zukunft ableiten müssen.

Kontinuität rechter Gewalt in Deutschland
Nachdem im November 2011 dieser Skandal in seiner Einzigartigkeit geradezu beschworen wurde, normalisiert sich das Empörungsniveau nun wieder. Kurz wird über ein NPD-Verbot gesprochen, nur um zu realisieren, dass der VS, gedeckt durch die Innenministerien, seine V-Leute nicht abziehen will. Ebenso kurz ist die Erschütterung über einen Staat, der Opfer rechter Gewalt nicht schützt und seine Sicherheitsversprechen in keinster Weise einlöst. Der Großteil der Menschen geht einfach davon aus, dass es sich um einen Einzelfall handele, dass die Verantwortlichen jetzt tot oder im Gefängnis sind und sich so etwas nicht wiederholen werde. Schlimmer noch, die Beihelfer und Mittäter in den Behörden bleiben nicht nur in Amt und Würden, sondern werden als Dank mit mehr geheimdienstlichen Kompetenzen ausgestattet. Dass in diesem Zuge ein weiterer Baustein gelegt wird, in der de-facto Auflösung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten – immerhin eine Lehre aus dem deutschen Faschismus – ist das zynische Überbleibsel des Reformversprechens.
Ein Blick in die Vergangenheit lässt hin keinen Platz für solche Illusionen. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine Geschichte kontinuierlicher, rechter Gewalt und wiederholter neonazistischer Angriffe, die durch staatliches Handeln immer wieder beflügelt wurden. Rassistische Gesellschaft und Staat ergänzten sich dabei immer wieder auf fatale Art und Weise, spielten sich den Ball gegenseitig zu und reproduzieren und interagieren mit der reaktionären, rechten Grundstimmung. Seit der Gründung der BRD traten immer wieder organisierte und gewaltbereite Nazi- und Neonazigruppen in unterschiedlichsten Erscheinungsformen hervor. Oft pflegten sie enge Kontakte zum Verfassungsschutz, der Polizei und Politik und wurden von diesen geschützt und aktiv unterstützt. Als direkte Blaupause aus dem deutschen Faschismus für derart bewaffnet agierende Neonazis kann das „Werwolf“-Konzept gelten, bei dem Alt-Nazis den Zweiten Weltkrieg auch nach der militärischen Niederlage noch als Untergrundkampf weiterführen wollten. Spätere gewalttätige Neonazi-Organisationen haben sich auf dieses Konzept als Vorbild-Mythos bezogen.  
In diese Kontinuität reiht sich unter anderem die sogenannte „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Das Münchener Oktoberfestattentat im September 1980, bei dem 13 Menschen starben und über 200 Menschen teilweise schwer verletzt wurden, wurde von mindestens einem Mitglied dieser „Wehrsportgruppe“ durchgeführt. Doch auch damals wurde von Polizei und Staatsanwaltschaft eine vermeintliche Einzeltäterschaft herbeigeredet. Die Tat sollte alleinig von dem Neonazi Gundolf Köhler geplant und durchgeführt worden sein. Köhler war zuvor in der „WSG Hoffmann“ aktiv gewesen und verwendete beim Anschlag militärischen Sprengstoff. Mehrere Zeugenaussagen wiesen auf Mittäter hin. Ermittelt und verurteilt wurde Köhler jedoch als psychisch gestörter Einzeltäter.
Neonazi-Organisationen wie die Wehrsportgruppen oder der „NSU“ können sich in ihrem Handeln, vor dem Hintergrund eines nationalistischen und rassistischen Konsenses, als Vollstrecker einer schweigenden Mehrheit fühlen. Wichtige Elemente der Operation „Gladio“ wurden in Diskussionen von der militanten und international vernetzten Neonaziszene konzeptionell übernommen: führerloser Widerstand, Kleinstzellen, keine Bekennerschreiben. So wie der „NSU“ agiert hat, ist es vorher detailliert in Handreichungen von „Combat 18“ beschrieben worden. „Combat 18“ ist der militante und gewaltbereite Arm des internationalen Neonazinetzwerks „Blood&Honour“.
Wenn aber fortdauernd vertuscht wird, Beteiligte nicht zur Verantwortung gezogen werden, dann ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich diese Strukturen verselbstständigen – die Ideologie, die notwendige Ausbildung und die Waffen sind bereits vorhanden. Dass Neonazis wie z.B. 1998 in Celle ganze Lager von Kriegswaffen mit Gewehren, Granaten, Minen und tausenden Schuss Munition horteten, schien dabei keine großen Sorgen zu bereiten. Warnungen vor einem bewaffneten, rechten Untergrund ergaben sich in den Verfassungsschutzberichten der Folgejahre jedenfalls nie.
Die Gewalt der Neonazis wirkt auch in die Mehrheitsgesellschaft hinein, statt lediglich durch sie legitimiert zu werden. Anfang der 1990er Jahre spitzte sich nach der nationalistisch abgefeierten „Wiedervereinigung“ die rassistische Stimmung anhand des Asyldiskurses zu. Dieser Diskurs war zielgerichtet von politischen Strategen in der CDU eingeleitet worden. Schon nach kurzer Zeit spitzte sich die Situation soweit zu, dass es immer wieder zu pogromartigen Angriffen auf die Unterkünfte von geflüchteten Menschen kam. Die parlamentarische Politik befeuerte diese Stimmung durch ihre „Das Boot ist voll“-Rhetorik.
Bei den Pogromen entlud sich aber nicht einfach ungeplant aufgestauter, dumpfer Hass. Neonazis sahen in dieser Stimmung ihre Chance gekommen und befeuerten und organisierten die Angriffe. In Rostock-Lichtenhagen verteilten 1992 organisierte Neonazis tagelang vor den Ausschreitungen und den Angriffen Flugblätter. Während der Angriffe schafften sie Steine und Brandsätze heran. Der rassistische Normalzustand der Gesellschaft und ihre Neonazis griffen hier wie geschmierte Zahnräder ineinander. Der Staat wiedrum stand mit seiner Polizei daneben und ließ alles geschehen.
Staat, Nazis und rassistische Mehrheitsgesellschaft schufen Hand in Hand das Asylrecht in Deutschland ab.
In letzter Zeit deutet sich eine ähnliche Konstellation in Berlin-Hellersdorf und an vielen anderen Stellen erneut an.

Der VerfassuNgsSchUtz - Wegbereiter und Gehilfe
Wie bereits erwähnt gehen wir davon aus, dass im Wegschauen der staatlichen Behörden Methode und Absicht, kein Versagen, liegt. 2004 kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer internen Broschüre  unter dem Titel „Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklungen von 1997 bis 2004“ zu dem Ergebnis: „Insgesamt sind derzeit in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen erkennbar.“ Unter den Fällen, die in dieser Broschüre analysiert werden, ist auch der Rohrbombenfund in Jena, gelegt von eben jenem Kerntrio aus Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, die zu diesem Zeitpunkt bereits als „Nationalsozialistischer Untergrund“ sechs Menschen ermordet hatten. Regelmäßige Waffenfunde bei Razzien, das Untertauchen gesuchter Neonazis, mehrere Bombenanschläge in deutschen Innenstädten, sechs Tote, die mit gleicher Waffe erschossen wurden und kein Anhaltspunkt für „rechtsterroristische Aktivitäten“ für den Verfassungsschutz!
Dass die Rolle der verschiedenen Geheimdienste, insbesondere der verschiedenen Verfassungsschutzämter und ihrer V-Leute, nicht vollständig an die Öffentlichkeit gerät, dafür haben die Behörden durch das Schreddern von vielen tausenden Akten direkt nach dem Bekanntwerden des mörderischen Treibens gesorgt. Trotzdem kann bereits, durch die Fakten, die öffentlich bekannt sind, klar gesagt werden, dass Institutionen wie der Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt und der Militärische Abschirmdienst mindesten 25 V-Leute in und um den „NSU“ herum hatten und so zumindest auf einen Teil der Geschehnisse unmittelbaren Einfluss ausüben konnten. Der „Thüringer Heimatschutz“, aus dem heraus sich der „NSU“ entwickelte, war durchsetzt mit V-Leuten – bis hin zum Anführer des „THS“, Tino Brandt, der jahrelang vom Verfassungsschutz bezahlt wurde.
Klärend muss hier gesagt werden, dass V-Leute eben keine Verfassungsschützer in der Neonaziszene sind, sondern Neonazis, die vorgeben für den Verfassungschutz zu arbeiten. Doch ist bei dieser dichten Informationstruktur, die die Geheimdienste in und um den „NSU“ aufgebaut haben und die abtauchen und das Leben im Untergrund von Beginn an begleiteten, eine Unwissenheit über Morde und Anschläge des Kerntrios nahezu unvorstellbar. So halfen V-Leute bei der Flucht und der Suche nach Unterkünften und verhalfen zu neuen Ausweispapieren und Geld.
Die Selbstbezeichnung „Untergrund“ ist vor diesem Hintergrund fast schon euphemistisch; Fakt ist, dass selbst wer den Lügen des VS noch gewillt ist Glauben zu schenken, nicht um die Tatsache herum kommt, dass das System V-Leute rechte Strukturen finanziert und nicht bekämpft.
Dass der Verfassungsschutz von Beginn seiner Gründung an als Instrument im antikommunistischen Abwehrkampf der westlichen Blockmächte in Westdeutschland fungiert hat, ist für Linke eine Binsenweisheit. So besetzten bis in die 1970er Jahre ehmalige SS- und Gestapo-Mitarbeiter führende Positionen des Inlandgeheimdienstes. Denn wer konnte die neu ausgerufene „wehrhafte Demokratie“ schon besser vor der im Osten lauernden Sowjetunion verteidigen, als die, die dies schon vorher an der sogenannte Ostfront getan hatten. Hierdurch wird ein Betriebsklima ausgebildet, das bis heute an alle neuen Verfassungsschützer vererbt wird. Das führt zu Intressensverschiebung zwischen gedachter und realer Funktion des VS. Denn so steht der Verfassungsschutz in einer grundlegend antikommunistischen Tradition, bei der der Feind immer im linken und antifaschistischen Lager zu finden ist. Dies zeigt sich besonders in der systematischen Diskreditierung antifaschistischer Bewegungen, Zeitschriften und Archive, migrantischer Organisationen – umso mehr wenn diese eine allgemeine, emanzipatorische Politik verfolgen – sowie soziokultureller und autonomer Jugendzentren, durch die verschiedenen Landesämter für Verfassungsschutz.
Auch findet sich in allen Ämtern des Verfassungsschutzes und anderer Geheimdienste ein Muster, Waffenfunde, bewaffnete Aktionen und Strukturen der Neonazis schlichtweg kleinzureden oder zu leugnen, bei Linksradikalen hingegen schon bei der Verwendung von Wasserpistolen in Heiligendamm Säureattentate zu erfinden.

Der Job, den die Antifa zu erledigen hätte
Antifaschistische Strukturen weisen auf diese Missstände in den Behörden und die ernstzunehmende Gefahr und Brutalität der Neonazis seit Jahrzehnten hin. Immer wieder haben wir betont, dass Waffenfunde bei Neonazis nicht nur vereinzelte Zufälle sind, sondern dass dahinter organisierte Strukturen stecken und Neonazis nicht einfach so Waffen horten, sondern diese auch einsetzen wollen und werden. Häufig genug haben wir über rassistische Motive für Angriffe und Morde aufgeklärt, während staatliche Organe keine politischen Hintergründe ausmachen wollten. Nicht nur, aber auch dafür, dass wir hierbei ein strukturelles Versagen des politischen Systems der BRD erkennen, werden wir teilweise belächelt und ignoriert, teilweise angegriffen und mit Repression überzogen. So erschreckend wie dieser Zustand ist, so sehr haben wir uns in ihm eingerichtet, uns mit der konkreten Situation arrangiert; die Antifa-Bewegung vertraut verbreiteten Rechercheinformationen, outet lokale Neonazis und ihre Strukturen, stellt sich in den Weg wenn sie aufmarschieren wollen, etabliert eine Gegenkultur, zeigt strukturelle Hintergründe wie Alltagsrassismus auf und versucht Erkenntnisse und Sichtweisen zu vermitteln, auch um politische Wirkungsmacht zu erlangen.
Aber auch wir haben über zehn Jahre lang nicht die konkrete Mordserie des „NSU“ als solche gesehen. Auch dann nicht, als migrantische Communities längst Alarm schlugen. Wir haben keinen Einspruch gegen die unsäglichen, medialen Begriffe „Döner-Mord“ und „Sonderkommission Bosporus“ erhoben, ihre Verwendung entsprach den Erwartungen, die wir an Polizei und Gesellschaft haben, wir sind trotz allen kritischen Denkens an den hegemonialen rassistischen Diskurs gewöhnt.
Nicht zufällig wählen wir als Ausgangspunkt unserer Politik einen antifaschistischen Ansatz, denn im Land der Täter zu leben schafft – auch 68 Jahre nach dem militärischen Sieg über den deutschen Faschismus – ein besonderes Vorzeichen für das Handeln einer radikalen Linken. Aber die Perspektive, die wir damit wählen ist häufig eine deutsche Perspektive. Die Betroffenen von Rassismus, die hier lebenden, internationalen Communities und die seit Generationen als „Fremde“ stigmatisierten, erleben die rassistische Grundstimmung vor einem anderen, unmittelbaren Hintergrund: sie merken durch eigene Betroffenheit den Hass und die Feindseligkeit, die ihnen durch die rassistische Grundhaltung in dieser Gesellschaft alltäglich entgegen gebracht wird. Diese alltägliche Erfahrungswelt kann von der mehrheitlich weißen, deutschen Antifa nicht nachvollzogen sondern nur von außen versucht werden, sie zu analysieren.
Diese Sichtweise von Außen führt allerdings zu einer anderen Herangehensweise an die politische Dimension rassistischer Angriffe. Neben der StellvertreterInnenpolitik wird selbstverständlich ein aktiver, internationalistischer Bezug aufgebaut und auch versucht sich mit Betroffenen in Deutschland auszutauschen und im besten Falle eine gemeinsame Politik zu gestalten. Dabei sind wir aber nicht unvoreingenommen: wir beziehen uns maßgeblich wenn nicht sogar ausschließlich auf emanzipatorische Kräfte, sowohl international als auch innerhalb der deutschen migrantischen Communities. Mit diesem kleinen Ausschnitt an Betroffenen stehen wir dann vielleicht kurzfristig in engem Kontakt für die jeweilige Kampagne oder Demo, aber seltenst in einem langfristigem Austausch und Vertrauensverhältnis.
Gleichzeitig teilen wir die miteinander verknüpften Kampffelder innerhalb der radikalen Linken auf, dass es zu einem ausreichenden Austausch sowohl von harten Informationen als auch von unterschiedlichen Analysen der politischen Situation kommt. Hier die Antifa, die Nazis haut, dort die Recherchegruppen die Informationen zusammenstellen und zwischen drin die Antira, die den engen und langfristigen Kontakt mit Betroffenen pflegt.
Auf lokaler Ebene und auch bei zeitlich und räumlich begrenzten, bundesweiten Ereignissen, bei denen wir problemlos auf unser übliches politisches Handwerkszeug zurückgreifen können, scheint dieser Ansatz bisher ausreichend, wenn auch nicht zufriedenstellend. Zumal auch bei einem besseren Austausch wohl nicht davon ausgegangen werden kann, in direkter Konfrontation mit dem VS, den „NSU“ in seiner Form erkannt haben zu können.
Die beängstigende Vermutung, dass hinter anderen Anschlägen, die wir immer als Einzeltaten betrachtet haben, andere, langjährig aktive Neonazi-Zellen stecken, möchte die Antifa  – nicht zuletzt auf Grund mangelnder Rechercheerkenntnisse – auch heute nicht aussprechen. Vielleicht sollten wir uns mehr trauen, bei immer wieder ähnlichen Handlungsabläufen auch öffentlich auf die Möglichkeit von langfristig organisierten Neonazis, die aus dem Untergrund oder als Feierabendtäter agieren, hinzuweisen, selbst wenn es erst mal nur als langer Wurf erscheint.
Für uns noch ernüchternder ist aber, dass nach der Selbstenttarnung des „NSU“ nahezu einheitliche Schockstarre in der Antifa herrschte; wir fühlten uns in unserer Sichtweise auf Geheimdienste, Polizei und Politik bestätigt, waren vielleicht auch überrascht oder verängstigt ob der Dimension und des zeitlichen Ausmaßes des „NSU“, vermuteten wahrscheinlich sofort, dass gleich wieder die Lügen, Beschwichtigungen und Vertuschungsversuche der Verantwortlichen kommen würden und unser übliches politisches Handwerkszeug wie Demos, Veranstaltungen und Flyer ließ uns im Stich.
Dabei wäre dies genau der richtige Zeitpunkt gewesen, an die Öffentlichkeit zu gehen, Forderungen zu erheben und nicht locker zu lassen, politischen Druck auf alle unsere BündnispartnerInnen aufzubauen und in dem Falle, dass dies nicht nützt, den Forderungen durch militantes Einschreiten die nötige Drohkulisse zu verschaffen.
Mit der ersten Aktenvernichtung hätten wir die VS-Behörden belagern und ausräumen müssen, letzendlich die gleichen Bilder produzieren wie bei der Stürmung der Stasi-Zentrale, eine internationale Untersuchungskommission hätte eingesetzt werden müssen, damit deutsche Behörden nicht so leicht vertuschen können. Wir hätten auch auf bundesweiter Ebene eine Stimme haben müssen, die auf Augenhöhe im öffentlichen Diskurs mithalten kann, statt aus vielen Städten vereinzelte kleine Aufschreie zu hören, die im medialen Gewitter doch wieder untergehen.
Die gemeinsame Arbeit mit Betroffenen bzw. ihren Hinterbliebenen wäre in diesem Moment nicht nur auf unmittelbarer, individueller Ebene richtig, sondern hätte auch moralisches Gewicht mit sich gebracht.
Neben der absolut richtigen Forderung nach Auflösung des VS hätte die sofortige Einstellung aller Zahlungen an V-Leute zumindest eine realpolitisch umsetzbare Forderung sein können.
Wir haben aber zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht einmal vollständig erkannt, dass in diesem konkreten Fall weniger die Neonazis als die sie unterstützenden Behörden unsere Angriffsfläche sein mussten.
Die Tatsache, dass wir hiermit nicht alleine stehen, sondern auch Opferstellen, die Antira-Bewegung, bürgerliche Bündnisse und Ähnliche nicht in der Lage waren, den  „NSU“ zu erkennen oder angemessen auf diesen zu reagieren, zeugt von einer grundsätzlichen und strukturellen Problematik. Weder die rein akademische Selbstreflektion noch das Abschütteln von Kritik durch Hinweis auf eigene Leistungen können hier einen einfachen Ausweg bieten.
Langfristig müssen wir unser politisches Handwerkszeug dahingehend erweitern, Handlungsoptionen abseits der eingetretenen Pfade zu erhalten. Der direkte Austausch mit Betroffenen muss intensiviert und eine gemeinsame Politik entwickelt werden, auch mit Menschen die uns anderweitig politisch nicht bereits nahestehen, oder die nicht gerade um die Ecke wn. Ein Austausch muss nicht nur zwischen den unterschiedlichen Politikfeldern der Linksradikalen stärker und organisierter angegangen werden, sondern auch bundesweit unter verschiedenen Gruppen. Nur so kann letztendlich aus unzusammenhängenden Rechercheergebnissen und lokalen Ereignissen eine gemeinsame Analyse entstehen. Auch wenn dies selbstverständlich nicht automatisch dazu führt, dass Untergrund-Neonazis als solche erkannt werden können, bietet dieser Austausch letztendlich die Grundlage, um mit einer gemeinsamen Stimme im öffentlichen Diskurs zumindest punktuell Wirkungsmacht zu entfalten.
Nicht zuletzt ist es nötig, grundlegende Pläne für politische Handlungsoptionen zu entwickeln, die es uns erlauben, auf zeitlich unerwartete Ereignisse reagieren zu können.
Abseits vom „NSU“ kann in der aktuellen Lage wohl mit Fug und Recht behauptet werden, dass die deutsche Gesellschaft gerade auf eine Situation wie 1991 oder 2000 zusteuert, in der Flüchtlingsheime angegriffen werden und der Bürgermob noch am Abend davor „Wir sind das Volk“ skandiert. Gibt es erste Tote, werden eine breite gesellschaftliche Empörung gepaart mit klammheimlicher Freude wieder die einzig wahrnehmbare Reaktion sein.

Wir sind in der Verantwortung, ob direkt oder durch politische BündnispartnerInnen, diesen Konflikt offensiv anzugehen. Nicht noch einmal sollten wir der Staats-Antifa mit ihrem verlogenen „Aufstand der Anständigen“ und „lückenlosen Aufklärung“, das Feld der Empörung  überlassen.


Der Rassismus dieser Gesellschaft legt den Mördern die Waffe in die Hand
Das Problem entsteht nicht erst da, wo längst ideologisch gefestigte Neonazis sich entscheiden, paramilitärisch zu agieren, sich zu bewaffnen und ihr Welt- und Menschenbild durch Mord und Verfolgung umzusetzen. Was bei der Antifa die Blindheit der eigenen Perspektive ist, ist in der deutschen Gesellschaft eine rassistische Macht- und Deutungsstruktur, die nicht nur blind macht, sondern die Unterdrückung, Diskriminierung und Verachtung gegenüber MigrantInnen und von Rassismus betroffenen Menschen erst hervor bringt.
Die Norm, die diese Ideologie herstellt, suggeriert immer noch, dass die deutsche Gesellschaft eine weiße wäre und sogar eine weiße sein sollte. Wo „deutsch“ gesagt wird, wird immer noch „weiß“ gedacht. Alles, was nicht „weiß“ ist, wird damit gleichzeitig als nicht dazugehörig hingestellt.
Das alleine schon liefert die Grundlage für einen rassistischen Nährboden, auf dem Sarrazin wieder behaupten kann, dass es „biologische“ Unterschiede zwischen „Rassen“ geben würde; oder auf dem Menschen, die auf der Flucht hierher kommen, von den Ausländerbehörden drangsaliert werden, mit dem Ziel, sie zu einer „freiwilligen“ Ausreise zu bewegen; er ist die Grundlage dafür, dass ein Mob von frustrierten Deutschen überhaupt auf die Idee kommen kann, dass an sozialen und gesellschaftlichen Missständen „die Anderen“ schuld sein sollen, die sie dann z.B. in Rostock-Lichtenhagen als Projektionsfläche ihres Hasses missbrauchen. Rassistische Ideologie in der Gesellschaft und die Abschottung des Nationalstaates, der bürgerliche Rechte verteilt und diejenigen, denen er sie nicht zukommen lässt abschiebt, gehen dabei Hand in Hand und bestärken sich gegenseitig.
Wo eine solche Norm das Fundament der Gesellschaftsstruktur bildet, da fällt die Wertung des sozialen Geschehens dann auch dementsprechend aus: rassistisch motivierte Gewalt wird nicht oder kaum benannt. Auch wenn Fälle noch so offensichtlich sind, versucht die Polizei fast immer zu betonen, dass sie rassistische oder „rechtsextreme“ Tatmotive nicht erkennen könne. Rassistische Gewalt wird als solche nicht erkannt und benannt. Teils weil sie der Norm entspricht, teils weil rassistisch motivierte Taten politisch unerwünscht sind und sich Behörden vorauseilend daran halten, teils weil Neonazis ausnahmsweise geschickt und heimlich vorgehen, teils weil im öffentlichen Bild der provozierende, junge Migrant eine viel deutlichere Stellung hat, als der Neonazi von nebenan.
Kein Wunder also, wenn sich aus so einer Stimmung heraus überzeugte Rassisten dazu beflügelt sehen, ihre menschenverachtenden Wahnvorstellungen auch mit der Waffe in der Hand umzusetzen.  Eine Auswirkung der Verbindung zwischen staatlich-ideologischem Apparat und rassistischem Gewaltsystem ist dabei, dass rechte Brutalität in dieser Gesellschaft, auch durch die Deutungshoheit staatlicher Institutionen, unsichtbar gemacht wird. Jahrelang hat der „NSU“ Menschen ermordet, dass es in der Öffentlichkeit oder im gesellschaftlichen Bewusstsein irgendeine Aufmerksamkeit erregt hätte. Es störte einfach niemanden, dass reihenweise Migranten umgebracht wurden, solange man nicht wusste, dass die Täter Neonazis waren. Wer weiß, wie die gleiche Mordserie wahrgenommen worden wäre, wenn die Opfer deutsch gewesen wären. Genau an dieser Stelle reicht das Problem aber weiter: ebenso wie die staatlichen Ermittlungsbehörden bei neun Morden an MigrantInnen auf deren Communities gezeigt und in der Öffentlichkeit dafür Gehör gefunden haben, deuten bürgerliche Öffentlichkeit und rassistischer Staat im gesellschaftlichen Diskurs Angriffe auf MigrantInnen und Diskriminierte immer wieder als unbedeutendes Alltagsgeschehen.
Der „NSU“ ist bewusst unsichtbar geblieben, auch um lediglich diffus mit seinen Taten eine Stimmung der Angst und Verunsicherung unter MigrantInnen zu verbreiten. Den gleichen Effekt haben die alltäglichen Gewalttätigkeiten, unter denen MigrantInnen leiden müsse und die auch vom staatlichen Deutungsmonopol und dessen unkritischer Rezeption einer rassistisch strukturierten Öffentlichkeit unsichtbar gemacht werden. Für die Betroffenen aber ist diese Gewalt allgegenwärtig. Wie viele Opfer der „NSU“ oder ihm verwandte, rechte Gewalt tatsächlich gekostet hat, lässt sich vor diesem Hintergrund ihrer Unsichtbarkeit nicht einmal sagen.

Es liegt an uns – Rassismus bekämpfen! Antifaschismus organisieren!
Die Mordserie des „NSU“ ist für die antifaschistische Bewegung ein schmerzhaftes, mahnendes Signal. Antifaschistische Politik muss da ansetzen, wo die Betroffenen rassistischer Gewalt alleine gelassen werden. Die Verbindung von antifaschistischer und antirassistischer Politik, wie sie vielerorts schon begonnen wurde, muss weiter vorangetrieben werden und darf nicht als getrennte Politik- und Kampffelder behandelt werden.

Während Teile der antifaschistischen Bewegung noch in einer Art Schock über die eigene Handlungsunfähigkeit verharren, drohen sich in verschiedenen Bundesländern die rassistischen Anfeindungen gegen Flüchtlingsunterkünfte oder migrantische Einrichtungen zu einem Flächenbrand zu entwickeln. Parallel und in Wechselwirkung zur Wirtschafts-Krise und dem hin vonstatten gehenden Ausbau der Festung Europa gewinnt damit ein rassistischer Diskurs an Bedeutung der uns in kurzer Zeit in eine ähnliche Situation bringen wird, wie Anfang der 90er Jahre. Gebrannt hat es in den letzten zwei Monaten bereits mindestens sieben mal.
In den Metropolen sind wir als Bewegung noch ausreichend aufgestellt um eine Gegenöffentlichkeit zu organisieren, zugegebenermaßen sind wir aber kaum in der Lage, als eine Art Alternativpolizei einen täglichen Schutz für alle bedrohten Heime zu stellen. Lösungsansätze müssen also sowohl versuchen breiter anzusetzen und dennoch das Ziel haben, das nächste Pogrom zu verhindern bevor es geschieht. Es ist jetzt an uns, die Vorzeichen des gesellschaftlichen Rollbacks zu erkennen, zu benennen und zu intervenieren.

Antifaschistische Linke International A.L.I.

November 2013


Termine

25. November 2013 | Göttingen

Veranstaltung mit Wolf Wetzel "Der NSU-VS-Komplex"

Roter Buchladen

Veranstaltungsbericht findet ihr hier.

 


 

29. November 2013 | Göttingen

Demonstration "Rassismus bekämpfen - Verfassungschutz auflösen!"

19 Uhr | Wilhelmsplatz

Bericht und Bilder findet ihr hier.

 



30. November 2013 | Göttingen

Soli-Konzert mit RSO (Schurkenska aus Göttingen) und Brain Surgeons, O.C.M.

Beginn: 22 Uhr | Einlass ab 21 Uhr | Stilbrvch im Uni VG | Campus Göttingen

Konzertbericht und -bilder findet ihr hier.




4. Dezember 2013 | Göttingen

Theaterstück "V wie Verfassungschutz" (nö theater aus Köln)

Junges Theater | Hospitalstr. 6

Einlass 19 Uhr | Beginn 19.30 Uhr

Kartenvorverkauf: Junges Theater | Roter Buchladen

Mehr Infos www.ali.antifa.de


Material

Wir senden Euch unsere ausführliche Publikation "Raus aus der Schockstarre! Rassismus bekämpfen - Verfassungsschutz auflösen!" gerne als Printversion zu. Bestellungen bitte an ali (at) inventati.org. Einen pgp-Key stellen wir auf Anfrage zur Verfügung.

 

Einen Jingel für die Demo gibt es hier Web-Banner hier und das Mobivideo hier.

 


Medienberichte


Stadtradio, 06.11.2013

StadtRadio-Redakteur gewinnt vor Gericht gegen Verfassungsschutz

Der Niedersächsische Verfassungsschutz muss Daten löschen, die er seit Ende der 1990er Jahre über StadtRadio-Redakteur Kai Budler gesammelt hat. Das entschied heute das Verwaltungsgericht Göttingen. Der Verfassungsschutz hatte unter anderem mehrere Anwesenheiten bei Demonstrationen und Budlers Tätigkeit beim StadtRadio dokumentiert. Laut dem Verwaltungsgericht handelt es sich dabei nicht um verfassungsfeindliche Bestrebungen, weshalb die Daten jetzt gelöscht werden müssen. Budler hatte mit der Klage auch erreichen wollen, dass weitere geheime Daten über ihn beim Verfassungsschutz gelöscht werden müssen. Das lehnte das Gericht ab. Gegen das Urteil ist keine Berufung möglich.

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Götinger Tageblatt, 06.11.2013

Verfassungsschutz-Datei rechtswidrig
Göttinger Verwaltungsgericht: Verfassungsschutz muss Daten löschen

Gemischten Erfolg hat der Göttinger Radio-Journalist Kai Budler am Mittwoch in zwei Klagen vor dem Verwaltungsgericht gehabt. Zwar gab das Gericht einer Klage gegen einen großen Teil der beim Niedersächsischen Verfassungsschutz gespeicherten Erkenntnisse über ihn statt. Demnach muss der Verfassungsschutz diesen Teil löschen, seine Speicherung war rechtswidrig. In einer zweiten Klage gegen die Polizeidirektion aber unterlag Budler.

Göttingen. Seit 1997, so wurde in den beiden Verfahren deutlich, speichern die Polizei und in der Folge auch der Verfassungsschutz Erkenntnisse über den beim Stadtradio arbeitenden freien Journalisten. Unter anderem war gespeichert worden, dass der heute 45-Jährige bei zahlreichen Demonstrationen anwesend war. Das werteten die Behörde als Teilnahme; Budler hingegen sagt, er habe die Demos als Journalist verfolgt. In der Klage gegen die Speicherung beim Geheimdienst hatte es ein geheimes Vorverfahren gegeben, in dem Oberverwaltungsgericht und Bundesverwaltungsgericht jeweils darauf erkannt hatten, dass der Verfassungsschutz einen Teil der Erkenntnissse nicht mitteilen müsse, weil diese von nicht zu offenbarenden Quellen (etwa V-Leute) stammten.

Teilweise rechtswidrige Datenspeicherung
Die Speicherung der anderen, der offenen und Budler bereits mitgeteilten Daten, war aber rechtswidrig, urteilte jetzt das Gericht. Darunter die Erkenntnis, dass 1997 bereits wegen der Anschläge gegen das Arbeitsamt, gegen das Amtsgericht und eine Baufirma auch gegen Budler ermittelt wurde. Das Verfahren war damals eingestellt worden. Dass Budler damals bei der linken Göttinger Drucksache arbeitete und beim Stadtradio tätig ist, in dem auch Sendungen der autonomen Antifa im Rahmen des Bürgerradios gesendet wurden, reichte aus, Budlers Datei 16 Jahre lang immer weiter zu füllen. Das, so das Verwaltungsgericht, war rechtswidrig. Es gebe keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die den Verdacht einer verfassungswidrigen Einstellung des Beobachteten rechtfertigten. Was in den nicht offenbarten Informationen über den Journalisten steht, dürfe dabei keine Rolle spielen.

Klage gegen die Polizeidirektion
Der gegen die geheimen Inhalte gerichtete Teil der Klage wurde abgewiesen. Hier sei die Klage unzulässig, weil Budler nicht sagen kann, wogegen er sich wendet – man gibt ihm den Inhalt nicht bekannt. Ebenfalls abgewiesen wurde Budlers Klage gegen die Polizeidirektion. Der warfen er und Anwalt Sven Adam vor, rechtswidrig unvollständige Auskunft über die über seine Person geführte Akte gegeben zu haben. Das Gericht stellte fest, die Auskunft – dass alle Erkenntnisse gelöscht seien – sei vollständig gewesen. Der Eintrag in die polizeiliche Datei Nivadis sei zudem rechtens gewesen, weil darin auch bereits eingestellte einstige Ermittlungsverfahren gespeichert werden dürfen.

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NDR Info, 06.11.2013

Journalistendaten müssen gelöscht werden

Der Radiomoderator Kai Budler sitzt im Studio des Stadtradios Göttingen. © NDR Online Fotograf: Michael Lindenau Detailansicht des Bildes Ist der Journalist Kai Budler ein Extremist, der vom Staat beobachtet werden muss? Definitiv nicht, urteilte nun ein Göttinger Gericht. (Archiv) Mit den Augen des niedersächsischen Verfassungsschutzes betrachtet, muss es sich bei dem Göttinger Journalisten Kai Budler um einen gefährlichen Extremisten handeln: An Demonstrationen gegen Atomkraft habe er teilgenommen, an Veranstaltungen gegen Rechtsextremisten, sein "Stadtradio" habe eine Sendung mit einem Schleyer-Attentäter gesendet, eine Hausdurchsuchung Ende der 90er-Jahre habe eine Präzisionsschleuder und Stahlmuttern zutage gefördert. Außerdem habe man Stoffe gefunden, die möglicherweise für Brandanschläge geeignet gewesen wären.

Verwaltungsgericht sieht keine Hinweise auf Extremismus
Mit den Augen des Göttinger Verwaltungsgerichts betrachtet, stellt sich die Sache ganz anders dar: "Die Teilnahme an Demonstrationen bietet überhaupt keinen Hinweis auf eine extremistische Einstellung", fegte der Vorsitzende Richter der ersten Kammer in seiner mündlichen Urteilsbegründung die Argumente des Nachrichtendienstes vom Tisch. Die angeblichen Straftaten, die man Budler zur Last gelegt hatte, waren keine: Alle Verfahren waren wegen erwiesener Unschuld eingestellt worden. Auf die umstrittene Sendung mit dem RAF-Mann hatte Budler keinen Einfluss und das Argument, man habe bei ihm "Rohstoffe für einen Brandanschlag" gefunden, entkräftete Budler selbst: Es handelte sich um Streichhölzer und Gefriertüten. Manch ein Zuschauer im bis zum letzten Platz gefüllten Gerichtssaal konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, auch wenn es einen bitteren Beigeschmack hatte. Erstaunen über Arbeitsweise des Verfassungsschutzes. Denn in der knapp 70-minütigen Verhandlung lieferten die Prozessvertreter des Nachrichtendienstes Innenansichten über die Art und Weise, wie Menschen als angebliche Extremisten ins Visier der Sicherheitsbehörde kommen konnten. Offenbar musste an mancher Stelle selbst der Vorsitzende Richter staunen. "Wieso soll die Tätigkeit beim 'Stadtradio' eine Verfassungsfeindlichkeit begründen?", "Wieso kann die Teilnahme an einer Anti-NPD-Demonstration einen Extremismus-Verdacht rechtfertigen?", "Was hat die Teilnahme an Anti-Castor-Veranstaltungen mit Verfassungsfeindlichkeit zu tun?", wollte das Gericht von den Verfassungsschützern wissen. "Da haben Sie bisher nicht viel geliefert", so der Richter.

Behörde stützt sich auf "tatsächliche Anhaltspunkte"
Die Antworten - aus Sicht des Gerichts waren sie offenkundig ungenügend. So stützten die Vertreter des Nachrichtendienstes die Beobachtung von Kai Budler unter anderem auf eine Art Prognose: "Es müsse tatsächliche Anhaltspunkte geben, die die Denkhypothese zulassen, dass der Betreffende sich extremistisch betätige", lautete die Antwort. Budlers Anwalt Sven Adam: "Vager geht es kaum."
Fast alle Akten über Budler müssen gelöscht werden. Das sah am Ende auch das Gericht so: Beinahe alle Daten, die der Verfassungsschutz über den 45-Jährigen gespeichert hat, müssen gelöscht werden. Nur einen Teil darf der Dienst behalten: Erkenntnisse, die offenbar von V-Leuten oder aus anderen Überwachungsmaßnahmen stammen. Denn diese unterliegen einem strengen Quellenschutz und mussten nicht ins Verfahren eingebracht werden. "Über Dateien, die wir nicht kennen, können wir auch nicht urteilen", sagte das Gericht und räumte ein, dass Budler insofern in einem Dilemma sei: "Er weiß, dass es sie gibt, aber er kann sich nicht gegen sie wehren." Diesen Zwiespalt nimmt der Gesetzgeber aber in Kauf. Auch dem Verfassungsschutz werden diese Dateien allerdings nicht viel nützen - sie sind und bleiben geheim.

Journalist ist erleichtert, dass Vorwürfe entkräftet wurden
Budler sprach nach dem Urteil von einer "unglaublichen Erleichterung": "Nun ist endlich klar, dass all diese hanebüchenen Vorwürfe an den Haaren herbeigezogen waren." Sein Anwalt nannte den Richterspruch einen Sieg des Rechtsstaats: Jetzt sei deutlich geworden, dass die bisherige Speicherpraxis des niedersächsischen Verfassungsschutzes offenkundig rechtswidrig war.

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taz, 06.11.2013

Geheimniskrämer
Verfassungsschutz macht Fehler


Das Verwaltungsgericht Göttingen urteilt: Niedersachsens Verfassungsschützer müssen Daten über den Journalisten Kai Budler löschen.

HANNOVER taz | Dass Niedersachsens Verfassungsschutz rechtswidrig Daten über Journalisten gesammelt hat, ist nun auch gerichtlich bestätigt: Gestern verpflichtete das Verwaltungsgericht Göttingen die Behörde, ihre Einträge zum Journalisten Kai Budler zu löschen. Dass man ihn jahrelang als vermeintlichen Linksextremisten führte, wusste Budler, seit er 2011 ein Auskunftersuchen gestellt hatte. Daraufhin reichte er Klage ein.

In der Ära von Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU) legte die Behörde Budler etwa den Besuch diverser Demos von Rechtsextremisten bis hin zu Atomkraftgegnern zur Last. Vermerkt wurde sogar, dass er seit 2000 beim Stadtradio Göttingen arbeitet. Budlers Anwalt Sven Adam sieht nicht nur die Grundrechte Budlers verletzt, sondern auch die Pressefreiheit. Verfassungsfeindliche Bestrebungen gingen aus den Akten nicht hervor. Die Demonstrationen etwa habe Budler zu Recherchezwecken besucht – sprich: aus beruflichen Gründen. Diese Auffassung bestätigte nun auch das Gericht und ordnete die Löschung der Daten an. Einzig für die geheim gehaltenen Einträge mochte es dies nicht fordern: Der Verfassungsschutz hatte auf Budlers Auskunftersuchen hin den Teil der Daten zurückgehalten, der mutmaßlich über V-Leute oder mit nachrichtendienstlichen Überwachungsmitteln gesammelt worden war. Auch vor Gericht machte die Behörde dazu jetzt keine Angaben. Budlers Anwalt Adam spricht dennoch von einem „vollen Erfolg“: Mit dem Urteil sei erwiesen, dass seinem Mandanten „nichts vorzuwerfen und die Praxis des Verfassungsschutzes in der Vergangenheit eindeutig rechtswidrig war“. Die Behörde hat unter Schwarz-Gelb nicht nur weitere Journalisten beobachtet, darunter die taz-Autorin Andrea Röpke. Auch Rechtsanwalt Adam selbst soll ins Visier des Geheimdienstes geraten sein. Publik gemacht hat die Bespitzelungen die neue Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger (SPD), nach dem Regierungswechsel von Rot-Grün eingesetzt. Zuvor war sie Pressesprecherin der Behörde – und hatte die Beobachtung Budlers 2011 noch verteidigt.

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Göttinger Tageblatt, 01.11.2013

Selber Waffenlieferant

NSU liefert Revolver an Schlapphutbande

Treffen in der Bezirksstaatsanwaltschaft Koszalin in Polen: Der eine kommt direkt aus dem Gefängnis. Es ist der Logistikchef der Schlapphutbande, lange Jahre Deutschlands gefährlichste Bankräuber. Die anderen sind vom Bundeskriminalamt und der Bundesanwaltschaft. Sie ermitteln gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), lange Jahre Deutschlands gefährlichstes Mörder-Trio.

Göttingen/Wierzchowo/Koszalin. Was sie hören, stellt die Verbindung her zwischen NSU und Bankräubern. Beide sollen den selben Waffenlieferanten gehabt haben: NPD-Mann Ralf Wohlleben. Das behauptet Krzysztof Szafranski, Logistikchef der Schlapphüte.
Der 42-Jährige sitzt in Wierzchowo, Westpommern (Polen), im Gefängnis, nachdem er wegen der Schießerei am 3. August 2005 in der Goetheallee vom Landgericht Göttingen zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Damals hatten er und ein Mittäter nach einem Bankraub in Wieda (Harz) auf der Flucht in Göttingen ein Auto geraubt und auf einen Mann aus Frankfurt geschossen, der lebensgefährlich am Kopf getroffen wurde. Im März haben die NSU-Ermittler in Polen den Inhaftierten aufgesucht. Das Protokoll dieser Vernehmung liegt dem Tageblatt vor. Es enthält Brisantes. So schildert Szafranski detailliert, wie er Anfang 2004 mit einem anderen Mitglied der Räuberbande in Jena eine Schusswaffe besorgte – einen spanischen Astra-Trommelrevolver, eingetauscht gegen ein Gerät, das an VW-Fahrzeugen die elektronische Wegfahrsperre überwindet.

Wo ist die Waffe jetzt?
Szafranski werden Lichtbilder vorgelegt. Er tippt auf Nummer 29, das Foto von Ralf Wohlleben, der als Waffenlieferant des Mördertrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in München als Mitangeklagter im NSU-Prozess sitzt. „Ich bin mir zu hundert Prozent sicher“, sagt Szafranksi und begründet, warum er so sicher ist. Mundlos und Böhnhardt kenne er aber nicht. Wo ist die Waffe jetzt? Sie liege zusammen mit weiteren der Schlapphutbande in einem Waldversteck bei Brandenburg. Er könne das Versteck zeigen, wenn ihn die Behörden nach Deutschland holen würden. Die Bundesanwaltschaft, so Sprecher Marcus Köhler, hat die Aussagen sehr ernst genommen. Schon früher wurde nach Szafranskis Angabe ein Grundstück auf der Suche nach dem Waffenlager mit Baggern durchwühlt, jedoch nichts gefunden.

Keine Chance mehr
Zwei Thesen sind denkbar. Erstens: Der Revolver stammt wirklich aus dem NSU-Umfeld und könnte, wenn man ihn vergliche, weiteren fremdenfeindlichen Taten des NSU zugeordnet werden. Der Angeklagte Wohlleben würde zusätzlich belastet. Zweitens: Das Ganze ist ein neuer Versuch Szafranskis, die Justiz zu veranlassen, ihn nach Deutschland zu holen, damit er den Rest seiner Strafe (gut zehn Jahre) hier absitzt. Anträge seiner Verteidiger hat die polnische Justiz bisher abgelehnt. Das Appellationsgericht Danzig hat endgültig entschieden, Szafranski müsse – obwohl er auch Deutscher ist – seine in Göttingen verhängte Strafe in Polen verbüßen. Darum, so Köhler, sehe die Bundesanwaltschaft keine Chance mehr. Szafranski lehne es ab, nach Deutschland überstellt zu werden, wenn nicht zugesagt werde, dass er hierbleiben darf.

Die Schlapphutbande galt als die gefährlichste Bankräuber-Gruppe der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Benannt nach den Kopfbedeckungen, die sie bei ihren Überfällen trugen, werden den Gangstern vom Jahr 2000 bis 2005 mehr als 50 Überfälle zugerechnet. Schwerpunkt der in unterschiedlicher Besetzung auftretenden Bande war der Raum Brandenburg. Aber auch in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen schlugen sie zu. Nach der Schießerei in Göttingen flog die Bande auf. Einige Mitglieder sollen später einen Überfall auf einen Geldtransport verübt haben. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) war eine rechtsextreme terroristische Vereinigung, deren Mitgliedern und Helfern im laufenden Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht München zehnfacher Mord vorgeworfen wird. Zwei der Mitglieder, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, haben sich im November 2011 das Leben genommen.
Komplizin Beate Zschäpe sowie der mutmaßliche Waffenlieferant Ralf Wohlleben müssen sich vor Gericht verantworten. Die Morde der NSU wurden alle mit derselben Waffe begangen. Weitere Tötungsdelikte konnten dem Trio nicht zugerechnet werden.

Selbstanzeige mit Hintersinn?
Göttingen/Marburg. Es war nicht der erste Brief ans Tageblatt aus einem polnischen Knast. Schon einmal hat Krzysztof Szafranski geschildert, dass er für die Schlapphutbande ein bis heute nicht gefundenes Waffenlager angelegt habe, das nur sie zeigen könnten – er und sein Mittäter Dave D. (Name geändert). Seiner Forderung, ihn aus polnischer Haft zu holen, damit er das Versteck zeigt, ist die deutsche Justiz nie nachgekommen. „Wir können die Polen nicht täuschen, ihnen die Rückstellung des Gefangenen versprechen und ihn dann hier behalten“, sagt Marcus Köhler von der Bundesanwaltschaft. Jetzt hat Szafranski einen Weg gefunden, seine Überstellung vielleicht doch noch zu erreichen. Er hat sich und Dave D. in einem Brief an die Staatsanwaltschaft Göttingen selbst angezeigt. Demnach habe er mit D. vor acht Jahren die Volksbank in Ottrau (Hessen) zweimal überfallen. Er nennt zum Beweis die Fluchtfahrzeuge und wo er sie stehen ließ. Die Göttinger Staatsanwälte haben den Fall an die Kollegen in Marburg übergeben. Dort heißt es seit Wochen: „Keine Auskunft aus ermittlungstaktischen Gründen.“ Das kann noch andere Gründe haben: Gibt es Dave D. überhaupt? Oder war er V-Mann oder verdeckter Ermittler von Polizei oder Geheimdiensten, eingeschleust, um die Schlapphutbande oder deren Verbindung zum NSU zu ermitteln? Laut den Verteidigern Szafranskis wurde D., obwohl namentlich seit Jahren bekannt, nie verfolgt. Schon in den Göttinger Strafverfahren gegen die Mitglieder der Schlapphutbande gab es viele Ungereimtheiten und mögliche Hinweise auf verdeckte Einsätze. So stand die Bande nachweislich in Berlin unter Polizeibeobachtung, als sie 2005 zum Raub nach Wieda aufbrach. Ihre Flucht nach dem Raub über den Oder-Staudamm wurde gefilmt. Von wem, blieb unklar. Eine Polizeistreife, die die Flüchtigen kontrollierte, ließ sie nach Rücksprache mit der Einsatzleitung weiterfahren. Das Foto einer Blitzanlage, das die Räuber in einem gestohlenen Auto zeigt und nie verfolgt wurde, wurde mit dem Vermerk „BKA-Vormerkung“ versehen – für Insider ein Hinweis auf einen V-Mann-Einsatz. Auch dem Tageblatt gelang es in monatelangen Recherchen nicht, Hinweise auf die Existenz von Dave D. zu finden.

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junge Welt, 23.10.2013

Protestaktionen gegen Neonaziterror

Antifaschisten wollen anläßlich des zweiten Jahrestages der ersten NSU-Enthüllungen in die Offensive gehen

Ziemlich wortkarg verhielt sich die antifaschistische Bewegung seit Beginn der Enthüllungen über das neofaschistische Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) angesichts des Ausmaßes der Mord- und Anschlagsserie. Nun wollen die Nazigegner wieder offensiver agieren. So sind in den kommenden Wochen in mehreren Städten Kundgebungen, Demonstrationen und Veranstaltungsreihen geplant. Im Rahmen derer sollen die besagten Morde und auch Verstrickungen von Polizeibehörden und Geheimdiensten in den rechten Terror thematisiert werden.

In Berlin und Heilbronn mobilisieren aktuell breite antifaschistische Bündnisse zu Demonstrationen gegen Naziterror und Rassismus und fordern, die sogenannten Verfassungsschutzämter aufzulösen. »Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt: Eine konsequente Aufklärung über den NSU und insbesondere dessen Verstrickung mit deutschen Geheimdiensten und Behörden findet von offizieller Seite nur schleppend statt«, konstatierten etwa die Organisatoren der Heilbronner Proteste in ihrem Aufruf und kritisierten, daß in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen »gelogen und beschönigt« worden sei. Außerdem seien »Akten vernichtet, zurückgehalten und manipuliert und strukturelle Probleme als individuelles Versagen von Einzelpersonen dargestellt« worden, so der Vorwurf der Antifaschisten.

In Berlin fordern die Demonstrationsorganisatoren als Konsequenz aus möglichen Verbindungen staatlicher Stellen mit der militanten Naziszene die Einrichtung eines unabhängigen Kontrollgremiums zur Bekämpfung von Rassismus in staatlichen Institutionen. Sie wollen im Rahmen der geplanten Proteste auch ein Zeichen gegen »die rassistische und inhumane Asylpolitik« der Bundesrepublik setzen.

Die »Antifaschistische Linke International« (ALI), die für 29. November zu einer Demonstration in Göttingen mobilisiert, fordert in ihrem Aufruf hingegen in erster Linie die eigene Bewegung auf, »aus der Schockstarre zu erwachen«. Zwar müsse Antifapolitik »einen Bezug zu der Lebensrealität von Migranten« haben. Dies allein genüge jedoch nicht. So müsse auch der »deutsche Staat mit seiner strukturell und häufig auch individuell rassistischen Polizei und seinem Inlandsgeheimdienst, der rechte Täter bezahlt und behütet« verstärkt ins Visier von antifaschistischen Organisationen genommen werden, fordern die Göttinger Antifaschisten.

Anfang November dieses Jahres jähren sich zum zweiten Mal die ersten Berichte über die Mord- und Anschlagserie. Verantwortlich dafür gemacht werden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die am 4. November 2011 tot in einem Wohnmobil in Eisenach aufgefunden wurden. Sie sollen gemeinsam mit ihrer mutmaßlichen Komplizin Beate Zschäpe, die sich zu diesem Zeitpunkt auf die Flucht begab und später stellte, die Taten begangen haben.

Nach den ersten Veröffentlichungen über den braunen Terror waren im Bundestag und in mehreren Landtagen – so etwa in Thüringen und Sachsen – parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingerichtet worden. Beate Zschäpe muß sich derzeit gemeinsam mit anderen aus dem NSU-Umfeld vor dem Oberlandesgericht München verantworten.

Geplante Demonstrationen:

Heilbronn: 2.November, 13 Uhr, Theresienwiese
Berlin: 2. November 2013, 12 Uhr, Platz der Luftbrücke
Schwäbisch Hall: 16.November, 11 Uhr, Nähe Bonhoefferplatz
Göttingen: 29. November, 19 Uhr, Wilhelmsplatz

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Göttinger Grüne fordern Auflösung des Verfassungsschutzes

Stadtradio, 10.Oktober 2013

Angesichts der Überwachungsskandale des niedersächsischen Verfassungsschutzes fordern die Göttinger Grünen und die Grüne Jugend die Auflösung der Behörde. Kreissprecherin Marie Kollenrott wirft dem Verfassungsschutz rechtswidriges Verhalten vor und erklärte, es spräche Bände, dass im Fall von Andrea Röpke sogar aktiv Daten vernichtet wurden, um die Überwachung zu vertuschen. Man begrüße, dass die jetzige Landesregierung alle 900 über Personen gespeicherten Datensätze überprüfen lasse, doch der Verfassungsschutz habe eine Eigendynamik entwickelt und sei nicht ausreichend kontrollierbar oder reformierbar, so ein Mitglied der Grünen Jugend.


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Göttinger Neonazi während Zeit als V-Mann verurteilt

Stadtradio, 4.Oktober 2013

Der jetzt als V-Mann aufgeflogene Nenonazi Michael See wurde von 1995 bis mindestens 2001 als Quelle des Bundesamts für Verfassungsschutz geführt. Das geht aus Informationen des StadtRadio hervor. Damit fällt auch seine Verurteilung wegen Volksverhetzung vor dem Landgericht Göttingen in die Zeit, als er für den Verfassungsschutz aktiv war. Er wurde wegen der Ausgabe einer antisemitischen Publikation verurteilt, die er ebenfalls in diesem Zeitraum heraus gegeben hatte. Der u.a. wegen versuchten Totschlags vorbestrafte Dachdecker hatte ab 1993 auch Kontakt zu dem Northeimer Neonazikader Thorsten Heise, unter anderem war er auch zu Gast auf dessen Hochzeit. See war von Leinefelde nach Niedersachsen umgezogen, wohnte ab 1998 in Hann. Münden und kandidierte 2001 für die NPD zur Kommunalwahl im Kreis Göttingen.

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NPD-Kandidat war V-Mann des Verfassungsschutzes

Stadtradio, 2.Oktober 2013

Bei der Aufarbeitung der Mordserie der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) rückt nun auch Südniedersachsen in den Blickpunkt. Wie jetzt bekannt wurde hatte der Verfassungsschutz seit den 1990er Jahren den Neonazi Michael See als V-Mann geführt. Nach seinem Umzug nach Hann. Münden kandidierte See für die NPD vor rund zehn Jahren für den Göttinger Kreistag. Er war Herausgeber des antisemitischen Blattes "Sonnenbanner" und wurde deswegen vom Landgericht Göttingen wegen Volksverhetzung verurteilt. Für Aufsehen hatte seine Anmeldung eines Neonaziaufmarschs in Hann. Münden gesorgt. Der Aufmarsch sollte am 20. April stattfinden, dem Geburtstag von Adolf Hitler. In seiner Rolle als V-Mann soll See eine zuverlässige und redselige Quelle gewesen sein, seine Akte wurde im Bundesamt für Verfassungsschutz geschreddert, nachdem der NSU aufgeflogen war.

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Verfassungsschutz späht Rechtsanwalt aus

NDR, 30.September 2013

Die Nachricht trifft den 37 Jahre alten Juristen aus Göttingen wie ein Schlag: "Ich bin fassungslos", sagt Sven Adam, als ihn NDR Info am Wochenende mit den Rechercheergebnissen konfrontiert. Bei Niedersachsens Verfassungsschutz wurde in der Fachabteilung Linksextremismus offenbar über Jahre eine Datei mit Informationen über den Rechtsanwalt angelegt. Was genau darin gespeichert wurde, ist ebenso unbekannt wie der Zeitraum, in dem Informationen gesammelt wurden.

Fakt aber ist: Niedersachsens Nachrichtendienst hat in der Vergangenheit ein weiteres Mal Informationen über einen Menschen gesammelt, der Angehöriger einer vom Gesetz besonders geschützten Berufsgruppe ist. Denn wie Journalisten gehören auch Rechtsanwälte zu den sogenannten Berufsgeheimnisträgern.
"Ich habe mir nichts vorzuwerfen"

Herausgekommen ist die Angelegenheit am Freitag in Hannover während einer Sitzung des hinter verschlossenen Türen tagenden  Landtagsausschusses für Verfassungsschutzfragen.

Sven Adam ist unklar, wie er in die Akten hineingeraten konnte. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen", sagte er auf Nachfrage von NDR Info und fügt hinzu: "Ich bin empört darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Behörde rechtsstaatliches Terrain verlassen hat."

Sven Adam ist Experte für Fragen des Versammlungsrechts. Er hat Mandanten bei Demonstrationen vor Ort vertreten, etwa bei den Demonstrationen gegen Castor-Transporte oder gegen die rechtsextremen Aufmärsche in Bad Nenndorf. "Vielleicht war ich deshalb für den Verfassungsschutz unter Uwe Schünemann interessant."

Die Beobachtung von Rechtsanwalt Adam durch Niedersachsens Verfassungsschutz ist besonders pikant: Denn er vertritt auch den Göttinger Journalisten Kai Budler vor den Verwaltungsgerichten in Göttingen und Hannover. Der Journalist war ebenfalls in die Dateien des Verfassungsschutzes geraten und hat sich dagegen vor Gericht gewehrt. Adam wurde also von genau jenem Nachrichtendienst beobachtet, gegen den er vor Gericht streitet.
"Unglaublicher Vorgang"

Auch die bundesweit renommierte Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke ist Adams Mandantin. Ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz Niedersachsens und die offenkundig rechtswidrige Löschung ihrer Dateien hatte vor wenigen Tagen bundesweit Schlagzeilen gemacht. Über ihren Anwalt Adam hat sie mittlerweile Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Nachrichtendienstes wegen Urkundenunterdrückung erstattet.

Dass auch ihr Anwalt im Visier des Verfassungsschutzes gestanden hat, bezeichnet sie auf Nachfrage von NDR Info als "einen unglaublichen Vorgang."
Rechtsanwälte sind durch Verfassung besonders geschützt

Scharfe Kritik an der nachrichtendienstlichen Erfassung kommt auch von Adams Berufsverband, dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein: Rechtsanwälte seien ebenso wie Journalisten durch die Verfassung besonders geschützt. Diesen Schutz müssten besonders die Kollegen in Anspruch nehmen können, die sich engagiert mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auseinandersetzen, sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes, Rechtsanwalt Martin Heiming.
Sieben weitere Journalisten beobachtet

Doch dieser Schutz wurde anscheinend bei weiteren Personen nicht beachtet, wie ein Bericht im "Spiegel" zeigt. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat offenbar mehr Journalisten beobachtet als bisher bekannt. Bei einer Recherche in der Datenbank des Amtes seien Mitarbeiter auf sieben weitere Journalisten gestoßen. Einige von ihnen sollen der autonomen Szene angehören. Sie würden als "Zweifelsfälle" gelten. Das Amt prüfe derzeit, ob es überhaupt eine rechtliche Grundlage für die Erfassung gibt.

Bereits Mitte September waren sieben Fälle bekannt geworden. Die Präsidentin des Amtes, Maren Brandenburger, gehe von einem Organisationsversagen ihrer Behörde aus. Anscheinend seien nicht einmal Referatsleiter informiert worden, welche Namen in die Datenbank eingepflegt wurden.

Bottom Line