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Griechenland in der Krise - Aufstieg des Faschismus?

Etwa 60 Menschen besuchten den Vortrag zu Faschismus und Krise in Griechenland am 20.2.2013 im Roten Zentrum. Im Anschluss fand eine ausddauernde Diskussion statt.

Die Krise des globalen Kapitalismus treibt seit 2008 reihenweise und systematisch Gesellschaften in den Ruin: Nachdem zunächst lediglich Einzelsektoren von ihrer Dynamik erfasst wurden, stehen nun ganze Staaten mit dem Rücken zur Wand. Eine Troika aus Europäischer Komission, Internationaler Währungsfond und Europäischer Zentralbank verwaltet das hierdurch entstandene Elend in den besonders betroffenen Staaten im Süden Europas.

In dieser Situation nehmen faschistische Tendenzen in der Gesellschaft zu. Nachdem linke Parteien, trotz ihrer Wahlerfolge eine Regierungsbildung verfehlten, feierte die faschistische Chrisy Avgi (Goldene Morgenröte)  2012 den Einzug in das griechische Parlament mit sieben Prozent.
Derzeit werden sie in Umfragen mit 16 bis 18 Prozent gehandelt. Parallel wüten Anhänger und Mitglieder der Partei auf den Straßen: Tagtäglich werden schwarze, illegalisierte oder anderweitig als ,,ungriechisch‘‘ empfundene Menschen verfolgt, zusammengeschlagen und umgebracht. Auch am helllichten Tag finden Angriffe auf öffentlichen Plätzen statt. Organisierte Aufmärsche sollen die griechischen Städte von illegalisierten Menschen ,,säubern‘‘. Die Faschisten legitimieren dies mit einem angeblichen Versagen der Polizei, weswegen das staatliche Gewaltmonopol in die ,,eigene Hand‘‘ genommen werden müsse. Ergänzt wird diese brutalisierte Situation auf den Straßen durch Kampagnen der faschistischen Chrisy Avgi. Angesichts der anhaltenden Krise und deren ungewissen Fortgang erscheint ein solches Szenario in ähnlicher Weise für andere Länder denkbar. In Anbetracht der Tatsache, dass die Linke europaweit geschwächt ist und faschistische und rechtspopulistischen Gruppen zunehmend zu gesellschaftlicher Relevanz kommen, erscheint die Ausformulierung einer linken gesellschaftlichen Alternative unerlässlich.
Es ist jetzt an der Zeit, die internationale Dimension der faschistischen Gefahr zu begreifen und in einen Dialog über Perspektiven eines internationalistischen Antifaschismus zu führen.

aktuelle Informationen aus Griechenland findet ihr unter antifagriechenland.blogsport.de


Terror in Hellas

junge Welt, 01.12.2012

Im Gefolge von Krise und Austeritätsdiktat erstarken die Faschisten in Griechenland. Motor der Gewalt gegen Migranten und Linke ist die Organisation »Chrysi Avgi«

Wenn Neuankömmlinge vor ihm stehen, zeigt Yunus Mohammadi ihnen eine Karte von Athen. Darauf sind rote Linien eingezeichnet, die umrandeten Gebiete sollten Ausländer meiden. Früher habe er in Afghanistan dem Roten Kreuz ebensolche Karten zur Verfügung gestellt, erzählt der Präsident der Vereinigung der Afghanen in Griechenland der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Vorstellbar war es für ihn nicht, daß er mitten in Europa erneut solche Orientierungshilfen würde anfertigen müssen.

Innerhalb der eingezeichneten No-Go-Areas treiben die faschistischen »Bürgerwehren« ihr Unwesen, Banden junger Männer, deren einziges Ziel Gewalt und Terror gegen alles ist, was ihrer Ansicht nach nicht nach Hellas gehört: Ausländer, Muslime, Linke. Die Überfälle folgen immer demselben Muster: Gruppen schwarzgekleideter Vermummte, bewaffnet mit Flaschen, Knüppeln, Eisenstangen, jagen meist einzelne Menschen.

Der Motor des Anstiegs rassistischer und antilinker Gewalttaten ist die Organisation »Chrysi Avgi«, »Goldene Morgendämmerung«. Vor der Krise und dem von der EU-Troika aufgenötigten Kaputtsparen des Landes lag die Neonazitruppe um ihren Chef Nikolaos Michaloliakos in der Wählergunst weit unter der Ein-Prozent-Marke. Mittlerweile sehen Umfragen sie bei über zehn Prozent. Ihre schwarze Hemden tragenden Schlägergarden sind um ein Vielfaches größer und präsenter geworden. Ihr Programm ist klassisch faschistisch: Blut-und-Boden-Ideologie, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Haß auf alles »Nichtgriechische«, außenpolitischer Expansionsdrang, Führerprinzip, militaristisches Säbelrasseln, Hitler und Alfred Rosenberg als Referenzfiguren.

Und der Staat? Die enge Verbindung von Polizei und Neofaschisten, vor allem in Athen, ist längst kein Geheimnis mehr. Unter Polizisten erreicht »Chrysi Avgi« signifikant bessere Wahlergebnisse. Er denke, es seien nun »mehr als 50, 60 Prozent der Polizisten, die uns folgen, vielleicht mehr, ihre Zahl wächst jeden Tag«, brüstet sich Ilias Panagiotaros, Eigentümer eines Hooliganshops und Parlamentsabgeordneter der Nazipartei.

Dennoch hat »Chrysi Avgi« kaum eine Chance, stimmenstärkste Partei zu werden, und auch in den Betrieben ist ihr Einfluß eher gering. Eine Machtergreifung über Wahlen oder Streiks ist ihr auf mittlere Frist sicher nicht möglich. Plausibel ist aber, daß ihre Strategie eine andere ist: durch zunehmende Gewalt das Eingreifen des Staates, im äußersten Fall des Militärs, zu provozieren.

Im Interview mit der britischen BBC spricht Ilias Panagiotaros Klartext: Das Land sei reif für »einen neuen Typ von Bürgerkrieg. Auf der einen Seite werden Nationalisten wie wir und Griechen, die unser Land so haben wollen, wie es einst war, stehen – und auf der anderen Seite werden illegale Immigranten und Anarchisten und all jene stehen, die Athen und Griechenland schon mehrfach zerstört haben.«

Doch in Griechenland sind zugleich zumindest potentiell auch die Mittel vorhanden, um der Morgendämmerung einen raschen Sonnenuntergang zu bereiten: Sollten sich die Kräfte auf der Linken – KKE, SYRIZA, Antarsya und die Linksradikalen – auf einen gemeinsamen Kurs einigen können, würde man schwarze Hemden mit runenähnlichen Buchstaben wohl wieder seltener im Stadtbild Athens zu Gesicht bekommen.

Weitere Artikel junge Welt 04.02.2013 "Rechtes Heldengedenken - Tausende Faschisten bei Gedenkmarsch in Athen"

 

 


Bottom Line